Interview: Soziologe Schetsche mit Benimm-Guide für Kontakt mit Aliens
INTERVIEW: TILL HEIN
profil: Unlängst schrieben Sie: Die Wahrscheinlichkeit der Existenz außerirdischen Lebens muss als hoch angesehen werden. Ist das Ihr Ernst? Schetsche: Selbstverständlich. Schon allein aufgrund der jüngsten Erkenntnisse der Astrophysik und Astrobiologie. In den vergangenen 20 Jahren wurden Tausende Exoplaneten entdeckt, die wie die Erde um einen Fixstern kreisen. Die meisten Astrophysiker gehen inzwischen davon aus, dass es allein in unserer Galaxie mehr als zehn Milliarden Planeten gibt, die der Erde so ähnlich sind, dass auf ihnen Leben entstanden sein könnte. Die große Frage bleibt: Wie oft entstand intelligentes Leben?
profil: Das Fermi-Paradoxon spricht klar gegen intelligente Außerirdische. Schetsche: Auf den ersten Blick. Der Gedanke des italienischen Kernphysikers Enrico Fermi, auf den das berühmte Paradoxon zurückgeht, lautet: Wenn es intelligente Außerirdische gäbe, deren Zivilisation weiter entwickelt ist als die unsrige, hätten sie längst den Kosmos erobert. Warum haben sie uns dann nicht schon besucht? Aber diese Betrachtungsweise enthält sehr viele anthropozentristische Vorannahmen. Sie nimmt den Menschen zum alleinigen Maßstab. Genauer betrachtet ist das Fermi-Paradoxon nicht anthropozentristisch, sondern eurozentristisch.
profil: Eurozentristisch? Schetsche: Ja. Sie kennen vielleicht die Unterscheidung des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss zwischen "heißen" und "kalten" Kulturen: Kalte Kulturen, wie manche Stammesgesellschaften in Regenwäldern, verändern ihren Lebensraum und ihre Lebensumstände kaum und ziehen nicht umher. Heiße Kulturen dagegen, insbesondere die europäische, entdecken, erobern und kolonisieren. Wieso sollten außerirdische Zivilisationen zwangsläufig heiße Kulturen sein?
Für Außerirdische wäre ein Ausflug zu uns vielleicht ein Kinderspiel. Sie könnten längst viel raffiniertere Antriebstechniken entwickelt haben.
profil: Physiker haben errechnet, dass sich die Distanz von anderen Exoplaneten zur Erde mit einem Raumschiff nicht überwinden lässt. Der Bedarf an Energie und Zeit wäre viel zu hoch. Schetsche: Für Außerirdische wäre ein Ausflug zu uns vielleicht ein Kinderspiel. Sie könnten längst viel raffiniertere Antriebstechniken entwickelt haben. Und denken Sie an Generationenraumschiffe: Da könnte sich die Besatzung im Lauf der Reise an Bord mehrmals fortpflanzen und Generationenwechsel vollziehen. Vorausgesetzt natürlich, dass es sich bei den Aliens um eine biologische Spezies handelt.
profil: Ist Leben nicht immer biologisch? Schetsche: Leben ja, Intelligenz nicht unbedingt. Mir scheint es wahrscheinlicher, dass eines Tages intelligente Maschinenwesen aus dem All zur Erde reisen: von künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerte Roboter. Vielleicht beobachten solche Maschinenwesen uns schon lange, halten uns aber für zu uninteressant für eine Kontaktaufnahme. Eine höher entwickelte Spezies landet nicht unbedingt mit einem Raumschiff vor dem Weißen Haus, wie wir es aus Science-Fiction-Filmen kennen. Vielleicht warten die Aliens, bis auch wir endlich intelligente Roboter entwickelt haben, die uns Menschen überlegen sind.
profil: Sie glauben, dass von Menschenhand geschaffene Maschinenwesen die Weltherrschaft übernehmen könnten? Schetsche: Der renommierte Philosoph und Zukunftsforscher Nick Bostrom von der Oxford University geht davon aus, dass uns möglicherweise bereits in den nächsten 100 Jahren eine künstliche Intelligenz, die wir selbst gebaut haben, in vielerlei Hinsicht überflügeln wird. Vielleicht wären solche Maschinenwesen für hochentwickelte Außerirdische viel interessanter. Kann gut sein, dass wir als biologische Wesen für sie geistig zu langsam sind. Wir kommunizieren in der Regel auch nicht mit Schnecken.
profil: Wie darf man sich die Physiognomie intelligenter Außerirdischer vorstellen? Schetsche: Am menschlichen Körperbau orientierte Roboter werden es wohl nicht sein. Wir können uns schlicht noch kein realistisches Bild von Außerirdischen machen. Und selbst Artefakte von Aliens, also Dinge, die sie gebaut haben, könnten schwer zu identifizieren sein. Deshalb haben wir das Forschungsnetzwerk Extraterrestrische Intelligenz gegründet, an dem Wissenschafter aus fast einem Dutzend unterschiedlicher Disziplinen beteiligt sind: Astrophysiker, Astrobiologen, Psychologen, Theologen, Soziologen, Robotiker, Historiker, Informatiker. Gemeinsam hoffen wir, realistischere Vorstellungen von Außerirdischen herausarbeiten zu können.
profil: Viele Soziologen beschäftigen sich mit handfesteren Themen wie der Armutsforschung. Machen die sich über Ihre Alien-Soziologie lustig? Schetsche: Nein. Der einzige Einwand, der manchmal kommt, lautet: Könnte man Forschungsgelder nicht sinnvoller ausgeben?
