Manuela Macedonia: Ihre virtuelle Sprachlehrerin Heidi lehrt Austauschstudenten Deutsch.

Querdenkmodelle: Die spannendsten Experimente der Wissenschaft

Querdenkmodelle: Die spannendsten Experimente der Wissenschaft

Drucken

Schriftgröße

Wie plant ein Schleimpilz ein Verkehrsnetz?

Schleimpilze können etwas besser als Menschen: Die Einzeller bauen spontan Netzwerke, von denen die Entwickler bei Facebook oder bei den Wiener Linien nur träumen können. In freier Natur sprießt der gelbe Pilz mit dem lateinischen Namen Physarum polycephalum aus dem Waldboden, wenn Regen darauf gefallen ist. Auf der Suche nach Nahrung breitet sich der zähflüssige Organismus über Moos, Holz und Steine in alle Richtungen aus. Findet er Essbares wie tote Insekten oder schmackhafte Pilze, konstruiert er ein effizientes Wegenetz, um die Nährstoffe über den gesamten Organismus zu verteilen. Das funktioniert auch im Labor: Japanische Wissenschafter um den Forscher Atsu-shi Tero verteilten Haferflocken in jenem Abstand um einen Schleimpilz, der den umliegenden Ortschaften von Tokio entsprach. Das Geflecht, das der Einzeller zwischen den Flocken ausbildete, entsprach dem Bahnnetz um Tokio. Er hatte dafür nur einen Tag gebraucht.

Auch an der Universität Graz beobachten Wissenschafter den Organismus seit zwei Jahren beim Beutezug. „Der Schleimpilz hat kein zentrales Gehirn. Jeder Punkt reagiert selbstständig, er bildet also ein dezentrales Netzwerk“, sagt der Botaniker Martin Grube. Anders als zum Beispiel die ÖBB kann der Schleimpilz im Falle einer Störung in kürzester Zeit neue Verbindungen schaffen oder zerstörte Wege reparieren. Ganz durchschaut haben die Wissenschafter sein Geheimnis noch nicht. Ein Teil der Erklärung liegt jedenfalls im flüssigen Inneren des gelben Einzellers, das im Rhythmus von 100 Sekunden vor und zurück strömt. Außenreize können das Innenleben maßgeblich verändern: Wittert der Pilz Zucker, regt das seinen Stoffwechsel an, er verzweigt sich an der Stelle stärker und wächst flugs in Richtung Lieblingsspeise. Mithilfe selbstgebauter Elektronik und hochauflösender Kameras gehen Grube und sein Team dem intelligenten Wuchern auf den Grund.

Derzeit versuchen sie, den Wunderpilz zu bändigen, um seine Strategien auf eine Art Computerchip bannen. Das Ziel: nach seinem Vorbild eine Alternative zur konventionellen Informationsverarbeitung von Computern zu entwickeln. Der Schleimpilz könnte auch für andere Forschungsgebiete relevant sein, sagt Grundlagenforscher Grube. So spiele die Reparatur von Netzwerken im Gehirn eine wichtige Rolle. Bei der Planung von Stromnetzen oder Autobahnen könnte der intelligente Einzeller ebenso behilflich sein wie bei der Navigation von Robotern.

Warum stehlen Kinder zu Halloween leichter?

Der Psychologe Ed Diener nutzte den amerikanischen Brauch, bei dem Kinder in Kostümen am 31. Oktober an den Türen der Nachbarn um Süßigkeiten betteln, für einen weltweit beachteten soziologischen Versuch. In 27 Häusern in Seattle beobachteten er und sein Team das Verhalten von 1300 ahnungslosen Kindern. Eingeweihte Erwachsene öffneten den Kleinen die Tür, zeigten ihnen eine Schale mit Zuckerln und verließen das Zimmer mit den Worten, jeder dürfe sich eine Süßigkeit nehmen. Daneben stand eine Schüssel mit Münzen. Was würden die scheinbar unbeobachteten Kinder machen? Würden sie sich in der Gruppe anders verhalten als alleine? Und machte es einen Unterschied, ob der Erwachsene sie vorher nach dem Namen gefragt hatte?

Die Mehrheit der Halloween-Kinder war ehrlich: Zwei von drei nahmen weder Geld noch mehr als ein Zuckerl. Doch es machte einen großen Unterschied, ob sie in der Gruppe oder alleine kamen. Am aufrichtigsten waren jene, die einzeln an die Tür klopften und vom Erwachsenen nach ihrem Namen und ihrer Adresse gefragt wurden – von ihnen klauten nur acht Prozent. Waren die Buben und Mädchen jedoch in der Gruppe und fühlten sich anonym, langten sie kräftig zu. 57 Prozent dieser Kinder nahmen mehr, als ihnen zustand. Diener ging sogar noch weiter: In manchen Gruppen pickte sich der Erwachsene den Kleinsten heraus und warnte ihn, er werde ihn verantwortlich machen, wenn die anderen klauen würden. Da gab es kein Halten mehr: 80 Prozent der Kinder in diesen Gruppen stopften sich die Taschen voll.

Das Experiment zeigte ein Verhalten auf, das Psychologen Deindividuation nennen: In der Gruppe werden Menschen unter Umständen daran gehindert, sich selbst als Individuum wahrzunehmen und ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Warum gurgelt der Kehlkopf eines toten Elefanten?

Elefanten trompeten nicht nur, sie kommunizieren auch mit Infraschall-Tönen, die besonders tief und über weite Strecken hörbar sind. Wie die Dickhäuter dieses dunkle Gurgeln produzieren, war bis vor Kurzem ein Rätsel. Machen sie es wie Katzen beim Schnurren, indem sie die Kehlkopfmuskulatur wechselweise an- und entspannen? Oder lassen sie ihre Stimmlippen mithilfe der Atemluft passiv schwingen, so wie wir Menschen und der Großteil der Säugetiere? Der Stimmforscher Christian Herbst und die Biologin Angela Stöger-Horwath haben das Geheimnis der Elefanten gelüftet – und mit ihrem Artikel im Fachmagazin „Science“ weltweit Furore gemacht.

Da man Elefanten nicht dazu animieren kann, mit einer Kamera im Hals Laut zu geben, mussten die österreichischen Wissenschafter warten, bis sie einem natürlich verstorbenen Tier den Kehlkopf entnehmen konnten. Die Zeit bis dahin blieb nicht ungenützt. Drei Jahre bereitete Christian Herbst die Apparatur im Stimmlabor der Uni Wien vor, in die der riesige Kehlkopf schließlich eingespannt und dort zum Schwingen gebracht wurde. Die Atemluft eines Elefanten simulierend, wurde warm-feuchte Luft in den Kehlkopf geblasen, bis das kehlige Gurren ertönte. Hochgeschwindigkeitskameras zeichneten es auf. (Sehen Sie hier ein Video zum Experiment!) Die Stimmlippen des Elefanten klatschten 16 Mal in der Sekunde aufeinander, ohne dafür die Muskulatur des Tieres zu brauchen. Damit war bewiesen: Elefanten schnurren nicht, sie nützen den gleichen Mechanismus wie wir Menschen.

Eine wertvolle Erkenntnis: Denn Elefantenherden halten sich oftmals nicht an Nationalparkgrenzen und fallen immer wieder über die Felder angrenzender Siedlungen her. Stöger-Horwath arbeitet nun an Frühwarnsystemen, die herannahende Herden schon aus mehreren Kilometern Entfernung erkennen: „Wir könnten dann via Lautsprecher die Rufe einer fremden Herde abspielen und die Tiere in eine andere Richtung lenken.“

Wie hilft ein Avatar beim Vokabelpauken?

Die Psycholingusitin Manuela Macedonia jobbte als Sprachlehrerin für Italienisch, als sie eine einschneidende Entdeckung machte: Je mehr sie ihre Studenten motivieren konnte, sich zu bewegen, desto leichter merkten sich diese Vokabeln, Sätze und Dialoge. Öffneten sie zum Beispiel beim Aussprechen des Wortes „libro“ mit ihren Händen ein imaginäres Buch, blieb das Wort besser hängen. 2011 wies Macedonia ihre These in einer international viel beachteten Studie nach. Gestikulierende Probanden konnten viel mehr Wörter speichern als jene, die nur durch Zuhören und Lesen gelernt hatten. Macedonia: „Durch die Geste entsteht im Gehirn ein komplexeres Netzwerk, das nicht nur Sprachareale sondern auch Regionen verbindet, die für Sinne und Motorik zuständig sind. Je größer das Netzwerk, desto besser kann man sich die Vokabeln merken.“

Um menschliche Lehrer zu unterstützen entwickelt die Linguistin am Institut für Wirtschaftsinformatik in Linz und am Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften in Leipzig virtuelle Sprachlehrer. Heidi, ein Avatar, der Austauschstudenten an der Linzer Uni erste Deutschkenntnisse lehrt, ist sehr geduldig. Unermüdlich spricht und zeigt sie Vokabeln vor und registriert mithilfe eines Spracherkennungsprogramms, ob die Studenten die Worte korrekt aussprechen. Dasselbe gilt für die dazugehörige Geste. Heidi erkennt durch das System Kinect die Bewegung des Benutzers und lässt sie ihn im Zweifelsfall wiederholen. Ob Pauken mit dem Avatar oder mit einer menschlichen Lehrkraft: Die Lernleistung unterscheidet sich ersten Studien zufolge nicht – solange beide die Vokabeln mit Bewegung vermitteln.

Noch befinde sich Heidi in einem „embryonalen Stadium“, so Macedonia. Ihre Bewegungen sind etwas abgehackt, ihre Erscheinung kann nicht mit den teuren Avataren in Computerspielen mithalten. Künftig soll sie so viel wie möglich über ihre Schüler abspeichern und sie gemäß ihres Alters, ihres Vorwissens und ihrer Auffassungsgabe individuell unterrichten. „Avatare wie Heidi könnten künftig auch den nach Österreich strömenden Flüchtlingen helfen, schnell Deutsch zu lernen“, sagt Manuela Macedonia.

Wie findet man ein Placebo für Akupunktur?

Die Forschung suchte schon seit Langem nach einer Lösung für dieses knifflige Problem. Manche Wissenschafter hatten die Nadeln nicht an den traditionellen Akupunktur-Punkten gesetzt, andere hatten sie nur oberflächlich in die Haut gesteckt – doch Edzard Ernst, Professor für Komplementärmedizin in Exeter, suchte nach einem neuen, besseren Placebo für 100 Schlaganfallpatienten, an denen er den Effekt der Therapie testen wollte. Mit seinem Team entwickelte er eine Nadel, die nur scheinbar in die Haut stach, tatsächlich aber wie ein Bühnendolch in den Schaft zurückfederte. Sie gaukelte den Patienten eine Akupunkturbehandlung vor.

Das Ergebnis: Die Probanden, die mit der Placebo-Nadel behandelt worden waren, erholten sich genauso schnell wie jene, welchen die echten Akupunkturnadeln gesetzt worden waren. „Wir mussten also daraus schließen, dass Akupunktur nicht mehr Wirkung zeigt als eine Scheinbehandlung“, resümiert Ernst in seinem kürzlich erschienen Buch „Nazis, Nadeln und Intrigen“.

Wen stechen Gelsen am liebsten?

Mücken orientieren sich bei der Futtersuche wahrscheinlich am Geruch ihrer Opfer. Deshalb nahm das Forscherteam um James Logan von der London School of Hygiene and Tropical Medicine jene Gene ins Visier, die den Körpergeruch beeinflussen. Sie bauten dazu ein spezielles Olfaktometer: ein Gerät, das Insekten zwei verschiedene Geruchsproben anbietet. Dazu verbanden sie drei Plexiglasröhren, geformt wie ein Y. 30 Sekunden lang ließen sie starken Wind aus zwei Röhren auf 20 Tigermücken (Aedes aegypti) einströmen, die sich im dritten Tunnel befanden. Dann öffneten sie die Schleuse, und die Tiere konnten sich für eine der riechenden Röhren entscheiden. Der Duft entströmte den Händen eines Zwillingspärchens, die diese in jeweils eine Öffnung der beiden Röhren gesteckt hatten. Insgesamt testete James

Logan 18 eineiige und 19 zweieiige Zwillinge. Der Grund: Erstere sind genetisch weitgehend identisch, das Erbgut der Letzteren ist sehr unterschiedlich, wie bei anderen Geschwistern auch.

Die Ergebnisse des außergewöhnlichen Experiments: Die eineiigen Zwillinge waren bei den Gelsen in etwa gleich beliebt oder unbeliebt. Die Zweieiigen wurden von den Mücken unterschiedlich gern angeflogen. „Das weist darauf hin, dass die Gene das Risiko beeinflussen, von Mücken gestochen zu werden“, so Logan. Das Gelsenstich-Risiko werde ähnlich vererbt wie Körpergröße oder Intelligenz, so die Forscher. Sie wollen nun nach den verantwortlichen Genen suchen, um in der Folge neue Insektizide zu entwickeln.

Wie überprüft man Geistheilung?

In Großbritannien war Geistheilung in den 1990er-Jahren äußerst beliebt. Die Zahl der in der britischen Vereinigung für Geistheiler registrierten Therapeuten kam damals sogar an jene der Hausärzte heran. Geistheiler glauben an eine universale „Heilenergie“, die aus kosmischen, göttlichen oder übernatürlichen Quellen stammt. Grund genug für Edzard Ernst, die umstrittene Methode in einer nach strengen naturwissenschaftlichen Kriterien durchgeführten klinischen Studie abzuklopfen. Der gebürtige Deutsche hatte damals die Professur für Komplementärmedizin im britischen Exeter inne und damit den Auftrag, alternative Therapien zu überprüfen.

Ernst entschied sich für Schauspieler, die den rituellen Ablauf einer Sitzung von Geistheilern lernen, aber keine „Heilenergie“ aussenden sollten. Die Geistheiler weihten die Schauspieler also in ihre Riten ein, konfrontierten Ernst aber plötzlich mit einem Problem: Auch die Schauspieler hätten plötzlich Heilkräfte, erklärten sie dem verdutzten Studienleiter. Dieser musste sich also ein anderes Experiment überlegen: Die Heiler sollten in einer Kabine sitzen, wo die Patienten sie nicht sehen konnten – so konnte Ernst die Wirkung mit einer leeren Kabine überprüfen. Doch auch damit waren die Geistheiler nicht zufrieden, therapierten sie doch normalerweise von Angesicht zu Angesicht. Schließlich wurden die Patienten in vier Gruppen aufgeteilt, die jeweils eine andere Behandlung bekamen: einmal mit Geistheiler, einmal mit Schauspieler, einmal eine Heilung in der Kabine mit Heiler, einmal ohne.

Das Ergebnis: Alle vier Gruppen hatten nach der Behandlung weniger Schmerzen als zuvor: „Wir haben belegt, dass Geistheilung nichts anderes war als ein Placebo“, sagt Studienleiter Edzard Ernst.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.