BIOLOGE KLEMENS PÜTZ: Seit drei Jahrzehnten erforscht er die Besonderheiten vieler Pinguinarten.

Pinguin-Forscher Pütz: "Sie sind süß, unterhaltsam und riechen streng"

Der Pinguinforscher Klemens Pütz erklärt, warum seine Schützlinge nie frieren, wie sie sich den Haushalt teilen, wann sie romantisch schnäbeln oder aber der Prostitution nachgehen – und wie sehr ihnen der Klimawandel zusetzt.

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INTERVIEW: TILL HEIN

profil: Ihr aktuelles Sachbuch heißt „Unverfrorene Freunde“. Sind Pinguine Frechdachse? Pütz: Wo diese Tiere leben, haben sie an Land keine Feinde. Daher fürchten sie sich auch vor Menschen nicht. Sie sind vor allem neugierig. Wenn ich mich auf den Boden lege, um Fotos zu machen, klettern mir jugendliche Königspinguine manchmal auf den Rücken. Wann immer möglich, wollen sie höher stehen als ihr Gegenüber. Der Titel spielt aber auch auf den exzellenten Schutz der Pinguine gegen Kälte an. Kaiserpinguine brüten mitten im antarktischen Winter, bei bis zu minus 40 Grad.

profil: Wieso frieren sie nicht mit den Füßen am Eis fest? Pütz: Das liegt am Gegenstromprinzip: Eine zentrale Arterie bringt bei Kaiserpinguinen das in etwa 37 Grad warme Blut aus dem Herzen in die Füße. Rund um diese Arterie verlaufen Venen, die das Blut zurückleiten. Die Wärme wird, bereits während das Blut in die Füße fließt, weitgehend an diese Venen abgegeben. Fast die gesamte Wärme wird zurückgewonnen. Ingenieure wenden ein ähnliches Prinzip bei der Konstruktion energiesparender Passivhäuser an.

profil: Sind Pinguine die einzigen Vögel mit einem Fell? Pütz: Es ist kein Fell, sondern ein Gefieder. Aber Pinguinfedern sind auf besondere Weise gebaut. Andere Vögel besitzen zur Wärmedämmung flauschige Daunen und robustere Konturfedern, um fliegen zu können. Pinguinfedern dagegen haben eine Doppelstruktur: auf der Außenseite den Kontur-, auf der Innenseite den Daunenanteil. Darüber hinaus befinden sich unzählige winzige Häkchen an den Federn. Das Gefieder verhakt sich also gleichsam in sich selbst, und es wird dadurch dicht wie ein Neoprenanzug.

profil: Frösteln Pinguine nie? Pütz: Nein, nie. Wenn sie sich körperlich verausgaben, kann ihnen aber zu heiß werden. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in einem Neoprenanzug bei 35 Grad im Schatten Langstreckenlauf trainieren. So ähnlich geht es Pinguinen beim Tauchen. Nur an wenigen Körperstellen, zum Beispiel unter den Flügeln oder an den Füßen, können sie bei Bedarf etwas Wärme abgeben.

Königspinguinehaben eine royale Ausstrahlung. Sie ruhen in sich.

profil: Stimmt es, dass Sie sogar zu Ihrer Hochzeit Pinguine eingeladen hatten? Pütz: Umgekehrt. Meine Frau und ich haben im Jänner 2001 auf den Falklandinseln geheiratet, umgeben von Hunderten Felsenpinguinen. Wir hatten uns also bei Pinguinen eingeladen. Der Himmel war strahlend blau. Und Gott sei Dank war die Windrichtung während der Trauung günstig. Denn so süß und unterhaltsam Pinguine sind: Sie riechen streng.

profil: 18 Pinguinarten gibt es. Wie viele haben Sie selbst erforscht? Pütz: Lassen Sie mich nachzählen: Kaiser-, Königs- und Eselspinguin, Felsen-, Goldschopf-, Dickschnabel-, Humboldt-, Magellan- und Adeliepinguin. Also insgesamt neun. Meine Lieblinge sind die Königspinguine mit ihren gelben Wangenflecken. Und die Felsenpinguine, diese kleine Punker mit grellbuntem Kopfschmuck: tough, wuselig und voller Energie. Königspinguine dagegen haben eine royale Ausstrahlung. Sie ruhen in sich. Nur die größten Pinguine, die Kaiserpinguine, wirken noch etwas gelassener.

