In Europas Ställen lauern Viren

Tiermärkte in exotischen Ländern sind eine Quelle für Infektionskrankheiten. Aber auch in Europas Ställen lauern Viren mit Pandemiepotenzial.

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Das Konzert war in vollem Gang, als ein kleines schwarzes Bündel vor Ozzy Osbournes Füßen landete. Ein Fan hatte es auf die Bühne geworfen. Der Heavy-Metal-Sänger mit der schwarzen Mähne hob die kleine Fledermaus auf, nahm sie zwischen die Zähne und biss zu. "Mein Mund füllte sich mit dieser warmen, klebrigen Flüssigkeit mit dem schlimmsten Nachgeschmack, den man sich vorstellen kann", schrieb Osbourne in seinen Memoiren. "Dann zuckte der Kopf in meinem Mund. Ich habe nicht gerade eine Fledermaus gegessen, oder?" Doch, hatte er. Osbourne bestand stets darauf, dass das Tier noch gelebt hatte, bevor er es sich 1982 in Iowa in den Rachen schob.

Heute würde wohl kein noch so ambitionierter Skandalrocker einer Fledermaus dermaßen nahe kommen wollen. Tollwut, SARS, MERS, Ebola, SARS-CoV-2: Einige der gefährlichsten Viren entstammen Fledermäusen oder Flughunden, wie man nicht zuletzt seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie weiß. Es ist aber noch ungeklärt, ob das Virus durch den Kontakt von Fledermäusen mit Menschen oder Wildtieren auf einem Markt in Wuhan übersprang. Auch ein "Heilmittel" der Traditionellen Chinesischen Medizin steht unter Verdacht: Getrockneter, zerriebener Fledermauskot wird vor allem bei Augenkrankheiten empfohlen - mit etwas Wasser direkt ins Auge geträufelt.

Doch nicht immer sind Tiermärkte in exotischen Ländern die Quelle für Infektionskrankheiten. Auch in Europas Ställen lauern Viren. Forscher aus Deutschland haben in Schweineställen quer durch die EU neue Grippeviren mit erheblichem Pandemiepotenzial entdeckt. Britische Wissenschafter zeigen indes auf, wie Viren in unseren ausgeräumten Landschaften leichtes Spiel haben. Die meisten Zoonosen - also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen - sind menschengemacht.

Schwein als "Mischgefäß" für Viren

Das Schwein sei ein "Mischgefäß" für Viren, allen voran für Influenzaviren, sagt Timm Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald. Ein Tier kann sich beim Menschen anstecken oder bei Vögeln, und es kann mehrere Schweine-Influenzaviren zugleich beherbergen. Harder und sein Team untersuchten 18.000 Proben von grippekranken Schweinen aus 2500 Ställen in ganz Europa (auch aus Österreich). Was sie dort fanden, ist besorgniserregend: Anhaltende Infektionen mit bis zu vier Stämmen von Schweine-Influenzaviren, die sich mit dem menschlichen Schweinegrippevirus H1N1, das 2009 erstmals aufgetaucht war, vermischt hatten. Dadurch entstanden 31 neue Virenvarianten. Manche davon sind resistent gegen das antivirale Protein MxA, einem wichtigen Baustein der menschlichen Immunabwehr. Andere können sich humanen Antikörpern entziehen, wieder andere sind über die Luft übertragbar. "Damit haben die einzelnen Viren jeweils eine Hürde auf dem Weg vom Schwein zum Menschen überwunden", sagt Harder. Wie viele solcher Hürden sie nehmen müssen, um die Artbarriere tatsächlich zu schaffen, ist noch nicht ausreichend geklärt. Drei bis zehn dürften es jedenfalls sein, schätzt Harder.

