Top-Uni Innsbruck: Im Hauptquartier der Quantenforschung
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Thomas Monz öffnet die Tür zum Labor, und man betritt ein Wunderland der Physik. Mächtige Regalsysteme beherrschen die Räume des Backsteinbaus. Die Regale sind vollgepackt mit optischen Linsen, Spiegeln, Spulen, Lampen, Kameras und Kabeln, die in bunten Büscheln herabhängen. Nur Fachkundige vermögen eine logische Abfolge in der Anordnung all der in rötlichem Licht glänzenden Optiken zu erkennen, auf die in Experimenten Laserstrahlen gerichtet werden.
Ein Bildschirm zeigt farbige Kügelchen, aufgereiht wie Perlen auf einer Kette. Das seien einzelne Atome, eingefangen und sichtbar gemacht mithilfe der Apparaturen im Labor, erklärt Thomas Monz, Experimentalphysiker an der Universität Innsbruck (Foto am Beginn des Artikels). Die Atome dienen als Quantenbits, kurz Qubits. Es sind die Grundbausteine eines Quantencomputers, Basis für eine Rechenoperation.
Das Experimentalphysiklabor am Campus Technik der Universität Innsbruck, eine knappe halbe Stunde von der Innenstadt entfernt, ist ein historischer Ort. Hier führte Anton Zeilinger ab Mitte der 1990er-Jahre die ersten Versuche zur Teleportation durch, die als „Beamen“ weltberühmt wurden. Und hier entwarfen Zeilingers Kollegen Rainer Blatt und Peter Zoller vor einem Vierteljahrhundert Prototypen der allerersten Quantencomputer.
Damals handelte es sich um Grundlagenforschung, und auch heute interessieren sich die Physikerinnen und Physiker für die fundamentalen Fragen ihres Fachs: Wirft ein Atom einen Schatten? Reagiert es auf sein Spiegelbild? Solche Fragestellungen untersuchen Monz und sein Team mit modernsten Lasern. Derlei Forschungsinteressen klingen abstrakt – doch genau solche Ansätze waren es, die vor genau 100 Jahren die Quantenmechanik begründeten.
Die Suche nach der Natur des Lichts
Die größten Physiker der damaligen Zeit, darunter Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr und Werner Heisenberg, gingen einer vermeintlich simplen Frage nach: Was ist eigentlich Licht? Ab Beginn des 20. Jahrhunderts suchten sie Antworten, gebaren Ideen und stritten leidenschaftlich darüber. Sie alle lieferten Zutaten zur epochalen Quantentheorie, die Heisenberg 1925 formulierte und die enthüllt, wie unsere Welt im Innersten funktioniert.
Heuer, zum 100. Jubiläum des bahnbrechenden Wurfs, wird das internationale Jahr der Quantenphysik begangen, aufgrund der geistigen Leistungen ihrer Begründer, aber auch wegen der eminenten Bedeutung: Kein Handy, kein Fernseher, keine Solarzelle wäre in Gebrauch, hätten sich vor 100 Jahren nicht brillante Theoretiker in die Frage nach der Natur des Lichts verbissen. Das Konzept des Quantencomputers knüpft sich ebenfalls unmittelbar daran.
In Innsbruck ist er dem Laborstadium mittlerweile entwachsen. Statt meterlange experimentelle Aufbauten zu erfordern wie die Prototypen um die Jahrtausendwende, passen die jüngsten Modelle in kühlschrankgroße Serverschränke, ähnlich wie die historischen Vorläufer heute gebräuchlicher Computer (siehe Bild unten). Sie sind als fertige Produkte bereits erhältlich und an akademischen Instituten oder in Rechenzentren im Einsatz. Zu diesem Zweck wurde Alpine Quantum Technologies (AQT) gegründet, ein Spin-off der Uni Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Wir waren die Ersten in Europa, die diese Systeme vom Labor in die Praxis gebracht haben“, sagt Thomas Monz, der auch als Geschäftsführer des 30 Mitarbeiter starken Unternehmens fungiert.
