50 Jahre später: Die zweite Eroberung des Mondes
Kein Zweifel, der Mensch war auf dem Mond. Davon zeugt schon das Gerümpel, das er hinterlassen hat: Teile von Raumfähren, Seismografen, Laserreflektoren, ausgediente Kameras, kühlschrankgroße Sonden. Selbst die Pfade, die Astronauten in den Mondstaub trampelten, sind noch heute als dunkle Linien deutlich sichtbar. Erkennen lassen sich die Spuren und Überreste auf Bildern, die Sonden wie der Lunar Reconnaissance Orbiter der NASA schossen.
Seit einiger Zeit erkunden derartige Objekte wieder die Oberfläche des Erdtrabanten. Darunter sind neben amerikanischen und japanischen Entwicklungen auch solche aus China und Indien. Den Chinesen gelang mit Chang’e-3 im Jahr 2013 ihre Premiere einer sanften Mondlandung, und mit Chang’e-4 setzte im vergangenen Jänner erstmals eine Sonde auf der erdabgewandten Seite des Himmelskörpers auf. Vor zehn Jahren steuerten indische Ingenieure Chandrayaan-1 zum Mond und lieferten spektakuläre Daten: Hinweise auf gefrorenes Wasser an den Polen. Weniger Glück hatte Israel, das sich ebenfalls in den Kreis der Raumfahrtnationen einreihen wollte: Im April dieses Jahres krachte die Sonde Beresheet ungebremst auf den Mondboden.
Tempo wird erhöht
Weitere Missionen sind startklar: Noch heuer sollen sich Chandrayaan-2 und der nächste chinesische Lander auf die Reise machen. Die größte Aufmerksamkeit erntete aber jüngst eine Ankündigung von Donald Trump: Er wünsche, dass in fünf Jahren wieder Menschen über den Mond spazieren. Bis 2024 solle die NASA eine bemannte Mission auf die Beine stellen. Die Befehlsausgabe erinnert an die Ansage von John F. Kennedy, der zu Beginn der 1960er-Jahre versprach, innerhalb eines Jahrzehnts Menschen zum Mond zu schicken. Gab damals der Wettlauf mit der Sowjetunion um die Eroberung des Alls den Takt vor, ist es nun die Konkurrenz mit China, die den Ehrgeiz befeuert. Wie weit die Pläne der Chinesen gediehen sind, ist zwar unklar – dass dort bemannte Raumfahrt weit oben auf der Agenda steht, bezweifelt aber kaum jemand.
Trumps Vorhaben ist äußerst ambitioniert. „Wir sind nun angehalten, das Tempo zu erhöhen“, sagt Kenneth Bowersox. Der frühere Kampfpilot ist bei der NASA zuständig für die humane Exploration des Weltraums und hielt kürzlich einige Vorträge in Wien. „Ursprünglich war eine Landung um das Jahr 2028 angedacht“, berichtet Bowersox, der fünf Mal mit dem Space Shuttle ins All flog und ein halbes Jahr auf der Internationalen Raumstation ISS verbrachte. „Der Plan hat sich jetzt beschleunigt. Wir werden dafür zusätzliche Ressourcen brauchen.“
Bisher war es nur der Mond
Weniger diplomatisch formuliert es Christian Köberl, Generaldirektor des Wiener Naturhistorischen Museums und Experte für extraterrestrisches Gestein. Er halte den Zeitplan schlicht für unrealistisch. Zwar sei es logisch und sinnvoll, wieder zum Mond zu fliegen. „In den 1970er-Jahren ist extrem viel weitergegangen. Über den Mond und seine innere Struktur haben wir bis dahin praktisch nichts gewusst“, sagt Köberl. „Die Missionen haben die Erforschung des gesamten Sonnensystems enorm vorangebracht, und es gibt noch immer viel zu lernen. Seit 47 Jahren sind wir aber auf keinem anderen Himmelskörper mehr gelandet.“
Im Dezember 1972 betrat zuletzt ein Mensch den Mond. Per Rover legten damals die Apollo-17-Astronauten Harrison Schmitt und Eugene Cernan 34 Kilometer auf der fahlen Oberfläche zurück und sammelten Bodenproben. Insgesamt brachten zwölf Astronauten des zehn Jahre währenden „Apollo“-Programms bei sechs Landungen 382 Kilo Mondgestein zur Erde, nachdem sie von den stärksten je gebauten Raketen ins All katapultiert worden waren. Es handelte sich um die bis dahin gewaltigste Anstrengung der Menschheitsgeschichte, die nach heutigem Kurs etwa 190 Milliarden Euro verschlang.
Der Beginn dieses Abenteuers jährt sich nun zum 50. Mal. Am 20. Juli 1969 um 21:17 Uhr mitteleuropäischer Zeit landete Apollo-11 mit Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins auf dem Mond. Sechseinhalb Stunden später kletterte Armstrong die neunstufige Leiter der Landefähre hinab und betrat als erster Mensch einen fremden Himmelskörper, zuerst mit dem linken Fuß. Er sprach dabei die berühmten Worte: „That’s one small step for man, one giant leap for mankind.“ 15 Minuten später folgte Aldrin, der sogleich von Armstrong fotografiert wurde. So entstand jenes ikonische Bild von Aldrin, auf dem sich Armstrong in dessen Helmvisier spiegelt. Die Astronauten spazierten zwei Stunden und 31 Minuten lang über den Mond, pflanzten mit einiger Mühe eine Flagge ins Gestein und kehrten dann in die Landekapsel zurück. Insgesamt verbrachten die Männer knapp einen Tag auf der Mondoberfläche, bevor sie an Bord des Raumschiffs Columbia zur Erde zurückreisten.
Sputnik gegen Kaputnik
Den Anstoß zum Wettlauf um den Mond gab eine Metallkugel von der Größe eines Wasserballs: Am 1. Oktober 1957 schossen die Sowjets Sputnik-1 ins All, den ersten Satelliten. Manche innerhalb der US-Administration hielten das für unbedeutend. Andere waren alarmiert, weil sie eine Schlacht um die militärische Vormacht im Weltraum ahnten. Einer war sauer, weil er längst dieselbe Idee gehabt hatte: Wernher von Braun, genialer Raketentechniker und schon als Kind Fan von H.G. Wells und Jules Verne. Im Sold der Nazis fertigte er die erschreckend effiziente Lenkwaffe V2, die Tausende Menschen tötete. Am Ende des Zweiten Weltkrieges ließ sich von Braun von den Amerikanern gefangen nehmen und in deren Dienste stellen. Nachdem die US-Antworten auf Sputnik zunächst kläglich gescheitert waren (die Medien spotteten über „Flopnik“ und „Kaputnik“), kam von Brauns Stunde: Mit einer zum Modell Redstone weiterentwickelten V2 flog 1958 die erste amerikanische Sonde ins All.
Im Sommer desselben Jahres wurde die NASA gegründet. Das Ziel lautete, Menschen in den Orbit zu befördern. Dafür rief die neue Raumfahrtagentur das Programm „Mercury“ ins Leben. Aus Hunderten Bewerbern wurden sieben künftige Astronauten ausgewählt, die bald nur noch „Mercury Seven“ hießen, allesamt Piloten der Air Force oder Navy waren und rasch als Helden der Nation gefeiert wurden: Männer, die auch in Extremsituationen die Nerven behielten, jede erdenkliche fliegende Kiste steuern konnten und keiner Gefahr aus dem Weg gingen. Die Mitglieder der wagemutigen Truppe hatten keine Zweifel, dass einige von ihnen der sichere Tod erwartete; damals explodierte fast jede zweite Rakete. Zudem war abseits von Theorien und Simulationen wenig über die Risiken der Raumfahrt bekannt. Würden die fliegenden Blechdosen die Reibung beim Wiedereintritt in die Atmosphäre überstehen oder einfach verglühen? Wie würde der Organismus auf die kosmische Strahlung reagieren? Wie auf den Aufenthalt im Vakuum? Würden die Männer ohnmächtig werden oder delirieren? Prasselten dort draußen nicht ständig kleine Meteoriten herab?
Katastrophen blieben vorerst aus
Während die Vorbereitungen liefen, wurden die Amerikaner neuerlich von der russischen Konkurrenz ausgestochen. Im April 1961 flog erstmals ein Mensch ins All: Juri Gagarin an Bord der Wostok-1. Nicht einmal einen Monat später bewältigte der „Mercury“-Pilot Alan Shepard den Lift-off. Seine Flugdauer betrug 15 Minuten. In dichter Abfolge katapultierte die NASA in der nächsten Zeit Astronauten nach oben: Virgil Grissom, John Glenn, Scott Carpenter, Walter Schirra, Gordon Cooper. Glenn umrundete die Erde drei Mal, Cooper 22 Mal.
Die befürchteten Katastrophen blieben vorerst aus, brenzlige Situationen gab es aber immer wieder. Bei fast allen Flügen mussten die Piloten auf manuelle Steuerung umschalten. Mal brach der Funkkontakt ab, mal streikte die Elektronik, mal gingen Komponenten der Raumkapsel in Flammen auf und ließen einen wahren Feuerball vom Himmel rasen. Alle Männer hatten technische Probleme, aber keiner geriet in Panik. Wie es ihm da oben gehe, fragte die Bodenstation Cooper. Er antwortete seelenruhig: Es werde allmählich ein wenig anstrengend, weil ein Bordsystem nach dem anderen ausfalle. Aber sonst sei alles super.
„Mercury“ und das Folgeprogramm „Gemini“ waren gleichsam die Probeläufe, die demonstrierten, dass Menschen einer Reise ins All gewachsen sind. Im Rahmen von „Gemini“ übten die Astronauten bereits Manöver wie Ausstiege im Weltraum und Kopplungen im All. Für das Programm wurden zwei weitere Generationen von Astronauten rekrutiert, unter ihnen auch die Besatzungen der „Apollo“-Missionen. Bei zehn „Gemini“-Flügen verbrachten sie rund 2000 Stunden im Weltraum. Die Starts erfolgten so regelmäßig, dass die Öffentlichkeit der TV-Übertragungen schon überdrüssig wurde. Die NASA fühlte sich gewappnet, das eigentliche Ziel in Angriff zu nehmen: die Reise zum Mond.
Das Inferno im Cockpit
Gleich der erste Versuch endete mit einer Katastrophe und hätte beinahe das gesamte Programm gestoppt. Im Jänner 1967 stiegen Virgil Grissom, Edward White und Roger Chaffee in die Kapsel von Apollo-1. Drei Wochen später sollte sie starten, nun gingen die Astroneuten für letzte Tests an Bord. Grissom hatte ein schlechtes Gefühl. Die chaotisch ins Raumschiff gestopften 32 Kilometer Kabel waren ihm nicht geheuer. Um 18:40 an diesem Tag drangen Schreie aus der Kapsel: Feuer im Cockpit! Die Ermittlungen ergaben später, dass ein Kurzschluss zu einem Kabelbrand geführt und Gurte, Nylonnetze, Raumanzüge, Schläuche entzündet hatte. Die Temperatur stieg auf gut 1300 Grad. Alle Astronauten kamen im Feuer um.
Es dauerte fast ein Jahr, bis wieder Menschen ins All fliegen durften. Die nächste bemannte Mission war Apollo-7 im Oktober 1968. Man wollte die runderneuerten Systeme testen, weshalb sich die Route auf die Erdumlaufbahn beschränkte. Alles klappte perfekt, und daher wagte die NASA bereits zwei Monate später den nächsten Schritt: das Verlassen des Erdorbits. Die Zeit drängte – wegen des Rückschlags, Kennedys Versprechens einer baldigen Mondlandung, aber auch deswegen, weil man munkelte, die Sowjets stünden kurz vor einem Mondflug.
Frank Borman, James Lovell und William Anders schwenkten an Bord von Apollo-8 am 24. Dezember 1968 als erste Menschen in die Umlaufbahn des Mondes ein und umkreisten den Himmelskörper 20 Stunden lang. Sie bewiesen, dass eine Reise zum Mond und zurück möglich ist. Sie waren zudem die ersten Menschen, die die Rückseite des Mondes sahen und sich der Oberfläche so weit näherten, dass sie mögliche Landestellen für Apollo-11 ausspähten. Anders schoss auch das legendäre Bild des „Erdaufgangs“: Es zeigt den Blick vom Mond auf die blaue Erdkugel, die aus dem All fragil und verletzlich erscheint. Noch alle Astronauten packte die Ehrfurcht bei diesem Anblick. „Zuerst fällt die Schönheit auf“, sagt Space-Shuttle-Kommandant Ken Bowersox: „Dann bemerkt man, wie alles miteinander verbunden ist. Auf der Landkarte gibt es Grenzen, hier nicht. Und man sieht, wie dünn die Atmosphäre ist, von der unser Leben abhängt.“
Dann ging alles Schlag auf Schlag: Apollo-9 startete im März 1969. Die Besatzung unternahm Weltraumspaziergänge und testete Andockmanöver. Bei Apollo-9 erhielten Raumschiff und Kapsel erstmals Namen: „Gumdrop“ und „Spider“. Die nächste Reise von historischer Dimension war Apollo-10 im Mai 1969 mit den Vehikeln „Charlie Brown“ und „Snoopy“. Es war die Generalprobe für die Landung. Alles verlief exakt wie bei Apollo-11 – bis auf die Landung. Die Astronauten Thomas Stafford und Eugene Cernan stiegen in die Landefähre, koppelten vom Raumschiff ab und ließen die Fähre bis auf 14 Kilometer über Grund sinken. Sechs Stunden schwebten sie in geringer Höhe, machten Aufnahmen vom Terrain und dockten wieder ans Mutterschiff an. Hätten sie der Versuchung nicht widerstanden, hätten sie zwar landen, jedoch nicht mehr abheben können: Dafür war diese Version der Fähre zu schwer.
76 Stunden für 384.403 Kilometer
Jene epochalen Ereignisse, die man im Juli ausgiebig feiern wird, nahmen ihren Anfang am 16. Juli 1969 um 13:32 Uhr Ortszeit. Da startete eine 110 Meter hohe und samt Treibstoff 3000 Tonnen schwere Saturn-V-Rakete mit der Apollo-11-Besatzung, dem Raumschiff „Columbia“ und der Kapsel „Eagle“. Neil Armstrong, Edwin „Buzz“ Aldrin und Michael Collins brauchten für die 384.403 Kilometer weite Reise 76 Stunden. Am 20. Juli schwenkten sie in die Umlaufbahn des Mondes ein. Nach dem Abkoppeln der Landefähre traten unerwartet Probleme auf: Der Autopilot visierte ein Geröllfeld bei einem Krater an. Armstrong übernahm die Steuerung. Der Bauernsohn aus Ohio war schon als Kind von der Luftfahrt begeistert, absolvierte Alleinflüge, bevor er einen Führerschein besaß, und legte beim Militär tollkühne Manöver hin. Nun lenkte er die Raumfähre zu einer ebenen Stelle, einen halben Kilometer abseits des Zielgebiets. Hätte er 20 Sekunden länger gebraucht, wären die Treibstoffreserven zur Neige gegangen. Die Mondlandung wäre gescheitert.
So aber setzte er am 20. Juli um 21:17 Uhr europäischer Zeit sanft auf und meldete: „Houston, Tranquility Base here. The Eagle has landed.“ Rund eine halbe Milliarde Menschen weltweit sah vor den Fernsehapparaten zu.
Der Rest der Mission verlief wie aus dem Lehrbuch. Nach 21 Stunden und 31 Minuten auf dem Mond kehrte Apollo-11 auf die Erde zurück und wasserte im Pazifik. Gut zwei Wochen musste die Crew in Quarantäne verbringen, um eine Kontamination mit Mondmikroben auszuschließen. Bis 1972 folgten noch fünf Apollo-Missionen, bei denen die Astronauten länger auf dem Mond blieben und wissenschaftliche Experimente durchführten. Einmal noch kam es beinahe zur Katastrophe, als an Bord von Apollo-13 ein Sauerstofftank explodierte. Ab 1973 kehrte Ruhe auf dem Mond ein. „Nach dem Apolloprogramm sind alle weiteren Pläne für die bemannte Raumfahrt eingeschlafen“, sagt Museumsdirektor Christian Köberl.
Die Rückkehr zum Mond
Doch nun soll die NASA in kürzester Zeit wieder Kurs auf den Mond nehmen. Das neue Programm trägt den Namen der mythologischen Zwillingsschwester von Apollo: „Artemis“. Mit dem „Space Launch System“ (SLS) und „Orion“ gibt es Konzepte für eine Rakete sowie ein Raumschiff, die jedoch eines gemeinsam haben, nämlich keine einzige Flugstunde. Dennoch soll die erste bemannte Mission bereits 2022 starten und zwei Jahre später mit Artemis-2 eine Landung am Südpol des Mondes erfolgen. Selbst notorische Optimisten äußern angesichts des straffen Zeitplans Zweifel.
Auch die Annahme, dass ein halbes Jahrhundert nach den ersten Pioniertaten eine Mondlandung inzwischen ein Jausentrip sein müsste, trifft nicht zu. „In mancher Hinsicht ist es sogar schwieriger als damals“, sagt Bowersox. Zum einen gebe es keine Bereitschaft mehr, gigantische Summen in ein globales Prestigeprojekt zu stecken. Die Ingenieure müssen die Pläne mit viel weniger Geld umsetzen. Zum anderen sind die Ansprüche höher: Man will aufwendigere Studien durchführen, mehr wissenschaftliches Equipment ins All bringen, größere Crews schicken. Außerdem ist der Mond eine Zwischenetappe, gleichsam eine Teststrecke: Die NASA will bei den nächsten Missionen Technologien ausprobieren, die eines Tages Menschen zum Mars bringen sollen. Die Systeme müssen also viel höheren Ansprüchen genügen. Bowersox: „Wir wollen lernen, wie man weiter zum Mars fliegt.“ Langfristig könnte der Mond als vorgelagerte Startrampe für Exkursionen weiter hinaus ins All dienen. Dank geringer Schwerkraft wäre der Energieaufwand beim Start viel niedriger als auf der Erde.
Jedenfalls handelt es sich diesmal nicht ausschließlich um einen Wettlauf zwischen den Nationen. Zwar wollen die Amerikaner die Chinesen ausstechen, von denen man vermutet, dass sie innerhalb eines Jahrzehnts eine Landung auf dem Mond schaffen könnten. Doch vor allem kooperieren die USA mit Russland, Japan, Kanada, der europäischen Raumfahrtagentur ESA und privaten Unternehmen, um die Monsteraufgabe zu stemmen.
Geheimnisse zu lüften
Und das betrifft nicht nur die Mondlandung. Schon seit geraumer Zeit gibt es Pläne für eine neue Raumstation, die nicht die Erde umkreisen, sondern im Mondorbit geparkt werden soll. Dieser „Lunar Gateway“ wird als Plattform und Außenposten im All fungieren. Astronauten könnten den Gateway als Lager für wissenschaftliche Instrumente nutzen und als Basis für künftige Erkundungen des Mondes.
Kein Forscher bezweifelt, dass es zahlreiche Geheimnisse zu lüften gibt. Mit moderner Analytik ließen sich präzise Isotopen- und mineralogische Untersuchungen von Gesteinen in vielen noch gänzlich unberührten Regionen durchführen – Material, das Einblick in die Kindertage des Sonnensystems gewähren könnte. Denn im Gegensatz zur Erde, wo Wind, Wetter und Erosion die meisten Spuren der Vergangenheit tilgen, ist das Mondgestein seit viereinhalb Milliarden Jahren nahezu unverändert und öffnet ein Fenster in die Frühzeit des Kosmos. Zum selben Zweck könnte man Radioteleskope auf der Rückseite des Mondes montieren und ungestört ins All horchen. „Für Radioastronomie ist das ein toller Ort. Wir könnten Signale aus sehr frühen Stadien des Universums einfangen“, sagt Bowersox.
Freilich gibt es auch handfeste kommerzielle Interessen: Längst gieren die Nationen nach Rohstoffen wie Iridium, das sich durch Meteoritentreffer auf dem Mond angereichert hat, und seltenen Metallen. Helium-3 wiederum ist für Messinstrumente und Kühlsysteme begehrt. Inzwischen ist daher schon die Rede von „Moon-Mining“.
Können wir übersiedeln?
Wenn man schon die beschwerliche Reise auf sich nimmt – warum gleich wieder heimfahren? Tatsächlich existieren Ideen für ein Monddorf, das dauerhaft bewohnt wäre. Ist das aber möglich auf einem Himmelskörper ohne Atmosphäre, Sauerstoff und Magnetfeld, auf dem die Temperatur zwischen minus 160 und plus 130 Grad schwankt?
Zumindest machen sich Wissenschafter ernsthaft Gedanken darüber, wie man auf dem Mond wohnen könnte. Für sichere Behausungen, die vor kleinen Meteoritentreffern und kosmischer Strahlung schützen, ließen sich vulkanische und bis zu 50 Kilometer lange Höhlen nutzen. Doch auch künstliche Gebäude wären eine Option: aufblasbare Kuppeln, ähnlich Iglus, die man gegen feindliche Einflüsse abschotten müsste. Nur, woher nimmt man auf dem Mond Baumaterial? Forscher schlagen vor, mit Spiegeln Sonnenlicht zu bündeln und das Oberflächengestein Regolith zu erhitzen. Dadurch verklumpen dessen Körner zu Schichten, die man wie Erzeugnisse eines 3D-Druckers auf die Iglus auftragen könnte. Versuche ergaben, dass die Festigkeit der Regolith-Ziegel jener von Mörtel entspricht.
Sehnsucht des Menschen
Auch für die Wasser- und Energiegewinnung gibt es Lösungen. An den Polen lagern vermutlich jeweils um die zehn Milliarden Tonnen Wassereis. Mit fokussiertem Sonnenlicht könnte man daraus flüssiges Wasser herstellen. Dieses ließe sich zu Trinkwasser aufbereiten oder in Sauer- und Wasserstoff aufspalten und als Energiequelle nutzen. Zudem könnte man Photovoltaikanlagen aufstellen und Solarstrom erzeugen, wobei es zu bedenken gilt, dass ein Mondtag 29 Erdentage dauert – und es daher stets zwei Wochen lang finster ist. Es existieren sogar Pläne für Gewächshäuser auf dem Mond, in denen auf organischen Abfällen Gemüse gedeiht. Anbaustudien auf simulierten Regolithböden mit Getreide, Salat, Tomaten und Lauchgemüse zeigten, dass Mondlandwirtschaft durchaus funktionieren könnte. Und dank Pflanzungen auf der Internationalen Raumstation hat man immerhin schon Erfahrung mit Gemüsezucht im All.
Wann tatsächlich ein solches Monddorf gebaut werden könnte, ist völlig ungewiss. Trotzdem denken Experten wie Ken Bowersox noch ein paar Schritte weiter. „Eines Tages werden unsere Kinder oder Enkelkinder das Sonnensystem verlassen“, ist er überzeugt. Das Motiv sei dasselbe, das uns gerade zum Mond treibt: „Es ist einfach die Natur des Menschen.“ Theoretisch könnten wir schon bald Roboter ins All schicken. Doch der Mensch sei geprägt von der Sehnsucht, selbst vor Ort zu sein – wo immer dieser Ort liegt: „Diesem Forscher- und Entdeckergeist verdanken wir unser Überleben.“