Beispiele für Übersprünge zum Menschen gibt es zur Genüge. Die Vogelgrippe H5N1 sorgte in den Nullerjahren für Schrecken, weil mehr als die Hälfte der Infizierten starb. Sie war in China von Geflügel auf den Menschen übergesprungen. Zur Pandemie wuchs sich die Vogelgrippe glücklicherweise nicht aus, weil sie nicht von Mensch zu Mensch übertragen wurde. Das krasse Gegenteil war die Schweinegrippe: Von Schweinebauern in Mexiko ausgehend schwappte sie über den gesamten Globus, die Symptome blieben jedoch weitgehend harmlos.

Eine unselige Allianz aus einem reisefreudigen und einem tödlichen Erreger ist jedoch nicht ausgeschlossen. Das liegt an der Substanz, aus der Influenza besteht (wie das neue Coronavirus übrigens auch). Ribonukleinsäure, kurz RNS, hat eine unangenehme Eigenheit: Wenn sie sich vermehrt, also wieder und wieder selbst vervielfältigt, schummeln sich Fehler ein. Jede tausendste Reproduktion ist eine Mutation, trägt also eine Veränderung in sich. Durch diesen völlig zufälligen Wandel können die Aggressivität wie auch die Infektiosität eines RNS-Virus schlagartig steigen.

Die derzeit in Deutschland umgehende Afrikanische Schweinepest ist für Menschen hingegen völlig harmlos. Das Erbmaterial besteht bei diesem (für Schweine oft tödlichen) Virus aus Desoxyribonukleinsäure (DNS), die wesentlich präziser vermehrt wird. Hier schleicht sich beim Kopieren so gut wie nie ein Fehler ein.

Massentierhaltung als Ursache?

Hat die Massentierhaltung zu einer Virenexplosion geführt? Wahrscheinlich ja. Litten Schweine früher, in kleineren Ställen, an der Grippe, bekamen sie Husten, Fieber, manchmal Lungenentzündung; nach drei bis vier Wochen waren die Tiere wieder gesund. "Heute verläuft die Krankheit meist milder, dafür hält sie sich über viele Monate in betroffenen Tierbeständen", sagt Virologe Harder. Der Grund ist offensichtlich: Wenn 500 Muttersauen permanent Nachwuchs produzieren, wachsen ständig neue Wirtstiere heran. So zirkulieren die Viren oft über ein Jahr hinweg im Stall. "Stress und Verletzungen schwächen das Immunsystem der Schweine zusätzlich", sagt Eva Rosenberg von Vier Pfoten. Die Tierschutzorganisation setzt sich seit Jahren gegen die qualvolle Haltung von Schweinen auf engstem Raum und Beton-Spaltenböden ein.

Als der Mensch sesshaft wurde und mit der Viehzucht begann, legte er damit auch den Grundstein für das Entstehen von Seuchen. Erst kürzlich fand man heraus, wo etwa die Masern herkommen: Sie stammen von der mittlerweile ausgerotteten Rinderpest und sprangen wahrscheinlich schon in vorchristlicher Zeit auf den Menschen über. Die Grippe kommt ursprünglich von Wasservögeln, Pocken von Nagetieren, Malaria von Vögeln.

Die Art, wie wir Menschen die Umwelt formen, fördert Zoonosen. Indem wir die Wildnis zurückdrängen, entstehen artenärmere Ökosysteme, in denen wenige Gewinner übrig bleiben: Sperlingsvögel, Fledermäuse und Nagetiere zum Beispiel. Das sind ausgerechnet jene Spezies, die große Mengen Pathogene in sich tragen. Britische Wissenschafter analysierten 6800 Ökosysteme weltweit, von städtischen Ballungsräumen bis hin zu unberührten Urwäldern. Fazit: Die besonders virenlastigen Arten kommen in von Menschen geformten Landschaften um 20 bis 70 Prozent häufiger vor als in unberührter Natur. "Die intensivierte Landnutzung schafft immer mehr gefährliche Schnittstellen zwischen Menschen, Nutz- und Wildtieren und deren Reservoir an Zoonosen", sagt Studienautor Rory Gibb. Viren lauern also eher vor der Haustür als im Urwald.