Der Weg dorthin war weit. Gregor Weihs erinnert sich lebhaft an die Anfänge. „In den 1980er- und 1990er-Jahren war die Quantenoptik ein Randgebiet und wurde als Spielerei betrachtet“, sagt der Quantenphysiker und Vizerektor für Forschung der Universität Innsbruck. „Es hat die Fantasie gefehlt, was man damit anfangen kann.“ Die Forschung sei pure Improvisation gewesen, sagt Weihs. Manch einen Teilchendetektor baute man selbst, und die Forschenden hätten buchstäblich jede Schraube miteinander geteilt.
Plötzlich weltberühmt
Die Experimente von Anton Zeilinger in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre änderten alles. Der heutige Nobelpreisträger machte Schlagzeilen als „Mr. Beam“, und plötzlich gaben einander TV-Teams aus aller Welt in Innsbruck die Klinke in die Hand. Zeilinger und seine Gruppe wiesen damals experimentell nach, was Albert Einstein etwas spöttisch „spukhafte Fernwirkung“ genannt hatte. Teilchen der Quantenwelt können miteinander „verschränkt“ sein. Misst man die Eigenschaften eines Teilchens, weist das andere zwingend exakt dieselben Eigenschaften auf – egal, wo es sich befindet. Die Teilchen können einen Meter voneinander entfernt sein oder Hunderte Lichtjahre, stets legt die Messung an einem Teilchen auch die Merkmale des anderen fest, und zwar augenblicklich und ohne Zeitverlust.
Anton Zeilinger
Der Nobelpreisträger führte in Innsbruck ab Mitte der 1990er-Jahre die ersten jener legendären Experimente durch, die unter dem Begriff „Beamen“ weltberühmt wurden. Die Erfolge trugen dazu bei, dass die Uni Innsbruck plötzlich im Fokus internationaler Medien stand.
Dies scheint dem Naturgesetz zu widersprechen, dass sich nichts schneller als Licht bewegen kann. Doch zwischen verschränkten Teilchen bewegt sich auch nichts: Es wird keine Information übertragen oder „gebeamt“. Stattdessen bedeutet Verschränkung, dass an beiden Teilchen dieselbe Information abrufbar ist, sobald man eines davon gleichsam anzapft, also misst. Diese Tatsache zählt zu den vielen merkwürdigen Effekten der Quantenwelt, die mit unserer Alltagserfahrung unvereinbar sind – und unser Verständnis von einer zeit- und raumgebundenen Realität auf eine harte Probe stellen.
Aber Zeilinger und sein Team bewiesen das seltsame Verhalten in der Teilchenwelt. Sie erzeugten verschränkte Photonen, also Lichtteilchen, über wachsende Distanzen: in Innsbruck im Labor, später, nach Zeilingers Wechsel an die Universität Wien, zwischen Innenstadt und Kahlenberg und schließlich über den Umweg von Satelliten.
Zentrum der Quantenphysik
Derweil widmeten sich in Innsbruck Rainer Blatt, Peter Zoller, Gregor Weihs und andere Forschende weiteren fundamentalen Fragen der Quantenphysik. Sie begründeten damit ebenfalls den Ruf, den Innsbruck heute genießt: als ein global führendes Zentrum der Quantenoptik und Quantenphysik, auf dessen Erkenntnisse sich Forschergruppen in den USA ebenso beziehen wie solche aus Asien. Innsbruck hat wesentlichen Anteil daran, dass die Quantenphysik eines jener Felder ist, in denen Österreich an der Weltspitze liegt. Etwa 250 Forschende aus gut 20 Nationen arbeiten hier in circa 20 Gruppen.
Quantenphysiker Gregor Weihs
„Früher wurde die Quantenoptik als Spielerei betrachtet.
Es hat die Fantasie gefehlt, was man damit anfangen kann.“
Die Physikinstitute in Innsbruck und Wien sind außerdem eng an das vor zwei Jahrzehnten unter dem Dach der Akademie der Wissenschaften gegründete Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) angebunden. Überdies gelang es, unter dem Namen „Quantum Science Austria“ ein bundesweites Netzwerk von 68 Quantenforschungsgruppen zu etablieren. „Kooperationen hatten in Österreich immer schon Tradition“, sagt Weihs, der als Direktor dieses Exzellenzclusters fungiert.
