Wissenschaft

Mikroplastik: Neuste Studien warnen vor ernsten Gesundheitsgefahren

Forschende finden Kunststoffpartikel in Arterien und sogar in Körperzellen – und sehen Zusammenhänge zu Herzleiden und Schlaganfällen.

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Die Forschenden betrachteten die Proben unter dem Elektronenmikroskop. Sie sahen gezackte Strukturen, vermischt mit Zellmaterial. Die schroffen Gebilde gehörten keinesfalls in mensch- liches Gewebe: Es handelte es sich um winzige Partikel aus Polyethylen oder Polyvinylchlorid, kurz PVC. Das Mikroplastik stammte aus den Halsschlagadern von operierten Personen. Bei dem Eingriff waren arterielle Ablagerungen entfernt worden, um das Schlaganfallrisiko zu senken.

Ein italienisches Forscherteam untersuchte die entnommenen Plaques von 257 Personen und verfolgte das weitere Geschick der Menschen über 34 Monate. Gemeinsam mit Kollegen aus den USA und Belgien veröffentlichte die Wissenschaftergruppe die Resultate im März im „New England Journal of Medicine“. Ergebnis: In den Arterien von 150 der 257 Patienten – rund 60 Prozent – fand sich Mikroplastik. Warum die restlichen Personen frei von solchen Partikeln waren, muss noch geklärt werden.

Dass sich im Körper winzige Plastikkörner oder -fäden ansammeln können, ist zwar nicht neu. Immer wieder ließen sich Plastikpartikel in Organen nachweisen, darunter in Lunge, Gehirn und Plazenta, zudem in der Blutbahn und der Muttermilch. Doch die neue Studie erweitert das Wissen um einen wesentlichen Aspekt. Dass sich Reste von Kunststoffen im Körper akkumulieren, heißt noch nicht zwangsläufig, dass sie dort auch Schaden anrichten. Die Nachbeobachtung der Patientengruppe lieferte nun aber genau dafür Indizien: Jene Operierten, in deren Arterien Mikroplastik eingelagert war, hatten ein mehr als vierfach erhöhtes Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle in den Monaten nach dem Eingriff.

Das bedeutet nicht, dass damit bewiesen ist, dass Mikroplastik Herzattacken oder Schlaganfälle auslöst. Die Studie stellt keine kausale Verbindung her, sondern eine Korrelation: ein verdächtiges Zusammentreffen von Mikroplastikbelastung und lebensbedrohenden Erkrankungen. Allerdings fanden die Forschenden auch Anzeichen von Entzündungen bei jenen Personen, in deren Adern Kunststoffteilchen abgelagert waren – und das sind zumindest Hinweise darauf, wie Mikroplastik zu Erkrankungen beitragen könnte. Das Fachjournal „Nature“ nannte die Studie deshalb einen „Meilenstein“.

Eine Menge beunruhigender Daten

Es war nicht die einzige Studie, die zuletzt der Frage nachging, was der Abrieb von Plastikflaschen, Folien, Autoreifen oder Lebensmittelverpackungen im Organismus anrichtet. In dichter Abfolge erschienen in den vergangenen Wochen Arbeiten über gesundheitliche Effekte von Mikro- und Nanoplastik: Bei Ersterem handelt es sich um Partikel unter fünf Millimeter Größe, Nanoplastik misst weniger als einen Mikrometer.

Eine dieser Arbeiten stammt federführend von Forschenden aus Wien, und sie ist besonders beunruhigend. Das Team, dem auch Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus Graz und Deutschland angehörten, arbeitete mit Darmkrebszellen. Solche Zelllinien sind bei speziellen Anbietern für Forschungszwecke bestellbar. Die Forschenden beobachteten, was geschieht, wenn die Zellkulturen mit Plastikkügelchen zwischen 0,25 und zehn Mikrometern in Kontakt kommen. Sie stellten fest, dass die Teilchen von allen Zellen aufgenommen wurden, und zwar umso schneller, je kleiner die Partikel waren.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft