Gänse erkennen sich selbst nicht. Eher gehen sie auf ihr Spiegelbild los.

Konrad Lorenz' Gänse im Almtal: Ein Besuch im Zentrum der Verhaltensforschung

Vor 50 Jahren zog der Nobelpreisträger nach Grünau. Zu Gast bei seiner Nachfolgerin Sonia Kleindorfer – und bei den Nachkommen seiner Gänseschar.

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Graugänse sind nachtragend. Zwei Monate ist es her, seit Sonia Kleindorfer sich zuletzt ihren Weg durch die Schar gebahnt hat, um zum Auingerhof zu gelangen. Weil sie so lange weg war, gibt es kaum Geschnatter zur Begrüßung an diesem strahlenden Tag Anfang März. Die meisten Graugänse haben den Schnabel zwischen die Flügel gesteckt und dösen vor den schneebedeckten Gipfeln des Toten Gebirges. „Hallo Dorothea, hallo Babaco“, grüßt Kleindorfer ein Pärchen, das nur müde aus den Federn blinzelt. Wissen die Gänse, wen sie da vor sich haben? „Natürlich, sonst könnten Sie als Fremde hier nicht einfach durchspazieren“, sagt Kleindorfer. In der Antike hielten die Menschen Gänse als Wachtiere, sie meldeten Eindringlinge mindestens so verlässlich wie Hunde.

Sonia Kleindorfer nimmt auf der berühmten Holzbank Platz, auf der einst Nobelpreisträger Konrad Lorenz das Verhalten der Graugänse studiert hat. Vor ihr tummeln sich die Nachkommen seiner Schar. Die Verhaltensbiologin aus Philadelphia übernahm 2018 als erste Frau die Leitung der Konrad Lorenz Forschungsstelle im Almtal. Ihr nun erscheinendes Buch „Die erstaunliche Welt der Graugänse“ hat sie anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Forschungsstelle geschrieben. Ein guter Grund, die Nachnachfolgerin des weltberühmten Tierwelterklärers zu besuchen. Was tut sich im Zentrum der Verhaltensforschung mitten in den Bergen des Salzkammerguts? Kann man Graugänsen überhaupt noch Geheimnisse entlocken? Und was tut sich bei Raben, Waldrappen, Bären und Wölfen?

Ihr Gesicht ist braun gebrannt, sie fröstelt. Sonia Kleindorfer ist gestern von den Galapagosinseln heimgekehrt, wo sie sich acht Wochen lang um ein Renaturierungsprojekt gekümmert hat. Ungewöhnlich heiße 40 Grad hatte es dort, nun muss sie sich erst wieder an die österreichischen Temperaturen gewöhnen. Auch im Almtal ist es heuer wieder zu warm, was die Graugänse allerdings wenig stört. Ihnen kommt der Klimawandel sehr gelegen.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.