Tröpfcheninfektion: Resistente Keime in Badeseen
In mehreren öffentlichen und gut frequentierten Badegewässern, wo Kinder, Senioren, Familien und Urlauber planschen, schwimmen gefährliche Krankenhauskeime, gegen die fast kein Antibiotikum mehr hilft. Das ist für die meisten Menschen nicht bedenklich, wohl aber ein weiterer Schritt zum von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefürchteten "postantibiotischen Zeitalter", in dem wir krankheitserregenden Bakterien fast hilflos ausgeliefert sind.
Österreichische Experten analysierten landesweit Badestellen auf multiresistente Keime, gegen die übliche Antibiotika nicht wirken und die daher kaum behandelbar sind. Dies sind Seen, Flussarme und Schotterteiche, die von vielen Badegästen aufgesucht und von den Behörden regelmäßig kontrolliert werden - normalerweise aber nicht auf solche in der Natur nicht vorkommende Mikroben.
Anlass war ein Vorfall in Norddeutschland, erklärt der Humanmediziner Franz Allerberger vom Geschäftsfeld Öffentliche Gesundheit der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Wien: Ein Betrunkener stürzte in einen Fluss und ertrank beinahe. Er wurde gerettet und ins Krankenhaus gebracht. Dort erkrankte er aber an einer lebensbedrohlichen Sepsis, ausgelöst durch einen hochresistenten bakteriellen Keim. Diese Erreger sind in Kliniken heute trotz strenger Hygienemaßnahmen verbreitet, weil man sie kaum bekämpfen kann. Doch es stellte sich heraus, dass der Patient das Bakterium nicht im Krankenhaus, sondern im Fluss aufgegabelt hatte, als er Wasser in die Atemwege bekam. Das Flusswasser war demnach die Quelle der Infektion.
Multiresistente Bakterien in vier Badegewässern
In Österreich suchten die Spezialisten der AGES mit Kollegen im Sommer 2017 die Badegewässer flächendeckend nach solchen multiresistenten Bakterien ab. Pro Bundesland wurden in drei, also insgesamt in 27 der hiesigen 263 offiziellen EU-Badegewässer, Proben entnommen. Die Studie wird demnächst in der Fachzeitschrift "Bodenkultur" veröffentlicht. "Wir haben Gewässer beprobt, bei denen man am ehesten davon ausgehen kann, solche Keime zu finden", so Allerberger. Die Ergebnisse zeigen daher den schlimmstmöglichen Fall auf. In vier Badegewässern fanden die Experten multiresistente Bakterien: im Stausee Forchtenstein im Burgenland, im Ossiachersee in Bodensdorf in Kärnten, im Donaualtarm Greifenstein in Niederösterreich und im Bregenzer Wocherhafen in Vorarlberg.
Bei dem Keim aus dem Burgenland handelt es sich um Bakterien der Art Pseudomonas aeruginosa, die schon seit der Römerzeit gefürchtet sind, weil sie bei geschwächten Personen "Grünspan", eine Infektion mit blau-grünlichem Eiter, verursachen. Sie gehören heute zu den häufigsten Krankenhauskeimen. Im Isolat aus dem Stausee befanden sich 51 Resistenzgene, die dem Bakterium ermöglichen, Antibiotika aus dem Zellinneren hinauszubefördern, ihnen kein Ziel mehr zu bieten und sie zu inaktivieren. Der Keim sprach immerhin noch auf mehrere "Reserveantibiotika" an. Das sind Antibiotika mit teils schweren Nebenwirkungen, die nur im Notfall gegen resistente Keimen angewendet werden sollten.
In Kärnten und Niederösterreich handelte es sich um Darmbakterien der Enterobacter-Gruppe, die unter anderem gegen das synthetische, penicillinähnliche Antibiotikum Ampicillin immun sind und bis zu 25 Resistenz-Gene aufwiesen. Der Keim aus dem Ländle war ein ursprünglich gewöhnliches, für Menschen sehr nützliches und bekanntes Darmbakterium namens Escherichia coli, das aber hie und da auf Abwege gerät und zum Beispiel böse Harnwegsinfekte hervorrufen kann. Es war mit 40 Resistenzgenen aufgerüstet und hatte die Fähigkeit, selbst hochmoderne Antibiotika mithilfe von Enzymen zu spalten und damit wirkungslos zu machen. Bei schweren Infektionen mit solchen Erregern stehen klopfte die Badegewässer in Niedersachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und der nur einzelne Reserveantibiotika zur Verfügung. Auch in Deutschland ging man der Sache nach und Stadt Hamburg nach resistenten Keimen ab. Es wurden jeweils an mehreren Stellen multiresistente Keime gefunden.
Wettrüsten zwischen Medizinern und Bakterien
Solche Erreger kennt man bis jetzt vorwiegend aus den Krankenhäusern, wo ein Wettrüsten zwischen Medizinern und Bakterien stattfindet. Die einen setzen immer neue, modernere Antibiotika ein, um die Keime zu eliminieren, die anderen sammeln von ihren Stammesgenossen Resistenzgene auf und passen sie immer wieder an die neuen Waffen der Medizin an. Weil die Zahl der Angriffsstellen an den Bakterien und somit die Ziffer der möglichen Antibiotika begrenzt ist, rechnen Forscher damit, dass die Bakterien aus dem Duell immer als Sieger hervorgehen.
In einer anderen Studie, die im Jänner diesen Jahres veröffentlicht wurde, untersuchten die AGES- Forscher die Flüsse und wiesen in der Donau bei Linz und in der Glan in Kärnten multiresistente Keime nach. In Oberösterreich handelte es sich um ein carbapenemresistentes Klebsiella-Bakterium. Dieses kann man nur mit einem Antibiotikum namens Colistin behandeln, das massive Nebenwirkungen hat, berichtet Allerberger: "Bei 43 Prozent der Patienten, die dieses Medikament hochdosiert verabreicht bekommen, kommt es zu Nierenversagen." Es wird also nur als letzter Ausweg verwendet.
Medizinische Einrichtungen sind eine Quelle
Die Bakterien aus Kärnten waren MRSA-Keime (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), die bereits seit den 1960er-Jahren Probleme verursachen. Die Forscher sequenzierten das Erbgut der Bakterien aus den Flüssen und verglichen es mit dem Genom von Krankenhauskeimen von Patienten. Das Bakterium aus der Donau identifizierten sie mittels DNA-Fingerabdrucks als quasi ident mit jenem von einem Patienten eines Linzer Spitals. Die gleichen resistenten Bakterien wie aus der Glan fanden sie bei zwei Patienten in einer Klagenfurter Klinik. Sie gelangten demnach fast sicher über das Abwasser der Krankenhäuser in die Natur, sagt Allerberger. Dies sei nicht verwunderlich, denn bei starken Regenfällen käme selbst bei den besten Kläranlagen ein Großteil der Abwässer ungefiltert in die Flüsse. Medizinische Einrichtungen und die mit Antibiotika behandelten Patienten sind also eine Quelle, aus der resistente Keime in Seen und Flüsse gelangen. Sie können übrigens auch ohne Starkregenereignisse aus den Klärbecken in die Umwelt dringen, erklärt Allerberger. In Deutschland zeigten Ökologen, dass Wasservögel zunächst in den Becken der Kläranlagen schwimmen und dann auffliegen und in natürlichen Gewässern landen. Auf diese Art können sie Bakterien verschleppen.
Erstaunlicherweise sind hochresistente Keime wie die mit ESBL bewehrten E. coli auch bei jungen Frauen und Männern in hoher Zahl zu finden, nämlich bei zehn Prozent der schwangeren Frauen und bei sieben bis acht Prozent niederländischer Rekruten. "Das sind höhere Raten als bei Altersheiminsassinnen und Patienten von Intensivstationen, wo drei bis vier Prozent positiv sind", sagt der Mediziner. Für dieses Paradoxon ist die Landwirtschaft verantwortlich: Die jungen Menschen gabeln die resistenten Keime wohl beim Hantieren mit rohem Fleisch auf. In England wurde zum Beispiel aufgedeckt, dass bei der Produktion von Hochleistungshühnern die Eier mit einer kleinen Dosis hochmoderner Cephalosporin-Antibiotika behandelt werden. Diese sind für das Aufkommen der ESBL verantwortlich, die wiederum dafür sorgen, dass die Cephalosporine bei Patienten nicht mehr wirken. Diese "Elitehühner" sind quasi die Großeltern der fleisch- und eierproduzierenden Hühner in ganz Europa, die dadurch oft resistente Keime tragen und sie großflächig verbreiten. "Wir konnten zeigen, dass die Küken dieser Hybridrassen zu 60 Prozent mit ESBL-Keimen besiedelt sind", berichtet Allerberger.
Abrüsten als einziger Weg, um Keime zu verringern
Beim MRSA wiederum kommt ein gängiger Stamm vermutlich von einer Schweinezucht aus den Niederlanden. "Die MRSA-Keime in den Blutkulturen von Patienten, die auf die Landwirtschaft zurückzuführen sind, machen aber nur acht Prozent aus, während die restlichen 92 Prozent aus der Humanmedizin stammen", sagt er. Die Viehzucht trage also weniger zum Problem bei als die Medizin beim Menschen, außerdem hat sie den Antibiotikaverbrauch in den vergangenen Jahren um ein Drittel reduziert. Dieses Abrüsten ist praktisch der einzige Weg, um die Zahl der resistenten Keime zu verringern. Genau wie es für Staaten vollkommen unökonomisch ist, sich ständig mit modernsten Waffen auszustatten, wenn keine Gefahr eines Angriffs besteht, ist es für Bakterien nicht sinnvoll, Resistenzgene gegen Antibiotika zu horten, wenn sie kaum zum Einsatz kommen. In der Natur verschwinden die Multiresistenzen daher nach kurzer oder längerer Zeit wieder.
