Raumfahrt: Wie wir in Zukunft auf Raketen verzichten könnten
Wir haben uns fast schon daran gewöhnt, dass ständig überall auf der Welt Raketen starten. Nicht mehr nur von den Basen in den USA und Russland, den alten Kontrahenten beim Wettlauf ins All. Auch Europa, Indien, China, Japan und Südkorea schicken längst ihre eigenen Raketen in den Weltraum. China zum Beispiel feierte vorvergangene Woche mit großem Pomp den erfolgreichen Abschluss der ersten Mondmission während just in diesen Tagen Amerika den Verlust einer Antares-Rakete beklagen musste, die Nachschub zur Internationalen Raumstation hätte bringen sollen.
In Summe gab es im Vorjahr 84 unbemannte Starts und dazu fünf Flüge, mit denen Astronauten ins All transportiert wurden. Im Jahr davor waren es 78 unbemannte und fünf bemannte Starts gewesen, 2011 flogen insgesamt 91 Raketen mit Material und Menschen in den Weltraum. Und Ende des aktuellen Jahres werden knapp 80 Starts absolviert worden sein, also ein bis zwei Raketenflüge pro Woche.
Ein Start ins All ist also längst kein Ausnahmeereignis mehr, dem besondere Beachtung zuteil würde. Ein konventioneller Satellitenstart ist den Medien ohnehin schon lange keine Nachricht mehr wert, und selbst wenn Menschen ins All fliegen, gibt es dazu höchstens eine kurze Meldung jedenfalls dann, wenn alles glatt läuft.
Neben den nationalen Raumfahrtagenturen sind es heute immer öfter private Organisationen, die Raumfahrt betreiben. Sie treten mittlerweile nicht mehr nur als kommerzielle Anbieter für Satellitenstarts auf den Plan, sondern wollen in Zukunft auch vermehrt Menschen ins All bringen. Orbital Science Corporation aus Virginia, deren Rakete am 28. Oktober explodierte , zählt ebenso zu dieser Branche wie SpaceX, ein Unternehmen, das künftig Versorgungsflüge zur ISS übernehmen könnte.
Exklusive Raumausflüge für begüterte Abenteurer
Dass es sich dabei um private Gesellschaften handelt, ist auch die augenfälligste Verbindung zwischen den beiden jüngsten Katastrophen: dem Crash der 200 Millionen Dollar teuren Raumkapsel Cygnus von Orbital (Foto) sechs Sekunden nach dem Start und dem tragischen Absturz des SpaceShipTwo am 31. Oktober, mit dem der britische Magnat Richard Branson vor allem exklusive Raumausflüge für begüterte Abenteurer ermöglichen wollte.
Noch sind die tatsächlichen Ursachen der Unfälle weitgehend ungeklärt, und allerlei wilde Spekulationen über technische Mängel sowie humanes Versagen kursieren vor allem in den sozialen Netzen. Doch der Umstand, dass es sich um private Anbieter handelt, könnte bis zu einem gewissen Grad von Relevanz sein nicht weil die Privaten per se unbedingt technisch schlechter wären oder besonders knausern würden, sondern weil ihnen zwangsläufig jene Routine fehlt, welche die staatlichen Raumfahrtagenturen über ein halbes Jahrhundert erworben haben, verbunden mit einer Vielzahl von Pannen, einer steten Abfolge von Versuch und Irrtum sowie ebenfalls einigen katastrophalen Rückschlägen.
Den Knowhow-Vorsprung der nationalen Raumfahrt müssen die Privaten erst einmal aufholen. Bisher sind diese Unternehmen lediglich in der Lage, Menschen für kurze Zeit in knapp 100 Kilometer Höhe an die Grenze des Weltalls zu bringen. Auch das SpaceShipTwo wäre nur dafür geeignet gewesen, knapp fünf Minuten in etwa 110 Kilometern Höhe zu schweben, bevor es wieder hätte landen müssen. Solche suborbitalen Flüge absolvierte die NASA schon in den 1960er-Jahren erfolgreich, und im Gegensatz zu den kommerziellen Unternehmen der Gegenwart stand ihr damals vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ein enormes Budget zur Verfügung. Bis die privaten Firmen den Rückstand bei Entwicklung und Forschung aufholen können, wird wohl noch viel Zeit vergehen.
Bei aller Tragik angesichts der aktuellen Katastrophen ist es aber eigentlich beinahe verwunderlich, dass nicht noch viel mehr passiert. Die Art und Weise, wie wir versuchen, in den Weltraum zu gelangen, fordert das Desaster geradezu heraus. Wir bauen gewaltige Raketen, die mit hochentzündlichen Treibstoffen betankt sind, und schicken Astronauten und teure Geräte gemeinsam mit diesem explosiven Material ins All. Es bleibt uns derzeit auch nicht viel anderes übrig, denn die Physik macht es schwer, die Erde zu verlassen.
39.600 Kilometer pro Stunde
Um die Erdanziehungskraft zu überwinden, bedarf es einer Geschwindigkeit von elf Kilometern pro Sekunde. Das sind immerhin 39.600 Kilometer pro Stunde, und dieses Tempo ist nur mit enormen Mengen entsprechenden Treibstoffs zu erreichen. Man braucht Treibstoff, um die vergleichsweise geringen Mengen an Nutzlast ins All zu befördern und zusätzlich noch mehr Treibstoff, um diesen Treibstoff nach oben zu hieven. Am Ende stehen Giganten wie die 800 Tonnen schwere Ariane-V-Rakete, die gerade mal zehn Tonnen Nutzlast in den Weltraum schaffen kann. Keine besonders effiziente Bilanz.
Dieser enorme Aufwand macht die Raumfahrt teuer und kompliziert. Es ist freilich auch nicht möglich, Raketen in Massenproduktion herzustellen, so wie das im Laufe der Jahrzehnte bei den Flugzeugen der Fall war. Auch Fliegen war früher höchst riskant, heute dagegen ist der Luftverkehr bekanntlich relativ sicher. In der Raumfahrt konnte diese Entwicklung nicht stattfinden. Jeder Start ins All ist daher immer noch ein einzigartiges und vor allem durchaus gefährliches Unterfangen. Und daran wird sich vermutlich so schnell nichts ändern schon gar nicht angesichts der Tatsache, dass nun vermehrt ein neues Segment von Anbietern auf den Markt drängt.
Wir müssen mutig sein, sagte einst US-Präsident John F. Kennedy, als er vor dem Hintergrund des Kalten Krieges das bisher ambitionierteste Programm der bemannten Raumfahrt ins Leben rief. Und der Mut zahlte sich aus: 1969 landeten die ersten Menschen auf dem Mond. Heute scheint den Politikern der Mut zu solchen Visionen zu fehlen. Die USA sind derzeit nicht einmal mehr in der Lage, aus eigener Kraft Menschen ins All zu schicken, und die Europäer waren es nie. Private Unternehmen haben sich mittlerweile zwar etabliert, sind aber immer noch weit davon entfernt, einen sicheren oder gar billigen Weg ins All anbieten zu können.
Wir sitzen am unteren Ende des Gravitationstrichters der Erde fest, und es gibt keinen einfachen Weg hinaus. Bislang haben wir es nur mit Raketen versucht und uns damit abgefunden, dass Astronauten bei jedem Flug ins All ihr Leben riskieren müssen. Aber es bestünden durchaus noch andere Möglichkeiten, den Weltraum zu erreichen. Der Russe Konstantin Ziolkowski entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts die mathematischen und physikalischen Grundlagen für den Flug mit Raketen. Aber noch bevor er seine berühmte Raketengrundgleichung aufstellte, hatte Ziolkowski noch eine andere Idee. Inspiriert durch den damals frisch errichteten Eiffelturm, stellte er sich ein noch viel höheres Bauwerk vor: einen Turm, der bis in den Weltraum reicht. Daran könnte man dann einfach ins All hinausklettern und bräuchte keine Raketen mehr.
Das klingt unmöglich und ist es auch. Ein derartiger Turm wäre so hoch und so schwer, dass er sofort in der Erdkruste versinken würde. Aber Ziolkowskis Idee wurde in den 1960er-Jahren von den Wissenschaftern wieder aufgegriffen. Man könnte statt eines gigantischen Turms auch ein enorm langes Seil vom Weltraum aus zu Boden lassen. Das klingt zwar ebenfalls ziemlich abwegig, ist aber zumindest theoretisch möglich.
Je näher sich ein Satellit an der Erdoberfläche befindet, desto schneller ist seine Umlaufgeschwindigkeit. Die Raumstation in einer Höhe von knapp 400 Kilometern muss eine Runde um den Planeten zum Beispiel in 90 Minuten hinter sich bringen, um nicht wieder zurück auf die Erde zu fallen. Weiter draußen, in exakt 35.786 Kilometern Höhe, braucht ein Satellit für einen Orbit um die Erde nur noch 24 Stunden. Er bewegt sich mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der sich auch die Erde um ihre eigene Achse dreht. Vom Boden der Erde aus scheint er stillzustehen. In einer solchen geostationären Umlaufbahn befinden sich unsere Kommunikationssatelliten. Nun könnte man aber von dort auch ein Seil zur Erde herablassen. Es würde sich nicht um den Planeten wickeln, sondern eine feste Verbindung darstellen, an der entlang man ohne Raketen bis ins Weltall gelangen könnte.
Zukunft Weltraumlift
Natürlich klingt das nach einer etwas simplifizierten Darstellung. De facto ist es alles andere als einfach, solch ein Konstrukt ins All zu spannen. Aber Ingenieure und Wissenschafter haben sich mittlerweile intensiv Gedanken über all die technischen Probleme gemacht, die beim Bau eines solchen Weltraumlifts auftreten können, und passende Lösungen gefunden. Es fehlt nur noch der richtige Stoff, aus dem man ein ausreichend festes und langes Seil fertigen kann. Ideen dafür gibt es bereits: Vor allem hat die Wissenschaft zuletzt große Fortschritte bei der Erforschung von Materialien wie Kohlenstoffnanoröhren und Graphen gemacht.
Sobald die Frage des Seils gelöst ist, hindert uns eigentlich nichts mehr daran, einen solchen Weltraumlift tatsächlich zu bauen. Natürlich wäre es ein immens teures Unterfangen und würde viel mehr Geld kosten als jeder singuläre Raketenstart. Aber wenn der Lift erst einmal errichtet ist, hätten wir das Nadelöhr zum All dauerhaft überwunden. Wir wären nicht mehr auf Raketen angewiesen, nicht mehr an deren Beschränkungen gebunden und nicht mehr den gegenwärtigen Risiken ausgeliefert. Wir könnten Material und Menschen in großen Mengen in den Weltraum schaffen und all die Dinge tun, die jetzt aus technischen und Kostengründen nicht realisierbar sind: Wir könnten große Raumstationen bauen, die Platz für hunderte oder tausende Menschen bieten. Wir könnten riesige Solarkraftwerke in der Erdumlaufbahn platzieren und beginnen, unser Energieproblem zu lösen. Wir könnten sogar gewaltige Raumschiffe direkt im Weltall konstruieren und mit ihnen zum Mond oder zum Mars fliegen.
Ein Weltraumlift mag nach unrealistischer Science-Fiction klingen. Aber genau so absurd muss den Menschen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts die Vorstellung von Raketen vorgekommen sein, in denen Menschen zum Mond fliegen (Ziolkowski entwickelte die Raketengrundgleichung 1903, im selben Jahr, in dem die Gebrüder Wright ihren ersten Motorflug absolvierten). Und trotzdem haben wir zumindest diese Science-Fiction-Vision Wirklichkeit werden lassen. Der Weltraumlift aber ist genauso realistisch oder unrealistisch wie die Raumfahrt mit Raketen. Zumindest sollte man ernsthaft über eine Alternative zu Raketen nachdenken.
Auf die Frage, wann denn der erste Weltraumlift gebaut würde, antwortete der Physiker und Autor Arthur C. Clarke einmal: Etwa zehn Jahre, nachdem die Leute aufgehört haben, darüber zu lachen.
Crash-Kurs
Vor allem in den ersten Jahr-zehnten der Raumfahrt kam es zu katastrophalen Unfällen mit zahlreichen Toten.
27. Januar 1967: Bei einer Simulation im Rahmen des Apollo-Mondflugprogramms der NASA bricht in der Raumkapsel ein Feuer aus. Drei Astronauten sterben.
24. April 1967: Beim ersten bemannten Flug des sowjetischen Sojus-Raumschiffs kommt es zu einer Fehlfunktion des Landefallschirms. Die Kapsel stürzt ab, der Kosmonaut Wladimir Komarow stirbt.
29. Juni 1971: Drei Kosmonauten ersticken bei der Landung von Sojus 11 aufgrund der Fehlfunktion eines Frischluftventils.
18. März 1980: Eine Wostok-Rakete explodiert auf der Startrampe, während sie aufgetankt wird. 48 Menschen sterben.
28. Januar 1986: Das Spaceshuttle Challenger explodiert 73 Sekunden nach dem Start. Sieben Astronauten kommen ums Leben.
14. Februar 1996: Die chinesische Rakete Langer Marsch 3 soll einen Satelliten ins All transportieren und gerät nach dem Start außer Kontrolle. Sie stürzt auf ein Dorf und tötet offiziellen Angaben zufolge sechs Menschen. Inoffizielle Berichte sprechen von hunderten Toten.
1. Februar 2003: Bei der Rückkehr von der Internationalen Raumstation explodiert das Spaceshuttle Columbia aufgrund eines defekten Hitzeschilds. Alle sieben Astronauten an Bord sterben.
22. August 2003: Die brasilianische Trägerrakete VLS-1 explodiert während des Starts und tötet 21 Techniker. Bis heute ist dem
brasilianischen Raumfahrtprogramm kein erfolgreicher Flug geglückt.