Bis Anfang des kommenden Jahrzehnts fließen rund 50 Millionen Euro an öffentlichen Fördermitteln in die Forschung dieses Clusters. Schon heute weist Österreich, gemessen an der Landesgröße, die weltweit höchste Dichte an Quantenwissenschaftern auf – die auch die Voraussetzungen schaffen für eine Überführung der Erkenntnisse in kommerziell verwertbare Innovationen im vermutlich nahenden Zeitalter der Quantencomputer, Quanteninformation und -kryptografie.
Sternstunden der Physik
Möchte man verstehen, was in einem Quantenphysiklabor geschieht, wie Quantencomputer funktionieren und was Quanten überhaupt sind, muss man abermals zurückblenden in jene Zeit, als die Natur des Lichts ergründet wurde. Licht war das damals beherrschende Thema der Physik, und Licht ist noch heute das vielleicht wichtigste Werkzeug der Innsbrucker Quantenphysiker.
Den Anfang machte Max Planck. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts studierte der Berliner Physiker die Wärmestrahlung. Um seine Versuche statistisch zu erfassen, traf er eine „rein formale Annahme“, der er vorerst keine praktische Bedeutung beimaß: Planck beschrieb Strahlungsenergie als eine aus „gleichen Teilen zusammengesetzte Größe“. Ein jüngerer Kollege nahm das wörtlich: Albert Einstein formulierte 1905, vor genau 120 Jahren, seine Idee vom Wesen des Lichts. Die Energie eines Lichtstrahls sei nicht kontinuierlich im Raum verteilt, sondern setze sich aus einer „endlichen Zahl von in Raumpunkten lokalisierten Energiequanten“ zusammen. Damit war der Begriff „Quanten“ in der Welt.

© Public Domain
Albert Einstein muss als Versuchskaninchen für die neue Video-KI OmniHuman-1 herhalten.
Albert Einstein
Der berühmte Physiker prägte den Begriff „Quanten“. Er postulierte, Licht werde portionsweise in definierten Mengen abgegeben. Damit forderte er die damals geltende Annahme heraus, dass Licht aus Wellen bestehe.
Viele Kollegen rümpften die Nase. Einsteins Vorschlag klang wie ein Rückfall in frühere Epochen, als man sich Licht als Strahl aus einzelnen Teilchen vorstellte, die man Korpuskeln nannte. Im 19. Jahrhundert wurde die Korpuskel- von der Wellentheorie abgelöst. Demnach verhält sich Licht eher wie Schall- oder Wasserwellen. Wollte Einstein die Uhr zurückdrehen, indem er wieder Lichtpartikel postulierte?
Die Physik der 1920er-Jahre war geprägt von intensivem Nachdenken darüber, woraus Licht wirklich besteht. Einstein, sein dänischer Kollege Niels Bohr, der Göttinger Physiker Max Born und weitere Kollegen standen in regem Austausch, trafen sich zu ausgedehnten Spaziergängen, quartierten sich tagelang in Privatwohnungen ein, um zu diskutieren. Dieses fruchtbare intellektuelle Ringen um eine Lösung beschreibt der deutsche Physiker Thomas de Padova höchst lebhaft in einem kürzlich erschienenen Sachbuch („Quantenlicht: Das Jahrzehnt der Physik 1919 - 1929“, Hanser Verlag).
Werner Heisenberg
Der deutsche Physiker entwickelte vor 100 Jahren die Grundlagen der Quantenmechanik. Heisenberg stand in intensivem Austausch mit anderen wichtigen Physikern seiner Zeit, mit denen er seine Ideen intensiv diskutierte.
Das Fundament einer Quantentheorie skizzierte der junge, hochbegabte Werner Heisenberg. Im Frühjahr 1925 flüchtete Heisenberg, schwer geplagt von Allergien, aufs pollenfreie Helgoland und dachte dort ebenfalls über Lichtquanten nach. Nach anschließender angeregter Korrespondenz mit seinen prominenten Kollegen veröffentlichte er im Herbst 1925 die erste umfassende Theorie einer Quantenmechanik, die zusammen mit der berühmten Gleichung des Österreichers Erwin Schrödinger die Hauptsäule der Quantenphysik.