Und wenn die Außerirdischen aggressiv sind? Stellen Sie sich vor, ihre Zivilisation ist uns in der technischen Entwicklung 20.000 Jahre voraus. Da wäre ein bewaffneter Konflikt wie ein Kampf Godzilla gegen Bambi.
profil: Und? Könnte man? Schetsche: Selbstverständlich sind auch andere Themenfelder relevant. Aber es gibt eben vorstellbare Ereignisse, die wir in der Zukunftsforschung "Wildcards" nennen: Sie sind unwahrscheinlich und werden daher oft vernachlässigt. Aber sie hätten gewaltige Konsequenzen. Daher sollten wir uns auch mit ihnen befassen, etwa mit dem möglichen Kontakt zu Außerirdischen.
profil: Hoffen Sie, dass bald ein erster Marsmensch gesichtet wird, damit Sie Ihre Forschung nicht weiter legitimieren müssen? Schetsche: Nein. Ich hoffe nicht, dass sie allzu schnell mit uns in Kontakt treten. Ich sehe diese Möglichkeit eher mit Besorgnis.
profil: Der amerikanische Verhaltensforscher Michael Tomasello sagte in einem profil-Interview (Nr. 8/2017):"Eine Invasion von Aliens wäre die Lösung." Rassismus, Nationalismus und Religionskriege würden aufhören. Die gesamte Menschheit würde sich gegen den äußeren Feind verbünden. Schetsche: Da bin ich völlig anderer Ansicht. Stellen Sie sich vor, Astronauten entdecken eine von Außerirdischen entwickelte Hochtechnologie. Großmächte und Konzerne würden doch alles dafür tun, dieses Objekt in ihren Besitz zu bringen. Allein der Streit darüber könnte Kriege auslösen. Und stellen Sie sich weiters vor, Ingenieure experimentieren mit dem Objekt und versuchen, seinen exotischen Antrieb, der für den leeren Raum entwickelt wurde, auf der Erde zu starten. Das könnte Kräfte freisetzen, die ganze Kontinente verwüsten.
profil: Wenn die Aliens selbst zur Erde kämen, ließen sich solche Missgeschicke vielleicht vermeiden. Schetsche: Und wenn die Außerirdischen aggressiv sind? Stellen Sie sich vor, ihre Zivilisation ist uns in der technischen Entwicklung 20.000 Jahre voraus. Da wäre ein bewaffneter Konflikt wie ein Kampf Godzilla gegen Bambi. Lassen Sie uns also hoffen, dass es nicht so schnell zu einer solchen Begegnung kommt.
profil: Sie sind ein Pessimist. Schetsche: Ich bin Realist. Selbst falls die Außerirdischen freundlich sein sollten, wäre ein Besuch problematisch. Auf der Erde jedenfalls lief es bei sogenannten asymmetrischen Kulturkontakten bisher meist nicht gut: Bei einer sehr großen Diskrepanz zwischen den beiden beteiligten Kulturen bestand immer die Tendenz, dass diejenige Kultur, die sich selbst für unterlegen hielt, alles idealisierte, was die andere anschleppte. Wahrscheinlich würden wir bald alles aufgeben, was uns als Menschen ausmacht, und zu Hörigen der Aliens werden.
profil: Gab es je eine Beobachtung, die seriöse Forscher als Hinweis auf Außerirdische deuten? Schetsche: Am 15. August 1977 nahm ein Radioteleskop in Ohio ein ganz kurzes, sehr starkes Signal auf, das aus dem Sternbild Schütze kam: das sogenannte Wow!-Signal. Und in den vergangenen Jahren machten geheimnisvolle Helligkeitsschwankungen eines Himmelskörpers aus dem Sternbild Schwan von sich reden. Auch da diskutieren Fachleute ernsthaft, ob Aktivitäten von Außerirdischen dahinterstecken.
