Katholiken sind bald eine Minderheit
Das Ergebnis: Mit Stand Frühjahr 2024 beträgt der Anteil der Katholiken in Österreich 50,5 Prozent, im Juli wohl 50,3 Prozent – Tendenz weiter sinkend. „Ziemlich sicher wird die römisch-katholische Bevölkerungsmehrheit heuer im Herbst vorbei sein“, prognostiziert Bárány. „Katholiken fallen unter 50 Prozent.“ Dabei sind die Zahlen aus Sicht der katholischen Kirche noch recht freundlich berechnet. Denn sie inkludieren all jene Personen, die selbst noch keine Entscheidung über ihre Zugehörigkeit zum katholischen Glauben treffen konnten. „Freiwillig katholisch, also über 14 Jahre und damit religionsmündig, sind circa 43 Prozent.“
Der verbreitete Eindruck, wir würden in einem Land leben, in dem der katholische Glaube nach wie vor in einer breiten Bevölkerung tief verwurzelt ist, ist jedenfalls falsch. Die zweitgrößte Gruppe stellt nicht eine andere Glaubensgemeinschaft, sondern das Segment der Konfessionsfreien: Im Moment wird ihr Anteil mit 31,5 Prozent beziffert.
Báránys Modellen zufolge wird sich die Reihenfolge in spätestens sechs bis acht Jahren umgekehrt haben: Dann werden die Konfessionsfreien die Katholiken als personenreichste Gruppe Österreichs abgelöst haben. In Deutschland und der Schweiz ist dies bereits jetzt der Fall.
An die Entwicklungen knüpft sich für die Humanisten, die zusammen mit anderen Gleichgesinnten gerade im Begriff sind, einen Zentralrat der Konfessionsfreien zu begründen, die Frage: Wieso hat die derzeit zweitgrößte und wohl bald größte Gruppe im Land keine Stimme? Weshalb werden deren Positionen bei gesellschaftspolitischen Debatten nicht berücksichtigt? „Wir sind weder laut noch dogmatisch, wir drohen niemandem oder würdigen andere Ansichten herab“, sagt Gerhard Engelmayer, der lange als Präsident der Humanisten fungierte. „Das heißt aber nicht, dass wir keine Anliegen und Positionen zu politischen und gesellschaftlichen Themen haben.“
Zu den Eckpfeilern dieses Denkens zählen beispielsweise ein wissenschaftliches Weltbild auf Basis von Evidenz, ein Plädoyer für umfassende ethische Bildung in Schulen, die Forderung nach einer strikten Trennung von Staat und Kirche sowie Respekt vor jeder Form religiöser Neigung, die jedoch keinen Niederschlag bei der Entscheidungsfindung eines säkularen Staates finden darf, sondern eine Frage der privaten Lebensführung sein soll.
Chronisch unterrepräsentiert
Tatsächlich sind Staat, Politik und Religion – naturgemäß hauptsächlich in Gestalt des Katholizismus – in Österreich eng verwoben. Wenn Ministerien Diskussionsrunden oder Ausschüsse zu wichtigen Fragen wie Gentechnik, Reproduktion oder Armutsbekämpfung einberufen, sind meist kirchliche Repräsentanten geladen, nie jedoch Vertreter der Konfessionsfreien. Selbst in Wien, wo Menschen ohne Glaubenszugehörigkeit bereits die Mehrheit stellen, wurde im Herbst ein „Religionsrat“ gegründet, der sich ausschließlich aus den anerkannten Religionen zusammensetzt und bedeutende Problemfelder der Gegenwart erörtern soll. Und als Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Jänner in der Hofburg ein „Zeichen für den Frieden“ setzen wollte, saßen Bischöfinnen und Bischöfe verschiedenster Konfessionen am Tisch, samt Lutherianern, Altkatholiken, Buddhisten, Kopten, Methodisten und Armenisch-Apostolischen, überdies die Katholische Frauenbewegung und der Ökumenische Rat – Konfessionsfreie indes hatte niemand eingeladen. Ähnlich unsichtbar ist diese Gruppe in Gremien wie dem ORF-Publikumsrat: Dort sind zwar die römisch-katholische und die evangelische Kirche (zurzeit 2,8 Prozent der Bevölkerung) vertreten, Konfessionsfreie nicht.
Ebenso könnte man in Anbetracht des tatsächlichen Stellenwerts der einzelnen Gruppierungen eine Reihe von Privilegien, insbesondere der katholischen Kirche, infrage stellen. Warum muss auch die nichtkonfessionelle Bevölkerung in Kauf nehmen, dass das Steueraufkommen aufgrund der Absetzbarkeit von Kirchenbeiträgen jährlich um grob geschätzt 150 Millionen Euro geschmälert wird? Wieso trägt der Staat Kosten für Lehrer katholischer Privatschulen mit, nicht aber für solche konfessionsfreier Schulen?
An den Schulen zeigt sich oft besonders deutlich, wie dominant verholzte Denkmuster aus einer überkommenen Vergangenheit noch sind. Begebenheit in einem Wiener Gymnasium: Eltern müssen sich zunächst wortreich rechtfertigen, dass sie ihre Tochter vom Religionsunterricht abmelden wollen. Dies wird unter deutlichem Missfallen der Lehrerschaft schließlich akzeptiert, das vermeintliche Fehlverhalten jedoch dergestalt sanktioniert, dass die Schülerin während der Religionsstunde in der Garderobe sitzen muss, gleichsam auf der Strafbank.