FLUSS IN MANILA: Asiatische Wasseradern transportieren Unmengen an Kunststoff ins Meer.

Plastik: Wie bekommt man das globale Müllproblem in den Griff?

Jedes Jahr fallen weltweit 300 Millionen Tonnen Kunststoff an. Die geplanten EU-Verbote können das Problem bei Weitem nicht lösen. Forscher suchen nun nach neuen, innovativen Lösungen - mit Erfolg.

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Bei seiner Atlantiküberquerung wurde Benoît Lecomte fünf Tage lang von einem weißen Hai verfolgt. Zehn Meter unter ihm zog der wendige Raubfisch seine Bahnen. "Nie wieder", sagte der französische Extremschwimmer damals. Nun wagt er es doch noch einmal, diesmal will er den Pazifik bezwingen. Eines fürchtet Lecomte, der von einem Schiff begleitet wird, noch mehr als Raubfische und Riesenwellen: den sogenannten Plastikkontinent, durch den er sich quälen muss. Der "Great Pacific Garbage Patch" ist einer von fünf gigantischen Müllwirbeln, die sich durch Meeresströmungen in den Ozeanen sammeln. Zwischen Japan und den USA mäandert dieser Strudel aus Plastik, der drei Mal so groß sein soll wie Frankreich. Lecomte will die Welt auf die gewaltige Verschmutzung hinweisen. Dienstag der Vorwoche begann das sechsmonatige Abenteuer.

Frans Timmermans hat ein ähnliches Anliegen. Der Vizepräsident der EU-Kommission will unnützen Kunststoff aus den Supermarktregalen Europas verbannen, wie er Ende Mai verkündete. Zum Wohl der Ozeane sollen Strohhalme, Plastikbesteck und Wattestäbchen verboten, Einwegflaschen recycelt und ausgediente Fischernetze fachgerecht entsorgt werden. 300 Millionen Tonnen Plastik werden jährlich weltweit produziert, acht davon landen im Meer. Der Großteil stammt aus nur fünf Ländern: China, Vietnam, Philippinen, Indonesien und Thailand. Was kann ein Strohhalmverbot in Europa gegen die Plastikflut in Asien schon ausrichten? Welche Alternativen zu Kunststoff aus Erdöl gibt es? Und können Plastik fressende Bakterien tatsächlich bald bei der Entsorgung helfen?

Mengenmäßig wird das von der EU angestrebte Strohhalmverbot wenig ins Gewicht fallen. Es war trotzdem längst überfällig. Es schafft Bewusstsein bei den Konsumenten und wird erstmals die Produzenten zur Kasse bitten. Sie sollen künftig für Teile der Entsorgung und die Säuberung von Stränden, Wäldern und Flüssen bezahlen. Die EU reagierte mit ihrem Vorstoß auch auf ein neues Umweltbewusstsein in China. Der Kunststoffsünder Nummer eins hatte Anfang des Jahres genug vom Müll anderer Länder und verhängte einen Importstopp für Altplastik. Die EU, allen voran Deutschland und Großbritannien, aber auch Österreich, verschifften bisher große Teile ihres Kunststoffabfalls nach China. Dort wurde daraus zwar neuer Kunststoff gewonnen, die nicht verwertbaren Reste landeten allerdings in Flüssen, auf Äckern und im Meer.

Damit ist nun Schluss. Mehr als die Hälfte des weltweiten Kunststoffabfalls müssen nun andere Abnehmer finden - oder die Staaten sorgen dafür, endlich weniger Plastik zu konsumieren und ihre meist schlechten Recyclingsysteme zu verbessern.

Bioplastik mit Vor- und Nachteilen

Kann Bioplastik das Problem lösen? Zum Teil ja. Sackerln aus Maisstärke, Zuckerrohr, Pflanzenöl oder Disteln sind gut abbaubar - allerdings nur, wenn sie wirklich in der Biotonne landen. Sie einfach im Komposthaufen im Garten zu entsorgen, reicht nicht. Biokunststoffe brauchen bis zu zwölf Wochen bei hoher Temperatur in einer industriellen Kompostieranlage, um komplett zu verschwinden. Bei Getränkeflaschen kann Bioplastik dem herkömmlichen Kunststoff aus Erdöl noch keine Konkurrenz machen. Es kann die Kohlensäure nicht auf längere Zeit halten. Der entscheidende Nachteil aber ist: Wie herkömmliches Plastik löst sich das biologische Pendant im Wasser nicht auf.

Frederik Wurm vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz will das ändern. Sein Rezept: Phosphate und Phosphonate, chemische Stoffe, die aus Gestein gewonnen werden. Davon baut er winzige Mengen in Polyethylen (PE) ein, einen der weitest verbreiteten Kunststoffe überhaupt, aus dem Folien, Plastiksackerln und Shampooflaschen gefertigt werden. Dessen Molekülketten sind normalerweise so lang, dass Mikroorganismen sie nicht verdauen können. "Wir haben in die PE-Moleküle einige Spaltstellen aus Phosphat eingebaut", sagt Wurm. Diese wecken den Appetit von Wassermikroben, weil sie Punkte zum Anbeißen bieten. Zurück bleiben sehr kurze PE-Molekülketten, die gut abbaubar sind. Reines PE ist zwar billiger, dennoch darf man zuversichtlich sein. Erfindungen wie Wurms Phosphat-Knickstellen können dazu beitragen, die Plastikplage einzudämmen.

Was ist mit Plastik fressenden Bakterien und Pilzen? Seit Jahren sind Forscher Mikroorganismen auf der Spur, die in der Lage sind, die langen Molekülketten von Polyethylenterephtalat (PET) zu zerbrechen und abzubauen. Erst kürzlich entdeckte ein japanisch-britisches Wissenschafterteam das Bakterium Ideonella sakaiensis, dessen Enzyme das schaffen. Experten warnen allerdings davor, jetzt schon in Jubel zu verfallen. "Es wäre eine große Ingenieurleistung, diese Enzyme in großem Stil herzustellen und zum Beispiel in Kläranlagen oder Waschmaschinen zu verwenden. So weit sind wir leider noch lange nicht", sagt Frederik Wurm.

Gutes Recycling technisch aufwendig

Recycling muss künftig eine viel zentralere Rolle spielen. Nur 14 Prozent des Plastiks weltweit werden derzeit wiederaufbereitet, in der EU sind es immerhin 31, in Österreich etwa 33 Prozent. Der Grund: Neues Kunststoffgranulat ist immer noch billiger und hochwertiger als altes. Gutes Recycling ist ein technisch aufwendiger Prozess. Viel zu viel Plastik landet deshalb im sogenannten Downcycling. Lebensmittelverpackungen - Kunststoff von höchster Qualität - enden häufig als Blumentöpfe, PET-Flaschen als Fleecepullis. Auch wenn manche Hersteller damit werben, aus alten Flaschen Gewand herzustellen - technisch gesehen bedeutet es einen Abstieg.

Plastikmüll ist zudem nicht gleich Plastikmüll. Während sich vorsortierte PET-Produkte relativ gut wiederverwerten lassen, wandern andere Kunststoffarten aus dem gelben Sack oft als Heizmaterial in die Zementindustrie, wo sie Kohle oder Erdöl ersetzen. "Leider gibt es zudem den Trend zu Verpackungen, die aus unterschiedlichen Materialschichten bestehen. Sie sind gar nicht recycelbar. Hier ist die Politik gefragt", sagt Marion Huber-Humer, Leiterin des Instituts für Abfallwirtschaft von der Universität für Bodenkultur Wien. Verpackungsdesigner müssten ihre Arbeit eigentlich von hinten beginnen, indem sie sich die Frage stellen: Wie kann mein Produkt später recycelt werden?

Dabei helfen sollen Kunststoffe, die sich nach Gebrauch einschmelzen und in Erdöl zurückverwandeln lassen. Chemiker arbeiten bereits daran. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) hatten indes eine außergewöhnliche Recycling-Idee: Sie mischten zermahlene und speziell behandelte PET-Flaschen in Beton - den meistverwendeten Baustoff unserer Zeit. Die 1,5 Prozent Plastik machten den Zement sogar um 20 Prozent stabiler.

Verbrennen nicht schlechteste Lösung

Verbrennen gehört auch zu den wichtigen Lösungen des Plastikproblems, und es ist nicht unbedingt die schlechteste. China zum Beispiel investiert massiv in Verbrennungsanlagen. Mittlerweile gibt es Öfen, die sehr wenig CO2 ausstoßen und zudem Strom oder Wärme gewinnen. Allerdings ist wiederverwertbares Plastik, das in Österreich in großen Mengen in Verbrennungsanlagen verheizt wird, dafür zu schade. "Hauptsächlich sollte schadstoffbelasteter Kunststoff verbrannt werden", sagt Huber-Humer von der Boku. Dadurch verschwinden Schwermetalle und andere Schadstoffe aus dem Recycling-Kreislauf, die Asche kommt auf spezielle Deponien.

Und was machen wir mit den Plastikinseln im Meer? Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als so viel wie möglich wieder herauszufischen. Eine Sisyphusarbeit: Alle Müllbergungsprojekte zusammen haben Schätzungen zufolge gerade einmal 0,5 Prozent des in den Ozeanen treibenden Plastiks entfernt.

Ob der junge Däne Boyan Slat mehr schaffen kann, muss er noch beweisen. Immerhin hat er einen großen Plan: Mit 60 gigantischen Fangarmen will der 23-Jährige den Müll im Pazifik einsammeln und von Schiffen abtransportieren lassen. Seine Vision "Ocean Cleanup" wurde auf YouTube vor fünf Jahren zum viralen Hit, durch Crowdfunding lukrierte Slat daraufhin 35 Millionen Dollar. Im Mai startete er erste Tests vor der Bucht von San Francisco, ab Ende des Jahres sollen die Plastikfänger im Pazifik voll im Einsatz sein. "Wir können in fünf Jahren die Hälfte des Mülls aufräumen", ist Slat überzeugt. Auch wenn Experten das für sehr übertrieben halten - es ist ein Anfang.

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Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.