Coronavirus

Statistiker Neuwirth: "Die Todesfälle steigen noch nicht"

Erich Neuwirth warnte im Sommer 2020 als Erster vor den explodierenden Corona-Zahlen. Gehen wir heuer besser gewappnet in den Herbst?

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profil: Aktuell sind sowohl die Infektionszahlen als auch die Spitalsaufenthalte höher als im August des Vorjahres. Wie groß ist Ihre Sorge?

Neuwirth: Relativ groß. Aber es gibt wenigstens eine positive Entwicklung: Die Zahl der Todesfälle ist seit Anfang August zwar höher als 2020, steigt aber derzeit noch nicht (so wie die anderen Kennzahlen). Die meisten Hochbetagten sind geimpft, das wirkt sich nun aus.

profil: Was erwarten Sie für die nächsten Wochen?

Neuwirth: Derzeit haben wir bei der Inzidenz eine Zunahme von 50 Prozent pro Woche. Wenn sich das fortsetzt, sind wir in wenigen Wochen dort, wo wir vergangenen Herbst waren. Das ist sehr bedrohlich. Die Hoffnung ruht nun auf möglichst schnell einsetzenden Maßnahmen.

profil: Der Gesundheitsminister kann sich nun doch vorstellen, bei Veranstaltungen nur noch Geimpfte einzulassen. Was halten Sie davon?

Neuwirth: Ich halte das für eine vernünftige Idee. Nur: Die Wirkung der Impfung liegt bei Delta zwischen 80 und 90 Prozent, was heißt, dass auch hier Infektionen nicht ausgeschlossen werden können. Ich würde grundsätzlich sehr für strenge Distanzregeln in Innenräumen plädieren.

profil: Sie sind selbst ein begeisterter Konzertgeher. Waren Sie heuer bei Veranstaltungen?

Neuwirth: Wir waren heuer bei zwei Konzerten. Dort wurde penibel auf Maskentragen und Abstandhalten geachtet.

profil: 56 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind vollständig geimpft - warum hat das so wenig Einfluss auf die Infektionszahlen?

Neuwirth: Weil die Raten viel zu niedrig sind. Wir sollten auf wenigstens 80 Prozent kommen.

profil: Wie lange haben wir dafür noch Zeit?

Neuwirth: Dazu kann ich keine Zahlen nennen. Beängstigend ist, wie dramatisch die Impfbereitschaft gesunken ist. Es gibt heute nur noch ein Viertel so viele neue Impfwillige wie vor einem Monat, Tendenz sinkend. Im internationalen Vergleich schneiden wir hier besonders schlecht ab.

profil: Woran liegt das?

Neuwirth: Eine endgültige Erklärung habe ich nicht, aber in den sozialen Medien begegnen mir immer wieder Impfgegner mit völlig irrationalen Meinungen. Das ist offensichtlich eine relativ große Gruppe, an die wir bei der Impfrate jetzt anstoßen.

profil: Glauben Sie, dass uns wieder ein Lockdown blüht?

Neuwirth: Ich kann es leider nicht ausschließen, obwohl ich es gerne täte.

profil: Im Vorjahr haben wir gelernt: Kurze und heftige Maßnahmen wirken besser als langwierige und halbherzige.

Neuwirth: Genau. Dementsprechend sollten wir handeln, ähnlich wie beim Intervalltraining im Sport: kurze, harte Lockdowns, dann öffnen und die Zahlen genau beobachten.

profil: Sie haben die Datenlage in Österreich kürzlich eine Zumutung genannt. Wer ist schuld an dem Wirrwarr?

Neuwirth: Es gibt zwei Probleme: Das Argument des Datenschutzes verstehe ich allerdings nicht, weil das Epidemiegesetz den Gesundheitsminister ermächtigt, in Krisenzeiten bestimmte Daten zu kombinieren. Hinzu kommt das Provinzkaisertum. Die Spitalsdaten werden in den Ländern gesammelt, die Informationen des elektronischen Impfpasses sind Bundessache.

profil: Welche Daten würden Sie am dringendsten brauchen?

Neuwirth: Man müsste dringend die Spitalsdaten mit dem E-Impfpass verknüpfen. Nur so können wir zeigen, wie gut die Impfung wirkt. Aber wir wissen derzeit nicht, wie viele der Spitalspatienten geimpft sind.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.