Österreichs bekanntester Dinosaurier wurde 1859 im niederösterreichischen Muthmannsdorf gefunden. Schädel-Scans entlockten ihm neue Geheimnisse.
Paläontologie

Küsse von T-Rex: Ein Best-of der Dinosaurier-Forschung

Sind die Bilder, die „Jurassic Park“ in die Köpfe von Generationen pflanzte, längst überholt? Die Paläontologie entlockt den Urzeit-Giganten spektakuläre Geheimnisse.

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Etwa einmal pro Woche wird ein neuer Dinosaurier beschrieben. Da ist es selbst für Fachleute wie Sebastian Stumpf von der Uni Wien schwer, den Überblick zu bewahren. „Viele Funde werden zudem nicht ausgegraben, sondern in historischen Sammlungen aufgespürt oder neu interpretiert“, sagt Stumpf. So wie der Struthiosaurus austriacus: Österreichs bekanntester Dinosaurier mit dem Spitznamen „Struthi“ wurde 1859 in einem Kohlebergwerk im niederösterreichischen Muthmannsdorf gefunden und 1871 erstmals beschrieben. Dass er einen für Feinde schier unknackbaren Panzer mit spitzen Stacheln trug, stand schon damals fest.

Doch Paläontologe Stumpf und seine Kolleginnen konnten dem Struthiosaurus, der übersetzt Straußenechse heißt, mit neuen Untersuchungen weitere Geheimnisse entlocken. CT-Scans seines Schädels zeigten: Der Pflanzenfresser aus der späten Kreidezeit war behäbig und schwerhörig; die Forschenden fanden bei ihm die bislang kürzeste Gehörschnecke im Innenohr eines Dinosauriers. Derzeit vermisst Stumpf die in Muthmannsdorf gefundenen Knochen, die auf mindestens drei Individuen zurückgehen, neu. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Struthi nicht wie bisher angenommen 2,5 Meter lang war, sondern vier bis fünf Meter maß. „Die Knochenfragmente sind massiver als die vollständigen Knochen, die früher für die Schätzungen herangezogen wurden“, sagt Paläontologe Stumpf.

Die Forschung zu den Urzeitwesen hat sich in den vergangenen Jahren exponentiell beschleunigt; präzisere Methoden und eine Vielzahl von hoch motivierten Jungwissenschaftern machten es möglich. Etwa 1100 Dinosaurier-Arten sind bisher bekannt – vermutet werden mindestens doppelt so viele. Der längste Hals, das stärkste Gebiss, das schillerndste Gefieder: Immer wieder brechen Riesenechsen Rekorde. Sind die Bilder, die „Jurassic Park“ in die Köpfe von Generationen pflanzte, längst überholt? Hatte der Tyrannosaurus am Ende sogar Federn? profil hat die spektakulärsten Erkenntnisse der vergangenen Jahre zusammengetragen.

Verkeilt im Todeskampf

Gerade als der dachsgroße Säuger Repenomamus den viel stattlicheren Psittacosaurus fressen wollte, wurden die beiden unter einer vulkanischen Schlammlawine begraben. Die fossilen Details sind einzigartig: Links die Pfote des Säugers im Kiefer des Dinos, in der Mitte dessen Schädel, verbissen in den Rippen seines Opfers, rechts die ineinander verschlungenen Beine der Gegner.

Säugetier versus Dinosaurier

Mitten im Kampf erstarrt: Der Psittacosaurus hätte wohl wenige Minuten später sein Leben gelassen, hätte ihn und seinen Angreifer nicht eine vulkanische Schlammlawine überrollt. Wie einen Schnappschuss konservierte der Vulkan die dramatische Szene, die sich vor 125,7 Millionen Jahren im heutigen China abspielte. Sie kratzt ein wenig am Image der Dinosaurier als unangefochtene Herrscher des Erdmittelalters: Der schäferhundgroße Pflanzenfresser wurde nicht etwa Opfer eines größeren Dinos, sondern eines deutlich kleineren Säugetiers. Der Repenomamus robustus saß auf dem dreimal so schweren Dinosaurier und schlug ihm die Zähne in den Bauch. Mit einer Vorderpfote hielt er den Schnabel des Psittacosaurus im Griff, während er eine Hinterpfote in dessen Unterschenkel krallte.

