Florian Aigner und Martin Moder im Café Rüdigerhof
Interview

Martin Moder und Florian Aigner: „Es geht um den wissenschaftlichen Wow-Effekt“

Der Molekularbiologe und der Quantenphysiker: Die Wissenschafts-Erklärer Martin Moder und Florian Aigner über die Demokratie-erschütternde Wirkung rechter Demagogen, die disruptive Kraft von KI und ihr neues Bühnenprogramm.

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Herr Aigner, Herr Moder, Ihr aktuelles Bühnenprogramm nennen Sie “Der Urknall war 1 Fehler”. Hat es die Menschheit wegen Klimakrise und Wissenschaftsskepsis nicht anders verdient als auszusterben?

Martin Moder

Ich denke nicht, dass wir das Aussterben mehr verdient hätten als andere Tiere. Letztlich versuchen alle Lebewesen, ein angenehmes Leben zu führen. Aber es gibt halt sehr viele von uns und es scheint nicht in unserer Natur zu liegen, 100 Jahre global in die Zukunft zu planen. Aber viele bemühen sich.

Florian Aigner

Es wäre verdammt schade, wenn sich die Menschheit selbst ausrotten würde. Wir sind schon etwas ganz Besonderes. Dass es uns auf diesem Planeten gibt, dass wir über uns selbst, über die Naturgesetze und über das Universum nachdenken, das ist schon bemerkenswert. Man könnte sagen: Nur durch uns schafft es das Universum, über sich selbst nachzudenken. 

In Ihrem ersten gemeinsamen Programm geht es um überraschende und schräge Fakten, aber auch um Fake News und Wissenschaftsfeindlichkeit. Wie laut müssen Forschende sein, um wahrgenommen zu werden?

Aigner

Es geht um den wissenschaftlichen Wow-Effekt. Das Schönste an der Wissenschaft ist, mit einer kindlichen Begeisterung zu erkennen, wie fantastisch diese Welt eigentlich ist. 

Moder

Wir versuchen einen guten Mittelweg zwischen Staunen, Unterhaltung und wissenschaftlicher Tiefe auf die Theaterbühne zu bringen. 

Molekularbiologe Martin Moder: "Ich bin mir nicht sicher, was das mit einer Gesellschaft macht, wenn der kompetenteste und geduldigste Lehrer bei jedem in der Tasche steckt."

Sie zeigen auch ein interessantes Spannungsverhältnis: Zwei Wissenschafter können auch anderer Meinung sein?

Aigner

Wir wollen einen Blick hinter die Kulisse der Wissenschaft ermöglichen und nicht nur Fakten ins Publikum werfen. Die Menschen sollen verstehen können, was Wissenschaft überhaupt ist und warum man sich auf sie verlassen kann. Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, die bloß vorläufig sind, und mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Die darf man nicht überinterpretieren. Aber auf der anderen Seite liefert die Wissenschaft auch gut belegte Fakten, auf die man sich bedenkenlos verlassen kann.

Ein ewiger Versuch, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen?

Moder

Das Unangenehme an der Forschung ist, dass das Widersprechen systematisch gemacht wird und Ergebnissen ständig widersprochen wird. Deshalb funktioniert sie so gut. Wenn Leute außerhalb der Forschung widersprechen, liegt es aber oft daran, dass sie die Forschungsarbeiten nicht gelesen haben.

Aigner

Es gibt hier ein Missverständnis zu beobachten. Wissenschaft ist immer etwas Vorläufiges und man darf auch etablierte Grundsätze hinterfragen. Aber nur weil sich die Wissenschaft verändert, soll man ihr nicht misstrauen. Im Gegenteil: Gerade durch ihre Wandlungsfähigkeit wird sie erst zuverlässig. 

Die Gefahr ist, je unschärfer die Grenze zwischen Politik und Wissenschaft erscheint, desto eher werfen die Menschen alles in einen Topf und nehmen wissenschaftliche Erkenntnisse als politische Positionierungen wahr.

