Radioaktives Gestein in Schulen gefunden
Es knatterte und rauschte gefährlich, die Nadel des türkisgrünen Geigerzählers schlug voll aus. "Für solche Messwerte muss man normalerweise neben dem Reaktor in Tschernobyl stehen“, sagt Thomas Neff. Der Aktionsleiter der Plattform gegen Atomgefahren befand sich vergangenen Februar aber nicht in der Ukraine, sondern im Biologiezimmer eines Gymnasiums in Salzburg. Er hatte vor Schülern einen Vortrag über Radioaktivität im Alltag gehalten und danach einen befreundeten Biologielehrer in dessen Räumlichkeiten besucht.
Als er dort seinen Geigerzähler auspackte, gab dieser Alarm. In der Gesteinssammlung der Schule lagerten offenbar seit mehr als 100 Jahren mehrere Pechblenden, auch Uraninit genannt. Die radioaktive Strahlung einiger der schwarzbraunen Steine war an deren Oberfläche so hoch, dass Neffs Messgerät sie gar nicht in vollem Umfang erfassen konnte. "Das Gefährlichste ist der Staub. Ihn über die Hände versehentlich in den Mund zu bekommen, zu schlucken oder gar einzuatmen, wäre extrem gesundheitsschädlich“, sagt Neff. Zusammen mit dem Biologielehrer zog er sich Handschuhe über, Mundschutz hatten sie leider nicht parat, und wischten mit feuchten Tüchern den dunklen Staub aus den Schubladen und Regalen. Schließlich verpackten sie das bröselige Gestein notdürftig in Dosen und mehreren Plastiktaschen.
Einen der Steine brachte Neff zur Untersuchung ins radiologische Messlabor des Landes Salzburg. Dort bestätigte sich sein Verdacht. Dem Brocken wurden Teilproben entnommen, um den Gehalt von Uran-238, Uran-235 und Thorium-232 zu bestimmen. Fazit: Die Pechblende strahlte mit 210 Millisievert pro Jahr. Die ganz natürliche Strahlenbelastung aus allen Quellen, die ein Mensch durchschnittlich im Jahr abbekommt, beträgt 2,8 Millisievert. Allerdings ist Uraninit in erster Linie ein Alphastrahler. Das heißt, die Strahlung auf der Oberfläche einer Pechblende ist immens hoch und schädlich, kann aber bereits durch ein Blatt Papier abgeschirmt werden. Auch die Haut verhindert das Eindringen der Strahlen in den menschlichen Körper. Gelangen jedoch Partikel des Gesteins in den Organismus, können Gesundheitsschäden die Folge sein. Neff alarmierte die Landessanitätsdirektion, die den Transport der Pechblenden in einen sicheren Lagerraum in der Universität Salzburg organisierte.
Wie viele der radioaktiven Steine liegen noch unerkannt oder vergessen in Salzburgs Schulen? Dieser Frage ging der Biologe Peter Machart vergangenen Sommer im Auftrag der Landessanitätsdirektion nach. Und er wurde fündig: In elf Schulen des Bundeslandes hob er bisher insgesamt 38 radioaktive Gesteinsproben aus, zumeist unter den Augen erstaunter Direktoren und Lehrer. "Abgesehen von einer Schule, die die Proben ordnungsgemäß verwahrt hatte, wusste das Personal nichts davon. Aufgrund der Lagerorte gehe ich davon aus, dass die Gesteine in den vergangenen Jahrzehnten keiner in der Hand hatte“, sagt Machart. Gerade dieses Unwissen über die Existenz und die Strahlung der Steine berge Gefahren, erklärt Thomas Neff: "Das Hantieren mit Pechblenden ohne jegliche Schutzmaßnahmen, zum Beispiel beim Umräumen, ist äußerst bedenklich.“
Pechblenden ursprünglich Anschauungsmaterial
Wie kamen die Pechblenden überhaupt in die Schulen? Marie Curie hatte aus den dunkelbraunen Steinen 1898 das bis dahin unbekannte Element Radium extrahiert - und dafür später als erste Frau den Physik-Nobelpreis erhalten. So fanden wohl viele Pechblenden Anfang bis Mitte des vorigen Jahrhunderts als Anschauungsmaterial den Weg in die Gesteinssammlungen österreichischer Schulen. Bis in die 1950er-Jahre sei das Bewusstsein für die Gefahr, die von radioaktiver Strahlung ausgeht, eher schwach ausgeprägt gewesen, sagt Machart. Es ist also durchaus möglich, dass die Alphastrahler damals im Biologieunterricht Verwendung fanden und vielleicht auch durch die Bankreihen gegeben wurden. Geologie findet jedoch seit Jahrzehnten weitaus weniger Beachtung im Lehrplan als früher, dadurch sind wohl die meisten Pechblenden in Vergessenheit geraten.
Uraninit sendet neben den Alpha- auch Gammastrahlen aus, jedoch in sehr geringen Dosen. Diese sind mit Röntgenstrahlen vergleichbar und nur durch dicke Bleiwände oder Betonmauern abzuschwächen. Peter Machart hat im Zuge seiner Untersuchung einen Mindestsicherheitsabstand für die an Salzburger Schulen gefundenen Pechblenden errechnet. Ein Lehrer mit einer 40-Stunden-Woche sollte demnach bei den am stärksten strahlenden Felsbrocken einen Mindestabstand von 1,44 Meter einhalten. Dann würde er den gesetzlich festgelegten Grenzwert für zusätzliche natürliche Strahlenbelastung von 0,3 Millisievert pro Jahr nicht überschreiten. "Die Exposition von Lehrern und Schülern lag tatsächlich im Bereich weniger Stunden pro Jahr, weil die meisten Steine in wenig frequentierten Sammlungsräumen lagen. Somit wurde auch der errechnete Sicherheitsabstand immer eingehalten“, sagt Biologe Machart.
"Potenzielle Gefahrenquelle"
Ist also alles halb so wild? "Es ist auf jeden Fall wichtig, diese potenzielle Gefahrenquelle an Schulen auszuschalten“, sagt Neff. Er hatte die Pechblenden im Februar in einem Gymnasium entdeckt und sich für deren Entfernung und sichere Verwahrung eingesetzt. Vergangene Woche wurde er in zwei oberösterreichischen Schulen wieder fündig. Nun seien das Gesundheits-, das Bildungsministerium und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt am Zug, österreichweit nach den radioaktiven Steinen zu fahnden.
Neff wies bereits ÖBB-Mitarbeiter auf mögliche Strahlenschäden hin. 1997 fand er heraus, dass die Tachoscheiben in manchen Lokomotiven stark radioaktiv strahlten. Sie waren mit einer Paste aus Radium überzogen, die sie im Dunkeln leuchten ließ. Auf die Idee, dass die Geschwindigkeitsmesser gefährlich sein könnten, hatte ihn seine Arbeit zu radioaktiven Weckern und Uhren gebracht. Also begann er, Zugführer zu überreden, ihn mit seinem Geigerzähler ins Führerhäuschen zu lassen. Später schmuggelte er sich in die Linzer ÖBB-Reparaturwerkstätte, wo die Tachometer regelmäßig zerlegt und gewartet wurden. "Die Strahlung an den Werkbänken der Techniker war verheerend“, sagt Neff. Die von ihm informierte ÖBB-Führung rüstete daraufhin 76 Loks um, die radioaktiven Geschwindigkeitsmesser wurden ins Atomforschungszentrum Seibersdorf in Niederösterreich gebracht. Die Arbeitsplätze der ÖBB-Techniker mussten aufwendig saniert werden.
Was soll mit den radioaktiven Mineralien aus den Schulen geschehen? Neff plädiert dafür, sie an ihren Ursprungsort in Tschechien zurückzubringen. Die meisten Pechblenden stammen aus dem heute aufgelassenen Uranerzbergwerk Jáchymov (Joachimsthal), wo man sie in den alten Stollen sicher unterbringen könnte, meint der Aktionsleiter der Salzburger Plattform gegen Atomgefahren (plage.at). Gerd Oberfeld von der Sanitätsdirektion Salzburg zählt drei weitere Möglichkeiten auf: Erstens könne man die Steine vorläufig im Nuklidlager im Keller der Universität Salzburg, wo sie derzeit liegen, belassen. Zweitens könne man sie, wie die ÖBB-Tachos, im Atomforschungszentrum Seibersdorf sicher unterbringen. Es gäbe auch eine dritte Möglichkeit, sagt Oberfeld. So könne man die radioaktiven Mineralien mit entsprechender Kennzeichnung, einem Hinweis auf den einzuhaltenden Sicherheitsabstand und in bruchsicheren Laborgläsern verpackt, zurück an die Schulen zu bringen. "Es hat Sinn, Kindern Radioaktivität anschaulich zu vermitteln“, sagt Gerd Oberfeld. Einzelne Schulen hätten bereits Interesse bekundet.