Interview

Hirnforscherin Catherine Dulac: „Geschlechtsidentität ist komplexer als erwartet“

Catherine Dulac revolutionierte die Pheromon-Forschung, bevor sie an Mäusen zeigte, wie Geschlechtszugehörigkeit entsteht. Die Parallelen zum Menschen sind frappant.

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Ihre Forschung an Mäusen hat alles, was man bis dato über Pheromone wusste, völlig umgekrempelt. Wie haben Sie das geschafft?

Dulac

In den frühen 1990er-Jahren beschäftigten sich sehr viele Forschende mit Pheromonen und dem vomeronasalen Organ, mit dem viele Wirbeltiere die speziellen Duftstoffe ihrer Artgenossen aufnehmen. Ich entdeckte zunächst die zugehörigen Rezeptoren im olfaktorischen System von Mäusen.

Danach entfernten Sie männlichen Mäusen mittels Gentechnik jenen Ionengang, der bei der Verarbeitung von Pheromonen im Gehirn eine zentrale Rolle spielt. Diese Mäuse konnten dadurch keine Pheromone mehr wahrnehmen. Was passierte dann?

Dulac

Ich hatte erwartet, dass sich die Mäuse nicht mehr paaren. Denn bis dahin hatte man angenommen, dass sich Mäuse durch die Pheromone anziehend finden und Sex haben. Doch die Mäuse paarten sich, als sei nichts geschehen. Ich war total verwundert und startete weitere Experimente. Eine andere Wirkung, die man Pheromonen zuschrieb, war die Aggression gegenüber männlichen Kontrahenten. Also setzte ich meine manipulierten Mäuse zu anderen Männchen. Sie griffen sie nicht an wie üblich, sondern versuchten, die anderen Männchen zu besteigen. Wieder war ich baff. Mein Verdacht: Vielleicht konnten die veränderten Männchen ohne Pheromone die Geschlechter nicht auseinanderhalten. Tatsächlich war es so. Als ich den Männchen beide Geschlechter ins Gehege setzte, versuchten sie sich mit allen zu paaren, ohne zu unterscheiden.

Haben Sie auch Weibchen manipuliert?

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.