Pränatale Diagnostik: Austragen oder abtreiben?
Zur Erinnerung: In meiner Covergeschichte für profil vom 26. Jänner („Vom Ende der guten Hoffnung“) ging es um Babys, bei denen in der Schwangerschaft Fehlbildungen entdeckt wurden. Die Frage, die Eltern in dieser Situation beantworten müssen, lautet: austragen oder abbrechen? Fünf Frauen erzählten in profil, welchen Weg sie gegangen sind. Meine Absicht war, die gelebte Realität zu beschreiben, ohne zu werten. Dennoch fanden manche, dass „durch derartige Artikel die Ausgrenzung von nicht perfekten, privilegierten, idealen Menschen verstärkt“ werde. Es wurde angeklagt, dass Paare, die sich gegen das Leben mit einem kranken oder behinderten Kind entschieden hatten und damit in „die Rolle Gottes“ geschlüpft waren, nicht ausreichend an den Pranger gestellt wurden. Mitleid und Verständnis für Eltern, die sich „dazu entschieden haben, ihr Kind umzubringen“, sei unangebracht.
Umgekehrt wurde freilich auch das Gegenteil kritisiert, nämlich, dass ich das Leben mit beeinträchtigten Kindern zu positiv dargestellt und die Entscheidung jener Eltern, die den Weg des Schwangerschaftsabbruchs gegangen sind, zu wenig gewürdigt und respektiert hätte. Diese kontroversen Stimmen machen eines deutlich: Es handelt sich hier nicht nur um ein hoch emotionales, sondern auch um ein höchst individuelles Thema, bei dem es beinahe unmöglich ist, auf einen befriedigenden gemeinsamen Nenner zu kommen.
Austragen oder abtreiben?
Ebendiesen sucht man derzeit in der politischen Debatte, wo das profil-Cover ebenfalls Wellen geschlagen hat. Um der Diskriminierung von Kindern mit Beeinträchtigungen entgegenzuwirken, wird gerade über eine Fristverkürzung bei der Spätabtreibung diskutiert. Behindertenanwalt Erwin Buchinger hält die bisherige Regelung (legaler Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenlösung in den ersten drei Monaten; Möglichkeit eines Spätabbruchs unter Umständen bis unmittelbar vor dem Geburtstermin, wenn eine Gefahr für das Leben der Frau besteht oder eine schwere geistige oder körperliche Beeinträchtigung des Kindes zu erwarten ist) für eine „schreiende Ungerechtigkeit und Diskriminierung“; ÖVP und Team Stronach fordern die komplette Streichung der „eugenischen Indikation“, also der bisher legalen Spätabtreibung von Kindern, bei denen schwere Beeinträchtigungen zu erwarten sind.
Würde man diesen Vorschlägen folgen, gäbe es für betroffene Eltern in vielen Fällen gar keine Entscheidungsmöglichkeit mehr, da Fehlbildungen beim Ungeborenen meist erst nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Abtreibungsfrist diagnostiziert werden können.
Nicht wenige Eltern sehen sich außerstande, ein Leben mit einem kranken oder behinderten Kind zu bewerkstelligen. Sollte man diesen Eltern einen Schwangerschaftsabbruch gesetzlich verbieten, würde das allenfalls dem Abtreibungstourismus in die Niederlande Vorschub leisten. Schon jetzt fahren 100 bis 200 Frauen jährlich ins Ausland, um dort einen Spätabbruch vornehmen zu lassen, weil in Österreich die entsprechende Frist bereits verstrichen ist oder die Ärzte die vorliegende Fehlbildung als nicht schwerwiegend genug für einen Spätabbruch einstufen. Dies behauptet zumindest der Wiener Gynäkologe Christian Fiala in einem Leserbrief zum profil-Artikel. Diese Eltern würden in Österreich schon jetzt völlig allein gelassen, meint Fiala, der als Leiter des Gynmed-Ambulatoriums auf die Betreuung und Behandlung von Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft spezialisiert ist.
Selbst wenn Kinder bereits auf der Welt sind, entscheiden sich manche Eltern noch gegen ein Zusammenleben mit ihnen. Im Zuge meiner Recherchen erzählte mir ein Arzt von einem Zwillingspaar, das nach der Geburt getrennt wurde, weil eines der Kinder eine körperliche Beeinträchtigung hatte. Die Geschichte spielte sich nicht in Thailand ab, sondern in Wien. Die Eltern, die das kranke Kind nicht annehmen konnten, ließen es nach der Geburt im Krankenhaus zurück und verklagten das Spital, weil dieses die Fehlbildung im Rahmen der Pränataluntersuchungen in ihren Augen nicht richtig erkannt beziehungsweise als zu harmlos dargestellt habe. Das Kind lebt mittlerweile bei einer Pflegefamilie.
Und auch wenn Eltern sich bewusst für das Leben mit einem kranken oder behinderten Kind entscheiden, gibt es immer wieder Beziehungen, die über dieser Herausforderung zerbrechen, und Kinder, die deswegen „in Heimen landen“, mahnt Fiala. Man darf den Kampf gegen die Diskriminierung von Kindern mit Behinderungen nicht auf den Mutterleib beschränken. Vielmehr muss eine Politik, die sich zu einer Gesellschaft bekennt, welche das Leben in all seiner Vielfalt wiederspiegelt und in der Menschen mit Handicap ihren Platz finden, noch stärker als bisher den Fokus auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen legen.
Ausgrenzung und Diskriminierung sind in unserer Gesellschaft noch immer an der Tagesordnung, wie in vielen Leserbriefen deutlich wurde: „Niemand hat uns gesagt, wie sehr sich unser Leben verändern wird. Was Ausgrenzung bedeutet – im eigenen Leben und im Leben des Kindes“, schreibt Ella Cermak, Mutter eines kleinen Buben mit Downsyndrom und Herzfehler, in Reaktion auf den profil-Artikel. „Niemand hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass die Mutter am Arbeitsmarkt dann definitiv keine Chancen mehr hat, niemand hat vor den ängstlichen, beschämenden Blicken gewarnt. Familien mit kranken Kindern sind in allem Tun auf sich alleine gestellt“, so Cermak.
Immer nur die halbe Wahrheit
Und Lisa Canella schreibt: „Ich lebe seit über 50 Jahren mit einer Behinderung, und ich kann Ihnen sagen, wenn mich als Baby im Mutterleib jemand fragen hätte können, dann hätte ich für eine Abtreibung gestimmt.“ In Berichten über Menschen mit Behinderung komme immer nur die halbe Wahrheit zutage, meint Canella. „Wahrscheinlich würden die Leser die Zeitung nicht kaufen, wenn in den Artikeln stehen würde, wie es wirklich ist. Mit welchen gesundheitlichen und seelischen Belastungen und Kränkungen man fertigwerden muss.“
Dass sich Investitionen in die Verbesserung der Rahmenbedingungen auszahlen, zeigt zum Beispiel die Statistik der Wiener Kinder- und Jugendhilfe. Dank neuer Unterstützungsangebote für Familien mit behinderten oder schwerkranken Kindern können heute deutlich mehr kleine „Patienten“ zu Hause von ihren Familien betreut werden als noch vor wenigen Jahren. Mussten etwa im Jahr 2010 in Wien noch 86 Babys und Kinder mit Handicap in Heimen oder Wohngemeinschaften untergebracht werden, ging diese Zahl in den folgenden Jahren kontinuierlich zurück. Im Vorjahr waren es nur mehr 17 Kinder, die nicht von ihren leiblichen Eltern betreut werden konnten.
Das Gebot der Stunde lautet also: beraten und unterstützen, nicht die Entscheidungsfreiheit einschränken. Außerdem braucht es einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Leben mit Krankheit und Behinderung, bei dem auch die Sonnenseiten und die unglaubliche Bereicherung für Eltern behinderter Kinder beleuchtet werden, von denen so viele Leserbriefe erzählten.