Martin Moder

Wie gehen Sie mit dem Widerspruch um, dass Sie mit Ihrem Programm – Stichwort preach to the converted – hauptsächlich Menschen erreichen, die ohnehin Ihrer Meinung sind?

Moder

Das sind unsere Feelgood-Abende, wo uns niemand anschreit. Uns ist bewusst, dass hier hauptsächlich Menschen kommen, die ein ähnliches Verständnis der Welt und der Wissenschaft gegenüber haben, aber in ihrem Bekannten- und Freundeskreis auch als Multiplikatoren dienen können. Es geht bei uns auch darum, wie man mit Menschen redet, die der Wissenschaft nicht so zugewandt sind. Wenn wir auf X oder auf YouTube schreiben und Videos veröffentlichen, wissen wir, dass wir auch Bubbles erreichen, die manches ganz anders sehen.

Was ist Ihre Strategie gegen Anfeindungen und Hasskommentare?

Aigner

Man braucht eine Palette unterschiedlicher Reaktionen. In manchen Fällen ist Ignorieren das Beste, manchmal lohnt es sich, Argumente zu liefern und Diskussionen aufzugreifen. Hin und wieder google ich die Person, die mich im Internet beschimpft, rufe sie an und sage einfach: „Guten Tag, ich bin Florian Aigner, Sie haben mich gerade öffentlich beschimpft, wollen wir darüber reden?“ In solchen Situationen habe ich schon vieles erlebt – von Menschen, die weiterschimpfen bis hin zu Menschen, die sich entschuldigen und ihren Kommentar löschen. Das ist dann ein schönes Erlebnis, das hilft dann, um wieder ein paar Wochen Beschimpfungen auszuhalten.

Moder

Oft muss man sich zusammenreißen um auf einen Kommentar nicht zu Antworten. Wenn beispielsweise jemand Unwahrheiten verbreitet. Da kann es sinnvoll sein stattdessen spazieren zu gehen, ins Fitnessstudio, oder die PlayStation aufzudrehen. Man kann Kommentare aber auch löschen. Niemand ist verpflichtet Anfeindungen zu dulden.

Florian Aigner und Martin Moder

Herr Aigner, vor allem die Quantenphysik muss immer wieder für esoterischen Unfug herhalten. Warum wird die Wissenschaft der kleinsten Teilchen so gerne zweckentfremdet?

Aigner

Wir erleben in der Quantenphysik Phänomene, die sich fast mystisch oder magisch anfühlen, obwohl sie einfach Physik sind und sich berechnen lassen. Zum Beispiel kann sich ein Teilchen gleichzeitig an verschiedenen Orten befinden oder ein Atom kann sich gleichzeitig linksherum und rechtsherum drehen. Und aus der Erkenntnis „die Quantenphysik klingt manchmal etwas seltsam“ leiten manche Leute dann ab „was seltsam klingt, muss Quantenphysik sein.“ Das führt dazu, dass es kaum einen esoterischen Unfug wie Telepathie, Gedankenübertragung oder Wunderheilung gibt, der nicht mit dem Etikett Quanten verziert wurde. Mit echter Quantenphysik hat das natürlich nichts zu tun.

Und wie ist das in der Molekularbiologie?

Moder

Das Pendant wäre die Epigenetik, die auch interessante Aspekte hat, wenn es zum Beispiel darum geht, wie sich eine Mangelernährung auf biologische Weise auf Nachkommen auswirken kann. Die esoterisch-mystische Seite geht halt viel weiter und behauptet, jeder positive oder negative Gedanken hätte Auswirkungen auf die kommenden Generationen. Das ist quasi Erbsünde 2.0.

Aigner

Esoterik wird ja oft als Feelgood-Weltsicht verkauft. Aber oft ist das Gegenteil wahr: Viele Leute werden durch Esoterik nicht befreit, sondern sie leben in Angst vor irgendwelchen übernatürlichen Bedrohungen. Für mich war das eine starke Motivation, über Wissenschaft zu erzählen. Ein realistisch-naturalistisches Weltbild kann Ängste nehmen, die völlig unnötig sind.

Es gab in der Politik immer schon Menschen, die faktisch falsche Aussagen verbreitet haben. Ich habe allerdings den Eindruck: Heute schämt man sich nicht mehr dafür, wenn man widerlegt wird.

Florian Aigner

Warum sind Menschen für Esoterik so anfällig?

Aigner

Wir Menschen sind von der Evolution nicht optimiert worden, perfekte Wissenschaftler:innen zu sein. Entwicklungsgeschichtlich ist es für das Überleben der Menschen besser, ein grobes Bauchgefühl zu haben und zu wissen, wie wir den nächsten Tag überleben. Wissenschaft ermöglicht uns aber, über dieses Bauchgefühl hinauszugehen, der Wahrheit näher zu kommen als uns das mit bloßem Bauchgefühl gelingen könnte. Diese Chance sollten wir nutzen.

Trotz wissenschaftsfeindlicher Backlashes geht die Entwicklung unglaublich schnell voran …

Moder

 … … es ist erschreckend, wie schnell ich mich daran gewöhnt habe, mich mit ChatGPT zu unterhalten. Manchmal kopiere ich Forschungsarbeiten in ChatGPT und unterhalte während dem Spazierengehen mit der Sprachausgabe der KI über die Studie, als würde ich mit einer Person sprechen. Heute mache ich das eher noch experimentell und recherchiere alles nach, aber bald wird das wohl nicht mehr notwendig sein. 

Florian Aigner

Physiker Florian Aigner: "Es wäre verdammt schade, wenn sich die Menschheit selbst ausrotten würde."

Sehen Sie die Entwicklung von KI eher positiv oder negativ? 

Moder

In der Vergangenheit haben technische Neuerungen eher die einfachen, schlecht bezahlten Jobs gefährdet. Hier ist es umgekehrt. Grafikdesign, Juristerei, medizinische Diagnostik - die gefährdetsten Berufe sind solche, die lange Ausbildung benötigen und gut bezahlt sind. Ich bin mir nicht sicher, was das mit einer Gesellschaft macht, wenn der kompetenteste und geduldigste Lehrer bei jedem in der Tasche steckt.

Aigner

Technische Innovationen haben in der Vergangenheit oft Jobs weggekürzt, die ohnehin niemand machen wollte. Bei Künstlicher Intelligenz ist das anders. In Zukunft wird man es als vollkommen unverantwortlich betrachten, wenn ein Mensch medizinische Diagnosen stellt, wenn ein Computer das viel besser …

Moder

 … und auch empathischer machen kann. Es gibt bereits Studien die das zeigen. Eine KI hat unendlich viel Zeit und will nicht irgendwann nach Hause zur Familie. Ich weiß nicht, welche Nische für uns Menschen da mal bleiben wird.

Wie bereitet man sich am besten darauf vor?

Aigner

Wie die Entwicklung der Elektrizität, der Mikroelektronik oder des Internets ist es eine disruptive Technologie, auf die man sich nicht wirklich vorbereiten kann. Ich sehe die Entwicklung nicht ganz so pessimistisch wie Martin. Ich halte es zumindest für möglich, dass wir uns mit der KI arrangieren werden können. 

Während der Pandemie gab es einen großen Fokus auf Forscher:innen, die einerseits zu Popstars und andererseits verteufelt wurden. Wie kann man Menschen nachhaltig für Wissenschaft begeistern?

Moder

Es stimmt mich zuversichtlich, dass das Vertrauen in die Wissenschaft per se nicht abgenommen zu haben scheint. Ich habe die Hoffnung, dass diese Zeit ein wenig wie nach der Mondlandung sein könnte. Damals haben sich viele Leute mit Ingenieurtechnik beschäftigt, weil sie gesehen haben, was alles möglich ist. Heute hoffe ich, dass sich viele junge Menschen für Molekularbiologie und Virologie begeistern. Auf der anderen Seite befürchte ich, dass sich viele Forscher:innen die Kommunikation nicht mehr antun werden, weil man während der Pandemie mit teilweise unangenehmen Konsequenzen rechnen musste.

Die letztjährigen Landtagswahlen haben gezeigt, dass die Pandemie für viele FPÖ-Wähler:innen immer noch eine große Rolle spielt. Wie geht man als Wissenschaftsvermittler damit um, dass eine wissenschaftsfeindliche Partei bei der Nationalratswahl stimmenstärkste Partei werden könnte?

Aigner

Das ist eine Erschütterung für die Demokratie. Es gab in der Politik immer schon Menschen, die faktisch falsche Aussagen verbreitet haben. Ich habe allerdings den Eindruck: Heute schämt man sich nicht mehr dafür, wenn man widerlegt wird. Der Grundkonsens ist verloren gegangen, dass wenn man einen Blödsinn gesagt hat und erwischt wird, sich auch dafür entschuldigt. Wie sich diese Entwicklung auf die demokratische Gesellschaft auswirken wird, weiß ich nicht, aber schön finde ich es nicht.

Moder

Diese Parteien sind sehr gut darin, Wut und Frust zu maximieren und dann allen anderen die Schuld daran zu geben.

Ist eine adäquate Corona-Aufarbeitung möglich?

Moder

Das wäre schön, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Querdenker oder Rechtspopulisten anerkennen, dass die Impfung oder bestimmte Maßnahmen doch nicht so schlechte Ideen waren. Aufarbeitung kann nicht bedeuten, dass sich ausschließlich diejenigen entschuldigen, die Maßnahmen ergriffen haben um Menschen zu schützen. Vielleicht sollten wir die Aufarbeitung vor allem den Sozialwissenschaften überlassen, damit die eine Guideline für die nächste Pandemie schreiben.

Aigner

Heute ist es Konsens, dass gewisse Maßnahmen, wie das Schließen der Parks, überzogen waren. Aber in einer Pandemie, wie es sie vorher noch nie gab, politisch alles richtig zu machen, ist unmöglich. Wie hätten wir in einer völlig neuen Situation exakt den goldenen Mittelweg zwischen Überreagieren und zu wenig Vorsicht finden sollen? Wichtig wäre, die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen und beim nächsten Mal klüger zu sein.

Moder

Die Gefahr ist, je unschärfer die Grenze zwischen Politik und Wissenschaft erscheint, desto eher werfen die Menschen alles in einen Topf und nehmen wissenschaftliche Erkenntnisse als politische Positionierungen wahr. Es war ein Fehler, Pressekonferenzen abzuhalten, bei denen Politiker neben Virologen stehen.

Hätte sich Kanzler Karl Nehammer für die Impfpflicht entschuldigen müssen?

Moder

Zu Beginn hätte eine Impfpflicht sicher Leben gerettet. Ab der Omikron-Variante fand ich die Diskussion aber nutzlos, das hätte man schneller beenden sollen. Es wird in Zukunft aber Pandemien geben, bei denen eine Impfpflicht essentiell sein könnte. Ohne weltweite Impfpflicht hätten wir niemals die Pocken ausgerottet, die jährlich Millionen Menschen getötet haben. Und heute scheitern wir an der längst überfälligen Ausrottung der Masern. Kein Mensch, der bei Sinnen ist, würde sich für die weltweite Impfpflicht bei Pocken entschuldigen.

Der Wissenschaftsautor Florian Aigner (44) und der “Science Buster” Martin Moder (36) bringen Wissenschaft auf die Theaterbühne. Ihr Ziel: Das Publikum mit Wissenschaftsstorys zwischen Fakten, Schmäh und musikalischen Einlagen zum Staunen zu bringen - und die Welt gemeinsam ein bisschen besser verstehen zu können. Die Premiere findet am 21. Jänner im Wiener Stadtsaal statt. Weitere Termine.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.