Vogelgrippe-Ausbrüche: Wächst jetzt die Gefahr für den Menschen?
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Donnerstagnachmittag erhöhte das Gesundheitsministerium die Gefahrenstufe: Ganz Österreich wurde zum Risikogebiet für die Vogelgrippe erklärt. Für 25 Bezirke in Nieder-, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und im Burgenland wurde das Risiko als besonders hoch eingeschätzt.
Schon in den Wochen davor gaben die Behörden wiederholt Alarm. Ende Oktober traf die Vogelgrippe, auch Geflügelpest oder aviäre Influenza genannt, eine Geflügelzucht im Bezirk Amstetten, kurz davor einen Bauernhof bei Braunau. In Summe ereilte das Virus H5N1 zuletzt Betriebe mit insgesamt rund 200.000 Tieren.
Amstetten, 8. November 2024
Das Bundesheer hilft nach dem Vogelgrippe-Ausbruch im niederösterreichischen Bezirk Amstetten.
Schon seit Mitte September häufen sich in mehreren Gegenden Österreichs die Infektionen, in Betrieben wie auch bei Wildvögeln. In anderen Ländern Europas flackert die Vogelgrippe seit dem Spätsommer ebenfalls auf, darunter in Frankreich, Polen, Spanien, Portugal, Italien und Belgien sowie in mehreren Staaten Osteuropas und am Balkan.
Ausbrüche der Vogelgrippe
Nachgewiesene Fälle in Betrieben bei aufgefundenen Wildvögeln seit Jahresbeginn 2023.
Zudem beobachten Wissenschafter eine jüngste Entwicklung aufmerksam: Ende Oktober steckten sich im US-Bundesstaat Oregon erstmals zwei Schweine mit dem problematischen Virus an – Säugetiere, deren Organismus dem Menschen viel näher ist als jener von Vögeln. Die Schweine infizierten sich vermutlich über Vogelkadaver.
„Eigentlich ist eine Übertragung von H5N1 auf Schweine eher schwierig“, sagt der Mikrobiologe und Influenza-Experte Florian Krammer, Professor an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York und seit Kurzem auch an der Medizinischen Universität Wien. Es handle sich wahrscheinlich um Einzelfälle, doch beobachten müsse man solche Ereignisse allemal: „Das Virus ist momentan in der Natur weit verbreitet, und mittlerweile sind viele verschiedene Säugetiere betroffen.“
Ausbreitung unter Milchkühen
Seit März herrscht vor allem auf amerikanischen Rinderfarmen Besorgnis: Seit damals zirkuliert die Vogelgrippe unter Milchkühen, ausgehend von Texas. Dass es je zu einem „Spillover“, einem Übersprung, des Virus von Vögeln auf Kühe, kommen könnte, hatte als äußerst unwahrscheinlich gegolten, und viele Forscher zeigten sich völlig überrascht. Bis Anfang November schlich sich die Vogelgrippe in mehr als 440 Farmen in 15 US-Staaten ein.
Auch knapp 40 Menschen erkrankten, bis auf eine Person aus Missouri mit mysteriöser Fallgeschichte allesamt Farmarbeiter. Sie kamen mit milden Symptomen wie Augeninfektionen davon, die sie sich vermutlich durch Kontakt mit kontaminierter Milch eingehandelt hatten.
Ausbreitung in Rinderherden
In den USA zirkuliert die Vogelgrippe seit März 2024 unter Milchkühen, wobei die Tiere einander hauptsächlich über die Euter anstecken. Mehr als 400 Betriebe in 15 Staaten sind mittlerweile betroffen.
Nach derzeitigem Wissen kam es zu einem einmaligen Übersprung auf Rinder, anschließend verbreitete sich das Virus von Tier zu Tier, und zwar hauptsächlich über Melkgeschirre. Weil Kühe extensiv unter Betrieben gehandelt werden, kam es zur aktuellen Epidemie. Die Milch der infizierten Kühe kann zwar große Mengen Virus enthalten, die Pasteurisierung macht die Virenfracht jedoch unschädlich. Vom Genuss von Rohmilch wird indes dringend abgeraten.
Die Infektionsketten in Rinderherden sind sicher die spektakulärsten Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, doch über die Jahre wurde die Vogelgrippe in zahlreichen Säugetierarten entdeckt, darunter bei Mäusen, Füchsen, Nerzen, Mardern, Waschbären und Löwen. Befallen waren weiters Tiger, Panther, Leoparden, Robben und Seelöwen.
Beunruhigung kam auf, als sich auch Haustiere infizierten, Hunde wie auch Katzen. In Polen erkrankten im Vorjahr rund 30 Katzen, mehrere davon starben. Rätselhaft war, dass es sich bei einigen um reine Wohnungskatzen handelte – und der Weg der Ansteckung unklar blieb.
Millionen verendeter Vögel
Am härtesten traf es freilich die Vogelwelt: Viele Millionen Vögel fielen dem Virus bisher zum Opfer – Hühner, Enten, Gänse und Puten in landwirtschaftlichen Massenbetrieben ebenso wie zahlreiche Spezies von Wildvögeln, etwa Möwen, Schwäne, Kormorane und Pinguine. Manche Forschende warnten bereits vor einem Massensterben, das die Artenvielfalt bedrohe. Geografisch verschont blieb bisher nur Australien, sonst hat sich das Virus über alle Kontinente ausgebreitet, inklusive der Antarktis.
Wie sind die jüngsten Entwicklungen einzuschätzen? Wächst die Vogelgrippe allmählich zu einer globalen Bedrohung, auch für Menschen? Droht womöglich die nächste Pandemie? Und was wissen wir über das Virus, das die Infektionen und Erkrankungen verursacht?
Influenzaviren stellen eine große und äußerst vielfältige Gruppe von Krankheitserregern dar. Die saisonale Grippe, die uns jeden Winter ereilt, zählt ebenso dazu wie die aktuelle Vogelgrippe und die Spanische Grippe, die ab 1918 rund 50 Millionen Menschenleben kostete – und die wahrscheinlich in Wasservögeln zirkulierte, bevor sie zum Menschen gelangte.
Influenza wird zunächst in vier Subtypen eingeteilt, die mit den Buchstaben A bis D benannt sind. Der größte und wichtigste Typ ist Influenza A, zu dem auch die Vogelgrippe gehört. Er plagt Mensch und Tier mindestens seit der Antike, viel länger, als man Viren kennt und nachweisen kann.
© AFP/APA/AFP/JACKIE KATZ AND CYNTHIA GOLDSMIT/Jackie Katz and Cynthia Goldsmith/Centers for Disease Control and Prevention (CDC)
Vogelgrippe-Viren
Der aktuelle Stamm der Vogelgrippe heißt H5N1 , tauchte erstmals 1996 in China auf und infizierte ein Jahr später Menschen in Hongkong. Die Vogelgrippe fällt in die große Familie der Influenzaviren, zu denen auch die saisonale Grippe und die Spanische Grippe von 1918 zählen. Die Einteilung dieser Influenza-A-Erreger erfolgt unter anderem anhand der Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N), mit denen die Viren die Zellen ihrer Wirte befallen.
Die Viren-Taxonomie ist aber noch feiner verästelt. Auf der nächsten Ebene wird Influenza anhand der Oberflächenproteine eingeteilt, mit denen die Viren Wirtszellen befallen. Das sind Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Man kennt heute bei Influenza A 19 H-Varianten und elf N-Formen.
Es gab in der Vergangenheit eine Vielzahl von Vogelgrippestämmen. Der aktuell problematische heißt H5N1. Eine weitere Unterscheidung bezieht sich auf den Gefährdungsgrad: Differenziert wird zwischen hoch- und niedrigpathogenen Stämmen – solchen, die großes oder aber geringes Krankheitspotenzial besitzen. All die aktuellen Fälle wurden von hochpathogenen Viren ausgelöst.
Und dann gibt es noch weitere Untergruppen: erstens die sogenannten Kladen, wobei zurzeit eine namens 2.3.4.4b sowohl in Europa als auch in den USA dominant ist; und zweitens, noch eine Ebene darunter, die Genotypen, die sich durch geringfügige genetische Abweichungen unterscheiden. Im Moment zirkulieren zahlreiche Genotypen, wobei man in österreichischen Geflügelbetrieben mit anderen Formen konfrontiert ist als auf Rinderfarmen in Texas. Forscher sprachen bereits von einem Trend zur Regionalität.
Erste menschliche Opfer in Hongkong
Abgesehen von diesen Nuancen ist das H5N1-Virus jedoch stets dasselbe, und es geistert seit einem Vierteljahrhundert durch die Welt. Der aktuelle Stamm tauchte erstmals 1996 in China auf. Ein Jahr später steckten sich in Hongkong erstmals Menschen mit H5N1 an. 18 Infektionen wurden registriert, sieben Patienten starben. „Damals hat man gesehen, dass es auch für den Menschen gefährlich werden kann“, sagt Florian Krammer.
Bis heute sind knapp 900 humane Fälle bekannt, die Todesrate beträgt rund 50 Prozent. Allerdings: Im Gegensatz zu früher sind die Auswirkungen auf den Menschen heuer wesentlich milder, wie die Beispiele harmloser Augenentzündungen in den USA zeigen. Warum? Lässt sich nicht sagen, das Virus hat sich wohl entsprechend verändert. Vermutlich ist die Dunkelziffer humaner Infektionen wesentlich höher, weil sich in Südostasien kaum jemand Labortests unterzieht, wenn er leichte Grippesymptome verspürt – und ebenso wenig auf amerikanischen Farmen, wo häufig illegale Einwanderer arbeiten.
Strenge Maßnahmen
Betriebe werden meist gesperrt, im Umkreis werden kilometergroße Überwachungszonen eingerichtet. Ende voriger Woche wurden 25 österreichische Bezirke zu Risikogebieten erklärt.
Über die Jahre schwappten immer wieder mehr oder minder heftige Wellen der Vogelgrippe über den Planeten, vertragen durch Zugvögel und außerdem den weltweiten Handel mit Geflügel. Im Gedächtnis haften blieben vor allem Bilder von jämmerlich verendeten Wildvögeln an Stränden, Seeufern oder auch mitten in Großstädten. Ist nun aber etwas anders? Hat sich die Situation durch die Ereignisse der vergangenen Monate gewandelt?
Weiter von Tier zu Tier
Ein Novum ist auf jeden Fall, dass Säugetiere in vergleichsweise großem Ausmaß betroffen sind. Außerdem wandert das Virus von Rind zu Rind weiter, was bisher sonst nur bei Füchsen und Nerzen in Pelztierfarmen sowie bei Meeressäugern beobachtet wurde. Jener kritische Moment, der gleichsam als Sprungbrett für eine wirklich großflächige Ausbreitung dient, blieb bei den Rinderherden in den USA noch aus: eine respiratorische Übertragung über Tröpfchen oder Aerosole, kleine Schwebeteilchen in der Luft, die beim Atmen versprüht werden. Soweit bekannt, erfolgt die Ansteckung bisher vermutlich ausschließlich von Euter zu Euter durch Kontakt mit Melkutensilien.
Und bei anderen Tieren, vor allem beim Menschen? Wenn zum Beispiel Hühner in infiziertem Mist scharren oder mit den Flügeln schlagen, können kontaminierte Partikel aufgewirbelt werden, über die sich andere Tiere oder Menschen in unmittelbarer Nähe anstecken können.
Influenza-Experte Florian Krammer
„Je mehr Virus im Umlauf ist und je mehr Kontakt es zu infizierten Tieren gibt, desto eher kann es auch Menschen betreffen“, sagt der Professor, der in New York und Wien forscht.
Als in Asien die ersten Fälle aufkamen, gerieten als Infektionsquelle Maschinen in Verdacht, die automatisiert Federn entfernten und dabei ordentlich Staub umherschleuderten. Katzen in freier Natur stecken sich zum Beispiel an, wenn sie infizierte Vögel jagen. Kann das Virus auf den Menschen übergehen, wenn er anschließend mit seinem Haustier kuschelt? Durchaus denkbar, aber keineswegs erwiesen.
Jenes Szenario, das wirklich gefürchtet wird, ist bisher nicht eingetreten: eine Übertragung von Mensch zu Mensch. Ansteckungen erfolgten bisher ausnahmslos durch Tierkontakte. Steigt das Risiko dafür, wenn H5N1 vermehrt unter Rindern oder Katzen zirkuliert? Kann das der Auftakt zu einer humanen Epidemie oder Pandemie sein, die der Reihe nach die Kontinente erfasst? Zumindest rein theoretisch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit. „Je mehr Virus im Umlauf ist und je mehr Kontakt zu infizierten Tieren es gibt, desto eher kann es auch den Menschen betreffen“, so Infektiologe Krammer.
Meister der Verwandlung
Voraussetzung dafür wären bestimmte Veränderungen und Anpassungen des Virus – und Influenzaviren sind absolute Weltmeister der Veränderung. Zum einen mutieren sie unablässig, wie auch alle anderen Viren. Das Coronavirus beispielsweise veränderte sich derart vom Wildtyp über die Alpha- und Delta- bis zur heute dominierenden Omikron-Variante.
Welche Effekte die stets zufälligen Mutationen haben, kann niemand zuverlässig vorhersagen. Daher könnte es durchaus sein, dass die Vogelgrippe gerade mal ein paar genetische Veränderungen von einer Variante entfernt ist, die eine Übertragung von Mensch zu Mensch über die Atemluft erlaubt. Zu sagen, ob und wann solch eine Situation eintritt, wäre blanke Spekulation.
Influenzaviren besitzen eine weitere Eigenschaft, die sie zu perfekten Wandlungskünstlern macht. Sie beherrschen einen Trick namens Reassortierung. Das bedeutet, salopp ausgedrückt, dass sie sich in einzelne Bausteine zerlegen und neu zusammensetzen können. Sie bestehen aus acht einzelnen Gen-Segmenten, die sich speziell dann auf geänderte Weise zusammensetzen, wenn sie auf andere Stämme von Influenzaviren treffen – und zwar im Organismus infizierter Tiere, vor allem in Schweinen.
Das Viren-Puzzle
Deshalb erfuhren nun die ersten Infektionen von Schweinen besondere Aufmerksamkeit. Schweine gelten als „Mixing vessels“, als effiziente Mischgefäße für das genetische Zusammenbrauen neuer Influenzaviren mit veränderten Eigenschaften. Ein bisher harmloser Erreger könnte dadurch gravierende Krankheiten verursachen, ein schwer übertragbares Virus könnte sich plötzlich besser in Säugetierzellen vermehren oder sich leichter ausbreiten. Welches Szenario eintritt, beruht auf purem Zufall.
Ein Beispiel, wie derart neue Viren entstehen, war die Schweine- oder Mexikanische Grippe 2009. Sequenzen von vier Influenzaviren trafen damals in Schweinen aufeinander: ein Stamm der Spanischen Grippe von 1918, ein Vogelgrippe-Virus, ein humanes Grippevirus und ein weiteres, das bereits in Schweinen zirkulierte. Nach ausgiebigem genetischen Schütteln, Rühren und Mixen entstand ein neuartiges H1N1-Virus. Es löste eine Pandemie aus, die um den Globus ging und, obwohl sie relativ harmlos war, etwa eine Viertelmillion Menschen tötete.
Probennahme
Für Betriebe, in denen es Verdachtsfälle gibt, gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Infiziertes Geflügel muss fast immer getötet werden.
Hat die aktuelle Vogelgrippe das Zeug zur Pandemie? Verlässlich beantworten kann das niemand. „Die Einschätzung der Gefährlichkeit ist schwer“, sagt Krammer. Einerseits seien eben recht viel Virusmaterial mit hoher genetischer Diversität, sowie die vermehrte Verbreitung unter Säugetieren zu beobachten. Jedes weitere betroffene Säugetier könnte hypothetisch bedeuten, dass sich das Virus Schritt für Schritt zu einem Erreger wandelt, der Menschen leichter befallen und von ihnen weiter übertragen werden könnte.
Andererseits, so Krammer, sei das Virus seit mehr als 20 Jahren bekannt. Es habe in früheren Jahren durchaus heftigere Ausbrüche mit höheren Fallzahlen bei Menschen ausgelöst als im Moment, und trotzdem sei das befürchtete Szenario bisher ausgeblieben. Es wäre also ebenso gut denkbar, dass H5N1 für den Menschen auch in Zukunft keine große Rolle spielen werde.
Schutz durch Infektion
Und falls doch? Dann gebe es eine Reihe antiviraler Medikamente zur Influenza-Behandlung, die wohl auch bei Vogelgrippe ihren Zweck weitgehend erfüllt. Dass die Impfung gegen saisonale Grippe vor Vogelgrippe schützt, sei indes unwahrscheinlich. Viel eher könnten, so Krammer, bereits durchgemachte Infektionen mit saisonaler Influenza einen gewissen Nutzen bieten. Die Ansteckung würde zwar kaum verhindert, vielleicht aber schwere Erkrankungen.
Dennoch arbeiten verschiedene Pharmaunternehmen an neuen Impfstoffen gegen aviäre Influenza. In Finnland ist bereits ein solcher verfügbar. Einige Hersteller wie CSL Seqirus, GlaxoSmithKline und AstraZeneca zielen auf sogenannte Musterzulassungen ab: Sie entwickeln Impfstoffe, die bei Bedarf an die dann relevanten Virusvarianten angepasst werden können – eben weil Influenzaviren hochgradig wandlungsfähig sind und sogar die Impfstoffe gegen saisonale Grippe jedes Jahr adaptiert werden.
Besondere Maßnahmen hält kaum ein Forschender im Moment für nötig – von der Überwachung betroffener landwirtschaftlicher Betriebe abgesehen, die in Österreich ohnehin deutlich rigider gehandhabt wird als in den USA. Die dortige Verbreitung der Vogelgrippe in Rinderherden ist nicht nur dem Virus allein anzulasten, sondern auch der mangelnden Bereitschaft vieler Farmer, sich an Sicherheitsempfehlungen zu halten – und Kühe nicht kreuz und quer durch die Staaten zu transportieren.
Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft