Mutationsanalyse: Wie gefährlich sind die neuen Virusvarianten?

Welche Impfungen wirken? Steigen die Infektionszahlen wieder exponentiell? Ist Herdenimmunität in Sicht? Und wann endet die Pandemie?

Drucken

Schriftgröße

Warum kommt es zu Mutationen?

Viren verändern sich unablässig, und das gilt auch für das Coronavirus SARS-CoV-2. Wenn es Zellen befällt und sich vervielfältigt, treten Kopierfehler auf – in Form von Mutationen und Deletionen: durch Austausch oder Löschung einzelner genetischer Buchstaben. SARS-CoV-2 hat mittlerweile Tausende Mutationen angesammelt. Das sind jedoch punktuelle Zufallsprozesse ohne Bedeutung. Was der Welt im Moment Sorgen bereitet, sind zielgerichtete Ansammlungen von Mutationen, die weitere Varianten hervorbringen.

Die Bezeichnung „Mutanten“ ist daher unzutreffend, es handelt sich um neue Virusvarianten durch sogenannte Fluchtmutationen: Gerät das Virus unter Druck, passt es sein Genom an, um fortzubestehen. Von der britischen Variante weiß man, dass es von einem chronisch infizierten, immunsupprimierten Patienten ausging, der Rekonvaleszentenplasma erhielt. Mittels genetischer Anpassung versuchte das Virus, der medizinischen Maßnahme zu entkommen – und prägte eine neue Variante seiner selbst aus. Deshalb raten viele Experten davon ab, bloß eine statt zwei Dosen Impfstoff zu verabreichen oder das Intervall zwischen den Teilimpfungen auszudehnen. Denn ein dadurch unzureichender Impfschutz könnte ebenfalls weitere Virusvarianten entstehen lassen.

Wie bedenklich sind die neuen Virusvarianten?

Derzeit sind wir mit drei jüngeren Linien konfrontiert: der britischen B.1.1.7, der südafrikanischen B.1.351 sowie der südamerikanischen oder brasilianischen B.1.1.28P.1. Variante B.1.1.7 trat zunächst in Großbritannien auf, hat das Land praktisch vollständig durchdrungen und beherrscht das Infektionsgeschehen zu gut 90 Prozent. In Österreich dürfte B.1.1.7 je nach Region für 20 bis 70 Prozent der Neuinfektionen verantwortlich sein, wobei sie vor allem im Osten stark verbreitet ist, zunehmend aber auch im Westen. Experten gehen davon aus, dass sie bald die dominierende Variante sein wird.

Man nimmt an, dass B.1.1.7 um etwa den Faktor 0,4 bis 0,5 ansteckender ist als ihr Vorgänger. Statt einer effektiven Reproduktionszahl (R eff) von 1 hätte man nun 1,4 bis 1,5. Hätten zehn Infizierte zuvor zehn weitere Person angesteckt, stecken sie nun 14 bis 15 Menschen an. Diese Werte wurden bereits im Südosten Großbritanniens epidemiologisch bestätigt. Auch molekularbiologische Daten stützen die Annahme höherer Übertragbarkeit: Alle neuen Virusvarianten tragen die Mutation N501Y, bei der an Stelle 501 des 30.000 Basenpaare langen Genoms eine Aminosäure verändert ist. Diese Mutation erhöht die Bindungsfähigkeit des Virus an menschliche Zellen, was dazu führen könnte, dass geringere Viruslast für eine Ansteckung nötig ist.

Weniger eindeutig ist die Sachlage bei der südafrikanischen Virusvariante. Im Oktober 2020 erstmals in Südafrika entdeckt, dominiert sie dort inzwischen und ist nun in rund 50 Ländern nachgewiesen. Außerhalb Südafrikas ist sie am stärksten in Tirol verbreitet. Bis Ende voriger Woche traten in sechs weiteren Bundesländern Infektionen damit auf. Ist B.1.351 aber wirklich so infektiös wie vermutet? Das ist nicht letztgültig beantwortet. (Schon gar nicht sind gravierendere Krankheitsverläufe erwiesen.) Einerseits trägt auch sie jene Mutation, die Körperzellen empfänglicher für das Virus macht. Andererseits ergeben Zellstudien ein differenziertes Bild – und liefern starke Indizien, dass sie vielleicht doch kein so starker Treiber der Pandemie ist: Im Fachjournal „Cell“ erschien soeben eine detaillierte Untersuchung an Zellkulturen. Dabei konnte keine erhöhte Infektiosität durch die Südafrika-Variante entdeckt werden. Dafür gab es Hinweise auf ein Phänomen namens „Immun-Escape“: Das Virus wäre dadurch teilweise vor Antikörpern des Immunsystems geschützt, was zwar eher zu einer Infektion führen würde als bei der bisherigen Virusvariante – aber nicht unbedingt einen Hebel für die pandemische Ausbreitung bedeuten muss.

