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Was kann künstliche Intelligenz? Und was nicht?

Artificial Intelligence wird in überraschend vielen Bereichen eingesetzt oder zumindest erprobt-von der Suche nach Exoplaneten über den Arbeitsmarkt bis zur Analyse von Kriegsverbrechen. Ein Streifzug durch die Welt intelligenter Programme, ihre Leistungen und ihre Pleiten.

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Nach Aliens fahnden

Wann melden sich die Außerirdischen? Seit Jahrzehnten scannt das Projekt SETI den Himmel erfolglos nach Botschaften extraterrestrischen Lebens. Nicht, dass man zu wenige Signale einfinge: Der Himmel ist überfrachtet mit einem chaotischen Hintergrundrauschen, das allerdings meist von menschgemachter Technik wie etwa Satelliten stammt. Der Trick wäre, daraus jene Signale zu filtern, die von fremden Lebensformen stammen könnten. Anfang Februar gaben Forschende bekannt, dass dies womöglich mithilfe einer künstlichen Intelligenz gelungen sei. Deren Algorithmen sind darauf trainiert, große Datenmengen nach speziellen Signalmustern zu durchsuchen. Das KI-System stieß auf acht auffällige Technosignaturen von fünf Sternen in 30 bis 90 Lichtjahren Entfernung. Ein Beleg für Aliens ist das freilich nicht, wahrscheinlich ist bloß, dass die Signale nicht menschlichen Ursprungs sind. Die Astronomie unterstützt auch die KI ExoMiner, ein neuronales Netzwerk der NASA. Es studierte Archivaufnahmen des Kepler-Weltraumteleskops und detektierte anhand spezieller Lichtmuster mehr als 300 Exoplaneten, die den menschlichen Untersuchungen zuvor verborgen geblieben waren.

Stecknadeln im digitalen Heuhaufen suchen

In der Wissenschaft ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz allgemein am weitesten gediehen. Sinn haben KI-Systeme, wo es um die Auswertung enormer Datenmengen nach definierten Kriterien geht und selbst Hunderte Menschen dieselben Aufgaben in ihrem gesamten Leben nicht bewältigen könnten. Zum Beispiel prallen in Teilchenbeschleunigern pro Sekunde bis zu 600 Millionen Materieteilchen aneinander. Doch nur wenige Kollisionen sind von Interesse, weil im Teilchenschrott Hinweise auf neue, unbekannte Partikel verborgen sein könnten-wie einst beim Higgs-Teilchen. KI hilft, solche Datenberge systematisch zu durchforsten und nach signifikanten Mustern Ausschau zu halten.

Ein heißes Thema ist zurzeit die Proteinforschung: Abermillionen dieser Eiweiße treten in komplexen 3D-Strukturen auf, und ihr Verständnis ist ein Schlüssel zur Erforschung der Bausteine des Lebens. Mithilfe der künstlichen Intelligenz AlphaFold gelang es, 200 Millionen Proteine zu erfassen und ihre Struktur zu bestimmen. In eine 23 Terabyte große Datenbank gepackt, stellt dieses Proteinarchiv für Forschende eine wertvolle Arbeitsgrundlage dar. Andere KI-Systeme suchen nach Abriebmustern auf Saurierzähnen, um derart den Speiseplan der ausgestorbenen Riesen zu bestimmen, und analysieren historische Dokumente wie die Qumran-Schriftrollen, um auf Basis Abertausender Vergleiche von Buchstaben und Wörtern Hinweise auf die Autoren zu finden.

Ein Herzog-Zizek-Gespräch deepfaken

Giacomo Miceli ist ein Fan von Werner Herzog. Der Computerwissenschafter ist auch ein Fan des Philosophen Slavoj Zizek. Was also lag näher, als die beiden Stars ihrer Disziplinen zu einem inspirierenden Dialog zu bitten? Miceli tat in gewisser Weise genau das: Er kreierte ein Gespräch zwischen Herzog und Zizek, das die beiden nie geführt hatten. Die Herstellung solch eines Deepfakes sei frappierend einfach, so Miceli, der die erfundene Konversation als Warnung verstanden wissen will, wie leicht man mit Fälschungen Menschen Sätze in den Mund legen kann, die sie nie geäußert haben.

Zunächst wählte der Forscher ein Programm, mit dem sich Stimmen klonen lassen. An öffentlichen Wortspenden von Herzog und Zizek mangelte es nicht, sodass Miceli rasch die synthetisch nachgebauten Stimmen erzeugt hatte. Dann benutzte er ein Large Language model (LLM).Auch ChatGPT ist so ein System, das mit großen Mengen Text gefüttert wird und dann selber Texte generieren oder Fragen beantworten kann. Schließlich brauchte Miceli den Dialog nur noch anzustoßen, und seither sind Herzog und Zizek mit ihrer "infinite conversation" beschäftigt https://infiniteconversation.com/). All das sei weitaus einfacher und schneller zu bewerkstelligen gewesen als erwartet, so Miceli.

Seine Warnungen vor Missbrauch sind durchaus berechtigt: Auf Facebook und Twitter tauchten bereits angebliche Nachrichtensprecher auf, die mittels künstlicher Intelligenz erzeugte Avatare waren, allerlei Propaganda und Desinformation verbreiteten. Verschiedenste "Deep fake Avatare" lassen sich heute programmieren, um "Nachrichten" in 120 Sprachen abzusetzen, und das in einer Qualität, dass die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion zumindest beim schnellen Hinschauen verschwimmen.

Bei Teilchenkollisionen können 600 Millionen Partikel pro Sekunde entstehen. Kein Mensch kann dieses Datenchaos analysieren.  

Schmerzmittel ideal kombinieren

Welche Schmerzmittel helfen Unfallpatienten am besten? Oft wäre die gezielte Kombination mehrerer Präparate nützlich. In der täglichen Praxis wird allerdings häufig versuchsweise das eine oder andere Medikament verabreicht und ausprobiert, was am ehesten wirkt. Forschende des Unfallkrankenhauses Salzburg berichteten vergangene Woche, dass künstliche Intelligenz helfen könnte, schnell zu einer effizienten Therapie zu kommen. In einem Fachartikel beschrieb das Wissenschafterteam, wie die KI die optimale Kombination von Präparaten ermitteln könnte. Dazu wurden bei 750 Patienten 61 Kombinationen von Schmerzmitteln untersucht-beide Faktoren zusammen ergeben eine gewaltige Zahl an Möglichkeiten, die eine künstliche Intelligenz jedoch locker durchspielen kann. Die Algorithmen errechneten, dass vier bestimmte Kombinationsformen aus je drei bis vier Präparaten am besten wirkten. Das System gab auch preis, welche Substanzen sich am besten vertrugen, und berücksichtigte mögliche Wechselwirkungen.

Krebs frühzeitig erkennen

In der Medizin wird speziell trainierte KI erprobt, um Rönten-,CT-oder MR-Bilder von Patienten auf krankhafte Veränderungen zu untersuchen. Denn im Gegensatz zu Menschen werten Maschinen große Datenmengen schnell aus, ermüden nicht und verlieren nie die Konzentration. In den USA beispielsweise sterben jeden Tag mehr als 300 Menschen an Lungenkrebs. Massenscreenings könnten Todesfälle verhindern, doch existieren gar nicht genügend Radiologiespezialisten, um Millionen von Bildern zu untersuchen. Allein deshalb wäre KI hilfreich, um die Diagnostik zu verbessern.

Bereits getestet wurden KI-Systeme unter anderem bei der Früherkennung von Brustkrebs. Mammografie ist aufgrund vieler falsch-positiver Resultate umstritten, weshalb ein ungarisches Forscherteam wissen wollte, ob sich ein neuronales Netz bei der Diagnose bewährt. Es stellte sich heraus, dass die KI gut 90 Prozent bösartiger Gewebsveränderungen korrekt identifizierte, was nahelege, solche Systeme in die Diagnostik zumindest mit einzubinden. Ähnliche Resultate erbrachten Pilotstudien, die untersuchten, wie gut sich künstliche Intelligenz beim Aufspüren von Darm-,Prostatakrebs und Melanomen bewährt. Meist waren die Systeme dem Menschen darin überlegen, zu einem sehr frühen Zeitpunkt winzige verräterische Veränderungen im Körpergewebe ausfindig zu machen. Auch erste Anzeichen von Alzheimer in Hirnscans kann KI offenbar erkennen und korrekt deuten-lange bevor Symptome auftreten. Einen Testlauf mit mehreren Tausend Gehirnaufnahmen bestand solch eine KI mit Bravour: Die Trefferquote betrug 100 Prozent. Bei der Früherkennung von Demenz könnte künstliche Intelligenz daher künftig wertvolle Dienste tun.

Allerdings, auch wenn dies nach Widerspruch klingt: Mehrfach zeigte sich, dass die scheinbar fantastischen Systeme mitunter beim Kriterium Reproduzierbarkeit versagen: Wiederholte man ein bestimmtes Screening, kamen plötzlich andere Ergebnisse heraus. Die Gründe dafür sind unklar-stehen aber einem breiten Praxiseinsatz von KI in der Medizin noch entgegen.

Eine neue KI programmieren

Kann eine künstliche Intelligenz ihrerseits eine künstliche Intelligenz hervorbringen? Offenbar ja, wie das Fachjournal "Science" im vergangenen Dezember sogar am Titelblatt vermeldete. Das KI-System AlphaCode wurde in einen Programmierwettbewerb geschickt und schnitt besser ab als die Hälfte der menschlichen Teilnehmer. Es landete im Mittelfeld des Bewerbes, was als passable Leistung durchgeht. Dabei wurden die Programmieraufgaben nicht in Computersprache gestellt, sondern in Textform in natürlicher menschlicher Sprache, sodass ein gewisses inhaltliches Verständnis sowie eine sinnvolle Übersetzung in Computercodes nötig waren. Bemerkenswert ist weiters, dass AlphaCode, ein neuronales Netz, nicht nach zuvor einprogrammierten Regeln vorging. Stattdessen löste es nach ausgiebigem Training mit früheren Wettbewerben die nun gestellten Aufgaben eigenständig und ersann neue Lösungen dafür. Mit anderen Worten: Es hatte sich selbst das Programmieren beigebracht. Zumindest theoretisch bedeutet das, dass eine künstliche Intelligenz weitere solche Intelligenzen erschaffen kann-ohne Zutun des Menschen und ohne dass dieser die Programmierschritte nachvollziehen könnte. Allerdings ist das vorherige Training energieintensiv: AlphaCode verschlang dabei 175 Megawattstunden.

Bluffen, tarnen, täuschen

Bei Spielen wie Schach und dem asiatischen Go haben künstliche Intelligenzen längst die humanen Meister geschlagen. Doch mittlerweile stechen sie den Menschen auch in weitaus komplexeren, weil weniger normierten Bewerben aus. Zum Beispiel Poker: Spieler sehen nicht das vollständige Blatt des Gegners und tätigen auch Einsätze bei schlechten Karten-versuchen also zu bluffen. Mit Strategie allein kommt man da ebenso wenig weiter wie mit dem systematischen Durchexerzieren Tausender Spielzüge. Kann eine Maschine mithalten? Kann sie bluffen? Sieht ganz danach aus: Einem KI-System namens Pluribus gelang der "Bluff",indem es die Wahrscheinlichkeit berechnete, dass Spieler auch bei miesem Blatt Einsätze erhöhen. Und es gewann damit sogar in Pokerrunden mit fünf Mitspielern über zwölf Tage und gegen einige der ausgebufftesten Pokerprofis der Welt. Wie alle modernen neuronalen Netze hatte Pluribus trainiert, indem es zuvor gegen Kopien seiner selbst spielte und allmählich immer besser wurde.

Fast noch beeindruckender ist die Gewinnquote der KI Cicero beim Strategiespiel Diplomacy, bei dem Verhandlungsgeschick, Kompromisse und Absprachen mit Mitspielern sowie der Aufbau von Vertrauen gefragt sind. Im Sommer des Vorjahres trat Cicero in einem Online-Spiel in 40 Bewerben gegen mehr als 80 menschliche Konkurrenten an-und gewann das Turnier. Beinahe ein wenig gespenstisch erscheint, dass die menschlichen Spieler nicht erkannten, dass ihr Gegenüber eine künstliche Intelligenz war.

