Wildtierbiologe Hackländer: "Man muss den Wolf jagen"

Die Rückkehr des grauen Raubtiers sorgt für Aufruhr in Österreich. Der Wildtierbiologe Klaus Hackländer erklärt, welche Urängste der Wolf auslöst, warum er in Bluträusche verfällt und wie eine Koexistenz mit dem Menschen trotz allem gelingen kann.

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profil: In Tirol und Salzburg gab es Anträge, Wölfe abzuschießen, die wiederholt Schafe gerissen haben. Das Verfahren in Salzburg läuft noch, in Tirol wurde der Antrag abgelehnt. Halten Sie das für einen Fehler?

Hackländer: Grundsätzlich ist es aus Sicht des Artenschutzes wichtig, echte Problemwölfe zu entnehmen. Es ist zum Wohl der Wölfe, die sich so verhalten, wie wir es gerne hätten: Diese fressen hauptsächlich Wild und meiden die Nähe des Menschen. Bei der lokalen Bevölkerung gibt es Ängste, die man ernst nehmen muss, und die Behörden müssen jeden Einzelfall entscheiden. In Tirol war abzusehen, dass es sich nicht um Problemtiere handelt, da es wenig Risse gab. Für den Fall in Salzburg ist zu klären, ob die Entnahme entsprechend eines Managementplans gerechtfertigt ist.

profil: Wann wird ein Wolf zum Problemtier?

Hackländer: Dass ein Wolf Nutztiere reißt, ist an sich nicht ungewöhnlich. In einem gewissen Maß müssen wir ihm das auch zugestehen. Viele Schafherden sind nicht in der Lage, richtig auf einen Angriff zu reagieren. Würden sie, wie es der Wolf erwartet, auseinandersprengen, würde er einem der Tiere nachjagen, es fressen und seiner Wege gehen. Doch die Schafe rotten sich oft zusammen oder sind durch einen Zaun eingeschränkt. Das führt beim Wolf zum Blutrausch: Hat er ein Schaf erlegt, hat er das nächste vor der Nase und kann nicht aufhören zu töten.

Das ist eine politische Entscheidung, keine akademische.

profil: In Tirol soll derzeit ein Bär sein Unwesen treiben. Sollte man ihn auch abschießen?

Hackländer: Nein. Er ist sehr mobil und wird Tirol wahrscheinlich bald wieder verlassen, weil er sich fortpflanzen will und ein Weibchen sucht.

profil: Wolf und Bär sind laut EU-Richtlinie streng geschützt. Wie kann man sie trotzdem zum Abschuss freigeben?

Hackländer: Es gibt Ausnahmen, wenn es zu gefährlichen Situationen mit Menschen kommt oder zu ernsten wirtschaftlichen Schäden. Für einen Bauern sind 25 gerissene Schafe ein ernster Schaden, für das Land Salzburg insgesamt natürlich nicht. Das ist eine politische Entscheidung, keine akademische. Reagiert die Politik nicht, kann es sein, dass sich manche selbst helfen. Das ist offensichtlich in Tirol passiert, wo ein Wolf gewildert wurde.

profil: Ist der Wolf überhaupt eine gefährdete Tierart?

Hackländer: Nein, in keiner Weise. Wir haben das Insektensterben, das Vogelsterben, die drastische Dezimierung von Wirbeltieren und diskutieren viel zu viel über den Schutz einer Tierart, die nach den Erkenntnissen der Weltnaturschutzunion IUCN weder global noch in Europa vom Aussterben bedroht ist. Im Gegenteil, ihre Population steigt stetig.

profil: Wie ist der Wolf zu seinem Schutzstatus gekommen?

Hackländer: Er genießt einen strengen Schutz laut Berner Konvention und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU. Der Schutzstatus stammt daher aus den 1970er-und 1990er-Jahren. Damals hat man nicht mit der massiven Ausbreitung des Wolfs gerechnet.

profil: Die Bauern müssen aufrüsten, wenn der Wolf kommt. Wie viel kostet das?

Hackländer: Der Schutz vor Übergriffen durch den Wolf kostet einen Almbauern pro Tier zwischen 150 und 550 Euro pro Jahr, wie meine Kollegen berechnet haben. Es geht ja nicht nur darum, einen hohen Elektrozaun zu errichten. Er muss gewartet werden, der Bauer braucht Herdenschutzhunde, Hütehunde und Hirten. Österreichweit würde das in zumindest zweistellige Millionenbeträge gehen.