Zumindest bisher deuten die Zahlen auch nicht zwingend darauf hin, dass durch B.1.351 die Infektionen enorm hochschnellen. In Südafrika kam es vor dem und über den Jahreswechsel zu einem Peak, inzwischen weist die Infektionskurve aber nach unten. Und Tirol liegt trotz vergleichsweise starker Verbreitung immer noch ganz gut bei der Sieben-Tages-Inzidenz. Das könnte – rein theoretisch – an einem großartigen lokalen Clustermanagement liegen, wofür die Beweislage allerdings eher nicht erdrückend ist. Zweite Möglichkeit, so der Wiener Virologe Norbert Nowotny: „Vielleicht ist die südafrikanische Variante doch nicht so ansteckend wie befürchtet.“ Die jüngsten Zellstudien würden zumindest starke Hinweise darauf liefern.

Mit welcher weiteren Entwicklung ist zu rechnen?

Zwei Szenarien erscheinen möglich, wobei eine entscheidende Rolle spielt, wie ansteckend die neuen Virusvarianten wirklich sind. Sicher ist, dass die britische Variante die bisherige Linie bereits verdrängt hat oder im Begriff ist, dies zu tun. Dennoch sind die Infektionszahlen in Europa, von regionalen Entwicklungen abgesehen, nicht dramatisch gestiegen. Insgesamt kam es zuletzt zu einer Stagnation oder sogar zu einem Sinken der Zahlen – aus welchen Gründen auch immer. Manche Experten glauben, das sei nur die durch Lockdowns bedingte Ruhe vor dem Sturm: Demnach würden sich die Effekte der neuen Virusvarianten erst im Lauf des März oder April zeigen – und vorläufig verlaufe der Trend nach oben gleichsam unter dem Radar. Tatsächlich biegt die Infektionskurve nun wieder leicht nach oben ab. Auch in Österreich sieht man etwa in Wien und Niederösterreich bereits einen merklichen Knick nach oben, was die Frage aufwirft, ob es sich schon um den Beginn eines neuen exponentiellen Wachstums handelt.

Szenario zwei klingt optimistischer: In Anbetracht dreier Faktoren erwartet Virologe Nowotny keine katastrophale Entwicklung: Zumindest die britische Variante ist jetzt schon stark verbreitet, seit gut zwei Wochen gelten Lockerungen der Maßnahmen, und überdies ist die Testdichte sehr hoch. „Insofern ist der momentane Anstieg der Zahlen noch als mäßig zu bezeichnen“, meint Nowotny. „Ich glaube schon, dass die Zahlen noch weiter steigen werden, aber vielleicht nur moderat.“

Allzu große Hoffnungen auf gänzliche Entspannung im Frühjahr und Sommer will er jedoch nicht wecken. Denn zum einen ist die Ausgangslage anders als im Vorjahr, weil das Virus heute längst flächendeckend verbreitet ist. „Einen so wunderbaren Rückgang der Infektionszahlen wie vorigen Sommer werden wir heuer wohl nicht sehen“, so Nowotny. Ohnehin dürfe man nicht annehmen, dass die warme Jahreszeit die Lösung des Problems sei: Zwar reduziert der vermehrte Aufenthalt im Freien die Übertragung durch Aerosole, also Schwebeteilchen in der Luft. Sie werden einfach verblasen, weshalb auch Lüften eine effiziente Strategie gegen diese Form der Virusausbreitung darstellt. Allerdings steht an Nummer eins der Übertragungswege immer noch die Tröpfcheninfektion, und da fällt kaum ins Gewicht, ob es gerade Winter oder Sommer ist. Mit infektiösen Tröpfchen kann man sich bei engem Kontakt jederzeit und überall anstecken. Soll heißen: Der vermehrte Aufenthalt im Freien wird das Infektionsgeschehen wohl verringern, aufgrund der inzwischen großflächigen Verbreitung des Virus aber nicht zum Erliegen bringen.

Wie gut sind die Impfstoffe?

Die knappe Antwort: Alle bisher verfügbaren sind sehr gut – ob die neuartigen mRNA-Vakzine oder die Vektorimpfstoffe AstraZeneca sowie Sputnik V. Es mag verwirrend klingen, dass ständig abweichende Wirksamkeitsdaten kursieren und neue Prozentsätze der Effektivität genannt werden. Sie beruhen im Wesentlichen darauf, dass immer wieder Teilauswertungen klinischer Studien publiziert werden und zudem inzwischen Daten aus den Impfprogrammen einfließen. Doch letztlich ist es einerlei, ob der Grad der Effektivität 82, 86 oder 94 Prozent beträgt – all das sind beeindruckend hohe Werte, und bei keiner bisherigen Impfung wäre man auf die Idee verfallen, solche Detailzahlen überhaupt zu diskutieren. Hier dennoch einige Befunde aus den bisherigen Erhebungen: Comirnaty, der Impfstoff von BioNTech/Pfizer, kommt auf eine Wirksamkeit von deutlich mehr als 90 Prozent nach zwei Dosen. Dabei sind auch schon jüngste Daten von rund 600.000 geimpften Personen aus Israel inkludiert. Ähnliche Resultate erbrachte kürzlich eine Publikation im Fachjournal „The Lancet“. Die Studie berücksichtigte schon die britische Virusvariante – die Wirksamkeit ist also auch diesbezüglich gut abgesichert. Sehr ähnlich fallen die Bewertungen des Impfstoffs von Moderna aus.

Außerdem mehren sich die Belege, dass auch die Übertragung des Virus zumindest erheblich reduziert wird. Erste Studien aus Israel würden ihn „begeistern“, sagte der deutsche Virologe Christian Drosten kürzlich in seinem Podcast beim NDR. Die Daten zeigen: Wenn sich frisch geimpfte Menschen mit dem Coronavirus infizierten, wiesen sie im Vergleich zu nicht geimpften Infizierten eine deutlich geringere Viruslast auf. Die Studien betrafen Menschen, die sich kurz nach dem Erhalt der ersten Dosis angesteckt hatten. Lag die Injektion mindestens zwölf Tage zurück, war die Chance groß, gar nicht ansteckend zu sein.

Israel impft mit dem mRNA-Impfstoff von BioNTech, in Großbritannien gibt es bisher eine Studie mit dem Vakzin von AstraZenenca. Auch hier war die Viruslast bei Geimpften deutlich geringer. Die besonders gute Nachricht: Die Forscher konnten keinen Unterschied zwischen der bisherigen und der britischen Variante B.1.1.7 finden. Was ist vom umstrittenen AstraZeneca-Impfstoff zu halten?

Er ist deutlich besser als sein Ruf. Die Öffentlichkeitsarbeit des Pharmakonzerns mag desaströs sein, die Vakzine ist es keineswegs – auch wenn selbst Ärzte lautstark verkünden, ihn keinesfalls anwenden zu wollen. Angesichts der Datenlage ist das ein erstaunlich irrationales Verhalten. Ebenfalls im „Lancet“ erschien vor zwei Wochen eine Bewertung, die die Effektivität mit mehr als 80 Prozent bezifferte – nach zwei Dosen im Abstand von zwölf Wochen. Die jüngsten Studien zeigen, dass dieses Intervall für die Wirksamkeit entscheidend ist. Zuvor war die Frage diskutiert worden, ob eine geringere Impfstoffmenge besser anschlägt als eine höhere. Mittlerweile ist geklärt, dass der Abstand zwischen den beiden Teilimpfungen den Unterschied macht, nicht aber die Dosierung.

Besonders gut schneidet AstraZeneca bei einem der wichtigsten Ziele jeglicher Impfprogramme ab: bei der Reduktion schwerer Verläufe und damit der Dauer der Krankenhausaufenthalte. Die Hospitalisierungszeit lässt sich laut Erhebungen in Schottland zufolge um 94 Prozent verkürzen. Bei Comirnaty sind es ebenfalls äußerst vielversprechende 85 Prozent. Von spezieller Bedeutung ist, dass selbst bei Personen zwischen 65 und 90 Jahren eine Verringerung der Spitalsaufenthalte von mehr als 80 Prozent festgestellt wurde.

Wirken die Impfungen gegen neue Virusvarianten?

