Hitzefrei: Der Einfluss der Jahreszeiten auf Covid-19
Seit Wochen wird gerätselt, weshalb die Corona-Infektionszahlen so plötzlich und rapide sanken – und zwar fast quer durch Europa. Eine neue Studie eines britisch-dänischen Forscherteams ging dem Einfluss saisonaler Effekte auf den Reproduktionsfaktor R nach, der angibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt. Die Arbeit, eine noch nicht begutachtete Vorabveröffentlichung, konzentriert sich freilich nicht auf die Mechanismen, die ursächlich für saisonale Schwankungen sind, sondern berechnet anhand mathematischer Modelle das Ausmaß des saisonalen Effekts – und somit die Unterschiede in Bezug auf das Infektionsgeschehen zwischen Sommer und Winter. Zudem vergleichen die Wissenschafter die Bedeutung der Saisonalität mit anderen Faktoren, die sich auf die Virusverbreitung auswirken, darunter etwa Schulschließungen oder Versammlungsverbote. In das Modell flossen Daten aus 143 europäischen Regionen gemäßigten Klimas ein.
Die zentralen Ergebnisse:
1. Die generelle Schlussfolgerung lautet: „Wir finden starke saisonale Muster.“ Die Forscher definieren eine Spitze des Infektionsgeschehens im Jänner und eine Talsohle im Juli. Der Unterschied zwischen den beiden Extrempunkten liege bei exakt 42,1 Prozent.
2. Der Einfluss der Saisonalität ist größer als jede einzelne Maßnahme (in der Fachsprache nichtpharmazeutische Interventionen genannt), die ein Staat gegen die Pandemie setzen könnte – ob nun Schulschließungen oder die Einschränkung von Zusammenkünften. Allerdings: Die Gesamtsumme möglicher Maßnahmen hat höhere Wirksamkeit als der saisonale Effekt.
3. Die Forscher betonen, nicht die kausalen Mechanismen der Saisonalität untersucht zu haben, verweisen aber darauf, dass vermutlich nicht ein einzelner Faktor, sondern ein ganzes Bündel davon gemeinsam ausschlaggebend ist: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, UV-Einstrahlung, die Empfindlichkeit des Virus gegenüber Umwelteinflüssen, die Immunantwort zu unterschiedlichen Jahreszeiten sowie typische Verhaltensweisen des Menschen im Sommer und Winter.
4. Wie in solchen Arbeiten üblich, erwähnen die Wissenschafter auch „Limitierungen“ ihrer Studie: Zum einen sei die Datenbasis noch relativ klein, da man erst auf ein Pandemiejahr zurückblicken könne. Zum anderen warnen sie davor, ihre Resultate auf andere Weltregionen zu übertragen. Da andere Klimazonen auch in warmen Monaten von hohen Infektionszahlen betroffen waren, dürften dort Einflussgrößen eine Rolle spielen, die in Europa weniger zählen.
5. Schließlich warnen die Forscher davor, aufgrund sinkender Ansteckungszahlen im Sommer vorschnell in Jubel auszubrechen, da ihr Modell eben ein saisonbedingtes Auf- und Abschwellen der Infektionen zeige, das sich unserem Einfluss bis zu einem gewissen Grad entziehe.
Fazit: „Eine Reduktion der Transmissionen über den Sommer könnte als das Ergebnis einer Herdenimmunität missinterpretiert werden und zu einer unzureichenden Vorbereitung auf ein Wiederaufleben in den kälteren Monaten führen.“