Bevor Sars-CoV-2 über die Welt hereinbrach, hielten Forscher das Nipah-Virus für die größte Bedrohung aus dem Tierreich. Es war 1998 das erste Mal in Malaysia aufgetaucht. Flughunde hatten wegen Trockenheit und von Menschen gelegten Feuern nicht genug Früchte im Dschungel gefunden und waren auf die Mango-Plantagen des Dorfs Sungai Nipah ausgewichen. Die dort gehaltenen Schweine fraßen angeknabberte Fruchtreste, infizierten sich und bekamen anschließend schwere Gehirnentzündungen. Die Bauern, die sich um die kranken Tiere kümmerten, entwickelten ebenfalls ernste neurologische Symptome. Von 276 infizierten Menschen in Malaysia und Singapur starben 106.2001 flammte Nipah in den Palmenhainen Bangladeschs wieder auf, 2018 in Indien. Zuletzt verbreitete sich das Virus auch von Mensch zu Mensch. Die Todesrate betrug bis zu 75 Prozent. Medikamente oder eine Impfung gibt es nicht.

Zu Flächenfraß und Massentierhaltung gesellt sich nun auch noch der Klimawandel. Das West-Nil-Fieber, Chikungunya und das Denguefieber sind tropische Krankheiten, die die Reise nach Norden schon angetreten haben. Die asiatische Tigermücke brachte sie nach Europa. Frankreich, Italien, Spanien und Kroatien registrierten bereits größere Ausbrüche der Tropenseuchen. Auch in Österreich wurden bereits Exemplare der Tigermücke gesichtet, sie dürfte hierzulande mittlerweile sogar überwintern.

Was also tun gegen die Seuchengefahr? Die Antwort der Wissenschaft ist eindeutig: Weniger Fleischkonsum, weniger Massenställe, mehr Natur als CO2-Speicher und als Pufferzone zwischen Mensch und Tier.

Mit wilden Tieren will auch Ozzy Osbourne, mittlerweile 71, nichts mehr zu tun haben. Der "Prince Of Darkness" verkauft neuerdings Fledermäuse aus Plüsch-mit abreißbarem Kopf, versteht sich.

Die bedeutendsten Zoonosen der vergangenen 20 Jahre

Das von Flughunden übertragene, in 75 Prozent der Fälle tödliche Gehirnentzündungen auslösende Nipah-Virus tauchte 2001 in Bangladesch auf, 2018 in Indien. Zuletzt verbreitete es sich auch von Mensch zu Mensch. An SARS litten 2002 fast 8100 Menschen in China und Hongkong, 774 starben. Der Verwandte des aktuell kursierenden SARS-CoV-2 stammte ebenfalls von Fledermäusen. 2003 grassierte in Asien die Vogelgrippe, die Hälfte der Infizierten starb. Die Schweinegrippe sprang 2009 in mexikanischen Schweineställen auf die Menschen über, war hochinfektiös, weltweit präsent, blieb aber weitgehend harmlos. 2012 wütete MERS, das schwere Atemwegsinfekte auslöst, in 27 Ländern. Übertragen wurde es von Fledermäusen auf Kamele, dann auf den Menschen. Ein Drittel der 2500 Infizierten starb. 2014 brach Ebola über Westafrika herein. Schon geringe Dosen des Fadenvirus lösten Fieber, Erbrechen und innere Blutungen aus; es tötete oft innerhalb weniger Tage. Ab 2018 grassierte Ebola in Uganda und im Kongo, Tausende starben. In Süd- und Mittelamerika sowie Florida infizierten sich 2014 mehr als 1,3 Millionen Menschen mit dem von Tigermücken übertragenen Chikungunya-Fieber. 2016 rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den globalen Notstand aus, weil sich das durch Stechmücken übertragene Zika-Virus unkontrolliert in Nord- und Südamerika ausbreitete.
 

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.