Bereits in etwa zehn Jahren werden wahrscheinlich erste Bergbauunternehmen im Asteroidengürtel tätig sein. Dadurch steigt, rein statistisch, die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf außerirdische Artefakte stoßen.
profil: Manche Astrophysiker senden selbst Radiosignale an potenzielle Aliens ins Universum. Schetsche: Ich halte das für unklug. Vielleicht gibt es, wie gesagt, gefährliche Außerirdische. Und es kann sein, dass sie uns noch nicht entdeckt haben. Wir sollten daher nicht einfach ins Universum hinausschreien: "Hallo, hier sind wir!"
profil: Die Notwendigkeit, sich mit den Risiken von Alienkontakten zu beschäftigen, sei heute größer denn je, behaupten Sie. Warum? Schetsche: Wir dringen bei der Erforschung des Weltraums immer weiter vor. Die menschlichen Aktivitäten im All werden stark zunehmen, zum Beispiel, um Bodenschätze abzubauen. Bereits in etwa zehn Jahren werden wahrscheinlich erste Bergbauunternehmen im Asteroidengürtel tätig sein. Dadurch steigt, rein statistisch, die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf außerirdische Artefakte stoßen. Wir sollten also dringend Strategien entwickeln, um im Fall der Fälle zumindest das Schlimmste zu verhindern.
profil: Was schlagen Sie vor? Schetsche: Wir brauchen verbindliche Regeln. Nehmen wir an, Astronauten entdecken eine Raumsonde von Außerirdischen. Darf dieses Objekt auf die Erde gebracht werden? Soll damit experimentiert werden? Oder muss es zerstört werden? Wer darf es nutzen? Wann soll die Bevölkerung informiert werden? Hilfreich wäre auch ein Ort außerhalb der Erde, an den solche Artefakte zur Untersuchung verbracht werden könnten. Auf einem der beiden Marsmonde könnte man sie ohne direkte Gefahr für die Erde in Ruhe studieren. Ich hielte es für sehr sinnvoll, dort eine solche Forschungsstation vorzubereiten. Und auch für mögliche Direktkontakte mit Außerirdischen bräuchten wir dringend international anerkannte rechtliche Grundlagen. Manchmal fühle ich mich an die lange Sorglosigkeit im Umgang mit der Kernenergie erinnert. profil: Was wird aus den Weltreligionen, falls uns eines Tages Außerirdische besuchen? Schetsche: Im Koran gibt es einige Textstellen, die man so interpretieren kann, dass darin andere Planeten mit intelligenten Lebewesen beschrieben werden. Diese Möglichkeit scheint im Islam zumindest angedacht. Und polytheistische Religionen wie der Hinduismus hätten mit Aliens wohl erst recht kein großes Problem. In ihre bunte Götterwelt könnten Hindus solche Wesen prima integrieren. Die christliche Religion dagegen täte sich schwer. Es würde sich die Frage stellen: Wer wurde von Jesus Christus erlöst? Nur wir? Oder auch die Aliens? Gab es für sie eine zweite Jesus-Figur? Was ich in jedem Fall annehme, ist, dass durch einen Besuch von Außerirdischen sehr schnell neue Kulte und Religionen entstehen würden. Viele Menschen würden die Aliens als göttliche Abgesandte interpretieren.
profil: Unterm Strich würde die Menschheit also religiöser werden? Schetsche: Vielleicht. Mittelfristig wäre ein wichtiger Faktor, wie sich die Aliens verhalten. Vielleicht sagen die ja: "Hört mal zu, wir sind Teil eines galaktischen Clubs: Mehr als 1000 Zivilisationen gehören dazu, alle sehr fortschrittlich. Und alle sind überzeugt, dass es keinen Gott gibt. Ihr seid die einzigen strohdummen Barbaren, die noch an so etwas glauben." Das könnte den Atheismus fördern.
profil: Nehmen wir an, hier landet ein UFO, und ein Alien steigt aus. Sollten wir um unser Leben rennen? Schetsche: Nein. Ich würde raten, erst einmal gar nichts zu tun. Denn wahrscheinlich ist dieser Außerirdische uns, was die technische Entwicklung betrifft, Jahrtausende voraus. Nur deshalb konnte er die riesige Entfernung zur Erde überbrücken. Vielleicht sind wir nicht einmal die erste fremde Zivilisation, die er besucht, und er hat schon Erfahrung, wie man solche Begegnungen am besten gestaltet. Ich würde empfehlen abzuwarten, was der Alien anbietet. Nicht herumhampeln, sondern ruhig stehenbleiben und ihm die Initiative überlassen.
profil: Einfach abwarten und freundlich lächeln? Schetsche: Selbst davon würde ich abraten. Vielleicht haben Außerirdische auch ein Gebiss. Und beim Lächeln zeigt man die Zähne. Das könnte als Drohgebärde aufgefasst werden und Aggressionen auslösen. Man sollte Aliens besser nicht anlächeln.
Michael Schetsche ist seit seiner Jugend ein begeisterter Amateurastronom. Von 1981 bis 1986 studierte er in Berlin Politikwissenschaften und Soziologie. Bis 2002 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Bremen. 1992 promovierte er dort zum Thema "Sexualsoziologie". 2002 wurde er Forschungskoordinator am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg, 2014 Außerplanmäßiger Professor am Institut für Soziologie der Universität Freiburg im Breisgau.