Interview
„Kinder sollen nicht das Gefühl bekommen, es läge an ihnen, die Welt zu retten“
Christoph Jünger, Geschäftsführer von Unicef Österreich, erklärt, wie man mit Kindern und Jugendlichen über Klima- und andere Krisen spricht und warum deren gesellschaftspolitisches Engagement auch ein Warnzeichen ist.
Von Franziska Dzugan und Christina Hiptmayr
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Herr Jünger, sprechen Sie mit Ihren Kindern über die Klimakrise?
Jünger
Natürlich, die Klimakrise ist bei uns zu Hause ein sehr großes Thema. Weil es ja auch immer wieder in den Nachrichten präsent ist, wenn diesbezüglich etwas passiert. Und da ich von Berufs wegen sehr viel damit zu tun habe, wie sich die Klimakrise auf Kinder und Jugendliche in der ganzen Welt und vor allem jetzt bereits im Globalen Süden auswirkt, sprechen wir sehr häufig darüber. Wir beschäftigen uns damit, was wir als Familie tun können. Meine Tochter wird jetzt 16 Jahre alt, und für sie stellen sich auch die Fragen: Wie geht die Politik mit dem Thema um? Wie schaut ihre eigene Zukunft aus? Und natürlich treibt mich als Vater – wie vermutlich viele andere Eltern – die Frage um, welchen Planeten wir unseren Kindern hinterlassen. Haben wir zu wenig Engagement gezeigt? Was sollten wir tun, damit das, was wir da hinterlassen, nicht in einer Katastrophe endet? Für mich sind das durchaus belastende Fragen.
Ihre Tochter ist bereits adoleszent, aber so ganz grundsätzlich: Ab welchem Alter soll oder kann man mit Kindern über die Klimakrise reden?
Jünger
Da gibt es keine Daumenregel. Der Moment, in dem Kinder das für sich als Thema begreifen, ist der richtige, um – natürlich altersgerecht – mit ihnen in den Diskurs einzusteigen. Dabei ist es wichtig, die Themen kindgerecht aufzubereiten. Als Elternteil muss ich mir überlegen, wie mein Kind mit dem Thema umgeht. Was interessiert es daran? Welche Gefühle hat es? Das ist naturgemäß je nach Altersgruppe sehr unterschiedlich und kann auch innerhalb derselben Altersgruppe sehr unterschiedlich sein.
Auch für uns Erwachsene ist der Klimawandel ein komplexes Thema und mitunter schwer zu verstehen. Kinder haben sehr viele Fragen, auf die wir spontan oft keine Antworten haben. Wie erklärt man einem kleinen Kind beispielsweise den Treibhauseffekt tatsächlich kindgerecht?
Jünger
Ich habe jetzt keine fertige Formulierung parat, aber man könnte es folgendermaßen versuchen: Jedes Mal, wenn ein Flugzeug startet oder ein Auto fährt, kommen Treibhausgase in die Atmosphäre. Die legen sich wie eine Blase um die Erde. Das ist so, wie wenn du dich mit einer Decke zudeckst, dir wird warm. So ist das auch bei der Erde, aber für die ist das schlecht. Durch die Wärme kommt es zu Wetterveränderungen mit vielen Stürmen, Überschwemmungen und Dürren. Das ist ein großes Problem …
Die Folgen der Klimakrise können verheerend sein. Was kann man denn tun, damit man Kinder nicht nachhaltig deprimiert, sondern ihnen auch Hoffnung gibt?
Jünger
Das ist ganz wesentlich. Die Hoffnung darf man niemals aufgeben, denn wenn sie nicht mehr vorhanden ist, haben wir auch keine Aktionsmöglichkeiten mehr. Es ist wichtig, zu vermitteln, dass wir Möglichkeiten haben, etwas zu tun. Man kann den Kindern zum Beispiel sagen, dass viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter sehr hart daran arbeiten, um Lösungen zu finden und positive Veränderungen für die Welt zu bewirken. Und dass es auch viele Möglichkeiten gibt, selbst etwas zu tun. Dabei möchte ich aber anmerken, dass es nicht darum geht, die Verantwortung auf uns als Individuen abzuschieben. Es ist wichtig, diese Balance zu halten, damit Kinder nicht unter Druck geraten und das Gefühl haben, es liege nur an ihnen, unsere Welt zu retten. Man muss ihnen auch vermitteln, dass es an der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit liegt, an der Politik, an den Unternehmen. Also an vielen unterschiedlichen Akteuren weltweit, die auf sehr unterschiedlichen Ebenen dazu beitragen müssen, dieses Problem zu lösen. Klar, wir als Individuen sind ein Teil dessen und sollten uns damit auseinandersetzen, was unsere Beiträge sein können.
Oft fühlt man sich angesichts der Herausforderungen, welche die Klimakrise bereithält, auch als Erwachsener sehr ohnmächtig. Für Kinder ist dieses Gefühl meist noch viel stärker. Haben Sie einen Vorschlag, wie man das abfangen kann?
Jünger
Ja. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ich mich mit meiner Tochter zusammensetze, diskutieren wir sehr häufig darüber, was unser Beitrag sein kann. Da gibt es viele Möglichkeiten. Eine davon ist, zu sagen, wir essen weniger Fleisch. Oder wir verzichten häufiger auf das Auto. Manches fällt leichter, manches ist schwieriger. Aber so kommen wir ins Tun. Mit Kindern und Jugendlichen ins Tun zu kommen, bedeutet auch, einen Bezug zu Umwelt und Natur herzustellen. Dieser fehlt heute häufig. Je weiter weg Kinder von der Natur sind, desto größer kann die Angst werden. Das klingt jetzt recht trivial, doch mit Kindern in die Natur zu gehen, einen Spaziergang im Wald zu machen, eine positive Erfahrung in der freien Natur herzustellen und dadurch diese Bezüglichkeit zu haben, wie Klima auf die Natur und auch das eigene Leben wirkt, ist enorm wichtig. Die Ohnmacht ergibt sich ja auch dadurch, dass Kinder und Jugendliche einerseits damit konfrontiert werden, was alles in der Welt passiert, aber oft nicht wissen, wie sie agieren können. Eine weitere Form zu agieren ist, etwa dem Bürgermeister einen Brief zu schreiben oder in die Sprechstunde zu gehen und die Politik aufzufordern, mehr zu tun. Damit können sich Kinder und Jugendliche eine Stimme verleihen. Auch so kann man sich einbringen und aus der Ohnmacht wegkommen.
Jemand, die sich schon als Schülerin ganz massiv eingebracht hat, ist die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Ist sie noch ein Vorbild für Kinder und Jugendliche?
Jünger
Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich werde meine Tochter fragen, wie weit Greta Thunberg für sie ein Referenzpunkt ist.
Anders gefragt: Macht die Klimakrise Kinder zu gesellschaftspolitischen Akteuren?
Jünger
Ich beobachte schon, dass der Klimawandel viele Kinder und Jugendliche enorm besorgt. Sie haben das Gefühl, sie müssen – aus einer Negativkonsequenz heraus – selbst agieren. Nämlich weil sich die Erwachsenen zu wenig damit beschäftigen und sie deshalb die Verantwortung auf sich nehmen müssen. Es ist grundsätzlich gut, wenn sich Kinder und Jugendliche für etwas engagieren. Aber es ist auch ein Zeichen, dass wir sehr offensichtlich zu wenig tun und ihnen das Gefühl geben, dass ihre Zukunft auf dem Spiel steht, wenn sie nicht entsprechend agieren oder protestieren. Das ist ein Warnzeichen. Kinder haben ein Recht auf eine gesunde Umwelt. Gesellschaft und Politik müssen die auf Basis der Kinderrechtskonvention verbrieften Kinderrechte wirklich ernst nehmen. Aktuell tun wir das nicht.
Die Klimakrise ist nicht das einzige Thema, das für Beunruhigung sorgt …
Jünger
Ja, das darf man nicht vergessen. Wir hatten zwei Jahre lang eine Pandemie, in der Kinder und Jugendliche sehr viel einstecken mussten. Wir haben einen Krieg in der Ukraine, einen in Gaza. Wir werden von rechts und links, von oben und unten mit negativen Nachrichten konfrontiert. Das ist schon eine Gemengelage, die es für junge Menschen ausgesprochen schwer macht, positiv in die Zukunft zu blicken. Das alles hat natürlich eine Auswirkung auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – auch und vor allem in Österreich. Vor eineinhalb Jahren wurde eine Studie zur mentalen Gesundheit weltweit veröffentlicht. Und da zeigte sich, dass österreichische Kinder und Jugendliche überproportional mehr mentale Probleme haben als Kinder in anderen Ländern.
Woran liegt das?
Jünger
Mir liegen dazu keine konkreten Daten vor, aber es hat sicherlich auch damit zu tun, dass dieses Thema in Österreich gerne ausgespart wird. Wenn wir unser Gesundheitssystem betrachten, ist zu erkennen, dass hinsichtlich entsprechender Betreuungsplätze und Versorgung große Lücken bestehen. Wir als Gesellschaft reden nicht nur zu wenig über die mentale Gesundheit unserer Kinder, wir tun auch zu wenig dafür.
Was kann man tun, wenn man merkt, dass dem eigenen Kind diese mannigfachen Krisen Angst machen? Wie kann man es am besten unterstützen, noch bevor es notwendig wird, in therapeutische Einrichtungen zu gehen?
Jünger
Reden, reden, reden. Letzten Endes geht es um das Gespräch. Damit Kinder sich aufgehoben fühlen, ist es wichtig, Fragen zu stellen. Was verstehst du unter dem Klimawandel? Was ist es, das dir Sorgen bereitet? Dem Kind zuhören und im Gespräch nicht nur die Probleme diskutieren, sondern vor allem auf Lösungen fokussieren.
Soll man mit Kindern – speziell mit kleineren – überhaupt Nachrichten schauen?
Jünger
Wenn sie kindgerecht sind, ja. In den verschiedenen TV-Anstalten gibt es sehr gute Formate, wo Nachrichten leicht verständlich aufbereitet werden. Kinder und Jugendliche von jeglichen Nachrichten abzuschotten zu versuchen, ist keine Option. Sie kommen ja ohnehin damit in Berührung, weil wir alle übers Handy ständig sämtliche Nachrichten in der Hosentasche haben. Man soll sie damit aber nicht allein lassen und solche Informationen nicht direkt vorm Schlafengehen konsumieren. Sondern zu einer Zeit, wo man noch Gelegenheit hat, darüber zu reden und das Gesehene noch verarbeitet werden kann.
Dies ist die gekürzte Printfassung der aktuellen Folge von „Vorsicht, heiß!“, dem profil-Klimapodcast.
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Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.
Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.