profil: Dennoch soll es schwer sein, einen Kaiserpinguin einzufangen. Pütz: Aber hallo! Diese Tiere wiegen 30 Kilogramm und sind enorm kräftig. Ihre Flügel, die sogenannten Flipper, sind gefährliche Waffen. Bei meinem ersten Versuch bekam ich einen Schlag zwischen die Beine, ging in die Knie, und der Pinguin entkam. Die richtige Technik musste ich erst lernen: Man schleicht sich von hinten an und packt den Pinguin im Nacken. Dann dreht man einen Flipper leicht nach hinten und fixiert ihn, ähnlich wie beim Polizeigriff. Schließlich greift man mit der anderen Hand den zweiten Flügel.

profil: Und der Schnabel? Pütz: Wenn Kaiserpinguine mit ihrem langen, kerzengeraden Schnabel piksen, tut das nicht besonders weh, zumal man in der Antarktis in der Regel dicke Kleidung trägt. Kleinere Pinguinarten wie die Schopf-, Felsen oder Brillenpinguine haben einen hakenförmigen Schnabel. Da muss man sich in Acht nehmen. Die Narbe hier an meiner rechten Hand stammt von einem Felsenpinguin.

profil:Pinguine haben ein modernes Familienleben“, schreiben Sie. Heißt das: Mutter und Vater arbeiten und haben nie Zeit? Pütz: Da ist vielleicht etwas dran. Ich wollte allerdings deutlich machen, dass sich Weibchen und Männchen die Familienarbeit gerecht aufteilen: Bei den Königspinguinen wechseln sie sich bei der Babybetreuung alle ein bis zwei Wochen ab. Entweder das Männchen oder das Weibchen wärmt jeweils das Küken in der Brutfalte, während die Partnerin oder der Partner im Meer auf Nahrungssuche geht.

profil: Wie alt werden Pinguine? Pütz: In Zoos können manche 50 Jahre alt werden. Aber dort wachsen die Tiere ja wie in einem Sanatorium auf. Kaum hustet ein Pinguin, kommt der Tierarzt angelaufen. Aus der freien Natur haben wir kaum Daten zur Lebenserwartung. Die meisten Pinguine sterben irgendwo im Meer, und man weiß nicht, ob sie gefressen wurden oder an Altersschwäche starben. Einzelbeobachtungen aus der Natur zeigen aber, dass manche Pinguine auch dort über 20 Jahre alt werden.

Die engsten lebenden Verwandten der Pinguine sind Albatrosse.

profil: Können Pinguine so gut tauchen wir Robben? Pütz: Besser. Rekordhalter ist der Kaiserpinguin, der gut 550 Meter tief taucht. Die Tauchtiefe hängt mit der Körpermasse zusammen: Je größer und schwerer eine Pinguinart ist, desto tiefer können die Tiere ins Meer abtauchen. Vergleicht man nun mit Robben und setzt die Tauchkapazität ebenfalls in Relation zum Körpergewicht, so schneiden Pinguine sehr viel besser ab. Bereits ein gerade mal fünf Kilogramm schwerer Pinguin erreicht 200 Meter Tauchtiefe und kann mit einer stattlichen Robbe mithalten, die 150 Kilogramm wiegt.

profil: In Kinderbüchern rodeln Pinguine auf dem Po begeistert Eisberge hinab. Reine Erfindung? Pütz: Nein. Auf dem Po kommt das allerdings nur unfreiwillig vor. Manchmal rutschen die Tiere halt aus. In Bauchlage aber gleiten sie ganz gezielt übers Eis. Müssen Kaiserpinguine auf dem Eis weite Distanzen überwinden, legen sie sich manchmal auf den Bauch, um sich mit den Füßen vorwärts zu schieben. Und in Bauchlage rodeln Pinguine auch tatsächlich freiwillig Eisberge hinab.

profil: Seit wann gibt es Pinguine? Pütz: Bereits vor 60 bis 70 Millionen Jahren lebten in Neuseeland sogenannte Waimanus: eine Art Urpinguine. Zu jener Zeit rannten auf der Erde noch Dinosaurier umher. Die engsten lebenden Verwandten der Pinguine sind übrigens Albatrosse: ausgerechnet diese riesigen Vögel mit einer Flügelspannweite von gut drei Metern, die im Lauf ihres Lebens fliegend bis zu sechs Millionen Kilometer zurücklegen.

profil: Erwachsene Pinguine einer Art kann man sehr schwer unterscheiden, oder? Pütz: Ja und nein. Brillenpinguine etwa haben eine schwarzweiß gesprenkelte Brust, und dieses Muster ist so individuell wie der menschliche Fingerabdruck. Bei einigen Arten treten gelegentlich auch Farbmutationen auf. Es gibt zum Beispiel ganz schwarze Königspinguine. Und auf der Anvers-Insel an der Antarktischen Halbinsel lebte in einer regelmäßig überwachten Kolonie ein Adeliepinguin, dessen ganzer Körper goldblond leuchtete. Wir tauften ihn Blondie.

profil: Können Sie Männchen und Weibchen immer auseinanderhalten? Pütz: Die Männchen haben etwas längere und dickere Schnäbel. Sieht man aber ein junges Männchen und ein ausgewachsenes Weibchen nebeneinander, kann man die Geschlechter leicht verwechseln. Bei Königspinguinen hilft ein zusätzliches Merkmal: Die Weibchen singen: „Dödö dödö! Dödö dödö!“, die Männchen dagegen: „Dödö dödö dö! Dödö dödö dö!“ Also immer ein Silbe mehr.

Insbesondere bei Königspinguinen gibt es tatsächlich zärtliche, romantische Lebensphasen.

profil: Biologen nennen das singen? Pütz: Pinguine sind Vögel, und Vögel singen nun mal. Aber auch wir Fachleute sprechen bei diesen besonderen Tieren manchmal eher von „rufen“ oder „trompeten“. Die Eselspinguine heißen übrigens nicht wegen ihrer Physiognomie so, sondern weil ihr Gesang an die Schreie von Eseln erinnert.

profil: Stimmt es, dass Pinguinmännchen die Stimme ihrer Partnerin aus Tausenden heraushören können? Pütz: Ja. Und Weibchen die Stimme ihres Partners. Bei den meisten Pinguinarten kommen zur Paarungszeit erst einmal die Männchen an Land. Einige Tage später treffen die Weibchen ein, und Tausende Männchen beginnen, wild durcheinanderzusingen. Bald stimmen die Weibchen ein. Allein über den Klang der Stimme finden die Pärchen aus dem vergangenen Jahr oft wieder zusammen.

profil: Schnäbeln Pinguinpärchen wirklich verliebt, oder sieht das auf Tierpostern nur so aus? Pütz: Insbesondere bei Königspinguinen gibt es tatsächlich zärtliche, romantische Lebensphasen. Irgendwann schubst das Männchen seine Partnerin dann allerdings um, damit es sich zur Paarung auf den Bauch legt. Das sieht etwas grob aus. Aber für das Weibchen ist das wahrscheinlich einfach das Signal, dass es jetzt endlich zur Sache geht.

profil: Dass Pinguine nie fremdgehen, ist aber ein Mythos, oder? Pütz: Bei Adeliepinguinen sind bis zu zehn Prozent der Küken Kuckuckskinder. Sie wurden also nicht von dem Männchen gezeugt, das für ihre Ernährung sorgt. Bei Humboldt-Pinguinen beträgt dieser Anteil sogar bis zu 30 Prozent. Aber bei allen Pinguinarten gibt es auch einzelne treue Individuen.

profil: Manchmal soll es sogar zu Prostitution kommen. Bezahlen die Freier dann tatsächlich mit Steinen? Pütz: Richtig. Bei den Adeliepinguinen etwa bauen die Männchen vor der Familiengründung ein Nest aus Steinen. Sichtet ein Junggeselle mit einem frisch gefundenen Kieselstein im Schnabel auf dem Weg durch die Kolonie vor einem anderen halbfertigen Nest ein attraktives Weibchen, kann sich ein solcher Deal ergeben. Kehrt der Gatte jenes Weibchens dann allerdings früher als erwartet zurück, gibt es Ärger.

profil: Vor gut 20 Jahren haben Sie mit Partnern aus der Schweiz die Stiftung „Antarctic Research Trust“ gegründet … Pütz: Das war ein großer Glücksfall. Meine Stelle als Postdoc an der Universität Kiel lief aus, und zum Geldverdienen hielt ich auf einem Kreuzfahrtschiff Vorträge über Pinguine. Auf dem Schiff freundete ich mich mit drei Schweizern an. Am Ende der Kreuzfahrt saßen wir in der Bar, und nach einigen Drinks beschlossen wir, eine Stiftung für Pinguinforschung und Naturschutz zu gründen. Bald darauf begannen wir mit der Suche nach ersten Pinguin-Paten.

profil: Pinguin-Taufpaten? Pütz: Ja. 1500 Euro kostet eine solche Patenschaft. Man bekommt ein schönes Porträtfoto von seinem Pinguin und darf ihm einen Namen geben. Die Pinguine statten wir mit Satellitensendern aus, denn wir wollen ihre Wanderbewegungen bei der Futtersuche erforschen. Insgesamt hatten wir bereits über 200 Pinguin-Paten. Die Gönner können auf unserer Website eine digitale Land- und Seekarte aktivieren und gucken, wo ihr Pinguin gerade unterwegs ist.

Der Grad der Bedrohung hängt nicht ausschließlich von der Anzahl der Individuen ab. Wichtig ist etwa auch, wie sich die Bestände im Verlauf der letzten 30 Jahre entwickelt haben.

profil: Stimmt es, dass zehn der 18 Pinguinarten vom Aussterben bedroht sind? Pütz: Gemäß der Naturschutzorganisation International Union for the Conservation of Nature sind es inzwischen sogar elf. Die Gelbaugenpinguine, von denen es weltweit nur noch etwa 1700 Brutpaare gibt, gehören dazu. Aber auch die Goldschopfpinguine mit immerhin noch 6,3 Millionen Brutpaaren.

profil: Wie absurd. Pütz: Warum? Der Grad der Bedrohung hängt ja nicht ausschließlich von der Anzahl der Individuen ab. Wichtig ist etwa auch, wie sich die Bestände im Verlauf der letzten 30 Jahre entwickelt haben. Und die geografische Verbreitung der Art. Lebt eine Art zum Beispiel auf einer einzigen Vulkaninsel, kann die Population aus Millionen Tieren bestehen und ist dennoch ständig bedroht. Denn bricht der Vulkan aus, kann die ganze Art ausgelöscht werden. Gibt es von einer Art dagegen nur einige Tausend Tiere, die Individuen sind aber über den halben Erdball verteilt, so ist die Bedrohungssituation weniger dramatisch.

profil: Ihre Stiftung hat erreicht, dass nördlich von Argentinien die Routen von Frachtschiffen verändert werden müssen. Pütz: Nicht wir allein. Viele weitere Umwelt- und Naturschutzorganisationen waren beteiligt. Aber die wissenschaftlichen Daten, die wir erhoben haben, waren in der Tat die Grundlage. Jetzt wird ein Schutzkorridor eingerichtet, um das Risiko durch Tankerunglücke und andere Havarien für die dort lebenden Pinguinkolonien zu minimieren.

profil: Leiden Pinguine unter dem Klimawandel? Pütz: Ja. Denken Sie etwa an die Goldschopfpinguine, die sich fast ausschließlich von Krill ernähren. Diese winzigen Krebstierchen wachsen nur in großen Mengen heran, wenn im Winter eine dichte Eisdecke besteht, und die wird durch die globale Erwärmung gefährdet. Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich durch den Klimawandel Meeresströmungen verändern. An den gewohnten Stellen findet sich dann oft zu wenig Futter. Besonders zu kämpfen haben die Afrikanischen Brillenpinguine, weil sich die Fischbestände am Kap verlagert haben: Früher hielten sich die großen Schwärme hauptsächlich vor der Westküste Südafrikas auf, inzwischen meist vor der Südostküste. Mit genügend Zeit könnten die Pinguine darauf reagieren. Aber die hohe Geschwindigkeit, in der wir Menschen das Weltklima verändern, überfordert sie. Forscherkollegen haben Brillenpinguin-Küken mit Satellitensendern ausgerüstet und festgestellt: Sie schwimmen alle noch immer gezielt dorthin, wo die Fischschwärme früher waren.

profil: Was ist die größte Gefahr für Pinguine? Pütz: So allgemein lässt sich das nicht sagen. Manche Arten fressen nur Krill, andere Leuchtsardinen, wieder andere den typischen Antarktis-Cocktail: eine Mischung aus Krill, Tintenfisch und Fisch. Und die Tiere leben ja in sehr unterschiedlichen Verhältnissen: Kaiserpinguine etwa auf dem Eis der Antarktis, Galapagos-Pinguine am Äquator, umgeben von Kakteen. Einige Arten leiden besonders unter dem Klimawandel. Für andere ist die Überfischung oder die Verschmutzung der Meere besonders verheerend. Gelbaugenpinguine fressen zum Beispiel gerne Quallen. Aus diesem Grund liegt es natürlich nahe, dass sie auch im Meer treibenden Plastikmüll verschlucken.

Zur Person

Dr. Klemens Pütz, 58, studierte in Berlin und Kiel Biologie. Nach dem Diplom 1989 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Meereskunde an der Universität Kiel und nahm an zahlreichen Expeditionen in die Antarktis und auf subantarktische Inseln teil. 1993 promovierte er zur Ernährungsökologie von Kaiser- und Königspinguinen. 1997 war er Gründungsmitglied der Stiftung Antarctic Research Trust, für die er seither als Feldforscher und wissenschaftlicher Leiter tätig ist.