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Martin Puntigam Philae-Stück

Was der Kometenlander Philae mit Durchschnittsmännern gemein hat

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Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Komet und fliegen seit ein paar Milliarden Jahren in der Gegend herum, ohne Freunde in irgendwelchen sozialen Netzwerken, und umkreisen in aller Ruhe alle sechseinhalb Jahre ein Mal die Sonne. Und wie aus heiterem Himmel nähert sich ein tonnenschweres, glänzendes Trumm mit Flügeln und geht nicht mehr weg. Was würden Sie sich denken?

1) Rosetta gibt es wirklich
2) Scheiße, Planquadrat
3) Gott habe ich mir deutlich größer vorgestellt

Die gewählte Antwort gibt möglicherweise einigen Aufschluss über Sie als Mensch und wie Sie sich die Entstehung und Bewirtschaftung des Sonnensystems vorstellen, über Kometen und ihre Beschaffenheit aber wenig Auskunft. Kometen haben leider keinerlei Ehrgeiz, ihre Geheimnisse zu posten. Deshalb muss man sie besuchen und ihnen jedes Wort aus der Nase ziehen. Genau das glückte am 12. November 2014. Nach rund zehn Jahren Flugzeit erreichte die Sonde Rosetta den mittlerweile weltberühmten Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko. Nicht nur das wissenschaftliche Team der europäischen Raumfahrtbehörde ESA starrte gebannt auf Monitore und sah zu, wie das Landemodul Philae auf dem Kometen Platz nahm.

Es war das erste Mal seit Menschengedenken, dass ein Komet besucht werden konnte. Weil dessen Name für unsere Ohren wie ein Zungenbrecher klingt, wurde er mit dem Spitznamen „Tschuri“ versehen. Da hat es sich wieder einmal gerächt, dass Österreich zwei Weltkriege hintereinander verloren hat und unter anderem deshalb keine große Raumfahrtnation ist. Denn für Wiener Ohren klingt Tschuri sehr einschlägig. Die Älteren werden sich vielleicht noch an Georg Danzer und seine Ballade vom Tschurifetzen erinnern, der dort nach dem Geschlechtsakt seinen Dienst antritt.

Aber wenn wir schon dabei sind, was bedeutet eigentlich das 67P/ vor Tschurjumow-Gerassimenko? Ist das auch was Ordinäres? Darüber spricht wieder einmal niemand. Das stimmt, liegt aber sicher daran, dass es für diejenigen, die es wissen, banal ist, und für die anderen offenbar nicht so wichtig. Na ja, hier einmal die scheinbar naheliegende Auflösung:
P67/ scheint ganz leicht zu entschlüsseln zu sein. Um Kometen besser einordnen zu können, werden ihr Entdeckungsjahr festgehalten und ihre Umlaufbahnen um die Sonne mit Buchstaben bezeichnet. P heißt, es handelt sich um einen Kometen, der periodisch wiederkehrt, und zwar mit einer Umlaufzeit von weniger als 200 Jahren. Wenn er länger unterwegs ist, bekommt er ein C. Bei X weiß man es nicht so genau, und D steht für Kometen, die man nicht mehr findet oder die zerbröselt sind. So wie ISON, der 2013 für so großes Hallo sorgte, aber dann das Stelldichein mit der Sonne nicht überlebte. Sein Mädchenname, wenn man so will, lautete C/2012 S1. C steht für langperiodisch, das wissen Sie bereits, 2012 ist das Entdeckungsjahr, S heißt in der zweiten Novemberhälfte entdeckt, und 1 bedeutet, er war damals der erste Komet, der in der zweiten Novemberhälfte ausfindig gemacht wurde. Nach seinem Zerbröseln müsste er eigentlich D/2012 S1 heißen, aber mittlerweile interessiert sich kaum noch wer für ihn.

Bedeutet das für P67/, dass der Komet nur eine kurze Umlaufbahn um die Sonne bevorzugt und 1967 entdeckt wurde? Ja und nein. Kurze Umlaufbahn ja, entdeckt wurde der Komet, da sind sich alle einig, inklusive der Entdeckerin Swetlana Iwanowna Gerassimenko, aber erst im Jahr 1969. Macht er sich also älter, als er ist, damit er früher in Clubs hineinkommt oder schneller die Vorteilscard Senior in Anspruch nehmen kann? Nein. Das Geheimnis liegt im Slash. C/2012 wie bei ISON bedeutet lange Bahn, 2012 entdeckt. P67/ heißt, dass es sich um den 67. der bis dahin entdeckten periodischen Kometen gehandelt hat. Mittlerweile sind es mehr, genauer 312, und es wird anders gezählt, aber damals war 67 die nächste freie Nummer für den Neuankömmling. So, wissen Sie das auch.

