Der alte Sünder

Thomas Midgley, der größte Umweltsünder aller Zeiten

Jubiläum. Thomas Midgley, der größte Umweltsünder aller Zeiten

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Von Florian Freistetter

Als der Chemiker Thomas Midgley am 18. Mai 1889 zur Welt kam, rechnete wohl niemand damit, dass er als jener Mann in die Geschichte eingehen würde, der unserem Planeten im Alleingang mehr Schaden zugefügt hat als jeder andere zuvor. Und selbst als er am 2. November 1944 in seinem Bett von einer seiner eigenen Erfindungen stranguliert wurde, konnte er eigentlich zufrieden auf sein wissenschaftliches Leben zurückblicken. Immerhin war er Mitglied der Amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaft, Träger mehrerer Ehrendoktortitel und hatte fünf hochrangige Wissenschaftspreise erhalten. Die schlimmen Folgen seiner Forschung musste er selbst nicht mehr erleben.

Thomas Midgley begann seine Karriere 1916 beim amerikanischen Automobilkonzern General Motors. Damals waren Autos zwar schon vergleichsweise weit verbreitet, hatten aber ein großes Problem. Das Benzin in den Motoren verbrannte manchmal unkontrolliert oder entzündete sich selbst. Dadurch liefen die Maschinen nicht rund und begannen zu „klopfen“. Die Motoren wurden stärker belastet als geplant, gingen früher kaputt, und die Automobile fuhren längst nicht so effizient und kraftvoll, wie wir das heute gewohnt sind. Thomas Midgley wurde beauftragt, dieses Problem zu lösen und einen Weg zu finden, das „Klopfen“ zu verhindern.

„Mit Ethyl fliegen unsere Bomber schneller”
Das gelang ihm im Jahr 1921, als er herausfand, dass man Blei mit Kohlenstoff und Wasserstoff zu Tetraethylblei (Ethyl) mischen kann und dieser Zusatz ein ideales Antiklopfmittel für Benzin darstellt. Die Motoren liefen plötzlich rund und mit deutlich mehr Kraft als zuvor. Verbleites Benzin eroberte den Markt, und während des Zweiten Weltkrieges sorgte es dafür, dass die Flugzeuge der USA besonders effektiv waren: „Mit Ethyl fliegen unsere Bomber schneller, weiter und können größere Bomben transportieren. Jede Stunde Arbeit im Ethyl-Werk ist entscheidend“, verkündete ein Werbeplakat für verbleites Benzin 1945, und Midgley wäre sicherlich hocherfreut gewesen, wenn er noch miterlebt hätte, wie seine Erfindung zum Sieg der USA im Weltkrieg beitrug.

Große Umweltschäden
Weniger begeistert wäre er vermutlich über die großen Umweltschäden gewesen, die das Tetraethylblei im Laufe der Zeit verursacht hat. Das Blei hilft zwar dabei, das Klopfen zu verhindern, wird beim Verbrennungsprozess im Motor aber auch wieder an die Luft abgegeben. Und dass Blei nicht unbedingt gesund ist, hätte man eigentlich auch damals schon wissen können. Schon in den 1920er-Jahren kam es zu Erkrankungen und Todesfällen unter den Arbeitern, die das Ethyl herstellten. Midgley wollte 1924 demonstrieren, dass seine Erfindung ungefährlich sei und inhalierte die Dämpfe des verbleiten Benzins. Prompt bekam er selbst eine Bleivergiftung und musste sich über ein Jahr lang davon erholen. Im Jahr 1925 stellte die „Ethyl Gasoline Corporation“ daher sogar den Verkauf des verbleiten Benzins freiwillig ein, nahm ihn allerdings 1926 wieder auf, nachdem man in einer Studie gezeigt haben wollte, dass von Ethyl keine gesundheitliche Gefahr ausging.

Mittlerweile wissen wir allerdings ziemlich gut, dass verbleite Kraftstoffe keine gute Idee waren. Die Umweltschutzbehörde der USA versuchte schon ab 1972, Tetraethylblei zu verbieten, und auch anderswo wurde immer öfter „bleifreies“ Benzin verkauft. In der Europäischen Union ist verbleites Benzin seit dem 1. Januar 2000 komplett verboten und auch im Rest der Welt nur noch selten zu finden. In der Zwischenzeit hat der Kraftstoffzusatz allerdings genügend Schaden angerichtet. Die Bleiverbindungen können sich perfekt an Staubpartikel heften und mit ihnen weite Strecke durch die Luft zurücklegen. Menschen und Tiere nehmen das Blei dann durch die Nahrung auf, wodurch im Körper im schlimmsten Fall eine Bleivergiftung entstehen kann. Die Symptome reichen von Bluthochdruck und Herzinfarkten bei Erwachsenen bis hin zu Nierenschäden und Nervenkrankheiten bei Kindern.

Die allerorten gemessenen immer höheren Bleikonzentrationen in der Luft führten schließlich zu einem Umdenken und der Abschaffung des verbleiten Benzins. Dadurch ist das Blei aus der Atmosphäre mittlerweile wieder verschwunden. Im Boden ist es allerdings immer noch vorhanden, und bis es auch dort vollständig abgebaut ist, wird noch ein bisschen Zeit vergehen.
Noch länger wird es vermutlich dauern, bevor auch die Folgen von Midgleys zweiter großer Erfindung neutralisiert sind.