Das Wesen der Quanten
Was sind nun Quanten? Im Grunde meint der Begriff dasselbe, was wir im Alltag unter einem Quantum verstehen: eine Portion, eine bestimmte Menge. Quanten in der Physik bezeichnen den Umstand, dass Licht portionsweise abgegeben wird, in definierten Paketen, in Lichtquanten, den Photonen. Ist Licht somit doch ein Teilchen und keine Welle? Es ist beides zugleich, weshalb man vom Teilchen-Welle-Dualismus spricht.
Die Dinge der Quantenwelt haben oft mehrere Gesichter. Nicht nur das Licht besitzt doppelte Natur, auch Teilchen können verschiedene Eigenschaften zugleich aufweisen. Dieses Prinzip ist in die Quantenphysik gleichsam serienmäßig eingebaut und eines ihrer prägenden Charakteristika – und der Clou eines Quantencomputers. Es erklärt, warum Quantencomputer manche Aufgaben viel effizienter lösen als herkömmliche Rechner.
Ein Teilchen kann sich zum Beispiel nach links und rechts drehen, und zwar gleichzeitig. Ein Photon kann, ebenfalls gleichzeitig, in verschiedene Richtungen orientiert sein. Es entscheidet sich nur unter einer Bedingung für eine Richtung: wenn man nachsieht. Was physikalisch bedeutet: eine Messung vornimmt. Erst dadurch wird eine der beiden Richtungen definiert, und zwar zufällig. Die Messung legt den Zustand fest (etwa links oder rechts), davor befindet sich das Teilchen in einer sogenannten Überlagerung verschiedener möglicher Zustände.
Dieses Verhalten von Materiepartikeln widersetzt sich der Intuition, unserem von Anschaulichkeit und Logik geprägten Verstand. Wohl deshalb werden bisweilen beinahe mystische Merkmale auf die Quantenphysik projiziert. Die darin herrschenden Gesetze übersteigen die Vorstellungskraft des menschlichen Geistes – sind also notgedrungen höhere Mächte im Spiel? Tatsächlich jedoch müssen wir einfach akzeptieren, dass es im Mikrokosmos Regeln gibt, die mit der erlebbaren Welt nicht kompatibel sind.

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Bildnis Erwin Schrödinger (1887 - 1961)
Erwin Schrödinger
Der österreichische Physiker trug mit seiner Schrödinger-Gleichung zum Fundament der Quantenmechanik bei. Er ersann außerdem das Gedankenexperiment einer Katze in der Kiste. Erst wenn man nachgesehen hat, weiß man, ob die Katze lebendig oder tot ist. Damit wollte Schrödinger das merkwürdige Verhalten kleinster Teilchen veranschaulichen: Sie können verschiedene Zustände gleichzeitig annehmen. Erst wenn man „nachsieht“, also eine Messung vornimmt, wird ein Zustand festgelegt.
Um diese merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten zu veranschaulichen, ersann Erwin Schrödinger das Gedankenexperiment einer Katze, die in eine Kiste gesperrt ist. Nuklearer Zerfall in der Kiste entscheidet, ob Gift freigesetzt wird und die Katze daran stirbt oder nicht. Ob die Katze lebendig oder tot ist, wissen wir erst, wenn wir ins Innere der Kiste geblickt haben – also eine Messung durchgeführt haben. Bis zu dem Zeitpunkt wäre unsere Quantenkatze lebendig und tot zugleich.
In unserer Makrowelt ist so eine Situation unmöglich, im Kosmos der kleinsten Teilchen ist sie Standard. Nicht nur die Mathematik und damit perfekt harmonierende Experimente beweisen das eindrucksvoll, auch die Innsbrucker Physiker bauen ihre Quantencomputer auf Basis exakt dieser Regeln.
Das Geheimnis der Überlagerung
Thomas Monz steht an der Tafel und malt Ziffernfolgen auf: 0-0-1-0-1-1-0-0-1. Null oder eins, Strom aus oder Strom an. Dieses binäre Prinzip ist die Grundlage des klassischen Computers. Aus den Bits 0 oder 1 besteht die digitale Welt, ob wir ein E-Mail schreiben oder einen Film streamen.
