ULTRASCHALL: Nackenfaltenmessung und Organ-Screening sind in vielen Ländern kostenlos. In Österreich nicht.

Schwangerschaft: Die Kassen zahlen nur für veraltete Vorsorge

Gynäkologen erheben schwere Vorwürfe: Die von den Kassen bezahlte Schwangerenvorsorge ist in Österreich dramatisch veraltet. Die Folge sind Abtreibungen in letzter Minute.

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Update 20. Juni: Der Hauptverband der Sozialversicherungen meldete sich nun doch mit einer Stellungnahme bezüglich der Vorwürfe, die Pränataldiagnostik sei in Österreich hoffnungslos veraltet: „Grundsätzlich muss gesagt werden, dass die soziale Krankenversicherung von Gesetzes wegen für Krankenbehandlung zuständig ist und eine werdende Mutterschaft keine Krankenbehandlung darstellt. Um daher die von den Gynäkologen geforderten Maßnahmen der pränatalen Diagnostik auf den aktuellen Stand des medizinischen Wissens zu bringen, liegt in der Verantwortung der BundesministerIn für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz und ist im ASVG § 132c geregelt.“ Der Hauptverband folge einer Verordnung aus dem Jahr 1981, diese zu ändern, sei Aufgabe des Ministeriums. Aber ist der Hauptverband nicht auch für Prävention zuständig? Schließlich zahlen die Kassen auch Impfungen, Mammografien und andere Vorsorgeuntersuchungen. Das sei richtig, so der Sprecher des Hauptverbands, aber: „Da geht es um die Vorbeugung von möglichen Krankheiten, was bei der Pränataldiagnostik nicht so eindeutig der Fall ist.“ Das stimmt so nicht. Beim Organ-Screening können Mediziner Herzfehler und andere Krankheiten feststellen und bereits im Mutterleib oder gleich nach der Geburt behandeln. Bei Gynäkologen löste die Stellungnahme des Hauptverbands massive Verärgerung aus. „Das Organ-Screening rettet Leben. Der Hauptverband schickt uns im Kreis, weil er dafür nicht zahlen will“, sagt Peter Husslein, Leiter der Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin im Wiener Allgemeinen Krankenhaus.

Es gibt Notfälle, die der Wiener Gynäkologe Peter Husslein nie wieder erleben möchte. Einmal drohte eine Hochschwangere, aus Verzweiflung aus dem 15. Stock in den Tod zu springen. Die Frau hatte eine normale Schwangerschaft und drei von der Krankenkasse bezahlte Ultraschalluntersuchungen hinter sich. Bei der dritten war ihrer Gynäkologin eine Fehlbildung aufgefallen, und kurz darauf war klar: Das Kind würde mit einer gravierenden Behinderung zur Welt kommen. Im schlimmsten Fall bedeutete das: Lähmungen, ein Leben im Rollstuhl und Inkontinenz. Die Mutter konnte sich nicht vorstellen, damit zurechtzukommen. Sie geriet in Panik. Sie sagte, sie werde sich umbringen, sollten die Gynäkologen in der Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin im Wiener Allgemeinen Krankenhaus das Kind in der 34. Schwangerschaftswoche (achter Monat) nicht abtreiben. Ein Team aus Gynäkologen, Kinderärzten, Genetikern, Neurologen sowie Spezialisten für Ultraschall entschied nach eingehender Beratung, dem Wunsch der Mutter zu entsprechen. Ein Arzt injizierte mit einer Nadel Kaliumchlorid in das Herz des Kindes. Es starb binnen kürzester Zeit im Mutterleib.

Diese furchtbare Situation hätte, wenn schon nicht vermieden, so doch wesentlich erträglicher gestaltet werden können. Wäre bei der Mutter in der 20. Schwangerschaftswoche ein Organ-Screening vorgenommen worden, hätte die Abtreibung schon viel früher erfolgen können.

Grundsätzlich sind Abbrüche in Österreich bis zur zwölften Woche straffrei. In Fällen, bei denen eine „ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“, darf laut Gesetz bis kurz vor der Geburt abgetrieben werden. Mediziner unterteilen Spätabbrüche in zwei Stadien: Von der 15. bis zur 21. Schwangerschaftswoche erhalten die Frauen ein Medikament, das Wehen auslöst; das Kind stirbt und geht ab. Hätte das eingangs beschriebene Baby eine leichtere Behinderung gehabt, etwa eine Trisomie 21 (Down-Syndrom), hätte sich Hussleins Team gegen eine Beendigung der Schwangerschaft entschieden: „In diesen Fällen brechen wir nur bis zur 21. Woche ab.“ Denn ab der 22. Woche wäre das Kind lebensfähig. Das heißt, die Ärzte müssen einen Fetozid durchführen, bei dem das Kind durch einen Herzstich im Mutterleib getötet wird. Je später der Abbruch, desto schwerer ist er für die Mutter, die Angehörigen und das beteiligte Personal.

"Regelung geradezu absurd"

Das Problem: Die Krankenkassen bezahlen während der Schwangerschaft drei Ultraschalluntersuchungen, deren primäres Ziel die Gesundheitsvorsorge ist, nicht das Erkennen von Fehlbildungen. Risikogruppen wie Frauen über 35, Schwangere, die bereits ein Kind mit Fehlbildungen oder ein erhöhtes familiäres Risiko für einen Gendefekt haben, werden von den Kassen in die Spitäler geschickt, die sie mangels Kapazitäten oft ohnehin wieder an Privatärzte weiterleiten müssen. „Diese Regelung aus dem Jahr 2010 ist antiquiert, war schon damals nicht mehr zeitgemäß und ist im Jahr 2019 geradezu absurd“, sagt Peter Husslein, Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Wiener Allgemeinen Krankenhaus.

Es wäre höchste Zeit, die Pränataldiagnostik in Österreich auf den international üblichen Stand zu bringen. Darauf pochen mehrere Ärztevereinigungen, darunter die Österreichische Gesellschaft für Prä- und Perinatale Medizin, seit Langem: „Wir fordern eine Nackenfaltenmessung sowie ein Organ-Screening kostenlos für alle Schwangeren – auf freiwilliger Basis“, sagt Vorstandsmitglied Christian Dadak. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger griff die Vorschläge bisher nicht auf.

Die beiden Untersuchungen sollen die bisherigen ersetzen. Bei der Nackenfaltenmessung analysiert der Arzt in der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche mit dem Ultraschallgerät die Nackenfalte, deren Dicke auf Trisomie 21 hinweisen kann. Organe und Blutgefäße werden ebenfalls genau untersucht. Kostenpunkt: 100 Euro. In der 20. bis 22. Woche sollte das bereits erwähnte Organ-Screening folgen, bei dem Mediziner Krankheiten des Kindes entdecken und möglicherweise bereits im Mutterleib behandeln können. Kosten: 150 Euro. In Deutschland, der Schweiz und anderen europäischen Ländern wird das Organ-Screening seit Jahren von den Kassen bezahlt.

"Es ist essenziell, zu wissen, was einen erwartet"

Findet ein speziell ausgebildeter Arzt bei diesem aufwendigen Ultraschall ein Loch im Zwerchfell, was bei einem von 2500 Föten vorkommt, kann er dessen Leben retten. Er schiebt dem Ungeborenen einen kleinen Ballon in die Luftröhre, der verhindert, dass Magen, Leber, Milz und Darm in die Brusthöhle vordringen und die Lunge einquetschen. Kurz vor der Geburt wird der Ballon entfernt. Wird eine Zwerchfellhernie nicht erkannt, bleibt die Lunge unterentwickelt, das Kind kann nicht atmen – was häufig das Todesurteil nach der Geburt bedeutet. Viele Herzfehler müssen ebenfalls noch im Mutterleib oder sofort nach der Entbindung behandelt werden. „Es ist essenziell, zu wissen, was einen erwartet“, sagt die Innsbrucker Neugeborenenmedizinerin Ursula Kiechl-Kohlendorfer. Bei einer komplexen Fehlbildung müsse das Kind noch im Mutterleib an das jeweilige Spezialzentrum transferiert werden.

Aber sind Pränataltests nicht auch eine Belastung für die werdende Mutter? Schließlich kommen 96 von 100 Kindern gesund zur Welt. Die Frage Austragen oder nicht kann Eltern durchaus in ein Dilemma stürzen. „Ich habe mich bewusst gegen die Nackenfaltenmessung entschieden, weil für mich und meinen Mann klar war, dass wir unsere Kinder auf jeden Fall bekommen werden“, sagt Hanna Leitner. Bei Freunden habe sie gesehen, wie viel Stress die Untersuchung auslösen kann. Die Unternehmerin ist heute Mutter zweier gesunder Buben. Auch den nichtinvasiven Pränataltest, kurz NIP-Test, der die Nackenfaltenmessung früher oder später ablösen wird, hat sie abgelehnt. Er ist mit 600 Euro teuer, dafür präziser. Leitner war lange Behindertenbetreuerin und weiß, dass Menschen mit Trisomie 21 ein erfülltes und weitgehend selbstbestimmtes Leben führen können. „Hier muss es weiterhin ein Recht der Frau auf Nichtwissen geben. Das Organ-Screening sah ich allerdings als Verpflichtung meinen Kindern gegenüber. Es kann Leben retten“, sagt Leitner.

Warum also wird es nicht allen Schwangeren angeboten? Zu dieser Frage wollte der Hauptverband der Sozialversicherungsträger keine Stellungnahme abgeben.

So viel steht fest: Die beiden Untersuchungen würden Schwangeren mehr helfen als die neu entbrannte Diskussion um das Verbot von Spätabtreibungen. Die Initiative „Fairändern“ hatte sich zuletzt mit prominenter Unterstützung von Kardinal Christoph Schönborn und mehreren ÖVP- und FPÖ-Politikern dafür eingesetzt, die Abbrüche bei massiven Fehlbildungen nach dem dritten Monat unter Strafe zu stellen. Die Zahl der Abtreibungen würde dadurch massiv ansteigen, warnten Fachleute. Je weiter ein Kind entwickelt ist, desto genauer können die Ärzte prognostizieren. Entdecken sie bei der ersten Untersuchung Auffälligkeiten, können sie heute abwarten, ob sich der Verdacht bestätigt. Gibt es diese Möglichkeit nicht mehr, würden viele Frauen gleich abtreiben, ohne Gewissheit zu haben, sagt Peter Husslein. In seiner Abteilung im AKH kommen jährlich 2500 Babys zur Welt, über 100 Schwangerschaften werden aber nach Ende der Fristenlösung aus medizinischen Gründen beendet. Eine österreichweite Statistik gibt es weder über Abtreibungen noch über Spätabbrüche, trotz vieler Appelle von Frauenvolksbegehren, Bürgerinitiativen und der Ärztekammer an die Politik.

Präimplantationsdiagnostik

Je früher Defekte erkannt werden, desto besser. Warum also nicht gleich auf künstliche Befruchtung setzen und kranke Embryos aussortieren, bevor sie in der Gebärmutter heranwachsen? In das Wiener Kinderwunsch Zentrum von Michael Feichtinger kommen häufig Paare, die bereits ein krankes Kind haben und sichergehen wollen, dass das nächste gesund zur Welt kommt. Andere haben genetische Erkrankungen in der Familie, die sie ihren Kindern ersparen möchten.

Ihnen kann die Präimplantationsdiagnostik Klarheit bringen: ein Gentest an im Reagenzglas entstandenen Embryonen. Ihnen werden aus der äußeren Schicht Zellen entnommen und auf schwere Erbkrankheiten wie Spiralen Muskelschwund oder zystische Fibrose getestet, eine Stoffwechselstörung, die zu chronischen Entzündungen der Atemwege und Organe führt. Eine mit 5000 bis 15.000 Euro teuer erkaufte Gewissheit, die bei einer Vorbelastung aber durchaus Sinn hat – und die besorgte Eltern selbst bezahlen müssen. Der Frau werden anschließend ausschließlich die gesunden Embryonen eingesetzt. Günstiger ist mit etwa 2500 Euro ein Screening der Chromosomen, bei dem sich Trisomie 21 und andere, nicht vererbbare, aber mit dem Alter der Mutter assoziierte Krankheiten ausschließen lassen.

Möglich wäre freilich noch viel mehr. „Ich habe meiner Mutter beim Sterben zusehen müssen und weiß, dass auch ich erkranken werde. Meiner Tochter möchte ich das ersparen.“ Solche Sätze hört Gynäkologe Michael Feichtinger oft von Frauen, die eine Veranlagung zu einem aggressiven Brust- und Eierstockkrebs in sich tragen. In Österreich und Deutschland sind Tests an Embryonen aber nur erlaubt, wenn der Verdacht auf gravierende Krankheiten in der Kindheit besteht. Feichtingers Patientinnen weichen häufig nach Tschechien, Großbritannien und Skandinavien aus, wo man auch nach Gendefekten suchen darf, die erst im späteren Leben auftreten. Chorea Huntington zum Beispiel ist eine erblich bedingte, unheilbare Erkrankung des Gehirns, die im Alter von 40 Jahren beginnt, zu Demenz und schließlich zum Tod führt. Feichtinger: „Die Gendiagnostik wird sich früher oder später auch bei uns durchsetzen.“

Für die Durchschnittsösterreicherin bleibt das vorerst Zukunftsmusik. Eine anständige Schwangerenvorsorge würde für den Anfang schon reichen.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.