Vitamin D einnehmen sinnvoll? Ja, aber für Übergewichtige weniger!
Gastkommentar

Wem Vitamin D wirklich nützt

Der Internist Christian Muschitz antwortet auf die profil-Geschichte zu Vitamin D: Eine unreflektierte Einnahme sei unangebracht, in klar definierten Bereichen sei das Vitamin aber enorm wichtig.

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Der Wunsch nach einer einzigen, einfach einzunehmenden Substanz zur Lösung vieler gesundheitlicher Probleme ist verständlich. Die langjährige Erfahrung lehrt allerdings, dass so etwas unwahrscheinlich ist. Warum also das seit Jahren hohe Interesse an Vitamin D, warum eine Vielzahl an Empfehlungen und Formen der Supplementation in verschiedenen Dosierungen? Manche sprechen sogar von einem Hype.

In großen, globalen Untersuchungen wurden teilweise sehr niedrige Vitamin-D-Spiegel in allen Altersgruppen festgestellt. Dies kann Rachitis bei Säuglingen und Kindern und Osteomalazie (Knochenerweichung) bei Erwachsenen verursachen. Vitamin D unterstützt die Gesundheit des Skeletts und erhöht die Mineralisierung des Knochens durch verbesserte Aufnahme von Kalzium aus dem Darm. Der Körper versucht immer, den Kalziumspiegel im Blut konstant zu halten. Wenn durch Vitamin-D-Mangel vermindert Kalzium von der Nahrung über den Darm aufgenommen werden kann, wird es durch vermehrte Aktivität der Nebenschilddrüse aus dem größten Speicher – dem Skelett – gelöst. Hält dieser Mangelzustand über Jahre an, vermindert dies die Integrität des Skeletts, und das Knochenbruchrisiko steigt.

Umstrittene Aussagekraft

Die möglichen positiven Wirkungen von Vitamin D auf das endokrine System beruhen auf mehreren Argumenten, sind aber in Bezug auf eine definitive Aussagekraft sehr umstritten. Tierexperimentelle Studien und Beobachtungsstudien an Menschen, basierend auf der Tatsache, dass aktives Vitamin D in vielen Organen an einen zellulären Rezeptor bindet, führten zu zahlreichen Forschungsergebnissen mit weitgehender Übereinstimmung. Vitamin D und Rezeptoren dafür finden sich neben dem Knochen im Immunsystem, in der Bauchspeicheldrüse, im Gehirn, in der Haut, im Herz-Kreislauf-System, in der Muskulatur. Ein möglicher positiver Einfluss wird bei manchen Krebserkrankungen diskutiert.

Allerdings: Abgesehen vom Skelett und außerhalb des Knochens ist die Datenlage zum Nutzen einer Vitamin-D-Substitution kontroversiell. Bis dato gibt es keine klare Evidenz, dass ein künstlich hoher Vitamin-D-Spiegel starke positive Auswirkungen auf das Auftreten oder den Verlauf von Krebserkrankungen, das kardiovaskuläre Risiko oder auf die Entstehung und den Verlauf von Diabetes mellitus Typ 2 hat.

Da Vitamin D kein Medikament im klassischen Sinn und daher relativ kostengünstig ist, ist der Fokus von internationalen Konzernen zur Planung kostenintensiver Studien mit konkreten Fragestellungen enden wollend. Dies gilt bedauerlicherweise auch für nationale Gesundheitsstrategien zur Prävention.

Generelle Messung nicht sinnvoll

Ergibt es nun Sinn, Vitamin D zu supplementieren? In Bezug auf die Knochengesundheit lässt sich diese Frage eindeutig positiv beantworten. Schon vor mehr als einem Jahrzehnt wurde international ein tägliches Mindestmaß an Vitamin D durch Ernährung in der Höhe von 800 Einheiten definiert, entsprechend einem Mindestspiegel im Blut von 20 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml). Ab einem Spiegel von 12 ng/ml wird von einem Mangel mit klaren gesundheitlichen Nachteilen gesprochen. Dennoch: Eine generelle Messung der gesunden Bevölkerung wird als nicht sinnvoll erachtet. Dies ist auch in der österreichischen Behandlungsleitlinie für Osteoporose so vorgesehen.

Unreflektiertes Supplementieren wird nicht empfohlen. Schwere Mangelzustände sind aber auf jeden Fall auszugleichen.

Christian Muschitz, Internist

Eine Supplementierung mit Vitamin D kann Rachitis bei Kindern heilen, bei Erwachsenen eine Osteomalazie verhindern und in bescheidenem Umfang das Risiko schwerer Frakturen bei älteren Erwachsenen mit schlechtem Vitamin-D-Status verringern. Es ist erfreulich, dass aufgrund klarer Ernährungsempfehlungen in der Kinder- und Jugendheilkunde Rachitis in Österreich kaum mehr zu sehen ist. Ebenso sind bei Erwachsenen Dank nationaler Aufklärungskampagnen unter Ärztinnen und Ärzten schwere Mangelzustände und Osteomalazie deutlich seltener geworden.

Große Studien an gesunden postmenopausalen Frauen mit einem normalen Vitamin-D-Spiegel schon zu Beginn der Untersuchung konnten keinen Vorteil einer langjährigen Supplementation von Vitamin D und Kalzium in Bezug auf Reduktion von osteoporotischen Knochenbrüchen zeigen. Allerdings erhöhte sich das Knochenbruchrisiko bei jenen Frauen um etwa 30 Prozent, die nicht durchgehend die empfohlene Vitamin-D-Dosis einnahmen.

Bei welchen Personen ist eine Messung des Vitamin-D-Spiegels sinnvoll? Auf jeden Fall bei klinischem Verdacht einer Störung des Kalzium- und Mineralstoffwechsels sowie bei der Abklärung von Osteoporose. Der Knochen benötigt ein Mindestmaß an Vitamin D für die gesunde Entwicklung, die erst Mitte des 30. Lebensjahres abgeschlossen ist. Was bis dahin nicht erreicht wurde, lässt sich im späteren Leben nur schwer ohne Medikamente aufholen.

Die Liste der Personen mit einem möglichen Mangel an Vitamin D ist lang. Menschen mit chronischen Erkrankungen, Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen, Schichtarbeiter, Schwangere und stillende Mütter seien hier exemplarisch angeführt.

Ein Kommentar zur Kalziumsupplementation: Auch hier gibt es in Österreich klare medizinische Empfehlungen – die primäre Quelle sollte die Nahrung sein, was bei einem gesunden Lebensstil möglich ist. Nur bei Mangelzuständen oder Erkrankungen wird Kalzium zusätzlich empfohlen.

Vitamin D – je mehr, desto besser? Kritisch anzumerken ist, dass in den letzten Jahren in diversen populärwissenschaftlichen Medien ein Trend zu derartigen Ratschlägen zu beobachten ist. Medizinisch findet sich hierfür keinerlei Datengrundlage aus Studien. In Österreich gibt es keine medizinische Behandlungsleitlinie, die künstlich hohe Vitamin-D-Spiegel empfiehlt, da eine Übersupplementierung zu gesundheitlichen Beschwerden führen kann. Symptome wie Bauchkrämpfe, Erbrechen, Übelkeit und Appetitlosigkeit können auftreten. In schweren Fällen und bei lange bestehender Überdosierung können zusätzlich Nierenschädigungen und Herzrhythmusstörungen auftreten.

In Österreich leiden konservativ geschätzt rund 750.000 Menschen an einem erhöhten Knochenbruchrisiko. Die Erkrankung Osteoporose kann generell in jedem Alter und bei jedem Geschlecht auftreten. Sie wird mit steigendem Lebensalter deutlich häufiger. Oft ist Osteoporose und die Schädigung des Organsystems Knochen Folge einer anderen Erkrankung. Rund 93.000 Menschen im Alter 50 plus erleiden in Österreich pro Jahr einen osteoporotischen Knochenbruch. Das wiederum kostet Geld – über 800 Millionen Euro im Jahr 2019, wenn nur die direkten Frakturkosten ohne Rehabilitation betrachtet werden. Die Reduktion des Frakturrisikos im Sinne von Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention durch körperliche Aktivität einschließlich Muskelaufbau, Kalzium- und eiweißreicher Ernährung ist anzustreben und generell zu empfehlen. Bei entsprechender

Indikation ist eine zusätzliche Blutuntersuchung und Supplementation von Vitamin D und Kalzium ebenso sinnvoll.

Zusammengefasst: Unreflektiertes Supplementieren wird nicht empfohlen. Bei ärztlichem Verdacht ist eine Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels notwendig. Denn Vitamin D ist essenziell für die Knochengesundheit, schwere Mangelzustände sind auf jeden Fall auszugleichen.