Wenn Sie jetzt glauben, die Namensgebung bei Kometen sei kompliziert, dann konzipieren Sie einmal eine Mission dorthin. Danach wollen Sie nur noch Kometen benennen.

Vor über 20 Jahren wurde mit der Planung begonnen, vor zehn Jahren ist eine Rakete von der Erde weggeflogen und hat Rosetta auf den Weg gebracht, die danach bis vor Kurzem in der Gegend herumgekurvt ist. Das ist ganz schön lange.

Wie viele von Ihnen haben heute noch dasselbe Handy wie vor zehn Jahren, dasselbe Auto oder denselben Partner respektive dieselbe Partnerin? Warum war die Sonde Rosetta so lange unterwegs?

Ganz einfach, weil der Komet so weit weg ist von der Erde, zum Zeitpunkt des Rendezvous über 500 Millionen Kilometer and counting. Und keine existierende Rakete hätte eine so schwere Nutzlast direkt dorthin bringen können. Mit Umsteigen war es sozusagen billiger. Rosetta hat deshalb dreimal um die Erde und einmal um den Mars Schwung geholt und war dadurch fast 15 Mal länger unterwegs als auf direktem Weg. Der trotzdem noch lange genug gewesen wäre. Würde man mit einem Ferrari durchgehend mit 200 km/h fahren, bräuchte man auf direktem Weg für die 500 Millionen Kilometer etwa 300 Jahre. Also sechs Generationen lang, die man aber unterwegs auch noch zeugen und aufziehen müsste, und in einem Ferrari ist es schon ab drei Personen eng. Führe man auf den Spuren Rosettas nach, wäre man mit dieser Geschwindigkeit im Ferrari über 5000 Jahre unterwegs.

Die Sonde war aber durchs Schwungholen viel schneller, und so war es am 12. November 2014 dann so weit, die Landung konnte eingeleitet werden. Mehr aber auch nicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ESA waren darauf angewiesen, dass sie und ihre Vorgänger sich vor mehr als zehn Jahren nicht verrechnet hatten. Denn das Radiosignal braucht von der Erde zum Kometen und retour mit Lichtgeschwindigkeit fast eine Stunde. Ein Eingreifen in den Landevorgang war also nicht mehr möglich, nachdem der Lander Philae einmal ausgesetzt worden war.

Und die Landung galt als extrem riskant. Man hatte davor praktisch keine Ahnung von der Beschaffenheit der Oberfläche des Landeplatzes, ob Philae eine geeignete Stelle auf der Kometenoberfläche treffen oder abprallen, versinken, umfallen, in eine Spalte oder von einem Kliff stürzen oder gar an einem Felsen zerschellen würde.

Die sichere Landung von Philae war hauptsächlich von der Schwerkraft des Kometen abhängig. Und die ist eigentlich nicht der Rede wert, denn der Komet misst nur etwa vier mal 3,5 Kilometer. Die Landeeinheit, die auf der Erde 100 Kilo wiegt, ist auf dem Kometen bloß ein Gramm schwer. Das ist nicht viel. Das ist, wenn Sie so wollen und um im Bild zu bleiben, circa eine Kaffeelöffelspitze voll Tschuri. Also wirklich sehr wenig.

Und dann kam es sowieso anders. Wie erwartet also. Um die Schwerkraft bei ihren Bemühungen zu unterstützen, hatte die ESA dem Lander Harpunen mitgegeben und Gasdüsen. Die Düsen sollten ihn auf die Oberfläche drücken, die Harpunen im Kometen verankern. Ein guter Plan, aber die Systeme haben versagt.

Deshalb kam es zum Dreisprung. Nach dem ersten Bodenkontakt hat der Lander einen gewaltigen Sprung gemacht, eine Höhe von 455 Metern erreicht und hätte damit auf der Erde sogar das Empire State Building in New York überspringen können. Nach einem zweistündigen Flug ist er noch einmal einen Kilometer weit entfernt gelandet, und erst nach einem weiteren Hüpfer von etwa zwei Metern zum Stillstand auf dem Kometen gekommen. Ist die Landung somit gelungen oder nicht? Beides.

Denn Philae hat zwar eine Batterie an Bord, die ist aber für nur etwa 60 Stunden Betrieb ausgelegt. Dann hätten die Solarpaneele übernehmen sollen. Leider befand sich der Landeplatz im ungünstigen Schattenbereich in einer Vertiefung, umgeben von Eiswänden, und deshalb konnte nicht genug Sonnenenergie generiert werden, um weiterzuarbeiten, und der Lander begab sich schon nach knapp drei Tagen zur Ruhe. Das heißt, Philae ist zehn Jahre von Rosetta mitgeschleppt worden und dann gleich in Frühpension gegangen. Spitzenkollege.

Hat sein Außendienst seinen Auftraggebern auf der Erde wenigstens irgendwas gebracht? Jawohl. Ein Großteil der in diesem Zeitraum geplanten Untersuchungen ist gelungen. Und ganz zum Schluss konnte sogar noch in den Kometenboden gebohrt und dieser analysiert werden. Dann war der Saft draußen, und seit Freitag, dem 14. November, schläft der Lander. Vielleicht für immer, vielleicht meldet er sich im August noch einmal, wenn er näher an der Sonne ist.

Klingt eigentlich nach der ganz normalen Wochenendbeschäftigung mitteleuropäischer Männer. Erst landen, dann kurz bohren, schließlich einschlafen und erst aufwachen, wenn die Sonne wieder scheint. Und Rosetta kann inzwischen die restliche Arbeit alleine machen, bis der gnädige Herr ausgeschlafen hat.

Muss man somit doch von einem Fehlschlag für die ESA sprechen, einem spektakulären zwar, aber doch Fehlschlag? Im Gegenteil. Zum einen war die Landung weltweit ein Riesenereignis, das Millionen Menschen vor den Bildschirmen versammelt hat. Das passiert normalerweise höchstens wegen eines Fußball-WM-Finales, einer religiösen Folkloreveranstaltung wie einer Papstwahl oder eines überlangen Werbespots für einen Energydrinkhersteller, diesmal aber wegen reiner Wissenschaft.

Faszinierender, zukunftsweisender Wissenschaft, von der langfristig alle Menschen etwas haben werden. Allein das ist schon ein gewaltiger Erfolg. Zum anderen darf man nicht vergessen, dass der Hauptteil des Projekts die Sonde Rosetta darstellt und nicht der Lander Philae. Und die funktioniert reibungslos und wird das vermutlich auch weiterhin so halten. Außerdem hat der Lander in seiner kurzen Zeit auf Montage trotzdem eine enorme Menge neuer Daten geliefert, welche die Wissenschafterinnen und Wissenschafter monate- und jahrelang beschäftigen werden. Und vielleicht schlummert ja nicht nur Philae selber, sondern in diesen Daten, die er geschickt hat, auch die eine oder andere Überraschung über die Entstehung unseres Sonnensystems.

Dann hat Philae zwar deutlich kürzer geschöpft als seinerzeit Herr Gott, der in nur sechs Tagen Himmel und Erde erschaffen und erst dann geruht haben will, aber so viel lässt sich prophezeien, die neueren Daten werden, mögen ihre Auswertung und Veröffentlichung auch noch geraume Zeit dauern, wissenschaftlich auf jeden Fall verlässlicher sein als das berühmte Paper, das seinerzeit als 1. Buch Mose publiziert wurde.

Martin Puntigam
ist Solokabarettist und Master of Ceremony der „Science Busters“, die demnächst live zu sehen sind: 7., 8., 14., 15.12. Rabenhof Wien; 10.12. Posthof Linz; 11.12. Danubium Tulln; 12.12. Kikas Aigen/Schlägl; 18.12. Orpheum Graz; 20. und 21.12. ARGEkultur Salzburg; 22.12. Stadtsaal Wien. Auf ORF eins läuft die neue Staffel ab 9.12. jeden Dienstag ab 22.55 Uhr; Puntigam solo „Supererde“: 3. bis 5.1.2015 Kabarett Niedermair.

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Foto: Monika Saulich für profil