Der dachsähnliche Repenomamus konterkariert das heimliche Leben im Schatten der Dinos, das den Säugern im Mesozoikum seit jeher unterstellt wird. Beide Wirbeltiergruppen entwickelten sich vor etwa 230 Millionen Jahren. Während die einen zu Giganten heranwuchsen, blieben die anderen Zwerge – die stattlichsten Exemplare nicht viel größer als Hauskatzen. „Ja, die Säuger waren klein in der Zeit der Dinosaurier“, sagte der Paläontologe Steve Brusatte von der University of Edinburgh dem „Guardian“ im vergangenen Juli, als Bilder des Kampf-Fossils um die Welt gingen. „Aber sie waren wirklich gut darin, klein zu sein.“

Küsse von T-Rex

Er ist der König der Raubsaurier, der unbestrittene Star des Mesozoikums – und die am meisten untersuchte Urzeitechse der Welt. Seit der Paläontologe Barnum Brown 1900 in Wyoming das erste T-Rex-Skelett entdeckte, wird die Wissenschaft nicht müde, sich mit den Überresten dieser Art zu beschäftigen. Zuletzt gingen Schlagzeilen zum Maul der Superdinos um die Welt: Die messerscharfen Zähne sollen nicht weit aus dem Kiefer geragt haben wie im Hollywoodstreifen „Jurassic Park“, sondern hinter Lippen versteckt gewesen sein. Den Hinweis lieferte die Beschaffenheit der Dino-Zähne. Die typischen Abnutzungsspuren, wie sie heute etwa Krokodile aufweisen, fehlten. Daraus schloss ein internationales Team um den US-Paläontologen Thomas Cullen, dass Schleimhäute und Speichel die Zähne schützten. Einen vollen Kussmund dürfte T-Rex allerdings nicht besessen haben – seine Lippen waren schmal und hart, wie bei einer Eidechse.

In „Jurassic Park“ verfolgt T-Rex als rasende Bestie ein Auto, dessen Fahrer ordentlich ins Gaspedal steigen muss. Mit der Realität hat das wenig zu tun: Ein Team um Anne Schulp von der Universität Amsterdam schätzte anhand eines biomechanischen Modells von Wirbeln und Gelenken die natürliche Schwingfrequenz des 13 Meter langen Schwanzes. Daraus errechnete Schulp eine Gehgeschwindigkeit von 4,6 Kilometer pro Stunde; der Tyrannosaurus rex bewegte sich also eher bummelnd fort als im Galopp. Auch im Sprint erreichte der Raubsaurier kaum mehr als 30 km/h.

Saurier im bunten Federkleid

Die Entdeckung des Sinosauropteryx 1996 löste in der Dino-Forschung ein wahres Beben aus. Der Bauer Li Yumin hatte damals in der chinesischen Provinz Liaoning ein außergewöhnliches Fossil entdeckt: einen kleinen Saurier mit gut erhaltenem Federsaum. Vulkanasche hatte ihn einst begraben und die Abdrücke der haarähnlichen Federn erhalten. Sie bestätigten endlich den Verdacht, dass nicht wenige Dinos einst ein Gefieder trugen. Die Fundstelle im Nordosten Chinas entpuppte sich mit den Jahren als „Pompeji der Dinos“, wo noch viele weitere Fossilien mit gut erhaltenen Federn gefunden wurden.

Der berühmte US-Paläontologe John Ostrom (1928–2005) soll beim Anblick des Sinosauropteryx in Tränen ausgebrochen sein. Seit Jahrzehnten hatte Ostrom gegen alle Widerstände die Theorie vertreten, dass Vögel direkt von Raubsauriern abstammen. Nun war der endgültige Beweis erbracht. Die Idee stammte ursprünglich von Charles Darwins Mitstreiter Thomas Henry Huxley, der diese nach der Entdeckung des Archaeopteryx im Jahr 1861 im bayerischen Solnhofen aufgestellt hatte. Das flugfähige Tier, das vor rund 150 Millionen Jahren gelebt hatte, besaß Krallen und einen langen Schwanz wie ein Reptil, aber Federn und Flügel wie ein Vogel. Es erinnerte Huxley frappant an kleine Fleischfresser, deren Fossilien ebenfalls in diesen Jahren zum Vorschein kamen. Sein Fazit: Archaeopteryx musste eine Art Urvogel gewesen sein, eine Übergangsform zwischen Sauriern und Vögeln. Charles Darwin unterstützte die These seines Freundes, während die Mehrheit der zeitgenössischen Forscher sie für absurd hielt. Es dauerte noch mehr als 130 Jahre, bis zum Fund des Sinosauropteryx, bis sich die gesamte Fachwelt überzeugen ließ.

