Jetzt aber wirklich: Antibaby-Mittel für den Mann

Von Franziska Dzugan
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Oscar Ahlqvist ist ein seltenes Exemplar von einem Mann. Ein Jahr lang hat er für die Verhütung gesorgt – aber nicht mit Kondomen, sondern mit Hormonen. „Meine Freundin Kerstin verträgt die Pille nicht und litt unter schlimmen Nebenwirkungen. Also habe ich übernommen“, sagte der schwedische Krankenpfleger kürzlich dem Magazin „Science News“. 2022 war der damals 34-Jährige einer von weltweit 400 Männern, die das Hormongel NES/T im Rahmen einer klinischen Studie testeten. Täglich rieb sich Ahlqvist die Substanz auf die Schultern – so oft, wie seine Freundin früher die Pille nahm. Der Name NES/T stammt von den Wirkstoffen: den beiden Hormonen Nestoron und Testosteron. Ersteres wird synthetisch hergestellt und ist dem natürlichen Hormon Progesteron nachempfunden; es hemmt die Spermienproduktion sowie die Produktion von Testosteron. Dieses ist deshalb ebenfalls im Gel enthalten, um Lust und Sexualfunktion zu erhalten.
Ich würde das Gel definitiv jedem empfehlen, der die Chance bekommt, es zu probieren.
Oscar Ahlqvist, Tester der ersten Stunde
Das Gel ist eines von mehreren Verhütungsmitteln, die derzeit für den Mann entwickelt werden. Aktuell bleiben Männern nur zwei Möglichkeiten, bei der Empfängnisverhütung mitzuwirken: Kondome oder eine Vasektomie, die dauerhafte Durchtrennung der Samenleiter. „Seit Erfindung der Antibabypille 1960 ist Verhütung Frauensache. Gerecht ist das nicht“, sagt Shahrokh Shariat, Leiter der Universitätsklinik für Urologie an der Medizinischen Universität und am AKH Wien. Er beobachtet die Entwicklung von Verhütungsmitteln für Männer seit Jahren. „Es geht um geteilte Verantwortung zwischen den Geschlechtern einerseits und um mehr Autonomie für die Männer andererseits.“
Laut österreichischem Verhütungsbericht 2024, herausgegeben vom Gesundheitsministerium, nehmen 42 Prozent jener Frauen, die verhüten wollen, die Pille oder die Minipille, 40 Prozent verhüten mit Kondomen und 17 Prozent mit einer Spirale. Doch die Bereitschaft der Frauen, Hormone einzunehmen, sinkt ebenso wie jene, sich allein um die Verhinderung einer Schwangerschaft zu kümmern. Und die Männer? Im Verhütungsreport 2019 wurden sie gefragt, ob sie eine Antibabypille nehmen würden, wenn es eine gäbe. Die Bereitschaft war erstaunlich hoch: 39 Prozent antworteten mit „ja, sicher“, 40 Prozent waren unsicher, nur 21 Prozent schlossen es dezidiert aus.
In den USA stieg die Zahl der für die Pille bereiten Männer sogar von 39 auf 49 Prozent, nachdem der Oberste Gerichtshof das Recht auf Abtreibung 2022 gekippt hatte. US-Pharmaunternehmen pumpen deshalb mehr Geld in die lange vernachlässigte Forschung. In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern mit hohen Geburtenraten liegt die Zustimmung der Männer gar bei über 70 Prozent. Wann aber hat das Warten auf Verhütungsmittel für Männer ein Ende? Wie werden sie funktionieren? Und mit welchen Nebenwirkungen ist zu rechnen?
Vor- und Nachteile von Hormongels
Derzeit werden zwei Ansätze klinischen Studien unterzogen: Hormongels wie jenes, das sich Oscar Ahlqvist auf die Schultern schmierte, und Injektionen, die den Samenleiter für einen gewissen Zeitraum blockieren – ähnlich einer temporären Vasektomie.
Für das Hormongel NES/T sollen noch heuer Phase-III-Studien starten, also jene Untersuchungen, in denen ein Arzneimittel in großen Patientengruppen getestet wird und die schließlich zu einer Zulassung führen können. Die Phase-II-Studie, an der Ahlqvist teilnahm, stimme ihn „vorsichtig optimistisch“, sagt John Amory, Fortpflanzungsmediziner von der Universität Washington, gegenüber „Science News“. Er war nicht an der Studie beteiligt, kennt aber deren Ergebnisse im Detail. Vorsichtig ist Amory deshalb, weil 2016 eine Testreihe mit einem ähnlichen Hormonpräparat abgebrochen werden musste – zu viele Teilnehmer hatten über Nebenwirkungen geklagt: depressive Verstimmungen, Akne, Libidoverlust. Auch Ahlqvist fühlte sich im ersten Monat der Anwendung „ziemlich down“, danach verschwand die Nebenwirkung aber.
Viele Frauen würden über solche Nebenwirkungen mit Blick auf den Beipackzettel ihrer Pille nur lachen. Sie müssen oft mehrere Präparate durchprobieren, um ein möglichst verträgliches Mittel zu finden. Warum werden Nebenwirkungen bei Frauen durchgewunken, bei Männern aber nicht? Das liegt an der Arbeitsweise der Zulassungsbehörden, die immer eine Risikoabwägung vornehmen müssen. Das heißt: Bei Frauen überwiegt der Nutzen der Pille trotz der möglicherweise auftretenden Nebenwirkungen, weil er größer eingestuft wird als das gesundheitliche Risiko einer Schwangerschaft. Der Mann trägt dieses Risiko klarerweise nicht – wodurch Nebenwirkungen eigentlich gar nicht akzeptabel sind. Ein Dilemma, für das bislang keine Arzneimittelbehörde weltweit eine Lösung gefunden hat.
Die Hormongels haben aber noch ein weiteres Problem: Sie brauchen vier bis zwölf Wochen, bis sie wirken. Erst dann sinkt die Samenproduktion auf weniger als eine Million Spermien pro Milliliter Ejakulat, also auf den Wert, ab dem die Befruchtung einer Eizelle nicht mehr möglich ist. Zum Vergleich: Die Pille für die Frau wirkt innerhalb von zwei bis sieben Tagen. „Die lange Vorlaufzeit wird in der Praxis viele Männer abschrecken“, vermutet der Wiener Urologe Shahrokh Shariat.
Spermienblocker: Vasektomie light
Er setzt im Rennen um das erste zugelassene Männer-Verhütungsmittel auf Spermienblocker. Sie funktionieren so: Ein Mediziner injiziert ein Hydrogel in den Samenleiter, der normalerweise die Spermien von den Hoden in den Penis transportiert. Das Gel wird im Körper zähflüssig, bildet somit eine Barriere und versperrt den Spermien den Weg. Anders als die Vasektomie, bei der der Samenleiter durchtrennt wird, soll dieses Verfahren rückgängig gemacht werden können. Dazu tüfteln Forschende einerseits an einer zweiten Injektion, die das Gel auflöst, und andererseits an Gels, die sich mit der Zeit von selbst auflösen. „Das könnte in der Praxis gut funktionieren“, sagt Shariat.
„Spermienblocker könnten in der Praxis gut funktionieren.“
Shahrokh Shariat, MedUni Wien
In den USA befinden sich aktuell zwei Spermienblocker in der Pipeline. Das vom Pharmaunternehmen Contraline in Virginia entwickelte Hydrogel „Adam“ soll sich von selbst auflösen. In einer Phase-I-Studie mit 25 Teilnehmern zeigten sich binnen zwölf Monaten weder Schwangerschaften noch Nebenwirkungen. Das kalifornische Unternehmen Next Life Sciences will sein Hydrogel namens „Plan A“ bereits 2026 in die Zulassung schicken – obwohl es bisher nur im Tierversuch getestet wurde. Das klingt verrückt, folgt aber wiederum der Logik der Zulassungsbehörden: „Adam“ und „Plan A“ fallen in die Kategorie „medical device“, also Medizinprodukte, nicht in die Kategorie Arzneimittel. Die Nachteile: Spermienblocker verlangen (mindestens einen) medizinischen Eingriff und werden deshalb nicht billig sein.
Wann kommt die Pille für den Mann?
Die größte Hoffnung bleibt also trotz allem die buchstäbliche Pille für den Mann. Idealerweise wäre sie billig, unkompliziert als Tablette einzunehmen, kurz nach dem Schlucken wirksam, aber reversibel und ohne gröbere Nebenwirkungen. Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Tatsächlich gibt es aber drei vielversprechende Substanzen, die nicht in den Hormonhaushalt eingreifen und deshalb deutlich weniger Nebenwirkungen haben dürften.
Am weitesten gediehen ist ein Molekül, das die Serin/Threonin-Kinase 33 (STK33) hemmt. STK33 ist ein Protein, das sowohl bei Menschen als auch bei Mäusen für die Fruchtbarkeit erforderlich ist. Erste Tests mit männlichen Mäusen liefen vielversprechend, wie die Forscherin Courtney Sutton 2024 im Fachblatt „Nature“ berichtete: „Der Wirkstoff reduzierte bei geringen Dosen die Spermienmotilität und -anzahl sowie die Befruchtungsfähigkeit der Mäuse, ohne Anzeichen von Toxizität oder Nebenwirkungen zu zeigen.“ Der Weg von Mäusen zu Menschen ist allerdings ein weiter. Zahlreiche Studien sind dafür noch nötig, bis zu einer Zulassung werden noch mindestens zehn Jahre vergehen.
Ebenfalls hormonfrei wirken Hemmer für den Retinsäure-Rezeptor Alpha, welche die Produktion von Vitamin A in den Hoden niedrig halten und die Spermienanzahl deutlich reduzieren sollen. Mäuse wurden dadurch zu 99 Prozent unfruchtbar, ein Monat nach Absetzen des Medikaments war deren Fruchtbarkeit aber wieder hergestellt. Das Problem bei diesen Präparaten: Vitamin A wird auch in anderen Organen gebraucht, etwa in den Augen. Da eine Maus schwerlich kommunizieren kann, dass sie plötzlich schlechter sieht, bleibt abzuwarten, wie verträglich das Mittel für den Menschen sein wird – und ob es überhaupt zu klinischen Studien zugelassen wird.
Russisches Roulette mit dem Penisring
Viele Männer wollen nicht mehr warten und versuchen es auf eigene Faust mit „thermischer Verhütung“. Gemeint sind Methoden, die Temperatur in den Hoden zu erhöhen, um die Fruchtbarkeit der Spermien zu minimieren. In Frankreich entstand um den Penisring „Andro Switch“ ein regelrechter Hype: Mangels Zulassung wird der in bunten Farben erhältliche Silikonring als „Kunstobjekt“ in Onlineshops vertrieben. Über den Penis gestülpt soll er die Hoden eng an die Leiste drücken, um sie warm zu halten. Die Vertreiber empfehlen 15 Stunden Tragezeit pro Tag. Ebenfalls auf diversen Plattformen zu kaufen: Thermounterwäsche mit eingebauten Wärmekissen für die Hoden.
Was hält der Experte vom Penisring? „Wer gerne russisches Roulette spielt, soll es probieren“, sagt Urologe Shahrokh Shariat. Zwar könne die Temperatur die Spermienfunktion durchaus einschränken, aber niemals mit einer Wirksamkeit von 98 Prozent, wie es für eine ordentliche Verhütung nötig wäre. Das Risiko einer Schwangerschaft sei eher mit dem Coitus interruptus zu vergleichen.
Eine große Chance für die Männer
Insgesamt steckt in der Verhütung für den Mann auch eine große Chance, die Männergesundheit voranzutreiben. „Die Pille hat der Frauengesundheit einen riesigen Schub verpasst. Die Frauen gehen ab dem Teenageralter regelmäßig zur Gynäkologin. Männer kommen erst im mittleren Alter zum Urologen, wenn etwas wehtut“, sagt Shariat. Verhütungsmittel würden das schlagartig ändern, meint er, weil beim Verschreiben von Verhütungspräparaten auch Herzkreislauferkrankungen, Prostatakarzinome und andere häufige Männerkrankheiten frühzeitig auffallen würden. Im Moment sterben Männer im Schnitt sechs Jahre früher als Frauen. Mit mehr Prävention könnte der Unterschied auf zwei Jahre schrumpfen, so der Urologe.
Trotzdem heißt es wohl noch warten auf die Antibabypille für den Mann – oder zumindest auf zugelassene Hormongels. Oscar Ahlqvist, Tester der ersten Stunde, würde sie „definitiv jedem empfehlen, der die Chance bekommt, sie zu probieren“. Bis dahin gilt: Kondome sind immer noch die beste Wahl.

Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.