Kriegsverbrechen entdecken

Kriegsverbrechen, Zerstörung des Regenwalds, Polizeigewalt: Die Forschergruppe Forensic Architecture analysiert Delikte, wenn die Behörden nicht ausreichend ermitteln. Dabei spielt künstliche Intelligenz eine tragende Rolle. Ein Beispiel ist die Software "Model Zoo", die das Team um den Architekten Eyal Weizman mit Bildern und 3D-Modellen von Waffen und Munition fütterte. Damit deckte Forensic Architecture auf, dass die US-Behörden an der Grenze zu Mexiko wegen ihrer Gesundheitsgefährdung umstrittene Tränengasgranaten gegen Migranten einsetzen. Ein weiteres Beispiel: Eine KI lernte anhand von unzähligen Bildern, russische Panzer zu identifizieren. Im Auftrag des Europäischen Zentrums für Menschenrechte (EHRAC) konnte Forensic Architecture in der ukrainischen Donbas-Region 2014 russisches Kriegsgerät nachweisen-was Russland stets bestritten hatte. Aktuell seien seine Teams ebenfalls mit Recherchen im Kriegsgebiet der Ukraine betraut, wie Weizmann kürzlich im profil-Interview berichtete.

Nachrichtenmeldungen verfassen

Die Zeilen, die Sie hier lesen, werden von Menschen geschrieben. Doch nicht bei allen Medien ist das so klar. Das Online-Portal CNet sorgte Anfang des Jahres für Aufregung, weil es von einer künstlichen Intelligenz generierte Artikel veröffentlichte, ohne darauf in der Autorenzeile hinzuweisen. Nicht einmal die gesamte Redaktion soll über die automatisierten Prozesse informiert gewesen sein. Nach monatelangen Experimenten informierte das Unternehmen seine Belegschaft und Leserschaft.

Bei den künstlich generierten Artikeln handelte es sich um regelmäßig erscheinende Berichte über Hypothekraten-in den USA ein lukrativer Geschäftsbereich. Für die Umsetzung verwendete CNet eine Software namens "Wordsmith". Der Einsatz solcher Technologien für die Erstellung standardisierter Meldungen, wie etwa auch Ergebnisse von Spielen, ist grundsätzlich nicht neu. Die Nachrichtenagentur Associated Press setzt solche Lösungen etwa seit 2014 für die Aufbereitung von Geschäftsberichten oder Finanzdaten ein.

Auch die heimische Nachrichtenagentur Austria Presse Agentur (APA) setzt KI-Lösungen ein, wie stellvertretende Chefredakteurin und Innovationsverantwortliche Katharina Schell informiert-allerdings nur dort, wo es strategisch sinnvoll sei: "In unserer Hauptproduktion, dem APA-Basisdienst-also den täglich über 400 Meldungen-sind keine voll automatisierten Meldungen zu finden."Als Beispiel nennt Schell die Aufbereitung von Wahldaten: "So haben wir schon seit 2019 ein eigenes digitales Produkt für Wahlen, nämlich voll automatisierte Meldungen für jede einzelne Gemeinde, jeden Bezirk und in Wien sogar für die Grätzel. Für hoch qualifizierte Politikjournalisten gibt es am Wahltag Wichtigeres zu tun, als die Ergebnisse von Kleingemeinden zu erzählen. Für die User aber haben regionale und lokale Informationen hohe Relevanz und einen hohen Nutzwert."

Weiters wird ein "intellektuell-redaktionell" kuratierter Branchen-Newsletter mit automatisierten Insolvenz-Trendberichten angereichert. "Und wir haben die Möglichkeit geschaffen, zahlenintensive Geschichten, die regelmäßig geschrieben werden, zum Beispiel die tägliche Covid-Meldung, mit einem Textvorschlag zu erleichtern und zu beschleunigen." Den Vorteil sieht Schell darin, dass die Redakteure sich auf die Kernkompetenz, also die Story, konzentrieren können. Die Anwendungen, die die APA heute einsetzt, sind regelbasiert, arbeiten also mit einem "Wenn, dann"-Ansatz, die Datenjournalisten bestimmen den Input und Output der KI: "Sie ist in diesen Projekten primär eine Sprach-KI, die deutsche Grammatik kennt und anwenden kann. Autonom schreiben kann sie nicht", so Schell.

Mit Textgeneratoren beschäftigt sich die APA nicht erst seit dem Hype um ChatGPT, hier warnt die Innovationsmanagerin allerdings: "Wir sind überzeugt, dass solche Modelle künftig das journalistische Toolset erweitern werden. Nicht, um Journalisten zu ersetzen, sondern um ihnen zu helfen." Dass demnächst Journalismus vollautomatisch von Maschinen erledigt wird, glaubt Schell nicht: "Journalismus, also Schreiben von faktenbasierten, verifizierten, zuverlässigen und informativen Geschichten, kann nur der Mensch."

Einen virtuellen Psychopathen erschaffen

Als abschreckendes Beispiel dafür, dass man einer KI eine absurd verzerrte Weltsicht beibringen kann, programmierten Forschende des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Norman, den virtuellen Psychopathen: Sie trainierten ihn mit Bildern von Blut, Tod und roher Gewalt und unterzogen ihn dann einer Art Rorschachtest. Resultat: Wo andere künstliche Intelligenzen Vasen oder friedliche Menschengruppen sahen, erkannte Norman stets Mord, Totschlag oder schwer verletzte Personen. Die Assoziationen sind auf der Website http://norman-ai.mit.edu/ dargestellt.

Gesichter erkennen

Einer der umstrittensten Einsatzbereiche von künstlicher Intelligenz ist Gesichtserkennung. In den USA kommt Gesichtserkennung unter anderem bei Veranstaltungsorten zum Einsatz. Der Madison Square Garden in New York etwa prüft bei Sportveranstaltungen am Eingang, ob bestimmte Besucher das Gebäude nicht betreten dürfen. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist Facebook: Das soziale Netzwerk führte die Gesichtserkennung bei Fotos von Nutzern 2010 ein. Das kam den Social-Media-Konzern jedoch teuer zu stehen: Nach einem sechsjährigen Verfahren verhängte ein US-Gericht 2021 Schadenszahlungen in Höhe von 650 Millionen US-Dollar.

Anderswo floriert das Geschäft mit der Gesichtserkennung: Das nicht weniger umstrittene US-Unternehmen Clearview AI gewann vergangenes Jahr die ukrainische Regierung als Kunden. Dort wird die KI von Clearview zur Identifizierung von Todesopfern, aber auch möglichen russischen Soldaten bei Grenzübergängen verwendet. Als Basis dafür sammelt Clearview aus öffentlichen Daten von Social-Media-Plattformen. Die Datenbank für die Ukraine besteht laut dem Unternehmen aus mehr als zehn Milliarden Bildern. Mit Palantir nutzt die ukrainische Regierung einen weiteren Technologieanbieter aus den USA. Laut Palantir-CEO Alex Karp kommt die Software beim Großteil der Angriffe zum Einsatz. So können etwa russische Panzer ins Visier genommen werden, die Daten dafür liefert Palantir unter anderem über Satelliten.

Passende Arbeitskräfte finden

Ein Algorithmus, der die Arbeitsmarktchancen von Arbeitssuchenden einschätzt: Dieses vom Arbeitsmarktservice im Jahr 2020 vorgestellte "Arbeitsmarktchancen-Assistenzsystem" liegt vorerst in einer Schublade. Die Datenschutzbehörde hatte den Einsatz der Technologie untersagt, jetzt liegt die Entscheidung darüber, ob das System in Betrieb genommen werden darf, beim Verwaltungsgerichtshof. Und selbst bei grünem Licht ist laut einem AMS-Sprecher nicht klar, ob und wie der Algorithmus eingesetzt wird.

Die Privatwirtschaft steht dem sogenannten Profiling von potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern offener gegenüber. Im Personalbereich sollen KI-Lösungen für mehr Effizienz sorgen, etwa mit dem Tool MoonHub aus den USA, das aus einer Datenbank für Unternehmen geeignete Jobkandidaten sucht. In Österreich hat das Start-up Hros.io eine ähnliche Lösung entwickelt: Über einen Marktplatz sollen Talente mit den passenden Arbeitgebern "gematcht" werden, dieser basiert auf Daten von Fachkräften, die sich bei Hrios.io registrieren, und arbeitnehmersuchenden Firmen. "Das System wird umso besser, je mehr Informationen es von den einzelnen Talenten bekommt. Und durch dieses persönlichkeitsbasierte Recruiting gelingt es deutlich besser, offene Stellen in Start-ups rasch mit den passenden Menschen zu besetzen", erklärt Hros.io-Manager Lukas Rippitsch das Konzept. Das Unternehmen will den KI-getriebenen Marktplatz mit menschlichen Beratungsleistungen ergänzen und sieht seine Technologie als Lösung, um den Fachkräftemangel schneller zu bewältigen.

Gerade im Personalmanagement wird jedoch eine der großen Herausforderungen der künstlichen Intelligenz, der sogenannte Bias, zur Gefahr. Amazon betrieb bereits KI-basiertes Recruiting-bis sich 2018 zeigte, dass Frauen dabei diskriminiert wurden. Eine neue Version dieser Software soll jedoch Berichten zufolge wieder im Einsatz sein-und könnte dem Konzern dabei helfen, bei den Massenentlassungen zu identifizieren, welche Mitarbeiter durch KI ersetzt werden könnten.

Industrielle Prozesse verbessern

Automatisierung, Effizienzsteigerung und Verwaltung aus der Ferne: Künstliche Intelligenz könnte in Österreich vor allem Industriebetrieben bei der Modernisierung helfen. Die Förderbank AWS listet Technologieanbieter in seinem KI-Marktplatz: "Die meisten Anbieter gibt es hier im Bereich Automatisierung und Vorhersagen, und aufgrund der starken österreichischen Industrielandschaft sind viele Anbieter in diesem Bereich spezialisiert", sagt AWS-Geschäftsführer Bernhard Sagmeister. Einige davon fokussieren darauf, vor allem KMUs bei der Einführung von KI-Anwendungen zu unterstützen. Das Linzer Start-up Danube Dynamics hat mit der Plattform Auros eine Software entwickelt, die die einfache Implementierung von automatisierten Produktionsprozessen verspricht. Über vordefinierte Skills kann Auros zum Beispiel einen Roboterarm steuern. Die Technologie kann außerdem die Daten einer bestehenden Maschine verarbeiten und KI-basierte Optimierungen für den Produktionsschritt liefern. Danube-Dynamics-CEO Nico Terningl hat noch weitere Anwendungsfälle geplant: "Optische Qualitätskontrolle von Rohteilen und fertigen Produkten, visuelle Unterstützung für manuelle Arbeitsplätze und optimierte Mensch-Maschinen-Kollaboration. Dabei überwacht Auros DSGVO-konform gewisse Bereiche einer Produktion und ermöglicht eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine." Derzeit befindet sich Auros laut Terningl bei drei oberösterreichischen Unternehmen im Testbetrieb.


Den Anwalt ersetzen

"Donotpay" lautet der Name des angeblich ersten Roboter-Anwalts. Das New Yorker Unternehmen will dabei helfen, Strafzettel vor Gericht anzufechten. Funktionieren sollte das, indem sich die Beschuldigten per Smartglasses von der KI im Gerichtssaal beraten lassen. Der erste Einsatz dieser Technologie vor einem US-Gericht hätte im Februar stattfinden sollen, Geschäftsführer Joshua Browder zog diesen Termin allerdings kürzlich zurück. Er habe von Branchenvertretern viele Drohbriefe erhalten, ihm sei sogar eine sechsmonatige Haftstrafe angedroht worden. Jetzt sieht Donotpay von der KI-Anwaltschaft ab, stattdessen soll die Technologie Konsumenten bei der Beanstandung hoher Rechnungen unterstützen. Kritiker vermuten, dass die KI von Donotpay nicht ausgereift genug war, um sie tatsächlich vor Gericht einzusetzen.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft