Vorreiter: Wie Amstetten, Villach und Tulln klimaneutral werden wollen
Von Christina Hiptmayr und Franziska Dzugan
Schriftgröße
Jürgen Hürner hat eine Mission. Der Geschäftsführer der Stadtwerke Amstetten will den CO2-Ausstoß der niederösterreichischen Kommune auf null senken. Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht: Amstetten verfügt über ein kleines Wasserkraftwerk an der Ybbs und ein eigenes Stromnetz, aktuell erzeugt die Stadt bereits 25 Prozent ihres Energiebedarfs selbst. „Das heißt umgekehrt, wir müssen 75 Prozent unserer Energie zukaufen“, sagt Hürner in der neuen Folge des profil-Klimapodcasts. Seit Kurzem liefert eine Photovoltaik-Anlage in der Doislau zusätzlichen Strom für 400 Haushalte, weitere Anlagen sollen folgen. Laufend werden neue Gebäude und Wohnhäuser ans Fernwärmenetz angeschlossen, das zu 90 Prozent aus erneuerbarer Energie gespeist wird. Ein Lithium-Ionen-Speicher soll künftig überflüssigen Strom bunkern. Es bleibt noch eine Menge zu tun, bis die 24.000-Seelen-Gemeinde CO2-neutral ist, aber der Anfang ist gemacht.
Damit ist Amstetten weiter als viele andere Gemeinden. Ganz Österreich soll ja bis 2040 klimaneutral werden. Und Städte spielen bei der Bekämpfung der Klimakrise eine zentrale Rolle. Sie verursachen etwa drei Viertel der globalen CO2-Emissionen und sind für 78 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich. Immer mehr Menschen werden auch in Zukunft in Ballungsräumen leben und den Auswirkungen des Klimawandels besonders stark ausgesetzt sein, von Hitzeperioden über Luftverschmutzung bis zu extremen Wetterereignissen.
Aufklärungsarbeit bei Landwirten
Über 20 sogenannte Pionierstädte gibt es bereits in Österreich. Das sind Kommunen, die an der „Mission klimaneutrale Stadt“ teilnehmen und förderwürdige Konzepte vorgelegt haben. Das Klimaministerium stellt diesen Städten bis 2028 bis zu zwei Millionen Euro für Maßnahmen zur Klimaneutralität zur Verfügung, jeweils. In Villach etwa sollen noch heuer aus den öffentlichen Gebäuden alle Öl- und Gasheizungen verschwinden. In einem neuen Stadtviertel am Villacher Westbahnhof sollen 170 leistbare und energieeffiziente Wohnungen entstehen. Der Ausbau von Photovoltaik und Fernwärme ist ebenfalls Teil des eingereichten Konzeptes.
Beim Umbau zur klimafitten Stadt sind einige Hürden zu überwinden, wie Jürgen Hürner aus seiner täglichen Arbeit weiß. Die Herausforderungen sind aber weniger technischer Natur: „Am schwierigsten ist es, die Gesellschaft mitzunehmen“, sagt der Stadtwerke-Chef. Bis in Amstetten die erste Freiflächen-Photovoltaik-Anlage errichtet werden konnte, bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit: „Wir sind sechs bis sieben Mal zu den Landwirten gefahren, um Pachtverträge für die benötigten Flächen zu bekommen. Da gibt es sehr viele Ängste. Man muss gegen Desinformation ankämpfen und Aufklärungsarbeit leisten“, erzählt Hürner.
Tulln: Erfolgsfaktor Bürgerbeteiligung
Eine Erfahrung, die durch eine aktuelle Umfrage des neu gegründeten Kontext-Instituts untermauert wird. Dieser zufolge geben fast 75 Prozent der Befragten an, nicht zu verstehen, wie klimapolitische Entscheidungen zustande kommen. Und fast 84 Prozent sind der Meinung, dass die Polarisierung in der Gesellschaft immer weiter zunimmt und eine lösungsorientierte Debatte zu Klimathemen immer schwieriger wird. Das von Katharina Rogenhofer, der Initiatorin des Klimavolksbegehrens, mitbegründete Institut will künftig genau in diesem Bereich Licht ins Dunkel bringen.
So etwas lässt sich nicht von oben verordnen
Das Beispiel der niederösterreichischen Stadt Tulln zeigt: Bürgerbeteiligung ist essenziell. Die Gemeinde wagte, was in den meisten Kommunen undenkbar ist. Ein großer Parkplatz im Stadtzentrum wurde weggerissen, um einer Grünoase mit Baumgruppen, Wiesen und Wasserspielen zu weichen. „So etwas lässt sich nicht von oben verordnen“, sagte Bürgermeister Peter Eisenschenk (ÖVP) vor einiger Zeit im Tauwetter-Podcast. Im Frühjahr 2021 hatte er das einzigartige Projekt gestartet – samt Bürgerbeteiligung und Volksbefragung. Am Ende des monatelangen Prozesses stimmten die Tullnerinnen und Tullner mit einer satten Mehrheit von 60 Prozent für die vollständige Entsiegelung des Nibelungenplatzes, im Frühjahr 2023 starteten die Bauarbeiten.
Jürgen Hürner, Stadtwerke Amstetten
"Wenn man ein Energiesystem umbauen will, gibt es auch Projekte, die nicht auf Anhieb erfolgreich sind. Aber so eine Fehlerquote muss man sich auch zugestehen"
Im asphaltverliebten Österreich ist der Tullner Nibelungenplatz ein einzigartiges Projekt. Dabei würde es schon helfen, wenn die Gemeinden damit aufhören würden, sich unermüdlich mit Gewerbegebieten zu umzingeln. Täglich werden in Österreich Äcker und Wiesen in der Größe von 16 Fußballfeldern versiegelt, was den Verkehr anfacht und Hitze sowie Überschwemmungen fördert.
In Amstetten ist die Skepsis übrigens dank der konsequenten Aufklärungsarbeit verflogen. Unter den PV-Paneelen grasen mittlerweile mehrere Schafe, die Umsetzung neuer Anlagen geht im Eiltempo voran. „Eines muss einem bewusst sein: Wenn man ein Energiesystem umbauen will, gibt es auch Projekte, die nicht auf Anhieb erfolgreich sind. Aber so eine Fehlerquote muss man sich auch zugestehen“, sagt Hürner. Im Amstettner Gemeinderat stehen übrigens alle Fraktionen hinter den Plänen zur Energiewende. Auch keine Selbstverständlichkeit.
Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.
Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.