Konzentration: Wie man Kindern helfen kann, aufmerksamer zu sein
Bildschirmzeit: Wie viel ist zu viel?
Smartphone, Tablet, Laptop, Fernseher: Bildschirme ziehen Kinder magisch an. Den Zugang zu limitieren, ist Eltern auf jeden Fall zu raten. Eine Untersuchung mit 4500 Volksschulkindern in den USA zeigte etwa, dass die kognitive Entwicklung jener Acht-bis Elfjährigen, die täglich mehr als zwei Stunden vor dem Bildschirm saßen, deutlich beeinträchtigt war. Expertinnen und Experten unterscheiden dabei aber durchaus zwischen verschiedenen Inhalten. Videospiele können räumliches Denken und visuelle Wahrnehmung trainieren, TV-Sendungen lehrreich sein und zum Nachdenken anregen. Reines Herumtreiben in den sozialen Medien dürfte sich dagegen eher negativ auf Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Impulskontrolle und Schulleistungen auswirken. Insgesamt gilt: "Übersteigt die Bildschirmzeit zwei Stunden, schadet das den Kindern-unabhängig von der Art des Inhalts",so Studienautor Jeremy Walsh im Fachblatt "The Lancet".
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, Kindern unter zwei Jahren gar keine Bildschirmzeit zu gewähren. Für Kinder zwischen zwei und fünf Jahren sei bis zu eine Stunde täglich angemessen, für ältere Kinder und Jugendliche spricht die WHO keine konkreten Zeitbegrenzungen aus. Die Devise sollte aber wohl auch bei den Älteren sein: Weniger ist mehr.
Lockdowns: Maximierte Bildschirmzeit
Während der Corona-Pandemie war das besonders schwer. Zu den durchschnittlich 2,7 Stunden, die Zwölf-bis 18-Jährige vor dem Jahr 2020 vor ihren Geräten verbracht hatten, addierten Lockdowns und Homeschooling noch einmal 84 Minuten. Mehr als vier Stunden Bildschirmzeit täglich errechnete die kanadische Forscherin Sheri Madigan in einer Überblicksstudie, die Untersuchungen von allen Kontinenten zusammenfasst und 29.000 Kinder und Jugendliche einschließt. Ob sich die Mediennutzung nach Corona wieder verringert hat, ist noch nicht ausreichend untersucht.
Vorbilder: Bei der Sache bleiben!
Kleinkinder, deren Eltern sich immer wieder ablenken lassen, haben in der Regel ebenfalls eine geringe Aufmerksamkeitsspanne. Das fand die Psychologin Linda B. Smith von der Indiana University heraus, indem sie Elternpaare und ihre Kleinkinder beim Spielen beobachtete. Einjährige beschäftigten sich dabei klar länger mit einem Spielzeug, wenn auch die Eltern sich darauf konzentrierten. "Die Interaktion zwischen Eltern und Kind beeinflusst die Entwicklung von Konzentration und Aufmerksamkeit",sagt die Psychologin. Fazit: Eltern sollten beim gemeinsamen Spielen das Smartphone möglichst außer Reichweite deponieren.
Gute Nacht: Lernen im Schlaf
Mindestens neun Stunden Schlaf sollten Kinder zwischen neun und zwölf Jahren bekommen, so die Empfehlung. Aber was passiert, wenn Volksschulkinder nicht ausreichend schlafen? Der Neurologe Ze Wang von der University of Maryland hat über zwei Jahre hinweg 8000 Kinder untersucht, von denen 4000 chronisch zu wenig schliefen. Die Ergebnisse der Hirnscans fielen deutlich aus: Verglichen mit den ausgeschlafenen Gleichaltrigen entwickelten sie weniger graue Hirnsubstanz und weniger Volumen in bestimmten Hirnarealen. "Die betroffenen Bereiche sind zuständig für Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Impulskontrolle",schreibt Wang in "The Lancet". Tests zu kognitiver Leistung, Problemlösung und Verhalten bestätigten die Befunde aus dem MRT. "Diese Unterschiede waren zudem auch zwei Jahre später noch nachweisbar-das ist ein besorgniserregender Befund",so Wang.
Ausgleich: Sport macht klug
Bewegung macht Kinder konzentrationsfähiger. Besonders eindrucksvoll zeigte das zuletzt eine Untersuchung mit 6500 Volksschulkindern aus Berchtesgaden. Die Sechs-bis Zehnjährigen durchliefen Fitness-und Konzentrationstests sowie eine Befragung zum subjektiven Wohlbefinden. Die Ergebnisse waren eindeutig: Je höher die Fitness, desto besser konnten sich die Kinder konzentrieren und umso höher war auch ihre Lebensqualität. "Grundschulkinder mit einer guten körperlichen Fitness und Konzentrationsfähigkeit schaffen zudem eher den Sprung auf das Gymnasium",sagt Studienautorin Renate Oberhoffer-Fritz von der TU München. Das Landesratsamt in Berchtesgaden spendiert seither allen Erstklässlerinnen und Erstklässlern die Mitgliedschaft in einem Sportverein.
Gut gemacht: Lob als Aufmerksamkeits-Turbo
Wie sehr lobende Worte motivieren können, hat der US-Psychologe Paul Caldarella untersucht. Er schickte dafür seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 151 Klassenzimmer an 19 Grundschulen quer durch die USA. Die Psychologen stoppten, wie lange sich die Fünf-bis Zwölfjährigen auf eine Aufgabe konzentrieren konnten, ohne durch andere gestört zu werden. Zudem notierten sie Lob und Tadel der Lehrpersonen. Ergebnis: Je öfter eine Lehrerin ihre Schülerinnen lobte und je weniger sie schimpfte, desto länger konnten sich diese konzentrieren. Die Aufmerksamkeitsspanne ließ sich dadurch um bis zu 30 Prozent erhöhen. Leider habe er mehr Rügen als Lob beobachtet, sagt Studienleiter Caldarella und plädiert für mehr positive Verstärkung an den Schulen.
Zu viele Reize: ADHS
Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität, Impulsivität: Das sind die Kernsymptome der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS. Um die Krankheit ranken sich viele Mythen, dabei ist sie wissenschaftlich gut erforscht. Weder die Erziehung noch die Ernährung, auch nicht Medienkonsum oder mangelnde Bewegung sind schuld an dieser psychischen Störung, sondern vor allem die genetische Veranlagung. Zwischen drei und sechs Prozent der Kinder weltweit sind betroffen. Ihr Gehirn hat zu wenig von den Botenstoffen Dopamin und Noradrenalin zur Verfügung, was die Übertragung von Signalen stört. Reize werden unzureichend gefiltert, das Entstehen neuer Gedanken kann nicht unterdrückt werden, bevor der begonnene Gedanke zu Ende gedacht wurde.
Nur eine Modeerkrankung?
ADHS als Modeerkrankung abzutun, ist ungerecht. Die Diagnose wird in der Regel nicht leichtfertig, sondern nach strengen Kriterien gestellt. Medikamente werden vor allem Kindern mit ausgeprägten Symptomen empfohlen, in manchen Fällen kann eine Psychotherapie hilfreich sein. Viel Bewegung, ein stabiles Umfeld, ein strukturierter Tagesablauf, ausreichend Schlaf und begrenzter Medienkonsum sind für Kinder mit ADHS laut Experten besonders wichtig. Wächst sich ADHS im Laufe des Erwachsenwerdens aus? Leider nicht immer. Etwa 50 Prozent der Kinder nehmen die Krankheit mit ins Erwachsenenalter. Umso wichtiger ist es, sich bei Verdacht an Kinderärztinnen und-ärzte zu wenden. "Sind die Kinder so hibbelig, dass es über einen längeren Zeitraum an mehreren Fronten knallt-etwa im Elternhaus, in Kindergarten oder Schule und im Kontakt mit Gleichaltrigen-,muss man Hilfe suchen",sagt der Kölner Psychologe und ADHS-Experte Gerhard Lauth.