Eine KI fand in den Gesängen der Riesen ähnliche Strukturen wie in der menschlichen Sprache.
Wissenschaft

Mit Tieren sprechen: Wie KI Wale, Hunde und Elefanten übersetzt

Erste Erfolge: Forschende und Tech-Milliardäre entschlüsseln mit Künstlicher Intelligenz die Kommunikation von Tieren.

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Der Biologe Con Slobodchikoff belauscht seit den 1980er-Jahren Präriehunde in Arizona. Versteckt in einem Verschlag aus Holz, lernte er schnell, das Bellen und die hohen Pfiffe der Nagetiere zu unterscheiden. Das kürzeste Bellen bedeutete höchste Gefahr: „Falke!“ Hatte ein Präriehund so vor dem Raubvogel gewarnt, flitzte die gesamte Kolonie schleunigst in ihre Erdhöhlen. Das Erscheinen eines Kojoten löste hingegen einen Chor aus Alarmpfiffen aus, die Tiere liefen nur bis zu den Eingängen ihrer Höhlen und spähten heraus, um zu sehen, in welche Richtung sich der Eindringling bewegte. Cool blieben die Präriehunde, als Forscher Slobodchikoff einen phlegmatischen Hund durch die Kolonie trotten ließ. Sie pfiffen, stellten sich auf die Hinterbeine und beobachteten das Tier, dem sie offenbar das Prädikat „harmlos“ verpasst hatten.

Slobodchikoff war fasziniert, aber etwas wurmte ihn: Die Struktur der Rufe war zu unterschiedlich, um allein vor der Art des Eindringlings zu warnen. Also schickte er verschiedene Hunde durch die wild lebende Kolonie: einen Dalmatiner, einen Husky, einen Cockerspaniel und einen Golden Retriever. Und tatsächlich variierten die Laute der Präriehunde je nach Aussehen des Eindringlings stark; sie schienen sogar die Geschwindigkeit zu beschreiben, mit der sich ein Hund durch ihr Revier bewegte. Je nervöser der Hund, desto schneller die Pfiffe. „Ich fragte mich: Vielleicht schreien sie nicht einfach nur Substantive, sondern beschreiben die Eindringlinge in Phrasen?“, so Con Slobodchikoff in einem Interview mit der „New York Times“.

Wie Präriehunde Raubtiere beschreiben

Also wurde der Forscher selbst zum Versuchskaninchen. Er und drei seiner Kollegen wanderten durchs Revier, bekleidet mit Jeans und weißen Laborkitteln. Slobodchikoff und zwei seiner Kollegen wurden mit dem typischen Zirpen für „Mensch“ bedacht; der vierte Kollege war merklich kleiner, weshalb die Präriehunde ihn mit einem veränderten Zirpen beschrieben. Noch verwirrender wurden die Laute, als die Forscher mit T-Shirts in unterschiedlichen Farben auftauchten. Richtig schlau wurde Slobodchikoff aus den Tonaufnahmen erst, als er in den Nullerjahren eine Software damit fütterte. Sie durchforstete die Stimmen der Tiere nach Frequenz, Dauer und harmonischer Struktur. Sie fand Muster, was Slobodchikoff zu der spektakulären Schlussfolgerung veranlasste, die Präriehunde würden über Substantive, Adjektive und Verben verfügen. Sie würden zum Beispiel sagen: „Hund groß gelb schnell“ oder „Mensch klein blau langsam“.

Wie Slobodchikoff seinen Präriehunden lauschen täglich unzählige Forschende den Stimmen der Natur. Manche wagen sich dafür in die Tiefen der Ozeane, wo sie mit Hydrophonen die Gesänge von Walfamilien aufnehmen. Andere begeben sich in Ställe, um mehr über den Zustand von Schweinen oder Ziegen herauszufinden. Wieder andere versuchen, die Kommunikation von Vögeln oder Bienen zu entziffern. Sie häufen riesige Datenmengen an, Big Animal Data, die auszuwerten den Menschen viel zu viel Zeit kosten würde. Nun kommt jedoch die künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Immer mehr Algorithmen werden darauf trainiert, Tierstimmen mit Verhaltensweisen zu kombinieren, um den Sinn dahinter zu verstehen. Werden wir bald mit Hunden, Walen und Vögeln reden können? Was werden sie uns sagen? Und welche Gefahren birgt die Entschlüsselung von Tierkommunikation?

Ein Wal, der auf ein Kajak sprang

Der britische Biologe und Filmemacher Tom Mustill hat der Sprache der Wale ein ganzes Buch gewidmet. Begonnen hatte seine Leidenschaft für die Riesen der Meere mit einem spektakulären Nahtod-Erlebnis: Mustill war 2015 mit einer Freundin im Kajak in der Monterey Bay vor der Küste Kaliforniens unterwegs, um Wale zu beobachten. Sie waren bereits auf dem Weg nach Hause, als plötzlich ein Buckelwal aus dem Wasser schoss, dreimal so schwer wie ein Doppeldeckerbus, und auf die beiden niederging. Der sinkende Riesensäuger riss die beiden aus dem Kajak und zog sie in die Tiefe. Mustill war sicher, in diesem Moment zu sterben. „Aber wundersamer Weise spürte ich, wie meine Rettungsweste mich nach oben zog, und ich strampelte mich mit ihr hin zum Licht“, schreibt er. Dann entdeckte er die neben ihm aufgetauchte Freundin und fragte sich: „Warum zum Teufel sind wir lebendig?“

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.