
© Liebieghaus Skulpturensammlung - Norbert Miguletz
Der berühmte Treu-Kopf
Er zeigt wahrscheinlich die Göttin Venus und war einst lachsfarben, fast pink bemalt. Die Farbe entstand aus Kalzit, rotem und gelbem Ocker – und aus Ägyptisch Blau, das dem Gesicht der Göttin eine kühlere Note verleihen sollte.
Knallbunte Antike: Forschung auf der Spur verschwundener Farben

Von Franziska Dzugan
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Göttinnen in opulenten Gewändern, Helden auf stolzen Pferden, gigantische Tempel: In der Vorstellung der meisten Menschen ist die Antike vor allem immer noch eines: weiß. Doch die Forschung weiß schon lange, dass das nicht stimmt. Das Gegenteil war der Fall. Die alten Römer und Griechen bemalten ihre Statuen und Tempel in prächtigen Farben. Polychromie lautet der Fachbegriff in der Altertumsforschung, das griechische Wort für Vielfarbigkeit. Soll heißen: Die Antike war bunt, knallbunt sogar.
Alexandra Rodler-Rørbo, Niki Gail und Judith Wurzer vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sind der farbenfrohen Welt von damals auf der Spur. Seit Jahren forschen die drei in Ephesos, einer der bedeutendsten Städte der Antike. Dort stand mit dem Artemis-Tempel eines der sieben Weltwunder, dort lebte der berühmte Philosoph Heraklit – und die Römer ernannten Ephesos später zur Hauptstadt der Provinz Asia mit 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Stadt in der heutigen Türkei war bunter, als wir es uns vorstellen können. Durch Staub, Sonne, Luft, die Zeit – und nicht zuletzt durch die Bürsten früherer Archäologen – ist die einstige Farbenpracht verwittert und verblasst.
Die Forschenden aus Wien haben sich vor allem einer Farbe verschrieben: Ägyptisch Blau. Das kräftige Himmelblau war das erste künstlich hergestellte Pigment der Welt, das die Ägypter vor etwa 5000 Jahren wahrscheinlich durch Zufall entdeckten. Bis dahin war die Kunst hauptsächlich auf die Naturfarben Rot, Gelb und Grün, Braun, Weiß und Schwarz angewiesen. Ausgerechnet Blau, die Farbe des Himmels, fehlte. Es gab nur wenige natürliche Minerale oder Gesteine, die sich zu einem blauen Pulver zerreiben ließen. Der Lapislazuli aus den Minen des heutigen Afghanistan zum Beispiel war teuer, seine Farbintensität wenig beständig. Umso größer das Glück, dass jemandem in einer der Glashütten im alten Ägypten Kupfer in den Brennofen fiel. Es färbte die für die Glasherstellung gemischte Masse aus Sand, Kalk und Soda kräftig blau. Abgekühlt und zermahlen entstand das typische Himmelblau, mit dem die Ägypter Kunstwerke und Heiligtümer schmückten. Die Krone der berühmten Büste von Königin Nofretete erstrahlt bis heute in Ägyptisch Blau. Die Ägypter exportierten die Farbe auch nach Europa, bevor dort ebenfalls Produktionsstätten entstanden.
Das Himmelblau der Antike
Das Problem der Archäologie heute: Die Pigmente von Ägyptisch Blau sind für das bloße Auge verschwunden. Sie aufzuspüren war bisher ein teurer und aufwendiger Prozess mithilfe einer Multispektralkamera. Die Geochemikerin Alexandra Rodler-Rørbo vermutete Ägyptisch Blau auf zahlreichen Fragmenten und Skulpturen des berühmten Artemis-Tempels. „Nur wie soll ich die Farbspuren auf all den Artefakten aufspüren?“, klagte sie in einer Kaffeepause in den Ruinen von Ephesos. Zumal die Stücke auf mehrere Museen in Europa und der Türkei verteilt sind. Könnten die Fotografen Niki Gail und Judith Wurzer nicht eine Methode entwickeln, mit der Ägyptisch Blau auf einfachen Fotografien sichtbar wird?
Mit einer Farbprobe bewaffnet machten sich Gail und Wurzer an die Arbeit. Sie experimentierten mit einer modifizierten Monochrom-Kamera, unterschiedlicher Beleuchtung, verschiedenen Filtern und Objektiven und waren schon kurz davor, aufzugeben. Stets erschienen auf den Bildern nur Grautöne; auch an Stellen, wo definitiv Ägyptisch Blau vorhanden war. „Bis eine der letzten Aufnahmen plötzlich leuchtete“, sagt Niki Gail, und seine Augen leuchten ebenfalls. Er deutet auf ein Schwarz-Weiß-Bild auf seinem Bildschirm, das aussieht, als wäre es mit funkelndem hellen Staub überzogen. „Blaulicht bringt die Pigmente von Ägyptisch Blau im Infrarotbereich zum Fluoreszieren“, erklärt seine Kollegin Judith Wurzer den Effekt. Die einfache Methode, die sich ihre Kollegin in Ephesos gewünscht hatte, war gefunden.
Nun ist das Team gerade zurück aus London. Ägyptisch Blau auf den im British Museum ausgestellten Artefakten aus Ephesos zu finden, ist besonders schwer. „Die Stücke wurden gründlich gereinigt, als sie vor etwa 100 Jahren ins Museum gebracht wurden“, erklärt Geochemikerin Alexandra Rodler-Rørbo. Doch die Kamera aus Wien brachte auch die kleinsten Spuren zum Leuchten. Auf vielen der fotografierten Exponate fanden sie Ägyptisch Blau. Es wurde vor allem großflächig als Hintergrundfarbe verwendet: als Farbe des Himmels.
Die Künstler der Antike verwendeten Ägyptisch Blau aber auch zum Mischen von Hautfarbe. Der berühmte Treu-Kopf, wahrscheinlich eine Büste der Göttin Venus, war einst lachsfarben, fast pink bemalt. Die Farbe entstand aus Kalzit, rotem und gelbem Ocker – und aus Ägyptisch Blau, das dem Gesicht der Göttin eine kühlere Note verleihen sollte. Auch das Weiß ihrer Augäpfel ist mit dem Blau der Ägypter abgemischt.
Marmorweiß statt grellbunt
Warum aber hält sich der Irrtum so hartnäckig, die Antike wäre marmorweiß gewesen? „Das geht auf die Renaissance zurück“, erklärt Vinzenz Brinkmann, Sammlungsleiter der Abteilung Antike und Asien der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt am Main. Seit mehr als 40 Jahren widmet sich Brinkmann den Farben der Antike, seine Wanderausstellung „Bunte Götter“ tourt seit 2003 durch alle großen Museen der Welt. In der Renaissance wurde in Rom viel neu gebaut, wobei zahlreiche antike Statuen aus Marmor zum Vorschein kamen, deren Bemalung verblasst war. „Künstler wie Michelangelo und Leonardo verliebten sich in das Weiß“, sagt Brinkmann im profil-Gespräch. Eliten und Mäzene wie die mächtige Familie Medici propagierten die Idee von der farblosen, reinen Antike.
So hielt sich die falsche Vorstellung bis ins 18. Jahrhundert, als man begann, antike Schriftquellen zu erforschen. Schnell wurde klar: Das Weiß ist eine Legende, Farblosigkeit wurde von Griechen und Römern sogar als hässlich empfunden. Der berühmte Dichter Euripides ließ die schöne Helena wünschen, so hässlich wie eine „Statue mit abgewischten Farben“ zu sein, um kein Leid mehr im Trojanischen Krieg zu verursachen. Spätestens im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Ausgrabungen und der Rekonstruktionen auch von Farbe, wussten die meisten Menschen um die Buntheit der Antike. Dann kam die nächste Kehrtwende: „Die faschistischen Regime des 20. Jahrhunderts bauten auf eine totalitäre Ästhetik, die Ornamente und Farbe ausschloss. Das steckt uns bis heute in den Knochen“, erklärt Archäologe Brinkmann.
Seine Ausstellung „Bunte Götter“ zeigt, wie raffiniert Farben in der Antike verwendet wurden. Besonders beeindruckend ist der Bogenschütze mit dem detailreichen Muster auf der Hose, der etwa ab 480 vor Christus den Giebel des Aphaiatempels auf der griechischen Insel Ägina zierte. UV-Licht hatte die verblasste Bemalung sichtbar und die Rekonstruktion möglich gemacht. „Das Rautenmuster wurde vom Maler genau berechnet. Am gebeugten Knie und in der Kniekehle sind die Rauten gestaucht, so wie es auch bei einem echten bunten Strumpf der Fall wäre. Das Muster ist der natürlichen Bewegung der Beine angepasst“, sagt Brinkmann. Der griechische Künstler bildete hier keinen Landsmann ab, sondern kleidete den Schützen im Gewand der Reiter der nördlichen und östlichen Reitervölker, also der Perser, Trojaner und Amazonen, die damals sehr bewundert wurden.
Wie malt es sich auf Stein?
Die sogenannte kleine Herkulanerin, die Statue einer Frau, die sich in einen türkisen Mantel hüllt, entstand später, im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Hier nutzten die Künstler bereits illusionistische Maltechniken: Wo sich der Mantel um den Ellenbogen spannt, trugen sie zwischen den Stofffalten Hautfarbe auf, als würde der Arm der Frau durchblitzen. An Bauch und Knie schimmert das rosa Unterkleid durch den scheinbar transparenten Mantel. Eine Meisterleistung.
Wie malt es sich auf Stein? Marmor war ein perfekter Malgrund, wie sich bei der Rekonstruktion herausstellte. Der Pinsel lässt sich angenehm und ohne Widerstand über den glatten Stein ziehen; die Künstler der Antike benötigten keine Vorbereitungsschicht. Als Bindemittel für die Pigmente verwendeten die alten Griechen und Römer Kalk, Wachs oder mit Wasser verdünntes Eigelb. In puncto Haltbarkeit waren ihre Farben unschlagbar. „Auch wenn sie heute meist verschwunden sind, hielten sie damals oft über Jahrhunderte hinweg“, sagt Archäologe Brinkmann. Es ist Zeit, sich endlich daran zu erinnern.

Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.