So richtig Fahrt nahmen Fake News über Impfungen im vorigen Jahrhundert auf – nach Einführung vieler Impfungen gegen Infektionskrankheiten wie Kinderlähmung und Masern und paradoxerweise besonders zu deren allmählichem Zurückdrängen. In den 1970er-Jahren gab es Befürchtungen, die Keuchhusten-Impfung könne Krämpfe und neurologische Leiden verursachen. Die Impfstoffe wurden verbessert, die Panikmache über Gefahren wurde weiter geschürt, vor allem vom National Vaccine Information Center, das sich den Anschein einer staatlichen Behörde gibt, jedoch bis heute eine Fake-News-Schleuder ist und während der Covid-Pandemie das Internet mit Fehlinformationen flutete. Frontfrau Barbara Loe Fisher, talentiert beim Einsammeln von Spendengeldern und beim Platzieren von Unsinn über Impfungen, hat sich breite Präsenz auf Plattformen wie Amazon, YouTube und Soundcloud gesichert und weiß genau, welche emotionalen Tasten sie drücken muss, wenn sie von „unbekannten Giften“ raunt, die Kindern verabreicht würden.
Doch das ist nichts gegen den unangefochtenen Großmeister der Fake News: Andrew Wakefield. Niemand sonst richtete mit so wenig Mühe so großen Schaden an. Im Jahr 1998 publizierte Wakefield, der damals an einer Londoner Klinik arbeitete, eine Studie, bloß fünf Seiten stark. Darin wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen der Dreifachimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln und Autismus thematisiert. Wakefield machte ordentlich PR für die Studie, tingelte durch TV-Shows und behauptete, die Impfung überfordere das Immunsystem. Bald stellte sich heraus, dass die Arbeit miserabel gemacht war: Untersucht wurden nur zwölf Kinder, viel zu wenige für eine solide Aussage. Dann ließ sich nachweisen, dass manche der Kinder bereits vor der Impfung Autismussymptome gezeigt hatten. Schließlich deckte ein Journalist auf, dass Wakefield Geld von Anwälten erhalten hatte, die Eltern autistischer Kinder vertraten.
Wie man mit Fake News zum Star wird
Wakefield verlor seine Zulassung, die Studie wurde zurückgezogen, doch Wakefield wurde zum Star. Er ging nach Texas, trat mit Donald Trump auf, fand Fürsprecher wie den Schauspieler Jim Carrey, ging eine Liaison mit Model Elle Macpherson ein. In den USA begründete er ein Fake-News-Imperium, dessen Geschäftsgrundlage die Behauptung ist, Impfungen seien gefährlich und verursachten Autismus. Wakefield betrieb Merchanising mit T-Shirts und Kaffeetassen, produzierte Filme wie das Impfgegner-Machwerk „Vaxxed“ und hielt wie ein Guru in wallendem weißem Gewand Vorträge, in denen er sich als Opfer des Establishments inszenierte. Die Covid-Pandemie war dann natürlich ein Geschenk: Wakefield gilt als eine der treibenden Kräfte hinter der Verbreitung globaler Desinformation zum Thema.
Der Fall zeigt eindrucksvoll, dass man Fake News nicht mit Fakten begegnen kann. Wäre dem so, wäre die Annahme, dass Impfungen zu Autismus führen, längst aus der Welt – schließlich ist die einzige Quelle dafür eine winzige gefälschte Studie, die durch Dutzende andere widerlegt ist. Stattdessen sanken die Impfraten, und es kam immer wieder zu Masernepidemien – zu Ausbrüchen einer Krankheit, die ausgerottet sein könnte wie die Pocken.
Man könnte noch krassere Beispiele dafür anführen, wie Fake News Menschenleben gefährden – in Japan etwa kam es ab 2013 vermehrt zu Gebärmutterhalskrebs, nachdem Impfgegner Kampagnen gegen die HPV-Impfung initiiert hatten und die Impfrate von 70 auf unter ein Prozent sank –, doch die Königsdisziplin der Desinformation war zweifellos die Coronavirus-Pandemie. Die Bedingungen waren perfekt: Die Menschen waren verunsichert, die Impfstoffe neu, Fabrikanten von Impfmythen hatten schon Erfahrung gesammelt, wie man aus Falschinformation Profit schlägt, und mit den sozialen Medien standen nun hervorragende Instrumente zur Verfügung, um ohne viel Aufwand Unsinn am Fließband gezielt und global zu verbreiten.
Das Dutzend der Desinformation
Die Mehrzahl der Fake News über die angebliche „Plandemie“ lässt sich auf einige wenige Personen zurückführen – von der Behauptung, Impfstoffe seien tödlicher als das Virus, bis zu den Verschwörungserzählungen über Bill Gates und George Soros. „Disinformation dozen“ (das Dutzend der Desinformanten) wird diese Gruppe genannt, und Berechnungen zufolge ist sie für rund 65 Prozent aller in Umlauf befindlichen Corona-Fehlinformation verantwortlich. Bekanntester Name auf dieser Liste: Robert Kennedy, Anwalt und Neffe des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy. Seit zwei Jahrzehnten führt Kennedy einen Kreuzzug gegen Impfungen, verbreitet nach wie vor den erfundenen Zusammenhang zum Autismus und warnt vor toxischen Substanzen in Impfstoffen.
In der Pandemie lief er zur Höchstform auf und überschritt mitunter sämtliche Grenzen: Im Vorjahr meinte er, die Menschen hätten unter den Restriktionen der Pandemie mehr gelitten als Juden unter den Nazis. Mittlerweile will Kennedy 2024 für die US-Präsidentschaft kandidieren. Einer seiner Slogans klingt fast wie eine Drohung: „Wir werden den Amerikanern die Wahrheit sagen.“