Das ist auch für die Badegäste eine gute Nachricht. Obwohl es hier und dort eine Verunreinigung vorwiegend aus medizinischen Einrichtungen gibt, sind das Momentaufnahmen. Ein paar Tage, Wochen oder Monate später sollten solche Mikroben verschwunden sein, es sei denn, es kommt Nachschub. Dass dies nicht mehr passiert, ist vorwiegend Aufgabe der Mediziner, die den unnötig hohen Antibiotikaverbrauch in den Griff bekommen müssen. In den vergangenen Jahren wurde er kein bisschen reduziert, obwohl laut der europäischen Seuchenbehörde ECDC (Europäisches Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten) ein Drittel bis die Hälfte eingespart werden könnte, ohne die medizinische Versorgung zu verschlechtern. Bis zur Hälfte der Antibiotika in Kliniken und im niedergelassenen Bereich ist medizinisch unnötig, in Langzeitpflegeeinrichtungen sogar bis zu 90 Prozent. Zum Beispiel steigt in Österreich der Antibiotikaverbrauch während der Grippesaison im Winter stets massiv an. Sowohl die echte Grippe als auch grippale Infekte werden aber von Viren ausgelöst, gegen die Antibiotika wirkungslos sind. Sie fördern in diesem Fall also nicht die menschlichen Gesundheit, sondern lediglich das Auftreten von Antibiotikaresistenzen.
Weltweit ist man sich des Problems bewusst. Es gibt einen internationalen Pakt namens Transatlantic Taskforce on Antimicrobial Resistance (TATFAR), an dem auch Österreich beteiligt ist. Hier wäre es die erste Aufgabe der einzelnen Länder, Pläne vorzulegen, wie sie den übermäßigen Antibiotikakonsum reduzieren wollen. Von 30 Ländern haben dies laut eines TATFAR-Berichts aber nur neun getan. Die restlichen 21, zu diesen Säumigen zählt Österreich, hat es noch nicht einmal geschafft, sich zu überlegen und zu dokumentieren, welche Maßnahmen man setzen könnte. In Österreich bezahlen die Krankenkassen auch keine Schnelltests, die sofort verraten, ob es sich um einen viralen oder bakteriellen Infekt handelt, kritisiert Allerberger. Wenn der behandelnde Arzt dem Patienten also Antibiotika verschreibt, zahlt dieser bloß die Rezeptgebühr, während er den gesamten Preis für den Test berappen müsste. Um sich lange Erklärungen und dem Patienten Geld zu ersparen, verordnen viele niedergelassene Ärzte teils leichtfertig Antibiotika. Hier ist also die Politik gefragt, und sie sollte die Menschen besser über das Problem informieren. Dann hätten es die Ärzte leichter, eine weitere Forderung der OECD zur Eindämmung des Antibiotikakonsums zu erfüllen: vor der Verschreibung eine Karenzzeit vergehen zu lassen, also ein paar Tage abzuwarten. Bei uninformierten Patienten stoßen solche Maßnahmen auf viel mehr Widerspruch als bei gut mit der Problematik vertrauten.
Baden bedenklich?
Doch zurück zum Baden in Österreichs Seen und Flussarmen: Für gesunde Erwachsene, Kinder und Jugendliche ist dies absolut unbedenklich, erklärt Allerberger. Lediglich bei Säuglingen und älteren Menschen ab rund 70 Jahren sei Vorsicht angebracht, denn ihr Immunsystem ist noch nicht so erfahren beziehungsweise nicht mehr so aktiv. Risikogruppen sind außerdem Krebspatienten unter Chemotherapie und Transplantationspatienten, bei denen die Abwehr durch Therapie und Medikamente geschwächt ist. Hier gilt es im Einzelfall abzuschätzen, ob die positiven Auswirkungen der körperlichen Betätigung das kleine Restrisiko einer Infektion mit gefährlichen Keimen nicht bei Weitem überwiegen. Immerhin sterben hierzulande viel mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als an Krankenhauskeimen. Völlig unbedenklich sei das Baden in gechlorten Schwimmbecken. Hier können auch Risikopatienten, ganz kleine Kinder und alte Menschen risikolos Abkühlung finden.