Unsere Kulturlandschaft ist keine Wildnis.

profil: Müssen wir uns also die Frage stellen, ob wir uns die Rückkehr des Wolfs leisten wollen?

Hackländer: Der Wolf ist längst da! Die Frage ist vielmehr, wie wir mit ihm umgehen. Lassen wir ihm alle Freiheiten oder managen wir ihn -so wie wir übrigens seit jeher jedes andere Wildtier auch managen. Für das Rotwild gibt es Abschusspläne von den Behörden. Im gesamten Alpenraum gibt es Gebiete, wo Rothirsche und Gämsen nicht geduldet werden, weil dort wertvoller Lawinen-Schutzwald wächst.

profil: Haben die Jäger also recht mit ihrer Forderung, dass der Wolf wieder gejagt werden muss?

Hackländer: Daran führt kein Weg vorbei. Unsere Kulturlandschaft ist keine Wildnis. Es gibt Gebiete, wo es durchaus Platz gibt für Wolfsrudel, und Gebiete, wo wir nur Durchwanderer dulden können. Man muss sich also Obergrenzen überlegen. Alles was darüber hinausgeht, wird geschossen.

Hackländer: Unsere Berechnungen haben ergeben, dass in den nächsten 15 Jahren 50 bis 500 Wölfe in Österreich leben werden. Ihre Anzahl wächst derzeit jährlich um über 40 Prozent. Hierzulande gibt es dichte Wälder und große Mengen an Wild. Es gibt genügend Lebensraum abseits der Ballungsräume.

profil: Wo wäre noch Platz für den Wolf?

Hackländer: Im Zentralalpenraum, in den Nationalparks und in Gebieten, wo die Menschen abwandern. Für die Dagebliebenen wird das aber eine Herausforderung, das muss man ganz klar sagen.

Die Urangst vor dem Raubtier sitzt tief, ist in Österreich momentan aber nicht nötig.

profil: Das Waldviertel ist derzeit der Hotspot der Wölfe. Es gibt mittlerweile drei Rudel. Wie funktioniert dort das Zusammenleben mit den Anwohnern?

Hackländer: Ich habe mit den Leuten vor Ort gesprochen. Sie haben massive Angst um ihre Kinder, die im Winter in der Dämmerung zum Schulbus gehen. Manche haben sich Faustfeuerwaffen zugelegt.

profil: Ist die Angst begründet?

Hackländer: Die Urangst vor dem Raubtier sitzt tief, ist in Österreich momentan aber nicht nötig. Angriffe passieren immer in Extremsituationen. Wenn der Wolf hungert, könnte er sich in die Nähe des Menschen wagen - was hierzulande nicht passieren wird, weil er mehr als genug Nahrung findet. Tollwut gibt es auch nicht in Österreich. Seine Jungen bringt der Wolf nicht im Wienerwald zur Welt, sondern in abgelegenen Gebieten, wo es so gut wie keine Menschen gibt.

profil: Sie wohnen selbst im Wienerwald, wo Fotofallen und DNA-Analysen bestätigten, dass es einen Wolf gibt. Was würden Sie tun, wenn er Ihnen beim Spazieren begegnen würde?

Hackländer: Bisher hält er sich von Menschen fern. Sollte er wirklich vor mir stehen, würde ich ihm zeigen, dass ich angriffsbereit und wehrhaft bin. Sich zu verstecken oder wegzurennen, ist falsch. Ich würde Dominanz zeigen, laut sein, mich mit einem Stock oder Stein bewaffnen. Spätestens dann wäre er verschwunden.

Die Koexistenz ist nur möglich, wenn der Wolf auf Distanz gehalten wird.

profil: Was, wenn ein Rudel vor mir steht?

Hackländer: So weit sind wir noch nicht, aber im Waldviertel könnte das in den nächsten Jahren passieren. Dann kommt es darauf an, welche Erfahrungen die Wölfe mit dem Menschen gemacht haben. Haben sie gelernt, dass der Mensch gefährlich ist, dass er sie jagt? Es wäre in diesem Fall zu hoffen. Die Koexistenz ist nur möglich, wenn der Wolf auf Distanz gehalten wird.

profil: Wie gefährdet sind Wanderer mit Hunden?

Hackländer: Ist der Hund an der Leine, ist das kein Problem. Frei laufende Hunde sind aber sehr wohl gefährdet. In manchen Wolfsgebieten in Deutschland nehmen die Jäger ihre Hunde nicht mehr mit auf die Jagd.

profil: Verstehen Sie Bauern, die sagen, sie tun sich das mit dem Herdenschutz nicht an und hören lieber auf?

Hackländer: Natürlich, vor allem wenn sie machtlos sind. Im Flachland ist schnell ein Zaun errichtet. In den Alpen ist das vom Boden und der Topografie her technisch oft gar nicht möglich. Johann Georg Höllbacher, der Projektleiter der Nationalen Beratungsstelle Herdenschutz, lud einige erfahrene Hirten aus der Lüneburger Heide nach Österreich ein. Deren Strategie hat sich nicht bewährt, weil sich das Hüten mit den Hunden in den Bergen als zu mühsam herausstellte. Die Almwirtschaft ist schon jetzt mehr oder weniger Liebhaberei. Die Förderungen sind gerade einmal kostendeckend. Wenn jetzt noch der Wolf dazukommt, das sagten viele Bauern in unseren Umfragen, dann hören sie auf.

profil: Aber das könnte die Landschaft stark verändern.

Hackländer: Manche Almen werden wieder zu Wald werden. Das ist in Zeiten des Klimawandels kein Drama, auch nicht für den Tourismus. Umfragen unter Wanderern und Mountainbikern zeigten, dass sie einen höheren Waldanteil durchaus akzeptieren würden.

profil: Könnte man den Wolf von den Almen fernhalten?

Hackländer: Das ist nicht möglich. Komplett wolfsfreie Zonen, wie sie die Landwirtschaft fordert, kann es nicht geben. Der Wolf ist nachtaktiv, er wandert, davon können wir ihn nicht abhalten. Was wir aber brauchen werden, sind Wolfsfreihaltezonen, in den wir die Anwesenheit des Wolfes oder gar die Etablierung von Rudeln zu verhindern versuchen. Aber auch hier brauchen die Bauern Herdenschutzmaßnahmen. Der Wolf erzwingt einen Systemwandel in der Landwirtschaft, ob wir wollen oder nicht.

Vielleicht entblößt der Wolf auch das eigentliche Problem: Wir essen zu viel Fleisch und Milchprodukte, die aus einer intensiv genutzten Kulturlandschaft kommen.

profil: Wie machen das die Bauern in Spanien, Rumänien, Frankreich, Italien und anderen Ländern, wo der Wolf nie ausgerottet wurde?

Hackländer: Sie haben viel kleinere Herden, die nie unbewacht bleiben. Ein Hirte bringt die Tiere in der Früh mit Hütehunden auf die Weide und treibt sie abends zurück in den Nachtpferch oder in den Stall. Auf unseren Almen stehen im Sommer 420.000 Kühe, Schafe, Pferde und Ziegen völlig unbewacht, für den essen zu viel Fleisch und Milchprodukte, die aus einer Wolf ist das ein gefundenes Fressen. Vielleicht entblößt der Wolf auch das eigentliche Problem: Wir essen zu viel Fleisch und Milchprodukte, die aus einer intensiv genutzten Kulturlandschaft kommen. Für uns und die Biodiversität wäre weniger mehr.

profil: Man weiß seit Jahren, dass sich der Wolf ausbreitet. Hätte man nicht viel früher reagieren müssen?

Hackländer: Unbedingt. Die Politik hat überall verabsäumt, Geld in die Hand zu nehmen, um Ausbildungsstätten für Schäfer und Zuchtprogramme für Herdenschutzhunde zu ermöglichen. Die Schweiz hat sich hingegen gut auf den Wolf vorbereitet. Auf dem Markt gibt es derzeit kaum Herdenschutzhunde, weil die Züchter in der Schweiz sie zu einem sehr guten Preis verkaufen.

profil: Wie jagt man einen Wolf?

Hackländer: Das ist gar nicht so leicht. Die Tiere sind sehr intelligent. In Niedersachsen wurde Ende Jänner ein Problemwolf zum Abschuss freigegeben. Er ist dort bis heute unterwegs.

profil: Was wurde aus dem Problemwolf, der vergangenes Jahr in Salzburg Schafe riss?

Hackländer: Er ist in den Wienerwald abgewandert. Dort lebt er relativ konfliktarm. Er hat bisher ein Schaf gerissen und eines zu Tode erschreckt, ansonsten hält er sich an Rehe und Wildschweine. Natürlich gibt es im Wienerwald weniger Schafe als im Pinzgau.

Eine Ausrottung durch die Jagd wäre heute unmöglich.

profil: Wenn er so schwer zu erwischen ist, wie hat man den Wolf dann einst ausgerottet?

Hackländer: 1896 wurde der letzte Wolf in Österreich getötet. Die Ausrottung schaffte man damals nicht mit dem Jagdgewehr, sondern mit Methoden, die mit unserem heutigen Jagdverständnis nichts zu tun haben. Es gab Schlingen, Gift und Wolfsgruben, in denen ein lebendiges Schaf als Lockvogel diente, um das Raubtier anschließend mit Steinen grausam zu töten. Eine Ausrottung durch die Jagd wäre heute unmöglich.

profil: Ist der Wolf eine Trophäe für den Jäger?

Hackländer: In Österreich gibt es dafür keine Tradition. In anderen Ländern stopft man Wölfe in der Regel aus oder legt sich ihr Fell vor den Kamin. Das Fleisch wird nicht verwertet.

profil: Ist das Raubtier ein Konkurrent für die Jägerschaft?

Hackländer: Natürlich. Nicht, weil er ab und zu ein Reh reißt, sondern durch die "Landschaft der Furcht", die er schafft. Das Wild stellt sich auf einen weiteren Verfolger neben dem Menschen ein, es wird unberechenbarer, die Jagd schwieriger und damit die Erfüllung der behördlichen Abschusspläne eine größere Herausforderung.

profil: Besteht die Möglichkeit, dass der Schutz des Wolfs gelockert wird?

Hackländer: Um den Wolf in der EU-Richtlinie vom geschützten Bereich in den Managementbereich zu verschieben, bräuchte man die Einstimmigkeit im Europäischen Rat. Die wird es nicht geben. Es gibt stattdessen den Vorschlag, den Wortlaut der Richtlinie dahingehend zu ändern, dass nicht jeder Mitgliedsstaat verpflichtet ist, für den günstigen Erhaltungszustand zu sorgen, sondern länderübergreifende Managementzonen zu schaffen.

Man muss den Wolf scheu halten. Er ist nicht ohne Grund zum Haushund geworden.

profil: Frankreich hat beschlossen, mit 500 Stück genug Wölfe zu haben, und bejagt den Überschuss. Auf welcher rechtlichen Grundlage?

Hackländer: Wenn Sie so wollen, mit einer dauerhaften Ausnahme. Die Franzosen riskieren ein Vertragsverletzungsverfahren. Niederösterreich hat das auch mit den Fischottern schon gemacht.

profil: Sie halten die derzeitige Situation in Deutschland für brandgefährlich. Warum?

Hackländer: Dort gibt es bereits an die 1000 Wölfe mit einer jährlichen Wachstumsrate von 30 Prozent - aber keine geregelte Bejagung. Man muss den Wolf scheu halten. Er ist nicht ohne Grund zum Haushund geworden.

profil: Eine große Mehrheit der Österreicher steht der Rückkehr des Wolfs positiv gegenüber. Warum glauben Sie, dass sich das ändern könnte?

Hackländer: Die Stimmung könnte sehr schnell kippen, sobald es die ersten unangenehmen Begegnungen mit dem Wolf gibt. Sie wird umso negativer für den Wolf ausfallen, wenn man Problemtiere nicht entfernt.

Klaus Hackländer: Der Wildtierbiologe leitet das Department für Integrative Biologie und Biodiversitätsforschung an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Er machte zuletzt mit einer Studie für den WWF Furore, die zeigte, dass in den vergangenen 30 Jahren zwei Drittel aller Wirbeltiere Österreichs verschwunden sind (profil 03 / 2019). Hackländer berät mehrere nationale und internationale Gremien, darunter die "Koordinierungsstelle für den Braunbären, Luchs und Wolf" in Österreich und die Plattform "Koexistenz von Mensch und Großraubtieren in der EU". In dem von ihm nun herausgegebenen Buch über den Wolf diskutieren Bauern, Jäger, Tourismusexperten und Artenschützer die Rückkehr des Raubtiers. Wissenschafter ergänzen deren Sichtweisen durch Fakten aus der Forschung.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.