Hochwasser: Vier Maßnahmen, die die Wucht von Extremwetterlagen bremsen können
Von Franziska Dzugan
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Fünf Tage, zahlreiche gebrochene Rekorde: Unvorstellbare zwölf Billionen Liter Niederschlag ergossen sich während der verheerenden Wetterlage laut GeoSphere Austria über Österreich. In Niederösterreich brachen 21 Dämme, 34.000 Feuerwehrleute waren dort im Einsatz, 2400 Menschen mussten evakuiert werden. Durch das Bett des Wienflusses walzten sich die Massen eines 1000-jährigen Hochwassers.
Schon während des großen Aufräumens stellt sich die Frage: Wie gut ist Österreich für das nächste Hochwasser gerüstet? Denn eines steht mitten in der Klimakrise fest: „Alte Maßstäbe gelten nicht mehr. Jede Region muss sich darauf vorbereiten, mit nie da gewesenen Niederschlägen und Windstärken konfrontiert zu werden“, sagt Gerhard Wotawa, Bereichsleiter der Abteilung für Klima und Umwelt bei GeoSphere Austria und Obmann des Climate Change Center Austria (CCCA). Was zu tun wäre, haben Expertinnen und Experten wie er bereits tausendfach erörtert. Während beim technischen Hochwasserschutz in den vergangenen 20 Jahren viel weiterging, ist Österreich denkbar schlecht darin, das Problem an der Wurzel zu packen. Vier Maßnahmen, die die Wucht von Extremwetterlagen bremsen können.
Maßnahme 1: Die Betonwut stoppen
Man kann es nicht oft genug festhalten: Kaum irgendwo in Europa wird so viel Boden versiegelt wie in Österreich. Wer übers Land fährt, kennt sie zur Genüge, die Fachmarktzentren, die in den vergangenen Jahrzehnten am Rande der Ortschaften auf der grünen Wiese entstanden sind: ein Supermarkt da, ein Möbelhaus dort, dazwischen Baumärkte und Geschäfte für Bekleidung, Heimtierbedarf und Autozubehör. Je Betrieb eine Zufahrt, je Betrieb ein Parkplatz, je Betrieb das Maximum an denkbarer Bodenversiegelung. Noch ineffizienter können Fläche und Raum kaum genutzt werden.
Das Problem: Das Regenwasser, das auf Gebäude, Parkplätze oder Straßen fällt, kann kaum versickern. Anstatt im Boden gespeichert zu werden und Grundwasser sowie umliegende Gewässer langsam zu nähren, landet der Großteil des Regens sofort im Kanal. Von dort schießt er in die Bäche und Flüsse – und sorgt mit dafür, dass ganze Siedlungen in den Fluten versinken.
Das Problembewusstsein ist trotzdem enden wollend. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister widmen immer noch viel zu viel Grünland um, teils sogar in Hochwassergebieten, während die zuständigen Länder viel zu lasch kontrollieren. Dabei liegen die Lösungen für den Flächenfraß seit Langem auf dem Tisch: klare Siedlungsgrenzen definieren, über die hinaus nicht mehr gewidmet werden darf. Leerstehende Gebäude in den Ortskernen revitalisieren, anstatt an den Rändern neu zu bauen. Und entsiegeln, wie es etwa Tulln wagte. Dort wurde ein großer Parkplatz im Stadtzentrum weggerissen, um einer Grünoase zu weichen. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) schlägt vor, die klimagerechte Sanierung von größeren Parkplätzen mit Rasengittersteinen und Bäumen gesetzlich zu verordnen. Zwar stehen viele dieser Maßnahmen im vergangenen Donnerstag beschlossenen „Kommunalen Bodenschutzplan“ des Gemeindebundes, er bleibt jedoch ohne Verbindlichkeiten. Absichtserklärungen wie diese gab es schon zuhauf – am Betonieren änderte das bislang nichts.
Maßnahme 2: Hochwasserschutz ausbauen – und im Extremfall absiedeln
Es waren die Fluten der Jahre 2002, 2005 und 2013, die einiges in Bewegung brachten. Allein in Niederösterreich wurden laut Angaben der Landesregierung seit der Flutkatastrophe von 2002 rund 1,5 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz investiert. Österreichweit soll in den kommenden Jahren rund eine Milliarde Euro folgen, wie die Bundesregierung am vergangenen Mittwoch verlautbarte. Alte Anlagen müssen repariert und nachgerüstet werden, zudem sind neue Dämme, mobile Hochwasserschutzanlagen und Rückhaltebecken geplant. Auch Renaturierungen sollen davon finanziert werden, in welchem Ausmaß, bleibt aber unklar.
Wie sich Österreich auf lange Sicht vor Naturgefahren in der Klimakrise wappnen muss, diskutierten internationale Experten und Expertinnen vergangenen Juni bei der Konferenz „Interpraevent" in der Wiener Hofburg. Dort wurde auch ein Tabuthema angeschnitten: „In extremen Fällen werden Absiedlungen nötig sein. Das wird aktuell ganz offen diskutiert“, sagte Florian Rudolf-Miklau vom Landwirtschaftsministerium gegenüber profil. Das erfordert freilich auch Entschädigungszahlungen – wie sie etwa 2023 in Steyr fällig wurden, als zwei Häuser durch einen Felssturz unbewohnbar wurden. Die Stadt kaufte sie den Eigentümern um 623.500 Euro ab. Das Geld stammte großteils aus dem gerade wieder aufgestockten Katastrophenfonds.
Klimaforscher Wotawa sieht ebenfalls Absiedlungen auf Österreich zukommen. „Wir sehen keine Entspannung in den Modellen, im Gegenteil. Wenn Häuser zum dritten Mal überschwemmt werden, muss man überlegen, ob man den Leuten nicht unter die Arme greift, um in sicherere Gegenden auszuweichen.“
Maßnahme 3: Renaturierung – Mehr Platz für das Wasser
Ein weiteres politisches Megaprojekt wird den Kampf gegen die Fluten erleichtern: das von der EU im Sommer durchgesetzte Renaturierungsgesetz. Es sieht unter anderem vor, 25.000 Flusskilometer und Auen zu renaturieren. Österreichs Flüsse sind besonders oft in enge Betonbetten gezwängt und verbaut. Gerade einmal 14 Prozent der heimischen Bäche und Flüsse sind ökologisch intakt. Ihnen mehr Platz einzuräumen, schafft Pufferzonen, auf welche die Fluten im Hochwasserfall ausweichen und langsam versickern können. „Ohne solche Überschwemmungsgebiete geben wir das Problem Kilometer für Kilometer weiter. Stromabwärts braucht es dann immer mehr Dämme und Schutzbauten“, erklärt Gerhard Wotawa von Geosphere Austria.
Neben Auen sind auch Moore enorm potente Wasserspeicher. Sie wurden einst in großem Stil trockengelegt, um Platz für Vieh und Felder zu schaffen. Die Folge: Von den 2997 Mooren in Österreich sind lediglich 163 unberührt. Mehr als 90 Prozent der ursprünglichen Moorflächen wurden zerstört – durch Entwässerung, Verbauung und landwirtschaftliche Nutzung, wie einer Studie des Umweltbundesamts zur Restauration von Ökosystemen zu entnehmen ist. Nun sollen zumindest ein paar renaturiert werden.
Moore zählen zudem zu den größten und effizientesten Kohlenstoffspeichern der Erde. Der Grund ist einfach: Verrotten Pflanzen an Land, setzen sie CO2 frei. Unter Wasser hingegen wird der Kohlenstoff gespeichert. So speichern Moore, die gerade einmal drei Prozent der weltweiten Landfläche bilden, mit 600 Milliarden Tonnen rund doppelt so viel CO2 wie alle Wälder der Erde zusammen.
Maßnahme 4: Treibhausgase drastisch senken
Immer mehr Schutzbauten, Renaturierung und Absiedlungen: Wer soll das alles bezahlen? „Aktuell trägt die Allgemeinheit die Kosten. Das ist ungerecht“, sagt der Klimaforscher Marc Olefs. Es werde Zeit, die Verursacher, sprich die starken Nutzer fossiler Energieträger, stärker in die Pflicht zu nehmen. „Wir brauchen eine temporäre CO2-Steuer, die ihren Namen auch verdient, um den Anreiz hin zu klima- und somit menschenfreundlichen Energieformen zu beschleunigen“, sagt Olefs.
Aktuell kostet der Ausstoß einer Tonne CO2 45 Euro, im kommenden Jahr wird sie auf 55 Euro pro Tonne steigen. Trotzdem ist die CO2-Steuer noch viel zu niedrig, wie die Berechnungen des Climate Change Centre Austria belegen: Ihnen zufolge bräuchte es einen Steuersatz von bis zu 160 Euro, um endlich herunterzukommen von den hohen Treibhausgasen.
„Wir leben jetzt im entscheidenden Jahrzehnt, um die Wende in Richtung Klimaneutralität zu schaffen“, sagt Klimaforscher Gerhard Wotawa. Einen Lichtblick gibt es immerhin: Die Emissionen sanken hierzulande laut „Nowcast“-Prognose 2023 gegenüber dem Jahr zuvor um 6,4 Prozent auf 68,2 Millionen Tonnen.
Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.