Wie wäre das beim Quantencomputer? Er beruht nicht auf 0 oder 1, sondern auf 0 und 1. Ein Quantenbit oder Qubit, die Entsprechung zum herkömmlichen Bit, besitzt die Zustände 0 und 1 gleichzeitig – und viele dazwischen, etwa 20 Prozent 0 und 80 Prozent 1. Ein Qubit befindet sich in einer Überlagerung aller Zustände, und zwar bis man, vergleichbar Schrödingers Katze, eine Messung vornimmt. Dann legt sich der Quantencomputer fest, was bedeutet: Er spuckt ein Ergebnis aus.
Es werde ein Grundprinzip der Quantenphysik genutzt, erklärt Hannes Pichler: „Wenn man hinsieht, entscheidet sich das System für einen Zustand, davor gibt es eine Überlagerung möglicher Zustände.“ Pichler ist theoretischer Physiker. Der 39-jährige Südtiroler studierte in Innsbruck und forschte an der Harvard University und am California Institute of Technology, bevor er als Professor für Theoretische Physik nach Innsbruck zurückkehrte.
Man müsse sich aber, so Pichler, „vom Hype lösen, dass Quantencomputer generell viel schneller sind und alle Aufgaben im Bruchteil einer Sekunde lösen“. Stattdessen müsse man sie mit passenden Fragestellungen beauftragen: mit Problemen, sagt Pichler, bei denen die Superposition genutzt werden könne. Unter „Superposition“ versteht man den Moment der Überlagerung, wenn noch keine Entscheidung für einen bestimmten Zustand gefallen ist und daher alle Zustände möglich sind.
Thomas Monz nennt ein einfaches Beispiel für einen Quantencomputerjob: Stellen wir uns vier Personen vor, die in unterschiedlichen Stimmlagen reden. Die Frage lautet: Wer hat die tiefste Stimme? Ein klassischer Computer würde eine Stimme nach der anderen erfassen und bewerten. Ein Quantencomputer würde alle Stimmen annähernd simultan analysieren. „Der Vorteil ist, dass man eine größere Zahl von Informationen gleichzeitig verarbeiten kann“, sagt Monz.
Pichler führt ein weiteres Beispiel an: Nehmen wir an, wir kennen eine Telefonnummer und wollen den zugehörigen Namen wissen. Ein Quantencomputer könnte schneller als ein klassischer Rechner ein elektronisches Telefonbuch durchsuchen, indem er eine Superposition aller Einträge erstellt und – nach erfolgter Messung – das Ergebnis auswirft.
Als Einsatzbereich für Quantencomputer kommt etwa die Komplexitätsforschung infrage: Man könnte Überlastungen von Stromnetzen ermitteln, indem viele Knotenpunkte im Netz zugleich auf Belastungsspitzen getestet werden. Auch wäre das Design neuer Materialien oder Medikamente möglich, nachdem zahlreiche Komponenten oder Wirkstoffe parallel geprüft wurden.
Wie ein Quantencomputer funktioniert
Wie aber bringt man Quanten überhaupt dazu, Rechenoperationen auszuführen? Es gibt mehrere Technologien, wobei die Innsbrucker sogenannte Ionenfallen verwenden und Pioniere auf diesem Gebiet sind. „Fast alle Gruppen weltweit, die Quantenphysik mit Ionenfallen betreiben, haben ihre Wurzeln hier“, sagt Gregor Weihs. Ein großer Vorteil dieser Technologie ist, dass Quantencomputer bei Zimmertemperatur betrieben werden können und nicht aufwendig gekühlt werden müssen.
Ionen sind geladene Atome. In einem Atom herrscht normalerweise ein Gleichstand an positiven Protonen und negativen Elektronen. Verändert man die Zahl der Elektronen, erhält man elektrische Ladung und damit ein Ion. Was bedeutet Falle? Es handelt sich um ein Behältnis, in das Ionen eingesperrt werden, und zwar mit Elektrizität. Durch unablässiges blitzschnelles Umpolen eines elektrischen Feldes kann sich das Ion nicht entscheiden, zu welchem Pol es flitzen soll, und bleibt deshalb in einer Art Schwebeposition gefangen.
Die Innsbrucker Physiker benutzen meist Kalzium-Ionen. Diese sind die physische Manifestation von Qubits, die sich, sobald in der Falle gefangen, manipulieren lassen – und zwar mit einem Laser, also mit Licht, das Energie in Form von Photonen zuführt. Derart gelangen die Ionen vom Grund- in einen sogenannten angeregten Zustand respektive in eine Superposition, also in eine Überlagerung der Zustände. Ebenfalls mittels Laser erfolgt die obligate Messung: Das System legt sich auf einen Zustand fest – und generiert ein Ergebnis, das die Physiker auslesen können.
Ein einzelnes Qubit ergibt freilich noch keinen Computer. Um Rechenleistung zu erzeugen, braucht es einen Schaltkreis: eine Kombination mehrerer Qubits, die miteinander wechselwirken. Derzeit ist die Zahl der Qubits auf 50 bis 100 Qubits begrenzt. „Die Größe ist noch überschaubar“, sagt Hannes Pichler. „Sie übertreffen klassische Computer noch nicht, stehen aber an der Schwelle dazu.“ Heute verfügbare Quantencomputer, wie sie auch beim Uni-Spin-off AQT gebaut werden, darf man sich daher nicht als Ersatz für herkömmliche Rechner vorstellen, sondern als Ergänzung für frühe Anwender, die damit experimentieren wollen und Kinderkrankheiten akzeptieren.
Dazu zählt zum Beispiel der Speicher. Eine Speicherfunktion existiert derzeit nur direkt während der Rechenoperation, solange sich die Qubits in einer Superposition befinden. Das sei die Entsprechung eines Arbeitsspeichers, erklärt Monz: „Es gibt derzeit einen RAM-Speicher, aber keine Festplatte.“ Eine Lösung besteht in Hybriden: einer Kombination aus Quanten- und klassischem Computer, der Daten speichern kann.
Theoretischer Physiker Hannes Pichler
„Quantencomputer übertreffen klassische Computer noch nicht. Aber sie stehen an der Schwelle dazu.“
Eine weitere Herausforderung ist, Qubits möglichst lange und stabil in einer Superposition zu halten. Das ist knifflig, denn Überlagerungszustände sind notorisch anfällig für Störungen durch Umwelteinflüsse. Auch dadurch würde eine „Messung“ bewirkt, die Überlagerung würde ungewollt zerfallen, die Rechenoperation wäre ruiniert oder der Computer würde ein falsches Ergebnis auswerfen.
Solche Probleme treiben theoretische Physiker wie Hannes Pichler an. Seine Überlegungen sind Basis für weitere Versuche der Experimentalphysiker im Nebengebäude: Wie kann man Quantenzustände aufrechterhalten, wenn einzelne Qubits zerfallen? Wie viele Fehler darf ein Computer also begehen, um nicht wertlose Resultate zu generieren? Oder: Wie realisiert man eine Quantenfehlerkorrektur? Wie schreibt man Quantenalgorithmen? Wäre ein Quanteninternet denkbar, in dem Informationen aus Quantenprozessoren mithilfe von Photonen ausgetauscht werden? In Innsbruck gelang dies bereits zwischen zwei Gebäuden am Campus über eine Distanz von 140 Metern.
Materie in exotischem Zustand
Grundlegende Fragestellungen sind auch das Metier von Francesca Ferlaino. Einst kam die gebürtige Neapolitanerin für einen drei Monate langen Forschungsaufenthalt nach Innsbruck. Inzwischen sind 18 Jahre daraus geworden. Unglaublich, findet sie. Heute forscht Francesca Ferlaino, 46, als Experimentalphysikerin, ist wissenschaftliche Direktorin des IQOQI, setzt sich im Rahmen der Initiative Atom*innen für eine bessere Vernetzung von Frauen in der Physik ein – und zählt zu den internationalen Superstars ihres Fachs. Ihre Arbeiten werden von der Kollegenschaft in aller Welt zitiert. Wenn man sich in ihr Forschungsgebiet einliest, stößt man unablässig auf ihren Namen.
Ferlainos Forschung konzentriert sich auf die Frage, wie sich Materie unter extremen Bedingungen verhält. Extrem bedeutet in diesem Fall: ultrakalt, knapp über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius. Für ihre Experimente benutzt Ferlainos Gruppe ebenfalls eine Anordnung von Optiken, durch die Laserlicht geleitet wird. Damit können Atome anvisiert werden, die in einer Vakuumkammer gefangen sind. In manchen Versuchen studieren die Forschenden das Verhalten einzelner Atome, in anderen wollen sie wissen, was geschieht, wenn sich Atome nahe beieinander befinden, wie sie wechselwirken, ob ein Informationsaustausch stattfindet und wie man diesen belauschen kann. „Wir wollen komplexe Quantenphänomene verstehen und herausfinden, wie Atome miteinander kommunizieren“, sagt Ferlaino.
Wie verhält sich nun Materie eine Spur über dem absoluten Nullpunkt? „Einzelne Atome sind nicht mehr unterscheidbar“, sagt der Physiker Clemens Ulm, Mitglied von Ferlainos Gruppe. Man könne sich das wie bei einem Vogelschwarm vorstellen: In großer Höhe sind einzelne Vögel nicht mehr erkennbar, sondern nur noch die Wolke des Schwarms.
Übertragen auf die Quantenwelt bedeutet das: Materie nimmt exotische Formen an, gerinnt bei ultrakalten Temperaturen zu einer Art verschwommenem Brei. Über die Jahre gelang Ferlainos Team in viel beachteten Experimenten immer wieder die Herstellung neuartiger, exotischer Materiezustände, die zuvor nur theoretisch vorhergesagt worden waren. So erzeugte die Innsbrucker Gruppe sogenannte Suprafestkörper, eine paradoxe Phase der Quantenmaterie, bei der eine Teilchenwolke – wieder einmal typisch Quantenkosmos – gleichzeitig starr und flüssig ist.
Die Erkenntnisse aus Innsbruck lieferten bereits eine Erklärung für ein lange ungelöstes Rätsel der Astrophysik: Bestimmte massereiche Sterne schrumpfen am Ende ihres Daseins zu extrem dichten Neutronensternen, sogenannten Pulsaren, und rotieren enorm schnell, wobei sie Energie verlieren und allmählich an Tempo verlieren. Mitunter jedoch scheinen sie kurz wieder Geschwindigkeit zuzulegen – ein Phänomen, das „Glitches“ heißt. Aber warum? Eine Theorie geht von einer suprafesten Schicht im Neutronenstern aus. Wenn zahlreiche Wirbel, die durch die Rotation des Sterns entstehen, instabil werden, stürzen sie auf die Kruste des Sterns und lösen einen „Glitch“ aus. Ferlainos Team gelang es, dieses Verhalten zu simulieren und solche Wirbel im Labor zu beobachten. Es sei ein schönes Beispiel dafür, findet sie, wie Grundlagenforschung helfe, mit Einsichten aus der Mikrowelt Abläufe im Großen, weit draußen im Universum, zu verstehen.
Wissenserwerb als Ziel
Prinzipiell aber, betont Ferlaino, gehe es ihr ausschließlich um Grundlagenforschung, um ein Verständnis jener Prozesse, die sich tief im Inneren der atomaren Welt zutragen. Schließlich sei es fast immer in der Geschichte purer Wissenserwerb ohne konkretes Ziel gewesen, der später oft unerwartet zu bedeutenden Anwendungen führte. Doch selbst passionierte Grundlagenforscher können nicht umhin, manchmal an mögliche Einsatzgebiete zu denken: Vielleicht, spekuliert Ulm, könnten sich in Zukunft exotische Quantenzustände zur Komposition völlig neuartiger Materialien eignen?
Bis Grundlagenforschung in der Praxis ankommt, braucht es freilich Zeit. Genau wie drei Jahrzehnte zwischen Francesca Ferlainos erster kindlicher Begeisterung für Quantenphysik, entfacht durch eine Schulexkursion zu einem Atomkraftwerk, und ihrem heutigen Status als Koryphäe ihres Fachs liegen; genau wie ein Vierteljahrhundert verstrich, bevor aus improvisierten Experimenten in den Innsbrucker Labors marktfähige Quantencomputer hervorgingen; genau wie wir heute von jenem Wissen profitieren, das kluge Geister der Welt vor 100 Jahren schenkten.
Alle Beispiele zeigen: Es lohnt sich, in Erkenntnisgewinn zu investieren.

Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft