Ötzi bei einer früheren Untersuchung.

Bauernfänger: Ötzis Gene liefern neue Erkenntnisse

Ötzi hält die Forschung weiterhin auf Trab: Genetische Analysen sollen nun die Herkunft des Gletschermannes klären – und zugleich neues Licht auf die Besiedelungsgeschichte Europas werfen.

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In einem profil-Artikel über Ötzis letzte Tage präsentierten wir jüngst neue Daten aus der experimentellen Archäologie (profil 37/2017). Einem Forscher zufolge war der Ötztalmann ein ausgezeichneter Weidmann und Kämpfer und vielleicht einer der letzten Angehörigen eines Jäger- und Sammler-Volkes, den der Überlebenskampf in eine tödliche Auseinandersetzung zwang. Die Theorie stützte der Wissenschafter unter anderem auf die Ausrüstung und Gegenstände, die der Mann aus dem Eis mit sich führte. Nun meldet sich jedoch Albert Zink zu Wort, der Leiter des Instituts für Mumienforschung der Eurac Research in Bozen. Zink widerspricht zum Teil der Darstellung seines Kollegen und präsentiert seinerseits eine These darüber, welches Leben Ötzi geführt haben könnte: Das Erbgut würde ihn als typischen Vertreter der frühen Ackerbauern und Viehzüchter ausweisen, sagt Zink.

Ein italienisch-englisches Forscherteam rekonstruierte zunächst Ötzis mütterliche Linie. Dies funktioniert über das Erbgut (DNA) der Mitochondrien, der Zellkraftwerke, die nur von den Frauen über die Eizellen an ihre Nachkommen weitergegeben werden. Das Genmaterial aus den Mitochondrien lässt sich oft besonders lange nachweisen, weil es in jeder Körperzelle mehr als 1000 davon gibt, aber nur einen Zellkern mit DNA. Die Forscher gewannen aus ein paar Hundertstel Gramm Mastdarm der Eismumie, die mit einer Sonde entnommen wurden, Mitochondrien-DNA und konnten ihre Abfolge (Sequenz) studieren. Sie verglichen diese mit den Sequenzen heute lebender Menschen, mehr als 100 Vergleichsproben von Ackerbauern und Viehzüchtern aus der Jungsteinzeit (Neolithikum) sowie ein paar Dutzend Jägern und Sammlern, die davor lebten (im Meso- und Paläolithikum).

Dabei zeigte sich, dass Ötzis mitochondrielle DNA zu einer genetischen Gruppe, einer sogenannten Haplogruppe, gehört, die heute ausgestorben ist, erklärt Zink. Außerdem sei sie charakteristisch für die frühen Ackerbauern und Viehzüchter, die vom Nahen Osten aus Europa eroberten. Weil im Erbmaterial auffallende Übereinstimmungen hervorstachen, konnte man also das Mitochondrienprofil Ötzis dieser Bevölkerungsgruppe zuordnen. Die Jäger und Sammler hingegen, die zuvor in Tirols Tälern lebten, hatten ganz andere Haplogruppen - und passen somit nicht zum Ötztalmann.

Ein wenig später konnten die Forscher des Instituts für Mumienforschung aus einem winzigen Knochenstück von Ötzis Hüfte das Erbgut der Zellkerne entschlüsseln, also die DNA-Sequenz der Chromosomen. Diese gab nicht nur Hinweise auf sein Aussehen und sogar Krankheitsrisiken, darunter war auch das männliche Y-Geschlechtschromosom, das stets von den Vätern an ihre Söhne vererbt wird. Damit konnten die Forscher nun auch Ötzis väterliche Linie rekonstruieren. Die Haplogruppe seiner männlichen Vorfahren war ebenfalls typisch für Bauern aus dem Nahen Osten, berichtet Zink. Das Erbgut des Eismannes weist ihn folglich als einen der damals modernen, aus unserer Sicht frühen Ackerbauern und Viehzüchter aus.

Vorfahren kamen aus dem Nahen Osten

"Ihre erste große Einwanderungswelle nach Europa hat vor ungefähr 10.000 Jahren begonnen", sagt er. Diese neolithische Revolution, also die Umwälzungen von Jäger- und Sammlergesellschaften zur Landwirtschaft, sei vermutlich aber erst vor 6000 bis 7000 Jahren im Alpenraum angekommen. Die Ergebnisse der Genomanalysen Ötzis beendet somit gleichzeitig auch Spekulationen, dass dies im Alpenraum erst viel später passiert sein könnte. Er lebte am Ende des Neolithikums und zu Beginn der Zeit der Metallverarbeitung. Seine Vorfahren kamen aus dem Nahen Osten über die heutige Türkei und teilweise wohl auch die griechischen Inseln nach Mitteleuropa. Dort verdrängten sie die ansässigen Jäger- und Sammlervölker. Dies wiederum wissen wir, weil deren charakteristische Erbguttypen weitgehend verschwanden. "Allerdings ist es möglich, dass es in einzelnen Bereichen auch zur Durchmischung der alten Bevölkerung mit den Einwanderern kam", sagt Zink.

Ötzis mütterliche Linie ist heute nicht mehr existent, seine väterliche Haplogruppe auf dem europäischen Festland sehr selten. "Wir fanden allerdings heraus, dass sie auf Korsika und Sardinien sehr verbreitet ist", so Zink. Die frühen Ackerbauern und Viehzüchter breiteten sich wohl überall in Europa aus und landeten auch auf den Mittelmeerinseln. Während das Festland von weiteren Einwanderungswellen erreicht wurde und sich die verschiedenen Haplogruppen vermischten, gab es auf den recht isolierten Inseln weniger Neuankünfte. "Deswegen sind die alten Linien dort stabiler geblieben", sagt der Wissenschafter.

Als entsprechend spektakulär wurde gewertet, dass Gerichtsmediziner in Tirol kürzlich unter 4000 Probanden auf 19 Personen stießen, deren Haplogruppe des Y-Chromosoms mit jener von Ötzi übereinstimmt. "Dies wurde ein wenig so verkauft, dass man heute lebende Verwandte von Ötzi gefunden habe", berichtet Zink. In Wahrheit könne man daraus nicht auf direkte Ahnen schließen. Die Ergebnisse würden bloß zeigen, dass Ötzi und diese Tiroler irgendwelche gemeinsamen Vorfahren hatten. Der Anteil der Personen mit Ötzis Haplogruppe sei außerdem nur gering und entspreche jenem, den man statistisch ohnehin erwarten würde.

So könnte Ötzi ausgesehen haben.

Bild von der Besiedelung Europas nachhaltig verändert

All die genetischen Arbeiten reichen jedenfalls deutlich über die historische Figur des Ötzi hinaus und haben das Bild der Wissenschaft von der Besiedelung Europas nachhaltig verändert. Früher stellte man sich gerne vor, dass es bloß eine einzige große Einwanderungsbewegung gab. "Inzwischen ist aber bekannt, dass dies alles viel komplexer war und dass es mehrere Einwanderungswellen und viel Vermischung der Bevölkerungsgruppen gab", so Zink.

Ötzis Beruf und Funktion in der Bauerngesellschaft kann man freilich nicht von seinem Erbgut ablesen - oder bestenfalls indirekt über die Zuordnung zu den Einwanderern aus dem Nahen Osten mithilfe des genetischen Stammbaums. Dafür liegen ein paar andere Hinweise vor, die eine ungefähre Job Description zulassen: Er hat sicher gejagt, denn in seinem Magen wurden Hirsch- und Steinbockfleischreste gefunden. Ein Widerspruch zu den genetischen Daten ist dies nicht, denn die frühen Bauerngesellschaften waren noch auf die Jagd angewiesen, um ihren Fleischkonsum zu decken und Felle für Kleidung und Ausrüstung zur Verfügung zu haben.

Die Untersuchungen zeigten weiters, dass Ötzi körperlich sehr aktiv war: Er litt an Arthrose am Becken, Knie und Fußgelenk sowie an Abnützungen im unteren Rücken, was typisch für jemanden ist, der lange Zeit viel zu Fuß unterwegs war und möglicherweise häufig viel Gewicht trug. "Das würde für einen Beruf wie Händler sprechen, der dauernd von einem Ort zum anderen läuft", sagt Zink. Sonst gebe es allerdings keinen Beleg für diese Tätigkeit, man hat zum Beispiel keine Waren bei ihm gefunden. "Wir wissen aber, dass in dieser Zeit schon Handel stattgefunden haben muss. Das Kupfer von seiner Klinge stammte aus der Toskana, und seine Feuersteine sind wahrscheinlich über die Alpen hinweg ausgetauscht worden", erklärt er. Eine handwerkliche Tätigkeit könne man bei Ötzi hingegen weitgehend ausschließen, denn seine Hände und Oberarme zeigen kaum Abnützungsspuren.

Zink ist überzeugt, dass Ötzi kein Alleskönner war, sondern es zu dieser Zeit schon Spezialisierung gab: "Sein Mantel ist sehr fein verarbeitet und ganz toll aus Fellstreifen zusammengenäht." Als man das Alter des Fundes noch nicht kannte, glaubten einige auf den ersten Blick sogar, Maschinennähte vor sich zu haben. Auch die Herstellung seines Kupferbeils war wohl nicht trivial: Das Erz fachgemäß zu schmelzen, die Klinge zu gießen und nachzuarbeiten habe wohl eine gewisse Expertise und Spezialisierung gebraucht.