Wissenschaft

Impfmythen: Fake News vom Fließband

Kaum ein Thema ist so mit Desinformation verbunden wie Impfungen. Seit es sie gibt, werden Ängste davor geschürt. Heute entstehen die Schauermärchen in industriellem Maßstab, meist aus Profitgier.

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Dieses neumodische Zeug war Teufelswerk, keine Frage. Es hieß, dass Kinder plötzlich auf allen vieren krochen und wie die Kühe brüllten. Der Name sagte schon alles: Vakzination, abgeleitet vom lateinischen Wort „vacca“, also Kuh. Die Gruselgeschichten betrafen eine Erfindung des britischen Arztes Edward Jenner. Dieser hatte 1796 eine Methode zur Bekämpfung der Pocken erprobt, einer Infektionskrankheit, die in Europa damals fast eine halbe Million Menschen pro Jahr tötete: Jenner entnahm einer Magd, die sich mit relativ harmlosen Kuhpocken angesteckt hatte, ein wenig Eiter und übertrug ihn auf einen acht Jahre alten Buben – in der Annahme, dieser sei nun immun gegen die echten Pocken. Es klappte.

Was damals Vakzination hieß, nennen wir heute Impfung. Deren Erfolg begründete eine neue Ära der Medizin, provozierte aber auch eine frühe Welle von Desinformation über angeblich furchtbare Nebenwirkungen (siehe Karikatur oben von James Gillray, auf der geimpften Personen Körperteile von Kühen wachsen). Die Vorstellung, eine geheimnisvolle, in den Körper gespritzte Substanz verleihe dem Menschen animalische Eigenschaften, berührte wohl Urängste – ähnlich heutigen Befürchtungen, mRNA-Impfstoffe würden die Gene verändern.

Ob es sich zu Jenners Zeit bloß um Schauermärchen handelte oder um „Fake News“ im heutigen Sinn, also um gezielt gestreute Falschinformation, ist schwer rekonstruierbar. Dass zumindest teilweise Vorsatz im Spiel war, lässt sich aus dem Umstand ableiten, dass häufig Ärzte Urheber der Lügengeschichten waren – vermutlich, weil sie einen Verkaufseinbruch ihrer obskuren Tinkturen gegen die Pocken fürchteten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wetterte etwa auch Daniel Palmer, Begründer der Chiropraktik, gegen den „Impf-Schwindel“ und empfahl stattdessen Chiropraktik gegen die Pocken.

Eine Epidemie der Desinformation

Impfungen waren stets von Desinformationen begleitet, und diese sind heute kaum weniger bizarr als vor 200 Jahren – von durch Impfungen implantierten Chips bis zu besonders unappetitlichen Behauptungen über eine angestrebte jüdische Weltherrschaft mittels Impfterror. Ein wesentlicher Unterschied zu früher ist, dass solche Fake News heute im großindustriellen Maßstab produziert werden und für jene, die sie in die Welt setzen, ein Riesengeschäft sind. Fachleute sprechen von einer „Infodemie“, einer Epidemie der Desinformation.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft