Weltraumforschung: Kritik an Österreichs laxem Engagement bei der ESA
Der Mars kann erstaunlich nahe sein. Er lässt sich im Oman erkunden, in Marokko oder in Israel. Ein großer Erosionskrater in der israelischen Negev-Wüste ähnelt der Geologie des Roten Planeten, weshalb sich dort Marsmissionen gleichsam am Trockendock erproben lassen. Analogforschung heißt diese Sparte der Weltraumwissenschaft. Sie zielt darauf ab, die Bedingungen auf anderen Himmelskörpern möglichst realitätsgetreu nachzubilden-zur Vorbereitung auf tatsächliche Missionen ins All.
Auf diesen Bereich hat sich das Österreichische Weltraum Forum (ÖWF) mit Sitz in Innsbruck spezialisiert. Die private Organisation hat mehr als ein Dutzend Expeditionen durchgeführt, zuletzt im Herbst 2021 in der Negev-Wüste. Rund 200 Forschende aus 25 Ländern waren in das Projekt eingebunden. Ein sechsköpfiges Astronautenteam verbrachte, isoliert von der Außenwelt, drei Wochen in der unwirtlichen Gegend, lediglich per Datenleitung mit einer Missionszentrale in Innsbruck verbunden. Die Kommunikation fand mit zehnminütiger Zeitverzögerung statt, um die Signallaufzeit zum Mars zu simulieren. Die Crew testete, wie man sich in den 45 Kilo schweren, die Sicht und Mobilität einschränkenden Raumanzügen fortbewegt, Bodenproben gewinnt und Analysen durchführt. Zudem prüfte sie die Zuverlässigkeit eines Mars-Rovers, der durch das Geröll der Wüste navigierte.
Zentral bei der Analogforschung sei es, Schwachstellen der Systeme aufzuspüren, erklärt Gernot Grömer, Astronom und ÖWF-Direktor. Denn jeden Fehler, den man dabei korrigieren könne, könnten Astronauten später im Weltall vermeiden, wo er potenziell lebensgefährlich sei.
Die Projekte des ÖWF sind normalerweise Stoff für Berichte über die Faszination des Weltraums. Momentan jedoch sorgt die Forschungsinstitution auch aus anderen Gründen für Debatten: Seit gut drei Jahren schwelt eine Auseinandersetzung mit dem für Weltraumfragen zuständigen Klimaschutzministerium. Kern des Konflikts ist die Einrichtung eines sogenannten ESA-Lab in Österreich. ESA-Labs zählen zu den Programmen der Europäischen Weltraumagentur, der European Space Agency (ESA),die von den 22 Mitgliedsstaaten getragen und finanziert wird und Europas Raumfahrtagenden konzipiert und koordiniert. Österreich ist seit 1987 ESA-Mitglied.
Unter den Programmschienen der ESA zählen die Labs zu den kleinen, aber durchaus wichtigen: Sinn ist der Austausch wissenschaftlicher Informationen zwischen der ESA und nationalen Forschungseinrichtungen. Beispielsweise könnte die ESA Erkenntnisse aus der Analogforschung für künftige Missionen nutzen, im Gegenzug würde die ESA ihre Expertise bei der Konzeption konkreter Projekte zur Verfügung stellen. ESA-Labs sind vor allem Plattformen für Wissenstransfer und Expertenvernetzung.
Gernot Grömer, Direktor des österreichischen Weltraum Forum
In keinem anderen Land ist ein derart bürokratisches Verfahren notwendig.
Viele Länder haben bereits solche Labs, darunter Frankreich, Deutschland, Italien, Norwegen, Polen, Rumänien und die Schweiz. Österreich hat keines, was Grömer und sein Kollegenteam vom ÖWF seit 2019 zu ändern versuchen. Sie wollen am Standort des Weltraumforums ein solches Lab einrichten-bisher ohne Erfolg: Die Ambitionen würden vom Klimaschutzministerium, mit dem ESA-Kooperationen stets abgestimmt werden, seit Jahren blockiert, behaupten sie. Ein konkreter Grund lässt sich nicht erkennen, aber am Geld kann es nicht liegen: Die Labs kosten nichts extra, sie sind durch die ohnehin bezahlten ESA-Beiträge gedeckt.
Ob das Ministerium hier auf der Bremse steht, war bereits Gegenstand zweier parlamentarischer Anfragen der SPÖ-Abgeordneten Petra Oberrauner, die zuletzt im vergangenen Dezember von Ministerin Leonore Gewessler wissen wollte, welche Schritte unternommen würden, um ein ESA-Lab im Lande zu verwirklichen-und welche Gespräche dazu mit dem Weltraumforum geführt würden. "Wir haben uns hier engagiert, weil wir ESA-Labs für sehr sinnvoll halten", sagt Oberrauner.
Die Position des Ministeriums, die auch in den Anfragebeantwortungen abgebildet ist, erklärt Margit Mischkulnig, Abteilungsleiterin für Weltraumangelegenheiten. Sie wundere sich ein wenig, welche Kreise diese Angelegenheit ziehe, sagt Mischkulnig. Sie schätze Grömer als begabten Wissensvermittler, aber er habe schlicht die erforderlichen Projektunterlagen nicht geliefert. "Wir sind seit Langem im Gespräch mit dem ÖWF, aber wir können bis heute nicht nachvollziehen, was genau sie im Rahmen des ESA-Labs machen wollen", sagt Mischkulnig. Zwar seien rund 200 Seiten Informationsmaterial übermittelt worden. Was aber fehle, sei ein detaillierter Projektantrag samt einer überzeugenden Auflistung der konkreten Zielsetzungen.
Margit Muschkulnig, Abteilungsleiterin für Weltraumangelegenheiten
Wir können bis heute nicht nachvollziehen, was genau das ÖWF machen will.
Stimmt nicht, entgegnet Grömer. Er habe längst alle erforderlichen Unterlagen geliefert. "Außerdem habe ich Rücksprache mit ESA-Labs in anderen Ländern gehalten, und in keinem ist ein derart bürokratisches Verfahren notwendig", sagt Grömer. "Überdies existieren gar keine offiziellen Vorgaben, wie ein Projektantrag auszusehen hat. "Er vermutet, es sei ziemlich egal, was er nachliefere, es würde wohl stets als zu wenig ausreichend eingestuft-warum auch immer.
Mischkulnig indes versichert, keine Vorbehalte gegen das Weltraumforum zu haben, das gewiss tolle Arbeit leiste. Allerdings sei inzwischen entschieden worden, eine Ausschreibung zur Einrichtung eines ESA-Labs zu machen. "Wer gute Ideen hat, kann einreichen, das Verfahren ist ohne Deadline offen für jeden." Außerdem könnten durchaus mehrere Labs etabliert werden. Freilich stellt sich die Frage, warum solch eine Ausschreibung nicht längst auf den Weg gebracht wurde. Immerhin gibt es ESA-Labs seit 2017, und die Debatte in Österreich läuft seit 2019, somit könnte solch eine ESA-Forschungsinstitution seit geraumer Zeit existieren und wissenschaftliche Ergebnisse generieren, ob nun beim ÖWF oder anderswo. Das sei zwar korrekt, so Mischkulnig, "aber wie viele Stellen sind auch wir im Moment mit Arbeit zugedeckt".
Der Zank um eine kleine, rein informelle und kostenneutrale Initiative wirkt fast irritierend, gemessen am üblichen Spirit der Weltraumforschung: visionär, weltoffen, zukunftsorientiert. Doch auch in größerem Maßstab wird im Moment Unzufriedenheit artikuliert: aus den Reihen jener rund 120 österreichischen Unternehmen mit etwa 1000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von knapp 130 Millionen Euro, die auf die Entwicklung von Weltraum-und Raumfahrttechnologie spezialisiert sind. Diese Firmen sind wesentlich davon abhängig, an welchen Projekten und mit welchen Summen sich Österreich am Etat der ESA beteiligt. Denn diese Mittel fließen zurück in nationale Forschungs-und Entwicklungsprojekte. Die Kritik lautet: Österreich investiere schlicht zu wenig. Die Folge sei, dass die Branche an vielen Projekten mit Zukunftspotenzial nur eingeschränkt teilnehmen könne. Manch kluge Köpfe mit innovativen Ideen würden ihre Start-ups lieber im Ausland gründen.
Unbestritten ist, dass der Weltraumsektor enorme Bedeutung hat und in dem Bereich vielfach die Innovations-und Zukunftsfähigkeit eines Landes entschieden wird. "Im Moment ist der Raumfahrtmarkt besonders dynamisch, die Geschwindigkeit der Entwicklungen ist enorm", berichtet Dieter Grebner, Geschäftsführer des Unternehmens Peak Technology und Sprecher des Branchenverbandes Austrospace. Besonders im Hinblick auf den Klimawandel und dessen Folgen handelt es sich um Schlüsseltechnologien: Verlässliche Wetterdaten, Erdbeobachtung, Analysen vom Gletscher-oder Küstenveränderungen sowie Prognosen von Umweltkatastrophen sind von präziser satellitengestützter Observation und Datengewinnung im All abhängig. Im Bereich der Satellitenkommunikation wiederum herrscht zurzeit amerikanische Dominanz, besonders durch das Netzwerk Starlink von Elon Musk-und die Freude darüber, dass eine einzelne Firma eines verhaltensoriginellen Unternehmers etwa die Kommunikation über der Ukraine kontrollieren kann, hält sich in Grenzen. Länder wie Belgien, Luxemburg und die Schweiz hätten das Potenzial des Marktes im Weltraum präzise erkannt, so Grebner. "Die feuern hier massiv hinein, weil sie riesige Wachstumschancen sehen."
Auch Österreich beheimatet ohne Zweifel hoch innovative Unternehmen mit erstklassigem Erfindergeist. Die Enpulsion GmbH zum Beispiel, gegründet 2016, entwickelt elektrische Antriebssysteme für Kleinsatelliten, die sich in globale Netzwerke integrieren lassen. Die Gate Space GmbH, ein junges Unternehmen mit Sitz in Tull, konzentriert sich ebenfalls auf innovative Satelliten-Antriebssysteme. GeoVille wiederum, seit 1998 aktiv, beliefert mit besonderer Expertise in satellitengestützter Erdbeobachtung, Kartografie und Landschaftsmonitoring Kunden in 135 Ländern. Und Peak Technology arbeitet in Kooperation mit der ESA unter anderem an Treibstofftanks, die beim Eintritt in die Atmosphäre verglühen-und dabei helfen, Weltraumschrott zu vermeiden, der inzwischen zu einem ernsten Problem geworden ist.
Die Liste der Unternehmen mit klugen Ideen und findigen Lösungen ließe sich fortsetzen. Viele sind zumindest teilweise von jenen Projekten abhängig, welche die ESA für ihre Mitglieder ausschreibt. Dabei gilt die einfache Formel: Je mehr ein Land zur ESA beisteuert und an je mehr Projekten es teilnimmt (diese Projekte "zeichnet", wie es im Fachjargon heißt), desto mehr Aufträge samt entsprechender Dotierung fließen zurück an die Unternehmen dieses Landes-verbunden mit der dann höheren Chance, wettbewerbsfähige Innovationen voranzutreiben.
In dieser Hinsicht ist in Österreich, höflich ausgedrückt, Luft nach oben. Das ESA-Budget setzt sich aus verschiedenen Posten zusammen, wesentlich sind vor allem zwei: Zum einen gibt es einen Pflichtanteil der Mitgliedsländer. Dieser bemisst sich stets am BIP und ist daher eine unverhandelbare Fixgröße. Bedeutender sind die sogenannten Wahlprogramme: Die ESA schreibt Forschungsinitiativen wie etwa Erdbeobachtung, Raumfahrt, Telekommunikation oder Human& Robotic Exploration aus. Jedes Land kann entscheiden, welche Wahlprogramme es zeichnet und welche Summen es dafür zur Verfügung stellt. "Ich könnte beispielsweise die beste Mondlandefähre der Welt bauen", so Grebner, "wenn mein Land an diesem Bereich nicht teilnimmt, kann ich mich an dem Projekt nicht beteiligen."
Im vergangenen Herbst beschloss die Bundesregierung die ESA-Beiträge für die Periode 2023 bis 2025 und feierte das Ergebnis medial als schönen Erfolg: Österreich steuere nun mehr Geld zu den Wahlprogrammen bei als früher, hieß es, und beteilige sich wesentlich an Schwerpunkten wie Erdbeobachtung, die bei der Bekämpfung der Klimakrise eine zentrale Rolle spiele.
Stimmt das? Kommt drauf an, welche Rechnung man anstellt. Kurzfristig ist die Behauptung korrekt, über die Jahre betrachtet hingegen nicht. Für die kommenden drei Jahre investiert Österreich insgesamt 115 Millionen Euro in die ESA-Wahlprogramme, was 0,028 Prozent des BIP entspricht. Wir liegen damit, gemessen am BIP, an 16. Stelle der Mitgliedsländer-hinter Tschechien, Ungarn und Slowenien. Länder wie Belgien und Luxemburg tragen etwa das Fünffache zu den Wahlprogrammen bei.
Eine Steigerung darf Österreich trotzdem vermelden, und zwar zur Vorperiode: Zwischen 2020 und 2022 machte das Land nur 92 Millionen Euro für diese Sparte locker. Allerdings: Das war die Zeit der Übergangsregierung, in der viele Investitionen auf Eis lagen. Die 92 Millionen waren daher ein Ausreißer nach unten. Deutlich aussagekräftiger ist ein Vergleich mit den Jahren davor. In der Periode 2017 bis 2019 investierte Österreich 113 Millionen Euro in die Wahlprogramme. In den kommenden drei Jahren sind es somit bloß zwei Millionen mehr, was nicht einmal als Inflationsausgleich durchgeht.
Hinzu kommt, dass das Budget der ESA insgesamt tendenziell steigt. Eben weil viele Staaten das Potenzial der Weltraumforschung erkennen, investierten sie mit einigem Elan stattliche Summen. Flossen in die verschiedenen wissenschaftlichen Programme in den Jahren 2018 und 2019 rund vier Milliarden Euro, ist es seit 2020 etwa eine Milliarde mehr. So betrachtet ist Österreichs Beitrag nicht einmal konstant, sondern sinkt in Relation zur gesamten ESA-Dotierung.
"Natürlich ist es zu wenig", konstatiert Abteilungsleiterin Margit Mischkulnig. "Es ist nicht genug, aber zumindest ein Schritt nach vorne", meint sie zu Österreichs Beiträgen in den kommenden drei Jahren. "Es hätte schlimmer ausgehen können, Budgetverhandlungen sind alles andere als einfach." Man wolle sich aber um "eine Nachzeichnung einzelner Programme bemühen".
Im Moment kämpfen jedoch immer mehr Unternehmen um ein weitgehend gleichbleibendes Auftragsvolumen. Denn zu den traditionell in dieser Sparte tätigen Technologiefirmen kommen mit der Zeit immer mehr Start-ups, die mit neuen, innovativen Ideen in den Markt drängen und ihn mit ihren Entwicklungen bereichern. Mitunter ist sogar von einem "Hauen und Stechen" um Aufträge in der Branche die Rede.
Dass ganz generell entschiedene Impulse für die Weltraumwissenschaft sinnvoll sind, würde auch Mischkulnig sofort unterschreiben. Ebenso müsse es ein Ziel sein, möglichst viele junge Menschen und damit künftige Forschergenerationen dafür zu begeistern. Es brauche dazu auch ein günstiges akademisches Umfeld, wie es zum Beispiel Bayern bietet, das mehr Raumfahrtindustrie beherbergt als ganz Österreich. Die TU München richtet einen Fokus auf Raumfahrttechnologie und bildet eine Art Brücke zwischen universitärer Ausbildung und der Überführung von Innovation in kommerzielle Anwendungen.
Einer, der diese Strukturen erfolgreich genutzt hat, ist Daniel Metzler. 2018 gründete er, damals gerade erst 26 Jahre alt, mit Kollegen Isar Aerospace. Das Unternehmen mit Sitz bei München entwickelt Trägerraketen für Kleinsatelliten und bringt diese in den Erdorbit. Von einem "Weltraumtaxi" spricht Metzler gerne. Er studierte an der TU München, die sich auch bei der Ausgründung des Start-ups engagierte.
Mit einigem Glück hätte Isar Aerospace auch in Österreich entstehen können: Denn Metzler ist Vorarlberger, der vor München in Wien studierte-letztlich aber in Bayern bessere Chancen für seine beruflichen Pläne sah.