Molekularbiologe Penninger: "Zäune helfen nicht weiter"
INTERVIEW: HERBERT LACKNER
profil: Herr Professor Penninger, fürchten Sie sich immer noch vor Mäusen? Josef Penninger: Ich hatte früher tatsächlich eine arge Mausphobie. Das ist so weit gegangen, dass ich mich als Student in Innsbruck auf der Straße umgedreht habe, um zu prüfen, ob mir eh keine Maus nachläuft.
profil: Aber Sie stammen doch von einem Bauernhof. Penninger: Darum hatte ich ja diese Phobie. Jemand hatte in unserer Nähe eine wilde Mülldeponie angelegt, daraufhin marschierte eine Kolonie von Wanderraten ein. Es konnte vorkommen, dass eine Ratte auf meinem Nachttisch saß, wenn ich in der Früh aufwachte. Davon hatte ich ein Trauma.
profil: Gehen Sie eigentlich am Morgen mit dem Gedanken zu Arbeit: Jetzt rette ich Menschen? Penninger: Nein, ich geh mit dem Gedanken von zu Hause weg: Jetzt muss ich wieder durch den Verkehr von Wien manövrieren.
profil: Sie haben ein Protein namens RANKL entdeckt, das zur Entwicklung eines Medikaments gegen Osteoporose und Knochenmetastasen führte. Wie funktioniert das? Penninger: Bei gesunden Knochen gibt es eine Balance zwischen Zellen, die Knochen aufbauen, und Zellen, die den Knochen wegfressen. RANKL ist dafür zuständig, die Blutstammzellen in Knochenfresszellen umzuwandeln. Wird es durch Medikamente blockiert, können Krankheiten, bei denen zu viel Knochenmaterial gefressen wird, wie bei Osteoporose, gelindert werden.
profil: Kann das die Knochen auch reparieren, oder wird nur der Status quo stabilisiert? Penninger: In den Studien wurden auch wieder Knochen aufgebaut.
Wir haben in der Forschung Türen aufgemacht, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gibt.
profil: Weltweit gibt es wohl Zehntausende Krebsforscher. Warum geht die Entwicklung dennoch so langsam? Penninger: Sie geht doch wahnsinnig schnell. Es gab noch nie eine solche Explosion des Wissens. Wir haben in der Forschung Türen aufgemacht, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gibt. Vor 20 Jahren gab es kein wirksames Mittel gegen Arthritis, heute sehen sie bei uns kaum noch jemanden mit verkrüppelten Händen. Es sind so viele neue Medikamente entwickelt worden, Krebsmedikamente, Immuntherapien. Wenn man krank ist, geht es einem natürlich immer zu langsam.
profil: Wie kann man bei so vielen Forschungsprojekten Doppelgleisigkeiten vermeiden? Penninger: Die muss man gar nicht vermeiden. Wissenschaft muss reproduzierbar und nachvollziehbar sein. Ich bin ja auch davon überzeugt, dass man seine Daten immer veröffentlichen soll. Mir hat ein Nobelpreisträger einmal gesagt: "Unter zehn Leuten stehlen dir zwei deine Idee, aber acht geben dir eine bessere Idee.“
profil: Sie haben einmal geschätzt, dass etwa fünf Prozent ihrer Forschungsansätze zu einem Ergebnis kommen. Der Rest sind leere Kilometer? Penninger: Man muss in diesem Geschäft schon masochistische Anlagen haben. Man stelle sich vor, ein Fußballer bringt nur jeden 20. Elfmeter ins Tor.
profil: Die Pharmaindustrie vermarktet neue Therapien zu extrem hohen Preisen, etwa ein Mittel gegen Hepatitis C um mehr als 100.000 Euro pro Behandlung. Das treibt die Kassen in den Ruin. Was läuft da falsch? Penninger: Dieser Konzern hat das auch schlecht kommuniziert. Die Therapie ist natürlich sehr teuer. Andererseits: In drei Wochen sind die Kranken ihre Hepatitis C los, bisher mussten sie lebenslang behandelt werden, das war noch teurer, und die bisher eingesetzten Medikamente hatten starke Nebenwirkungen.
profil: Sie und ihre Gruppe haben vom US-Verteidigungsministerium 7,4 Millionen Dollar für die Brustkrebsforschung bekommen. Will das Pentagon sein Image aufbessern? Penninger: In den USA gibt es wie bei uns verschiedene Institutionen, die Forschung fördern, darunter das Departement of Defence. Das ist eines der Vehikel, über welche die US-Regierung ihre Gelder verteilt. Die National Coalition against Breast Cancer - das sind Frauen, die Brustkrebs hatten oder haben - betreibt Lobbying bei der US-Regierung und verteilt diese Steuergelder für Brustkrebsforschung eben über diese völlig transparente Förderschiene. Toll, dass die Amerikaner Krebsforschung in der ganzen Welt fördern.
Realistisch ist, dass wir in einigen Jahrzehnten Stammzellen haben, die Herzen reparieren können.
profil: Können Sie dem Publikum sagen: Liebe Leute, in ein paar Jahrzehnten haben wir alle großen Killer-Krankheiten im Griff? Penninger: Schön wär’s. Wir machen viele Fortschritte. Aber bei der Krebsforschung ist es wie beim Verkehr: Man kann die Autobahn absperren, aber es gibt immer wieder Wege über Nebenstraßen. Wir bestehen aus vielen Billionen von Zellen, allein unser Gehirn hat 90 Milliarden Nervenzellen, die jeden Tag zusammenspielen müssen. Es ist ohnehin ein Wunder, dass so selten etwas schiefläuft. Und wir leben in einer Umwelt, die sich ständig ändert: Es gibt neue Viren, wir sind neuen Chemikalien ausgesetzt. Eine Welt, in der es diese Erkrankungen nicht mehr gibt, ist schwer vorstellbar.
profil: Was ist realistisch? Penninger: Realistisch ist, dass wir in einigen Jahrzehnten Stammzellen haben, die Herzen reparieren können. Realistisch ist, dass die Menschen 90 oder 100 Jahre alt werden und bis 80 fit genug zum Arbeiten sind.
profil: Sie machen immer wieder neue Türen auf. Haben sie hinter einer dieser Türen schon den lieben Gott gesehen? Penninger: Nein. Es gibt eine Welt der Wissenschaft, eine Welt der Philosophie, eine Welt der Religion. Man soll das nicht durcheinanderbringen.
profil: Sind Sie ein gläubiger Mensch? Penninger: Nein, bin ich nicht.
profil: Sie waren in einem kirchlichen Gymnasium … Penninger: … dort habe ich einen Deutschaufsatz geschrieben, der nicht wirklich gut ankam. Damals hatte ich gerade begonnen, Nietzsche und Kropotkin zu lesen. Ich wäre fast aus der Schule geflogen. Mein Klassenvorstand, der auch Mathematik und Physik unterrichtete, hat mich gerettet.
profil: Waren Sie ein guter Schüler? Penninger: In Mathematik und Physik schon, in Deutsch war ich katastrophal.
profil: Bei mir war es genau umgekehrt. Penninger: Die Menschen haben unterschiedliche Talente, darum finde ich das kanadische Schulsystem so toll. Die haben drei Leistungsgruppen, da wird niemand frustriert, und Begabte werden gefördert.
In einigen Religionen wird man erst im Laufe der Schwangerschaft durch die sogenannte Beseelung zu einem Menschen.
profil: Die Forschung kommt immer wieder in Konflikt mit der katholischen Kirche, die etwa Versuche mit embryonalen Stammzellen ablehnt. Ist das in der Praxis ein Hemmschuh? Penninger: Nein. Die Kirche weiß selbst, dass man mit Stammzellen arbeiten kann und soll. Ich habe einmal in Davos bei einer Veranstaltung der Young Global Leaders diskutiert, an der auch ein Kardinal und der Großmufti von Bosnien und Herzegowina teilgenommen haben. Der Großmufti sagte: "Wenn es einen allmächtigen Gott gibt, dann hat er ja vorher gewusst, was man mit Stammzellen tun kann, deshalb ist es völlig akzeptabel und mit der Religion des Islam vereinbar.“
profil: Mit der jüdischen auch, deshalb ist Israel in der Stammzellenforschung ja weit vorn. Penninger: In einigen Religionen wird man erst im Laufe der Schwangerschaft durch die sogenannte Beseelung zu einem Menschen. Die Katholiken sagen, der Mensch entsteht, wenn der Samen auf die Eizelle trifft. Wir gehen mit dem Thema der Ethik sehr sorgfältig um und haben eine eigene Stelle eingerichtet, die sich mit den bioethischen Fragen auseinandersetzt. Das ist auch die Voraussetzung dafür, um Forschungsgelder von der EU zu bekommen.
profil: Sie entdecken immer mehr Gene, die für ein bestimmtes Verhalten oder für das Entstehen von Krankheiten verantwortlich sind. Entwickelt man da nicht ein deterministisches Weltbild? Penninger: Mit einer bestimmten Genmutation (BRCA1) bekommen 80 Prozent der Trägerinnen Brustkrebs. Wir leben aber in einer Umwelt: Es kommt darauf an, wo und wie wir leben, was wir essen, ob wir rauchen. Würden wir etwa Albert Einstein klonen, käme heute eine völlig andere Person heraus.
profil: Eines der erfolgreichsten Volksbegehren war hierzulande jenes gegen Gentechnik. Ist Österreich besonders wissenschaftsskeptisch? Penninger: Zur Zeit dieses Volksbegehrens bin ich gerade aus Kanada zurückgekommen. Da hab ich auf Flugblättern die Forderung nach einem "genfreien Österreich“ gelesen. Ich hab mir gedacht: Oje, hier bin ich falsch. Heute gibt es wenigstens nur die Forderung nach einem "gentechnikfreien Österreich“. Natürlich muss man in der Wissenschaft sorgfältig sein, doch viele Ängste sind völlig unberechtigt. Aber da müssen auch wir Forscher uns an der Nase nehmen und die Dinge besser erklären.
profil: Es ist nicht leicht, Ihren Forschungsgegenstand allgemein verständlich darzustellen. Penninger: Aber es geht. Wir haben hier im Haus ein öffentliches Labor für Kinder eingerichtet. Seither waren schon mehr als 50.000 Kinder da. Österreich hat da vielleicht einen längeren Weg vor sich als andere Länder.
profil: Ihre Frau kommt aus China und beschäftigt sich mit traditioneller chinesischer Medizin. Wie passt das mit Ihrer Wissenschaft zusammen? Penninger: Sehr gut. Man kann von der chinesischen Medizin sehr viel lernen. Das erste Medikament gegen Bluthochdruck kam von einem Schlangengift, viele andere Medikamente, die wir heute haben, kommen aus der Kräutermedizin. Im vergangenen Jahr hat eine traditionelle chinesische Medizinerin den Nobelpreis bekommen, weil sie das bisher beste Medikament gegen Malaria entwickelt hat. Sie kam darauf, nachdem sie einen 1700 Jahre alten chinesischen Text gelesen hatte. Darin ging es um eine bestimmte Pflanze, die man auf bestimmte Weise abkochen müsse, das ergebe einen Extrakt, der gegen Fieber hilft. Sie isolierte dann diese Chemikalie, Artemisinin.
Die Argumente der Vertreter für einen Brexit waren haarsträubend.
profil: Bleibt Ihnen bei Ihrer Forschung noch Zeit, sich mit profanen Dingen wie etwa mit dem Brexit zu beschäftigen? Penninger: Durchaus. Wir haben viele Freunde in Großbritannien, einer davon ist Professor für Strukturbiologie in Bath. Ein Brexit ist natürlich Wahnsinn: Wollen wir Europa wieder in kleine Splitter aufteilen? Die Argumente der Vertreter für einen Brexit waren haarsträubend. Die haben davor gewarnt, dass Europa schon demnächst an Syrien grenzen wird. Völliger Unsinn.
profil: Warum wird das geglaubt? Was sind die Ursachen für den Vormarsch dieses Rechtspopulismus? Penninger: Wir leben halt in einer Welt, in der es viele Flüchtlinge gibt, in der es Terror gibt. Der große Traum, wonach man immer den persönlichen Aufstieg schaffen kann, wenn man nur fleißig arbeitet, der erfüllt sich eben nicht mehr so oft, auch in den USA nicht, wo man immer dachte, wenn man jung und gesund ist, gebe es keine Schranken nach oben. Diese Durchlässigkeit ist schwieriger geworden, und davon profitieren Leute wie Donald Trump. Es gibt dort Städte mit einem Durchschnittsalter von 68, weil alle Jungen weggehen. In Kanada funktioniert das noch viel besser.
profil: Es gab in den USA aber auch Bernie Sanders, der mit sozialen Interventionen in diese Entwicklung eingreifen will. Gefällt Ihnen der? Penninger: Absolut. Das wäre mein Kandidat gewesen. Aber wir erleben in Europa und in Österreich ja das Gleiche: Mach ma a Mauer, mach ma an Zaun! Das zieht in der Politik. Aber Zäune helfen nicht weiter, es gibt keinen österreichischen Brustkrebs und keinen türkischen Brustkrebs und keinen englischen Brustkrebs. Darum bin ich ja so dafür, dass in den Schulen mehr Naturwissenschaften unterrichtet werden - auch aus politischen Gründen.
profil: Wie übersetzt sich Wissenschaft in Politik? Penninger: Die Wissenschaft verträgt keine Zäune, sie muss international arbeiten. Wissenschaft ist ein System, das den Frieden erhält. Nehmen wir nur einen Stein: Man kann trefflich über seine chemische Zusammensetzung diskutieren, über seine Geologie, seinen Auffindungsort, sein Gewicht. Schwierig wird es, wenn man darüber zu streiten beginnt, ob nun mein Gott oder dein Gott uns diesen Stein gegeben hat.
Josef Penninger, 51 Der Oberösterreicher studierte in Innsbruck Medizin und Kunstgeschichte und arbeitete danach am Ontario Cancer Institute und an der University of Toronto. Penninger ist derzeit wissenschaftlicher Leiter des Instituts für molekulare Biotechnologie in Wien, wo er unter anderem an der Entwicklung neuer Krebs-Medikamente arbeitet.