Das Leiden betrifft viele, nur wenige suchen Hilfe. 
Wissenschaft

Nie mehr inkontinent: Wie man Blasenschwäche erfolgreich bekämpft

Eine Million Menschen sind in Österreich von Blasenschwäche betroffen. Die gute Nachricht: Niemand muss seinen Alltag um Toilettengänge herum organisieren.

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Wenn die ersten Klänge von Van Halens Song „Jump“ ertönen, weiß Anna Brugger*, dass es Zeit ist, sich von der Tanzfläche in Richtung Bar zu drängeln. Wildes Hüpfen, Tanzen und Springen sei einfach nicht ihr Ding, dachte die 46-jährige Krankenpflegerin und Landwirtin lange, obwohl sie gern ausgelassen feiert. Auch Joggen war ihr immer schon unangenehm. In den vergangenen vier Jahren wurde aber auch der Alltag beschwerlicher. Brugger musste häufig dringend aufs Klo, nur um dann festzustellen, dass die Blase bei Weitem nicht voll gewesen war. Nach langen Arbeitstagen im Spital und auf dem Hof hatte sie ein unangenehmes Gefühl im Unterleib. „Als wäre da ein Fremdkörper oder als wäre ein Tampon im Begriff rauszurutschen“, erklärt sie. Lange ignorierte sie die Beschwerden. „Es war mir peinlich, und richtige Schmerzen hatte ich auch nicht. Es war ein stilles Leiden.“ Erst vor wenigen Monaten raffte sie sich auf, Hilfe zu suchen. Seither weiß sie: Schon bei der Geburt ihres ersten Kindes vor 25 Jahren war ein Teil des Levators, eines wichtigen Muskels des Beckenbodens, gerissen. Zwei weitere Kinder, viele schwere Einkaufssackerl und lange Tage als Pflegerin und Bäuerin später hatte sich die Gebärmutter weit in Richtung Scheide abgesenkt – und die Blase mit nach unten gezogen.

Anna Brugger ist kein Einzelfall. Jede dritte Frau hat während oder nach der Schwangerschaft Probleme mit der Kontinenz. Blasen- und Darmschwäche sind aber auch abseits der Geburt ein häufiges Problem: Rund eine Million Österreicherinnen und Österreicher leidet darunter, Harn oder Stuhl nicht mehr kontrollieren zu können, wie die Medizinische Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) schätzt, zu zwei Dritteln Frauen. In Behandlung begeben sich nur wenige. „Die Menschen schweigen aus Scham. Inkontinenz ist ein riesiges Tabuthema“, sagt Monika Siller. Die Salzburgerin ist Hebamme und auf den Beckenboden spezialisierte Physiotherapeutin.

Dabei ist Inkontinenz sehr gut behandelbar. Niemand muss 30 Mal pro Tag aufs WC rennen und den Alltag mit Müh und Not um die Toilettengänge herum organisieren. Und Blasenschwäche ist auch nicht der Preis, den eine Frau für ein Kind bezahlen muss. „Inkontinenz tötet dich nicht, aber sie nimmt dir das Leben.“ Keiner weiß mehr, von wem der Satz ursprünglich stammt, in der Urogynäkologie und Beckenboden-Ambulanz der Klinik Floridsdorf in Wien fällt er beim profil-Besuch aber immer wieder. Wer sich behandeln lässt, bekommt ein Stück Leben zurück. Wie so oft in der Medizin gilt: Je früher, desto besser. Inkontinenz wird schleichend schlimmer, auch weil die Muskeln des Beckenbodens im Alter nachlassen. Nur: Wie viele Klobesuche pro Tag sind normal? Wohin wendet man sich am besten? Und welche Therapien gibt es?

Selbsttests: Wie viele Klobesuche sind normal?

Wer wissen will, wie es um die eigene Blase bestellt ist, kann zu Hause zwei einfache Tests machen. Erstens den Joghurtbecher-Test: Man hält einen alten 500-Milliliter- Becher bereit und geht erst auf die Toilette, wenn man kräftigen Harndrang verspürt. Wird der Becher weniger als halb voll, ist das ein Hinweis auf eine überaktive Blase. Das heißt bei Frauen häufig, dass sie viel zu früh Harndrang haben. Bei Männern kann es dieselbe Ursache haben oder auf eine vergrößerte Prostata hinweisen, die den Harn nicht abfließen lässt. „Das kann so weit gehen, dass man sich kaum noch aus dem Haus traut, aus Angst, draußen nicht schnell genug eine Toilette zu finden“, erklärt Physiotherapeutin Siller.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.