Interview: Ein Ägyptologe will Nofretetes Grab entdeckt haben
Nofretete ist die schillerndste und rätselhafteste Königin des alten Ägypten. Die weltberühmte Büste der schönen Pharaonin befindet sich seit 1920 im Ägyptischen Museum Berlin. Einen Teil der sagenumwobenen Geschichte Nofretetes konnten Forscher aus Inschriften und Malereien in den Tempelruinen Amarnas herleiten, in denen der deutsche Ägyptologe Ludwig Borchardt 1912 ihre Büste fand. Aber nach dem Grab der Königin suchten die Forscher vergeblich. Nun will der britische Ägyptologe Nicholas Reeves von der University of Arizona und Direktor des Amarna Royal Tombs Projects ihre unberührte Grabkammer ausgerechnet vom Schreibtisch aus gefunden haben -hinter einer Wand im weltberühmten Grab des Tutanchamun. Sollte Reeves richtigliegen, wäre das der größte archäologische Fund, seit Howard Carter 1922 das Grab des Tutanchamun im Tal der Könige entdeckte.
INTERVIEW: MANUEL MEYER
profil: Sie lehnen sich mit Ihrer Behauptung recht weit aus dem Fenster. Es wäre eine ziemlich große Blamage, wenn Sie nicht recht hätten, oder? Nicholas Reeves: Ich kann falschliegen, aber sollte ich recht haben, könnte es sich um die größte archäologische Entdeckung in der Ägyptologie handeln. Es wäre an der Schwelle einer Revolution für unser Verständnis eines so außergewöhnlichen und unbekannten Zeitraums wie es die späte Amarna-Zeit war. Die unzerstörte und nicht geplünderte Grabstätte der Nofretete wäre für die Erforschung dieser Epoche von unschätzbarem Wert.
profil: Sie wollen zugemauerte Durchgänge zum vermutlichen Grab der Nofretete gefunden haben. Warum ist das niemandem vorher gelungen? Reeves: Ich habe mit hochauflösenden 3D-Bildern der spanischen Firma Factum Arte gearbeitet, welche die Aufnahmen frei zugänglich ins Internet stellte. Das Unternehmen hat sich auf dreidimensionale, digitale Reproduktionen von Kunstwerken und antiken Monumenten spezialisiert. Die neue 3D-Laserscanner-Technologie fertigt Oberflächenscans von bis zu 70.000 Punkten pro Quadratzentimeter an. Mit dieser enorm hohen Auflösung und Zoomfunktionen haben wir vom Schreibtisch aus nun unmittelbaren Zugriff auf Daten, die kleinste Details in Tutanchamuns Grab zeigen. Vor allem die farblosen Oberflächenscans, auf denen meine Hypothese basiert und welche die hinter den Grabmalereien verborgenen Linien und Kanten zeigen, standen Carter bei der Erforschung der Grabkammer natürlich nicht zur Verfügung. Carter klopfte die Wände auf Hohlräume ab, die sich als solide erwiesen, weshalb er glaubte, das Grab ende hier.
profil: Erinnern Sie sich noch an den Moment, als Ihnen erstmals der Verdacht kam, Sie hätten Hinweise auf eine verborgene Nebenkammer entdeckt? Reeves: Das war im Februar 2014. Ich studierte Fotos der Wandmalereien und Oberflächenstruktur. Als ich zum ersten Mal die Linien in der West- und Nordwand sah, schreckte ich förmlich auf. Doch je weiter ich suchte, desto mehr Nachweise fand ich dafür, dass sich hinter der Westwand anscheinend eine Durchgangstür befand, welche die gleiche Größe wie die bereits bekannte Tür zu einem anderen Nebenraum hatte. Auch der verborgene Durchgang an der Nordwand hat seine Entsprechung an einer anderen Wand. Ich arbeitete zu dieser Zeit am Metropolitan Museum of Art in New York, und ich ging ein Stockwerk nach oben, um mit meinem Kollegen Dieter Arnold zu sprechen, einem renommierten Spezialisten in ägyptischer Architektur. Er war so schockiert und fasziniert, wie ich es war.
profil: Seither ist viel Zeit vergangen. Warum haben Sie erst jetzt Ihre Theorie veröffentlicht? Reeves: Ich habe eineinhalb Jahre damit verbracht, meine Theorie selbst zu widerlegen. Aber ich konnte keine Argumente finden, die dagegensprechen. Im Gegenteil: Je mehr ich forschte, desto mehr Indikatoren fand ich, die meine Theorie belegen. Doch bisher ist alles nur eine Hypothese, basierend auf ziemlich überzeugenden Indizien. Erst eine Radaruntersuchung wird bestätigen können, ob sich hinter den Durchgängen wirklich eine weitere Grabkammer befindet.
Die Chancen, dass ich recht habe oder falsch liege, sind 50:50.
profil: Selbst wenn sich hinter dem verborgenen Durchgang ein weiterer Nebenraum befände, bedeutet das noch nicht, dass es sich um die Grabkammer der Nofretete handeln muss. Was bewegt Sie zu dieser Annahme? Reeves: Dafür spricht einiges, wie die Ausrichtung von Tutanchamus Grab. Erstens: Im Grundriss windet sich das Grab in seiner Abfolge von Korridor, Vorkammer und Hauptkammer nach rechts, was die Art war, nicht Herrscher, sondern Königinnen beizusetzen. Zweitens: Der zweite Korridor dieses Grabes wurde erweitert, um den Durchgang von großen Schreinplatten aus vergoldetem Holz zu ermöglichen. Soweit wir wissen, war dies ein Vorrecht eines Mitregenten oder herrschenden Pharaos. Dies deutet auf eine Superkönigin hin, wie Nofretete es als Echnatons Mitregentin war. Drittens: Die Malereien an der Nordwand sind nachweislich bereits mehrere Jahre vor denen auf der Süd-, Ost-und Westwand angefertigt worden und spiegeln das Leben des ursprünglichen Grabinhabers wider. Eine Reihe künstlerischer Merkmale innerhalb dieser Dekoration legt zudem nahe, dass die ursprünglichen Malereien an der Nordwand Szenen der Nofretete als Pharaonin darstellen.
profil: Viele Ihrer Kollegen sind allerdings davon überzeugt, Nofretete wurde in der alten Herrscherstadt Amarna bestattet. Reeves: Die Pläne für Nofretetes Bestattung änderten sich im Laufe der Zeit. Da ihr Mann Amenophis IV., der sich in Echnaton umbenannte, von Theben aus Ägypten regierte, sah man für ihre Bestattung auch diesen Ort vor. Mit dem Umzug des Hofes nach Amarna wurde bestimmt ein neues Grab dort angelegt. Als das Experiment fehlschlug und Nofretete zunächst als Mitregentin und nach Amenophis' Tod als Alleinherrscherin nach Theben zurückkehrte, wählte sie als Bestattungsort wieder das Grab KV 62, das bis heute alleine Amenophis' Sohn Tutanchamun zugeschrieben wird.
profil: Wie hat die internationale Forschergemeinde auf ihre Theorie reagiert? Reeves: Meine Kollegen begegnen ihr recht offen. Die Beweise, die ich anführe, sind schwer zu widerlegen. Aber die Auswirkungen sind so atemberaubend, dass Vorsicht geboten ist. Keiner von uns weiß, ob ich Recht habe, bis die Beweise vor Ort überprüft werden. Bis dahin ist dies nichts weiter als eine ungemein attraktive Hypothese. Die Chancen, dass ich recht habe oder falsch liege, sind 50:50. Auf Grundlage der Beweise würde es mich aber überraschen, wenn wir in Tutanchamuns Grab nichts weiter finden würden.
profil: Und wie geht es jetzt weiter? Reeves: Ich werde im September nach Kairo reisen, um dort mit dem Minister der ägyptischen Antikenbehörde zu beraten. Er muss die Entscheidung treffen.