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Soziale Ansteckung: Glückliche Freunde machen glücklich, dicke Freunde dick

Glück, Übergewicht, Rauchen sind ansteckend: Wie sehr uns soziale Netzwerke beeinflussen – und wie sich die Abnehmspritze Ozempic auswirken wird.

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Übergewicht ist ansteckend: Mit dieser Feststellung feierte der US-Mediziner, Soziologe und Komplexitätsforscher Nicholas Christakis seinen Durchbruch. Die Gefahr, Übergewicht zu entwickeln, steigt um 57 Prozent, wenn eine enge Freundin, ein enger Freund zugenommen hat. Bei Geschwistern erhöht sich das Risiko um 40 Prozent, bei Ehepartnern um 37 Prozent. 

Diese erstaunlichen Erkenntnisse hatten Christakis und sein Kollege James Fowler 2007 aus den Daten einer Langzeitstudie im Bostoner Vorort Framingham extrahiert, in der 12.000 Freiwillige seit 1948 bis heute regelmäßig auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht werden. Zwei Phänomene liegen dem Dickmacher-Effekt zugrunde, wie Christakis im profil-Gespräch erklärt.

Erstens die Nachahmung: „Wenn wir andere Menschen immer wieder beim Essen großer Portionen beobachten, vergrößert sich die Chance, sich selbst mehr auf den Teller zu laden. Zweitens verschieben sich unsere Normen. Wenn viele Menschen in unserer Umgebung dicker werden, kann das unsere Wahrnehmung dessen verändern, was Normalgewicht bedeutet.“

Freunde von Freunden, die man gar nicht kennt

Christakis nennt ein Beispiel: „Amy hat eine Freundin namens Maria, und diese hat eine Freundin namens Heather, die Amy nicht kennt. Heather treibt keinen Sport mehr und nimmt zu.“ Weil Maria Heather mag, kommt sie zu dem Schluss, dass es gar nicht schlimm sei, übergewichtig zu sein. Wenn Amy, die regelmäßig mit Maria laufen ging, plötzlich keinen Sport mehr treiben will, drängt sie Maria nicht, weiter joggen zu gehen. „Selbst wenn Maria ihr eigenes Verhalten nicht ändert, wirkt sich ihre Einstellung auf das Verhalten von Amy aus“, so Christakis.

Komplexe Zusammenhänge wie diese lassen sich mit intelligenten mathematischen Modellen beschreiben. In Framingham bildeten sich über die Jahrzehnte immer mehr Cluster von Übergewichtigen, und sie breiteten sich aus, wie überall in den USA und Europa. Sind also soziale Netzwerke hauptverantwortlich für das grassierende Übergewicht? „Auf keinen Fall“, widerspricht Christakis. Es habe seinen Ursprung in den gesellschaftlichen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte: Die meisten Menschen arbeiten heute im Sitzen, die Essgewohnheiten haben sich gewandelt, Ungesundes wird aggressiv vermarktet. Aber Freundes- und Bekanntenkreise wirken wie enorme Verstärker. „Welcher Same auch gesät wird – ob ein Krankheitserreger, ein Verschwörungsmythos oder eine Gewichtsnorm –, er kann sich über soziale Beziehungen verbreiten und eine immer größere Zahl von Menschen erfassen“, sagt Christakis. Online-Netzwerke verstärken den Effekt zusätzlich.

Wie sich die Abnehmspritze Ozempic auswirken könnte

Aber wie genau funktioniert soziale Ansteckung? Wie wird sich die Abnehmspritze Ozempic auf die Epidemie des Übergewichts auswirken? Wie kann man soziale Netzwerke nutzen, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern? Und kann man sich bei Freunden auch mit Glück anstecken? Der Complexity Science Hub Vienna, ein von mehreren heimischen Universitäten gegründeter Verein, der sich der Komplexitätsforschung verschrieben hat, hat Yale-Professor Nicholas Christakis nach Wien eingeladen. 21. Oktober wird er einen Gastvortrag an der Medizinischen Universität Wien halten, Anmeldung hier.

Die meisten Medizinerinnen feiern den Wirkstoff Semaglutid, bekannt unter dem Markennamen Ozempic, als Wunderwaffe gegen Adipositas. Ursprünglich als Medikament gegen Diabetes entwickelt, hilft die monatlich verabreichte Spritze äußerst effektiv beim Abnehmen. Könnte sie sogar ein Erschlanken der Gesellschaft bewirken? „Davon bin ich überzeugt. Sie könnte eine Kaskade auslösen, die dem Nichtraucher-Effekt ähnelt“, sagt Christakis.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.