Der Sinosauropteryx trug Vorstufen für Federn, fliegen konnte er damit nicht. Wahrscheinlich wärmten sie seinen Körper, sie dienten aber auch der Tarnung, wie eine Analyse fossiler Pigmente in seinen Überresten enthüllte. Der 1,2 Meter lange, kniehohe Saurier trug ein spektakuläres Muster: Er hatte einen rotbraun-weiß geringelten Schwanz, einen dunkleren Rücken mit hellem Bauch sowie eine an Waschbären erinnernde Augenmaske. „Zumindest einige Dinosaurier hatten komplexe Farbmuster, um Angreifer zu verwirren und sich besser zu verstecken – genau wie heutige Tiere“, sagt Studienautor Fiann Smithwick von der Universität Bristol.

Dass die Dinosaurier Federn trugen, ist zwar nicht ganz neu, führt jedoch immer wieder zu Überraschungen. Lange ging die Wissenschaft davon aus, dass vor allem kleine Dinos auf Federn setzten. Bis der Yutyrannus, ein Verwandter von T-Rex, auftauchte. Mit neun Metern Länge und 1,4 Tonnen Gewicht ist er der bisher größte bekannte gefiederte Dinosaurier.

Der wahre Dino-Killer

War es ein Asteroid oder doch eine Serie von Vulkanausbrüchen in Westindien, die vor 66 Millionen Jahren 70 Prozent der Tier- und Pflanzenarten auslöschte, darunter den Großteil der Dinosaurier? Forschende des Dartmouth College in den USA stellten diese Frage einem Computermodell, das sie zuvor mit Klimadaten gefüttert hatten. Das Ergebnis ist schwammig formuliert, schreibt aber den Vulkanen eine relativ große Rolle beim Aussterben zu. Das führte weltweit zu Schlagzeilen, während man in der Fachwelt darüber schmunzelte.

„Bei mir meldeten sich einige Kollegen, und wir fragten uns: Wollen wir uns an den Fakten orientieren oder an einem Modell?“, sagt der Wiener Geologe Christian Köberl, ein weltweit anerkannter Impakt-Experte. In Wahrheit steht seit Langem fest, dass der zehn Kilometer große Gesteinsbrocken aus dem All, der damals mit voller Wucht in Mexiko einschlug, das Massensterben auslöste. Der sogenannte Impakt sei durch zahlreiche Messungen in Gesteinsschichten rund um den Globus erwiesen, sagt Köberl. „99 Prozent der Forschenden wissen das. Nur eine kleine, laute Minderheit stemmt sich dagegen.“ Zudem sei das Modell gar nicht genau genug, um ein derart kurzfristiges Ereignis wie den Asteroideneinschlag zu erfassen. Die höchst aktiven Vulkane in Westindien stressten die Tiere und Pflanzen damals über Millionen von Jahren hinweg – doch den Todesstoß versetzte ihnen mit Sicherheit der Asteroid.

Der Nacken der Rekorde

Wer dachte, Giraffen hätten einen langen Hals, der wurde im vergangenen März eines Besseren belehrt. 15 Meter maß der Hals des Mamenchisaurus sinocanadorum – eine Giraffe kommt heute gerade einmal auf 2,5 Meter. Andrew Moore von der Stony Brook University in New York rekonstruierte nun erstmals die Gestalt des Pflanzenfressers, dessen Überreste bereits vor 35 Jahren in China entdeckt worden waren.

Wie aber trug der Mamenchisaurus den gigantischen Hals, der die Hälfte seines Körpers ausmachte? Zwei Tricks machten es möglich: Die Wirbel waren hohl und damit leicht, ähnlich wie bei Vogelskeletten. Zudem besaßen die Saurier vier Meter lange Halsrippen, die diesen zusätzlich stabilisierten. Besonders beweglich waren die Tiere damit zwar nicht, ihr Nacken ließ sich horizontal nur um 20 bis 30 Grad anheben. Für ausgiebige Mahlzeiten in sieben bis zehn Meter hohen Baumkronen reichte das aber allemal.

Die Kinderstube der Giganten

Dass die größten Saurier in Amerika gefunden werden, ist kein Wunder: Dort befanden sich zwischen Trias, Jura und Kreidezeit große Landmassen, während Europa in weiten Teilen von Wasser bedeckt war. Durch diese Umweltbedingungen entstand auch der Europasaurus, der kleine Verwandte des weltberühmten, bis zu 40 Meter langen Brachiosaurus. Der Europasaurus lebte vor etwa 154 Millionen Jahren auf einer Insel im heutigen Norddeutschland – und er war der erste Saurier, bei dem die sogenannte Inselverzwergung nachgewiesen wurde. Sie beschreibt ein evolutionsbiologisches Phänomen: Tiere, die auf einer kleineren Insel ohne Fressfeinde leben, nehmen in ihrer Körpergröße oft stark ab. Tatsächlich war der langhalsige Europasaurus mit einer Höhe von etwa drei Metern ein vergleichsweise kleiner Pflanzenfresser.

Eine Analyse des Innenohrs offenbarte zuletzt Einblicke ins Aufwachsen und Zusammenleben des Europasaurus. Sebastian Stumpf von der Uni Wien fand mit Kollegen von der Uni Greifswald heraus, dass die Urechsen sehr gut hören konnten – was auf Kommunikation untereinander und ein reges Sozialleben in der Herde hinweist.

Besonders aufschlussreich waren die Schädel-Scans der jüngsten Exemplare: Frisch geschlüpfte Dinosaurier besaßen in ihrem Innenohr bereits ähnlich ausgefeilte Gleichgewichtsorgane wie die ausgewachsenen Tiere, konnten sich demnach sofort perfekt orientieren. „Das legt nahe, dass der Europasaurus ein sogenannter Nestflüchter war“, erklärt Sebastian Stumpf. Die Kleinen verließen also das Nest, sobald sie sich aus dem Ei gekämpft hatten. Weil ihre tonnenschweren Familienmitglieder Lebensgefahr bedeuteten, dürften die Schlüpflinge direkt in der Nähe der Gruppe mitgewandert sein.

Kaum etwas fasziniert Kinder derart wie die Urzeitechsen. Woher kommt diese Leidenschaft?

Drei Mal täglich stapfen Chrissi Dietachmairs Assistenten als Dinosaurier verkleidet durch die Arena, während er Kindern die Besonderheiten der Giganten näherbringt. Der Chef des Dinolands auf Schloss Katzenberg im Innviertel weiß, warum manche Vierjährige bereits über mehr Dino-Expertise verfügen als die meisten Erwachsenen. „Das Aussehen der Dinosaurier lässt sich mit nichts vergleichen. Sie wirken wie mystische Wesen“, sagt Dietachmair. Die geheimnisvollen Namen, darunter Zungenbrecher wie Pteranodon, Baryonyx oder Quetzalcoatlus, verstärken diesen Eindruck noch. „Dinos holen die Kinder aus ihrem Alltag, sie regen zum Träumen an.“ 
Befeuert wird die Leidenschaft von der Spielzeugindustrie, von unzähligen TV-Sendungen, Bilderbüchern – und von Dinosaurierparks wie jenem im Innviertel. 75 lebensgroße, fauchende und sich bewegende Urzeitechsen lassen sich dort bewundern. Sind Mädchen und Buben gleichermaßen begeistert? „Auf jeden Fall“, sagt der Dietachmair. „Aber bei den Mädchen sind die Langhals-Sauropoden hoch im Kurs, während T-Rex in den Herzen der Buben immer ganz vorn sein wird.“

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.