Sicheres Kühlmittel
Anfang der 1920er-Jahre kaufte General Motors die Firma Frigidaire, die Kühlschränke und Klimaanlagen herstellte. Diese Geräte waren zur damaligen Zeit noch ziemlich gefährlich. Denn die verwendeten Kühlmittel waren giftig, und ihre Dämpfe konnten schwere gesundheitliche Schäden verursachen, wenn beim Abtauen etwa die Leitungen beschädigt wurden. Tatsächlich starben einige Kunden von Frigidaire durch solche Kühlmittellecks. Kühlschränke wurden daher meist nicht in den Wohnungen aufgestellt, sondern auf der Veranda, im Vorgarten oder sonst irgendwo, wo sie möglichst wenig Schaden anrichten konnten. Das machte die Geräte natürlich nicht sonderlich attraktiv für die Benutzer – und den Verkauf zu einem verlustreichen Geschäft. 1928 wurde Thomas Midgley beauftragt, auch dieses Problem zu lösen und ein sicheres Kühlmittel zu finden.

Er erledigte diese Aufgabe ziemlich schnell. Nach kurzer Zeit identifizierte er Fluorchlorkohlenwasserstoffverbindungen als ideales Kühlmittel. Diese Chemikalien konnten in Kühlschränken und Klimaanlagen eingesetzt werden, und ihre Dämpfe waren ungiftig. Auch hier konnte Midgley nicht widerstehen: Neuerlich demonstrierte er die vermeintliche Ungefährlichkeit der Chemie in einem Selbstversuch. Vor den Augen der Öffentlichkeit atmete Midgley die Dämpfe des neuen Kühlmittels mit dem Namen „Freon“ ein, um dann damit eine Kerze auszublasen. So zeigte er gleichzeitig, dass Freon gesundheitlich unbedenklich und nicht entflammbar war. General Motors nahm die Produktion und Vermarktung auf – Freon war bald überall zu finden.

Es wurde nicht nur als Kühlmittel eingesetzt, sondern auch als Treibgas in Spraydosen oder als Treibmittel bei der Produktion von Schaumstoffen. Und wenn es auch für den Menschen tatsächlich nicht direkt gesundheitsschädlich war, hat es trotzdem enormen Schaden angerichtet.
In den 1980er-Jahren beobachteten Wissenschafter einen besorgniserregenden Rückgang der Ozonschicht. Dabei handelt es sich um jene Schicht in der Atmosphäre der Erde, die aus dem Gas Ozon besteht und sich in ungefähr 15 bis 25 Kilometern Höhe befindet. Knapp 20 Prozent der Atmosphäre bestehen aus dem für uns sehr wichtigen Gas Sauerstoff. Der liegt normalerweise in Form eines Moleküls vor, bei dem sich zwei Sauerstoffatome (O2) verbinden. In der oberen Atmosphäre kann die starke Sonneneinstrahlung aber dafür sorgen, dass sich das Sauerstoffmolekül zuerst in einzelne Atome aufspaltet und dann wieder zu einem Molekül aus drei Sauerstoffatomen verbindet (O3): zu Ozon, auf dessen Existenz wir angewiesen sind.

Die Ozonschicht absorbiert die starke UV-Strahlung, die von der Sonne emittiert wird. Würde sie die Oberfläche der Erde ungefiltert erreichen, könnte sie dort die Zellen der Lebewesen schädigen und zum Beispiel Hautkrebs verursachen. Die Wissenschafter machten sich also zu Recht Sorgen, als sie immer größere Löcher in der Ozonschicht feststellten, welche die gefährliche UV-Strahlung ungehindert auf den Erdboden treffen ließen.

Sie fanden bald heraus, dass die Fluorchlorkohlenwasserstoffe – heute besser als FCKW bekannt – für die Zerstörung der Ozonschicht verantwortlich waren. Denn diese Gase spalten die Ozonmoleküle auf und verhindern, dass sie sich neu bilden können. Seit Midgley sie Ende der 1920er-Jahre erfunden hatte, wurden sie überall auf der Welt eingesetzt, und immer mehr davon gelangte in die Atmosphäre. Schon 1974 hatten die Physiker Mario Molina und Frank Sherwood Rowland gewarnt, dass FCKW in der Natur schwer abgebaut werden könne, sich im Laufe der Zeit anreichere und irgendwann die Ozonschicht schädigen könne. Genau das passierte dann auch. Doch im Gegensatz zum verbleiten Benzin, das weltweit erst 2013 abgeschafft wurde, reagierte man hier vergleichsweise schnell.

Im „Montrealer Protokoll“ einigte man sich 1987 auf ein globales Verbot der Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Molina, Rowland und der Atmosphärenchemiker Paul Crutzen bekamen 1995 für ihre Erforschung des Ozonlochs den Chemie-Nobelpreis. Heute wird das Treibgas zwar nicht mehr eingesetzt, aber in der Atmosphäre befindet es sich immer noch. Man schätzt, dass es noch bis zur zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts dauern wird, bis das Ozonloch komplett geschlossen ist.

Von diesen enorm negativen Auswirkungen seiner Arbeit bekam Thomas Midgley nichts mehr mit. 1940 erkrankte er an Kinderlähmung und konnte sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen. Um nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, erfand er ein System aus Schnüren und Umlenkrollen, mit dem er sich am Morgen selbst von seinem Bett in seinen Rollstuhl heben konnte. Das eigene Patent wurde ihm letztlich zum Verhängnis: Am 2. November 1944 verhedderte er sich in diesen Seilen und strangulierte sich selbst.

Midgley löste zweifellos ein paar große technische Probleme seiner Zeit – war also jedenfalls ein begabter Wissenschafter. Sein verbleites Benzin machte die Fortbewegung mit Automobilen und Flugzeugen effektiver, seine Entdeckung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe ermöglichte einen einfachen und flächendeckenden Einsatz von Klimaanlagen und Kühlgeräten. Beides hat die Entwicklung unserer Gesellschaft definitiv beeinflusst – und beides hat der Umwelt und den Menschen auf eine Art und Weise geschadet, die beispiellos und bis heute nicht komplett überwunden ist.