Warum fiel die Zahl der Corona-Neuinfektionen so rapide?
Es ist, man kann es kaum anders sagen, ein Rätsel: Seit Anfang Mai sank die Zahl der Neuinfektionen in Österreich auffallend deutlich, auf zuletzt um die 600 Fälle täglich. Am 18. Mai lag die 7-Tage-Inzidenz bei rund 62-und näherte sich dem lang angepeilten Schwellenwert von 50, der noch vor wenigen Wochen außer Reichweite schien. Rückläufige Zahlen waren zwar zu erwarten, unter anderem aufgrund des jüngsten Lockdowns. Dass sie so rapide nach unten gingen, ist allerdings überraschend. Die große Frage lautet: Warum? Der Statistiker Erich Neuwirth, der seit vielen Monaten die detailliertesten Daten zum Pandemiegeschehen bereitstellt, sagt schlicht: "Ich habe keine Ahnung, warum die Zahlen jetzt so deutlich sinken."
Effekte des Impfens erst bei höheren Durchimpfungsraten
Ähnlich äußert sich auch der Wiener Virologe Norbert Nowotny: Zwar spiele der Lockdown sicher ebenso eine Rolle wie die fortschreitenden Impfungen und eventuell eine trotz des mäßig frühlingshaften Wetters wenigstens zaghafte Verlagerung des Lebens ins Freie. Doch zugleich liegt der komplette Lockdown schon eine Weile zurück, wirkliche Effekte des Impfens zeigen sich erst bei höheren Durchimpfungsraten, und sehr viele Outdoor-Aktivitäten sind noch gar nicht möglich. "Keiner der Faktoren und auch nicht deren Summe ist eigentlich in der Lage, den Rückgang der Zahlen zu erklären", sagt Nowotny. Vermutlich habe im Moment kein Wissenschafter eine überzeugende Antwort.
Möglicherweise existiere eine Form der Saisonalität des Virus, deren genaue Hintergründe wir noch nicht kennen. Die Temperatur sei ohne Bedeutung, denn das Virus nimmt erst bei mehr als 60 Grad Schaden. Vielleicht gebe es aber andere saisonale Effekte, zumal die Pandemie im vorigen Frühjahr ebenfalls jäh abebbte. Der Schluss liegt nahe, dass wir noch gar nicht alle Faktoren kennen, welche die Ausbreitung des Virus beeinflussen.