Dieser Umstand hinderte die Hersteller von Detox-Präparaten jedoch nie daran, ihre vermeintlich segensreichen Innovationen zur „Entschlackung“ um gutes Geld anzupreisen – bis hin zu absurden Erfindungen wie Pflastern, die Giftstoffe über Nacht aus der Haut saugen sollen. Das Versprechen ist stets dasselbe: wenig Aufwand für den Konsumenten, einfach ein paar Kapseln schlucken, und im Handumdrehen sind Ernährungs- und sonstige Sünden der Vergangenheit getilgt. So einfach kann die Welt sein.
Zuletzt konzentrierten sich die Anbieter solcher Produkte speziell auf die Leber. Vielleicht deshalb, weil sich hier besonders effizient suggerieren lässt, im Körper schlummere unbemerkt eine tickende Zeitbombe. So wird selten auf den Hinweis verzichtet, dass die Leber nicht schmerze und sich trotzdem im Stillen gesundheitliches Leid aufbauen könne – von der Ansammlung von Giftstoffen bis zur Entwicklung einer Fettleber, die wiederum die Vorstufe zur Leberzirrhose sei.
Letzteres stimmt: Fett kann sich in Leberzellen einlagern, verursacht durch allzu üppige, fettreiche Ernährung oder durch Umbauprodukte von Alkohol. Mit der Zeit bildet sich die sogenannte Fettleber, die tatsächlich oft lange unbemerkt bleibt, wobei allerdings Laboruntersuchungen Hinweise auf solch eine Erkrankung liefern. Vernarbungsprozesse sowie Entzündungen können letztlich in eine Zirrhose münden, eine irreversible Folgekrankheit.
Keine nachgewiesene Wirkung
Freilich: Nur weil derartige medizinische Konsequenzen möglich sind, heißt das längst nicht, dass frei erhältliche und im Internet bestellbare Nahrungsergänzungsmittel dagegen helfen. Zumindest die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen erbrachten keine erwiesen vorteilhafte Wirkung solcher Präparate. Über die Jahre wurden verschiedene Studien dazu durchgeführt – zumindest zu Produkten, deren Inhaltsstoffe klar ausgewiesen und damit überprüfbar waren, etwa pflanzliche Substanzen wie Mariendistel oder Artischocke.
Vor allem der Mariendistel werden seit Langem positive Eigenschaften für die Leber nachgesagt. Schon im Altertum galt sie als Heilpflanze, die gerne bei Leberleiden zum Einsatz kam. Besonders die Substanz Silymarin soll für die günstigen Effekte verantwortlich sein. Einige Studien lieferten in der Tat Hinweise, dass bestimmte Leberwerte dadurch ein wenig gesenkt werden könnten. Aber: Die Zusammenschau der Resultate, so etwa das Fazit einer Auswertung der Medizinplattform Cochrane Collaboration, sei nicht hinlänglich überzeugend.
Viele Studien seien schlicht zu klein oder hätten erhebliche methodische Mängel, sodass belastbare Evidenz fehle. Wenn eine Studie nur ein Dutzend Probanden einschließt, treten fast zwangsläufig Zufallsergebnisse auf, die den Befund verzerren und daher keine Aussagekraft besitzen; und wenn in einer Studie zwei Patientengruppen in unterschiedlichen Stadien einer Lebererkrankung einen Wirkstoff oder ein Placebo verabreicht bekommen, fehlt die solide Vergleichbarkeit.
Daher gelangten bisher sämtliche größeren Auswertungen solcher Präparate zum Schluss, dass die Behauptungen über den angeblichen Nutzen nicht ausreichend von wissenschaftlichen Belegen gestützt werden.
Blei statt nützlicher Wirkstoffe
Sehr wohl aber gab es Hinweise darauf, dass manche von ihnen Schaden anrichten können. Die österreichische Medizinaufsichtsbehörde AGES, die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, unterzog Proben davon immer wieder umfassenden Untersuchungen. Eine dieser Bewertungen, die allerdings schon aus dem Jahr 2019 stammt, führte bei mehr als der Hälfte der knapp 80 geprüften Produkte zu Beanstandungen, meist gleich in mehreren Punkten. So war in einer Probe fünffach mehr Blei enthalten als erlaubt.
Doch selbst wenn ihre Qualität untadelig wäre – überflüssig wären die Mittelchen trotzdem, wie Mediziner immer wieder betonen. Denn es sei eben ein Irrglaube, dass man den Körper zusätzlich entgiften oder entschlacken müsse. Die Vorstellung einer Detoxifikation, um „die toxische Umwelt zu kompensieren, ist Blödsinn“, meinte beispielsweise der Berliner Ernährungsmediziner Andreas Pfeiffer gegenüber der deutschen Stiftung Warentest.
Grafische Darstellung der Leber
Die Leber ist das größte innere Organ des Menschen, besteht aus einem linken und einem rechten Lappen und erfüllt lebenswichtige Aufgaben. Sie versorgt den Körper einerseits mit wichtigen Nährstoffen wie Proteinen und Vitaminen und baut mithilfe von Enzymen Schadstoffe ab, beispielsweise Rückstände von Medikamenten.
Immerhin hat der Mensch seine gesamte Evolution auch dadurch gemeistert, dass ihm seine Organe geholfen haben, Nährstoffe zu gewinnen und Schadstoffe sowie unerwünschte Stoffwechselprodukte loszuwerden. Die Leber nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Bei Erwachsenen 1,4 bis knapp zwei Kilo schwer, besteht sie aus einem rechten und einem linken Lappen, getrennt von einem Band aus Bindegewebe. An ihrer Unterseite liegt die für die Fettverdauung wichtige Gallenblase, die von der Leber mit Flüssigkeit gespeist wird.
Zu den wesentlichen Aufgaben der Leber gehört sowohl die Bereitstellung von Nährstoffen als auch Umwandlung und Abbau giftiger Substanzen. Die verschiedenen Stoffe gelangen über die Pfortader aus dem Verdauungsapparat in die Leber. So sorgt sie zum Beispiel für den Zuckerhaushalt. Zucker aus Lebensmitteln kann hier gespeichert und bei Bedarf, wenn der Zuckerspiegel sinkt, als Glukose ins Blut abgegeben werden. Eiweißbausteine aus der Nahrung wandelt die Leber in Proteine für Gerinnungsfaktoren und das Immunsystem um, darunter solche, die bei Entzündungen eine wichtige Rolle spielen. Überdies gewinnt sie aus der Nahrung Vitamine und Mineralstoffe.
Entgiftungszentrale des Körpers
Und sie ist die körpereigene Entgiftungszentrale, wobei Enzyme helfen. Solche Eiweiße spalten beispielsweise Alkohol über Zwischenstufen in Essigsäure auf. Auf diese Weise wird stündlich etwa ein Gramm Alkohol pro zehn Kilo Körpergewicht abgebaut. Besonders bedeutsam ist die Leber auch dabei, Schadstoffe wie Rückstände von Medikamenten unschädlich zu machen. Dafür benutzt sie die Enzymgruppe Cytochrom P450. Weil diese bei Neugeborenen noch nicht voll ausgeprägt ist, können Kleinstkinder manche Arzneien nicht oder nur schlecht verstoffwechseln, und auch in höherem Alter lässt die Leistungsfähigkeit dieser Leberproteine nach.
Andererseits gibt es auch sogenannte Prodrugs – Medikamente, deren Wirkpotenzial im Körper erst aktiviert werden muss. Leberenzyme sind dafür verantwortlich, diese Präparate gleichsam einzuschalten.
All das bewältigt die Leber im Regelfall mit Bravour und ganz ohne Hilfe von Detox-Mitteln. Aber kann es nicht sein, dass das Entgiftungsorgan fallweise überfordert ist, etwa von zu großen Mengen an Schadstoffen aus der Umwelt? Tatsächlich können sich Gifte wie Dioxin oder Schwermetalle einlagern, die beispielsweise aus Nahrungsquellen wie Fischen stammen. Aber: Dagegen helfen die extensiv beworbenen Detox-Präparate auch nicht.
Fett, Alkohol, Übergewicht, Bewegungsmangel
Fachleute raten daher vor allem, auf die Ernährung zu achten – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Wer die Möglichkeit hat, eher biologische oder regional produzierte Lebensmittel zu konsumieren, erhöht die Wahrscheinlichkeit, schadstoffarm zu essen. Die Hauptbelastung für die Leber und das Fundament späterer Probleme ist jedoch: zu viel, zu fett, zu viel Alkohol, zu wenig Bewegung. So gilt Übergewicht (neben Alkohol) als größter Risikofaktor für eine Fettleber, und vor allem große Mengen fettreicher Nahrung sind ein wahrer Härtetest für das Organ.
Deshalb lautet der wichtigste Ratschlag: Man esse bunt, ausgewogen, genieße Fleisch und Alkohol in Maßen und verordne dem Körper ausreichend Bewegung. Das mag zwar weniger hip und bequem sein als die krachend beworbenen Blitzkuren für die Leber, doch im Gegensatz dazu sind diese Maßnahmen wenigstens wissenschaftlich erwiesen.