Kommt auf den Impfstoff an. Comirnaty scheint auch da gut zu greifen. „Wir sehen, dass die britische Variante sehr gut neutralisiert wird. Wir sehen, dass wir auch die brasilianische Variante gut adressieren können“, berichtete BioNTech-Gründer Uğur Şahin vorige Woche bei einer Pressekonferenz des Science Media Center. Nur bei der Virusvariante aus Südafrika müsse man „leichte Abstriche“ machen. Nun sollen klinische Studien mit einem neuen Präparat anlaufen. Hersteller Moderna prüft derzeit ebenfalls einen Zusatzimpfstoff gegen die Südafrika-Variante. Auch die AstraZeneca-Vakzine dürfte gegen B.1.351 schlechter wirken.

Reduzierte Wirksamkeit bedeutet freilich längst nicht keine Wirksamkeit: Selbst wenn diese etwas geringer ist, erwirbt man eine Basisimmunität. Und schwere Verläufe lassen sich auch derzeit mit dem Präparat von AstraZeneca verhindern. Mittelfristig will Şahin neue Varianten mit Auffrischungsimpfungen bekämpfen: „Im Labor sehen wir bei Blutproben: Je höher der Titer neutralisierender Antikörper nach einer Impfung ist, desto geringer fällt der Wirkungsabfall gegenüber neuen Varianten aus.“ Ein Boost nach der Grundimmunisierung würde den Schutz also auf jeden Fall erhöhen. Der Moment für einen Wechsel bei den Impfstoffen sei erst dann gekommen, wenn man bei diesen Präparaten einen deutlichen Wirkungseinbruch beobachten würde, sagt Klaus Cichutek, Präsident des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts. Das sei derzeit aber nicht der Fall: „Die Devise ist jetzt, mit bestehenden Vakzinen weiter zu impfen.“

Wie rasch können Impfstoffe an neue Varianten angepasst werden?

Am schnellsten lassen sich mRNA-Impfstoffe wie jene von BioNTech oder Moderna anpassen. Das bedeutet sechs Wochen Entwicklungszeit und weitere sechs Wochen, um die neuen Vakzine in Millionen Dosen herzustellen. Vektor-Impfstoffe wie jener von AstraZeneca sind weniger leicht zu modifizieren und würden einige Wochen länger brauchen. Beschleunigt wird nun auch das Zulassungsverfahren der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Ähneln die abgewandelten Vakzine dem ursprünglichen Wirkstoff, sind weder Tierversuche noch groß angelegte klinische Studien nötig, sondern nur Tests an wenigen Menschen. Das heißt: Die Forscher müssen für die sogenannte Typ-2-Zulassung nicht monatelang auf zufällige natürliche Infektionen warten, sondern können in den Blutproben der Geimpften die Antikörper nachweisen. „Das ist in wenigen Wochen bis Monaten möglich“, so Cichutek.

Kann man Impfstoffe kombinieren?

Das wird in Großbritannien gerade getestet, auch in der EU sollen demnächst Studien dazu anlaufen. Grundsätzlich sehen Experten kein Problem, Auffrischungen mit unterschiedlichen Impfstoffen durchzuführen: „Wer seine Impfreise mit einer Vakzine beginnt, schließt damit andere Impfstoffarten in der Zukunft nicht aus“, erklärt die Hamburger Infektiologin Marylyn Addo. Das sogenannte „Mix and Match“ spielt auch beim WHO-Programm Covax, das einkommensschwache Staaten mit Vakzinen versorgt, eine große Rolle. 

Sollen Menschen geimpft werden, die eine Infektion hinter sich haben?

Es liegen solide Daten vor, dass man zumindest acht Monate geschützt ist, wenn man Covid-19 in mittelschwerer oder schwerer Form durchgemacht hat. Nach leichten oder subklinischen Verläufen kann der Schutz aber deutlich kürzer sein. Gerade in Zeiten von Impfstoffknappheit ist es dennoch nicht nachvollziehbar, wenn solche Personen innerhalb dieses Zeitfensters zusätzlich auch noch geimpft werden sollten. Eine Alternative schlägt eine amerikanische Studie vor, die Anfang Februar erschien: Demnach könnte nach einer Infektion eine Impfdosis sinnvoll sein. Der Gesamtschutz falle dann ähnlich aus wie bei Personen, die noch nicht infiziert waren und zwei Teilimpfungen erhalten.

Erreichen wir bald Herdenimmunität?

Für viele Experten ist das eine leidige Frage, auf die zwei Antworten angebracht sind. Erstens: nein. Und zweitens: Das spielt keine Rolle. Herdenimmunität hängt von der Reproduktionszahl R eines Virus ab. Je höher diese ist – je mehr Menschen also ein Infizierter ansteckt –, desto mehr Menschen müssen geimpft sein, damit die Ausbreitung versiegt, weil genügend Personen immun sind. Masern mit einem R-Wert von bis zu 18 erfordert daher die Immunisierung von mehr als 95 Prozent der Bevölkerung. Bei SARS-CoV-2 mit einer natürlichen Reproduktionszahl von 2 bis 3 würde Herdenimmunität vermutlich erreicht, wenn 50 bis 70 Prozent der Menschen immunisiert sind, sei es durch eine Impfung oder durch eine Infektion.

Davon sind wir allerdings meilenweit entfernt. Selbst wenn die jüngst erhobene Behauptung stimmte, dass bereits 30 Prozent der Österreicher eine Infektion durchgemacht haben, wäre noch wenig gewonnen. Freilich sind es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit deutlich weniger. Die meisten Experten halten die 30-Prozent-Schätzung, höflich ausgedrückt, für unplausibel.

Im Grunde ist Herdenimmunität aber auch kein Ziel, das sofort mit aller Macht erreicht werden muss. Was mittelfristig zählt, ist, einfach so viele Menschen wie möglich zu impfen, damit diese geschützt sind. Primäres Ziel aller Impfungen ist es, schwere Erkrankungen und Todesfälle zu verhindern. Bei anderen Vakzinen wird erst gar nicht gefragt, ob sie auch vor Übertragungen schützen oder eine Herdenimmunität bewirken können. „Die Influenzaimpfung schützt vor schweren Grippeerkrankungen. Mit dem Influenzavirus kann man sich aber trotz Impfung infizieren“, sagt Nowotny. Groß debattiert worden sei das nie. In einem Kommentar zum Thema meinte Mark Woolhouse, Infektiologe an der University of Edinburgh, kürzlich: Die allgemeine Effektivität der Influenzaimpfung übersteige oft kaum die 50 Prozent, doch bei der Verhinderung von Hospitalisierungen sei sie viel zuverlässiger – und vor allem das zähle. Fazit: Impfen, was das Zeug hält. Und mit der Zeit wird die Kombination aus Impfungen und natürlichen Infektionen einen immer größeren Anteil der Bevölkerung immunisieren.

Wann endet die Pandemie?


Prognosen sind bekanntlich immer mit Unsicherheiten behaftet, doch Virologe Nowotny könnte sich ungefähr folgendes Szenario vorstellen – wobei er hinzufügt, unverbesserlicher Optimist zu sein. Ein Ende der Pandemie wird als solches vielleicht gar nicht wahrnehmbar sein, stattdessen sinken parallel zur Durchimpfung Infektionszahlen wie auch das Bedrohungspotenzial allmählich ab. Im Gleichklang zu dieser Entwicklung können immer mehr Maßnahmen zurückgenommen werden. Es wäre eine Art Ausschleichen der pandemischen Phase, die nach und nach ohne viel Aufsehen in eine neue Situation übergeht: Dann ist das Coronavirus zu einem zusätzlichen, regelmäßig wiederkehrenden Atemwegsinfekt geworden, und ähnlich wie bei der Influenza wird man die Impfstoffe von Saison zu Saison an die jeweiligen Virusvarianten anpassen. Und wie auch bei anderen Infekten holt man sich immer wieder eine Auffrischungsimpfung. BioNTech-Chef Uğur Şahin vermutet, dass das kontinuierliche Anpassen von Impfstoffen zu „einer eigenen Wissenschaft wird“. Das deutsche Unternehmen testet seinen Impfstoff nun übrigens zudem an Kindern unter zwölf Jahren, Schwangeren und immunsupprimierten Patienten.

Es wäre nach Nowotnys Ansicht ein fast unmerkliches Ende der Pandemie – wie auch bei der Schweinegrippe 2009/2010. „Ich denke, im Lauf dieses Jahres wird es so weit sein. Zwei Drittel des Weges haben wir wohl hinter uns. Wir sind auf der Zielgeraden."

Dieser Artikel ist Teil unserer aktuellen Titelgeschichte. Lesen Sie weiter im E-Paper.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft