Labor oder Natur: Woher stammt SARS-CoV-2?

Wieder wird heftig diskutiert, ob das Coronavirus aus einem Labor entwich. Was sagen die Fakten?

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Eigentlich schien die Debatte bereits abgehakt, nun flammt sie wieder auf: Ist das Coronavirus SARS-CoV-2 natürlichen Ursprungs oder aus einem Labor entwichen? Der Anstoß kam Mitte Mai vom Fachblatt „Science“ und war wenige Zeilen lang: Die Autoren befürworteten keineswegs die Lab-Leak-Hypothese, sondern bemängelten bloß, dass bei der Untersuchung der Virusherkunft durch die WHO unverhältnismäßig viel Aufwand in die Suche nach Belegen für eine natürliche Quelle geflossen sei. Und schon war die Kontroverse losgetreten: Medien und US-Politiker gaben dem Verdacht, ein Laborunfall oder gar eine absichtliche Freisetzung sei schuld an der Pandemie, neue Nahrung. Vorige Woche setzten ein britischer und ein norwegischer Forscher noch eins drauf und behaupteten, SARS-CoV-2 sei ein künstliches Konstrukt. Das Boulevardblatt „oe24“ titelte: „Neue Studie beweist: Corona stammt aus dem Labor“.

Was die Lab-Leak-Hypothese besagt

Im Grunde gibt es sogar zwei Laborhypothesen: Der ersten zufolge wären im Wuhan Institute of Virology (WIV) natürliche Coronavirusstämme aufbewahrt worden, wobei durch ein Missgeschick Viren entkamen, etwa durch infiziertes Personal. Dafür werden mehrere Indizien genannt, etwa dass sich das WIV in räumlicher Nähe zu jenem Markt befindet, in dessen Umfeld die ersten Infektionen dokumentiert wurden. Weiters kursieren Berichte über drei angeblich an covidähnlichen Symptomen erkrankte Mitarbeiter des Instituts. Sicher ist, dass am WIV auch an Coronaviren geforscht wird. Zudem wird argumentiert, man habe bisher jenes Tier nicht gefunden, von dem SARS-CoV-2 auf den Menschen überging.

Die zweite Laborhypothese geht von einer gezielten Züchtung pathogener Viren aus. Von „Beweisen“ dafür kann vorerst aber keine Rede sein. Jene Studie, die dies belegen soll, ist noch gar nicht veröffentlicht. Tatsächlich behaupteten die Forscher lediglich in den Medien, sie hätten molekularbiologische Eigenheiten im Virusgenom entdeckt, die auf Labormanipulation hindeuten würden. Dazu ist vor allem zu sagen: Es ist in der Fachwelt verpönt, Studienergebnisse öffentlich auszurollen, bevor die Publikation vorliegt und von Kollegen geprüft werden kann.

Was die These eines natürlichen Ursprungs besagt

Sie geht von einer klassischen Zoonose aus: einer Infektionskrankheit, die durch einen „Spillover“ vom Tier auf den Menschen übergeht. Schon im Frühjahr 2020 gelang es, durch genetische Analysen von mehr als 1200 Virussequenzen eine starke Ähnlichkeit zu Coronaviren in Hufeisenfledermäusen zu belegen: SARS-CoV-2 ist genetisch mit diesen Fledermausviren zu 96 Prozent identisch. Überdies stimmt der Gen-Code zu 80 Prozent mit SARS, einem früheren Coronavirus, überein. Und dieses ist zweifelsfrei zoonotischen Ursprungs. Die meisten Forscher nehmen daher an, dass SARS-2 zunächst von Fledermäusen zu einem anderen, bisher unbekannten Tier gelangte – und von diesem zum Menschen. Wildtiermärkte wie jener in Wuhan sind bekannte Hotspots für solche Ereignisse.

Welche Hypothese plausibler ist

Wissenschaft ist unbequem: Sehr oft sind eindeutige Antworten nicht möglich, vielmehr gilt es zu prüfen, für welche Position zu einem bestimmten Zeitpunkt bessere Evidenz vorliegt. In diesem Fall gilt dies für die Zoonosen-Hypothese. „Man wird beide Hypothesen weder letztgültig beweisen noch ausschließen können“, sagt der Wiener Virologe Norbert Nowotny. „Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass das Virus einen natürlichen Ursprung hat.“ Nicht nur aufgrund der genetischen Analysen; auch zahlreiche andere Infektionskrankheiten kamen so auf den Menschen, ob HIV, Ebola, Nipah oder Hendra. Es wäre also ein ganz typisches Muster. Auch dass man den Zwischenwirt bisher nicht identifizieren konnte, ist ein schwaches Indiz: Bei SARS dauerte es 15 Jahre, um diesen aufzuspüren: die Zibetkatze. Die Alternativhypothese wird indes vor allem durch eines untermauert: Spekulationen.