Die neue, vertikale Pflanzenkläranlage steht im aus Altglas gebauten Gewächshaus und reinigt das Abwasser von 70 Personen.
Wissenschaft

Wie kann Kreislaufwirtschaft funktionieren?

Pilotprojekte wie eine umgerüstete Kaserne in der Steiermark zeigen, wie Kreislaufwirtschaft geht – und wo es noch hapert.

Drucken

Schriftgröße

Wie können wir unser Haus kreislauftauglich machen? Diese komplexe Frage stellten sich 40 Menschen in der Steiermark. Sie hatten 2017 zusammen die ehemalige Militärkaserne in Fehring gepachtet und waren dort eingezogen. Die Idee: Jung und Alt in getrennten Wohnungen, aber mit Gemeinschaftsräumen, Werkstätten, Büros, einer kleinen Landwirtschaft – und das alles so nachhaltig wie möglich. Als sich das auf Kreislaufwirtschaft spezialisierte Unternehmen alchemia-nova auf die Suche nach einem Standort für ein EU-Forschungsprojekt machte, ergab sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Wien und Fehring.

Fünf Jahre ist das her, nun steht das EU-Projekt namens Houseful kurz vor dem Abschluss. Der Umweltingenieur Mario Hartl hat es wissenschaftlich geleitet und erzählt im Tauwetter-Podcast, wie in den vergangenen Jahren eine vertikale Pflanzenkläranlage, eine Biogasanlage und ein Biomeiler entstanden. Die Tauwetter-Folge finden sie hier.

Die EU will weg von der Wegwerfgesellschaft

Produzieren, benutzen, wegwerfen. So funktioniert das lineare Wirtschaftssystem bisher. Das Problem: Dadurch werden Rohstoffe schnell verbraucht und vernichtet, die Erderhitzung beschleunigt, und die Müllberge wachsen. Angesichts von Ressourcenknappheit und Klimakrise will die EU weg von dieser Wegwerfgesellschaft, hin zu einer Kreislaufwirtschaft. 2021 verabschiedete das EU-Parlament einen Aktionsplan, der Wirtschaft und Industrie nachhaltiger gestalten soll. Bis 2050 soll die Kreislaufwirtschaft in allen Staaten umgesetzt sein.

Im vergangenen Dezember beschloss der Ministerrat die heimische Kreislaufwirtschafts-Strategie. Konkret geht es darum, Produkte so lange wie möglich zu nutzen, wiederzuverwenden, zu reparieren und schließlich zu recyceln. Auf diese Weise soll ihr Lebenszyklus verlängert und der Verbrauch von Rohstoffen verringert werden. Österreich steckt hier noch in den Kinderschuhen. Doch zahlreiche Unternehmen arbeiten bereits intensiv an diversen Projekten, oft in Kooperation mit Forschungseinrichtungen. Bei deren Sichtung wird klar: Der Umstieg auf Kreislaufwirtschaft betrifft alle Branchen und Lebensbereiche – vom Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung bis zu optimierten Industrieprozessen, von der ausgeklügelten Abfallwirtschaft bis zum nachhaltigen Wohnen.

"Unser Umgang mit Abwasser und Abfällen hat sich völlig verändert."

 

Peter Groß, Bewohner der Hausgemeinschaft Fehring

Die Hausgemeinschaft in Fehring betreibt mittlerweile eine eigene Pflanzenkläranlage, ein Gewächshaus und die kleinste Biogasanlage Österreichs. „Unser Umgang mit Abwasser und Abfällen hat sich völlig verändert“, sagt Peter Groß. Der 62-Jährige wohnt in der früheren Kaserne und war an allen Bauprojekten maßgeblich beteiligt.

Als Kernstück entstand zuerst das Gewächshaus, in dem die Pflanzenkläranlage Schutz vor tiefen Temperaturen finden sollte. Die Suche nach nachhaltigen Baumaterialien war zäh. Eine Datenbank für wiederverwendbare Baustoffe gibt es hierzulande nicht. Doch bei den Materialnomaden, einer Wiener Firma, die bei Abbrucharbeiten wertvolle Baustoffe sichert, wurden Groß und die anderen schließlich fündig. Sie konnten die Glasfront aus den Fenstern eines abgerissenen Bürogebäudes bauen. Gebrauchte Ziegelsteine bedecken den Boden.

Abfall als wertvolle Ressource

Dass die Hausgemeinschaft etwa bei der Materialsuche auf Hürden stieß, ist kein Wunder: Österreich steht bei der Kreislaufwirtschaft noch ziemlich am Anfang. Die sogenannte Circular Material Use Rate (CMU) lag 2021 laut Eurostat bei 12,3 Prozent. Demnach stammten nur etwas über zwölf Prozent der hierzulande verwendeten Ressourcen aus recycelten Abfällen. Damit liegt Österreich zwar leicht über dem EU-Schnitt von 11,7 Prozent, aber weit abgeschlagen hinter dem Spitzenreiter Niederlande, wo die Nutzungsrate wiederverwendbarer Stoffe 34 Prozent beträgt. Bis 2030 soll die heimische Zirkularitätsrate auf immerhin 18 Prozent gesteigert werden.

„Das heißt, dass wir auch mehr Abfall recyceln müssen“, sagt Jakob Lederer, Leiter des Christian-Doppler-Labors für recyclingbasierte Kreislaufwirtschaft an der TU Wien. Gemeinsam mit Unternehmen aus der Abfallwirtschaft und der produzierenden Industrie, etwa dem Faserhersteller Lenzing, dem Mineralölkonzern OMV und seiner Chemietochter Borealis, werden bestehende Methoden der Sammlung, Sortierung und Aufbereitung von Abfällen untersucht und verbessert. Mit dem Ziel, Abfälle einfacher recyceln zu können. „Es gibt laufend Änderungen bei der getrennten Sammlung von Abfällen, wie etwa die heuer gestartete Vereinheitlichung der Kunststoffsammlung in Österreich. Uns interessiert, wie sich solche Änderungen auf die Qualität der gesammelten Kunststoffe auswirken“, erklärt Lederer und ergänzt: „Um Kunststoffe recyceln zu können, brauchen die Unternehmen eine bestimmte Qualität mit möglichst wenig Fremdstoffen.“

"Es sollten Produkte hergestellt werden, die sich einfacher recyceln lassen."

Jakob Lederer, Christian-Doppler-Labor, TU Wien

Der Faserkonzern Lenzing wiederum forciert das Recycling von Textilien. Immerhin verursacht die Textilindustrie mehr CO2-Emissionen als Luft- und Schifffahrt zusammen. „Viele Textilien bestehen jedoch aus verschiedenen Materialien, wie Baumwolle und Polyester. Diese müssen getrennt werden, um ein stoffliches Recycling beider Bestandteile zu ermöglichen“, erklärt Lederer von der TU Wien. Mit welchen technischen Möglichkeiten dies gelingen kann, wird derzeit untersucht. „Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sollen jedoch zunehmend Produkte hergestellt werden, die sich einfacher recyceln lassen“, so der Umwelttechniker. Nachhaltig hergestellte Zellulosefasern für Kleidung, wie Lenzing sie produziert, machen bisher jedoch weniger als zehn Prozent im globalen Textilmarkt aus.

Die Unternehmen sind jedenfalls enorm gefordert. Denn Kreislaufwirtschaft bedeutet nichts weniger als einen tiefgreifenden Umbau von Produktionsprozessen, Geschäftsmodellen – eigentlich des gesamten Systems. Um Innovationen in diesem Bereich anzuschieben, gibt es auch Unterstützung vom Staat. Im vergangenen Jahr förderte die österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) insgesamt 166 Projekte mit Fokus auf Kreislaufwirtschaft mit 30,2 Millionen Euro. Viele davon beschäftigen sich mit dem Erkennen von Stör- und Wertstoffen, also mit ausgeklügelten Recyclinganlagen. „Wir zielen jedoch auch darauf ab, Projekte zu fördern, die früher ansetzen. Die sich damit beschäftigen, wie man Güter länger in der Nutzung hält“, sagt ein Sprecher der FFG. Denn viele Unternehmen würden Kreislaufwirtschaft immer noch mit Recycling gleichsetzen. Das sei aber nur ein kleiner Teil davon. „Da sind die Förderwerber gefordert, größer zu denken und Projekte so zu entwickeln, dass Produkte kreislauffähig sind“, so der FFG-Sprecher.

Wasser im Kreis geschickt

Zurück ins steirische Fehring. Im Gewächshaus aus Altglas und gebrauchten Ziegeln steht nun eine Pflanzenkläranlage. In aufeinandergestapelten Metalltrögen wachsen Gräser, genährt durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Die Anlage ist eine Weiterentwicklung der klassischen Pflanzenkläranlage – hier wird sie zur grünen Wand. Das gesamte Abwasser der Hausgemeinschaft aus Duschen, Küche, Waschmaschinen und Toiletten wird zuerst in einem unterirdischen Kammersystem vorgereinigt und fließt dann in die Anlage. Es sickert langsam durch die Tröge, wo es von den Mikroorganismen im Substrat biologisch gereinigt wird. Erste Ergebnisse zeigen: „Das Wasser, das herauskommt, hat Güteklasse B“, sagt Marco Hartl, Projektleiter bei alchemia-nova. Es darf zum Gießen von Gemüsepflanzen verwendet werden.

Damit kann Hartl eine seiner zentralen Forschungsfragen positiv beantworten. „Bestehende Gebäude lassen sich in Richtung Abwasser-Wiedernutzung umrüsten“, sagt er. Die ehemalige Kaserne in Fehring stammt aus den 1950er-Jahren. Noch einfacher ist es freilich, wenn Gebäude gleich im Sinne der Kreislaufwirtschaft errichtet werden.

In Wien entsteht in den nächsten Jahren der Kempelenpark, ein neues Quartier im 10. Bezirk. Auf 4,5 Hektar sollen dort Wohnhäuser, eine Schule sowie Geschäfte für insgesamt rund 3000 Menschen gebaut werden. Für Kühlung und Lebensqualität sind ein Park, 150 Bäume, begrünte Dächer und Fassaden vorgesehen. Deren Bewässerung soll allerdings nicht aus der Trinkwasserleitung kommen – sondern aus gereinigtem Abwasser. Wie das gehen kann, haben Flora Prenner, Florian Kretschmer und Bernhard Pucher von der Universität für Bodenkultur in einer Studie gezeigt.

"Mit der Wasserwiedernutzung lässt sich Geld sparen."

Flora Prenner, BOKU

Alle Abwässer – mit Ausnahme der Toilette –, sollen im Kempelenpark separat gesammelt, nach festgelegten Standards gereinigt und dann in den Grünflächen landen. Und nicht nur dort: Wie Flora Prenners Modellrechnung zeigte, könnten zudem die Toilettenspülungen für alle 3000 Bewohnerinnen und Bewohner daraus gespeist werden. Damit würde jede Person ein Viertel ihres täglichen Trinkwasserverbrauchs einsparen. Ein Kreislauf, der sich auch finanziell auszahlt, sagt Prenner: „Damit lassen sich im konkreten Fall schätzungsweise 174.000 Euro pro Jahr sparen, und es bleiben noch große Mengen Wasser für die Grünflächen benachbarter Viertel übrig.“

In Österreich wäre das neue Quartier das erste mit einem Wasserkreislauf dieser Art – wenn der Bauträger es tatsächlich umsetzt. In Spanien und Frankreich sind Systeme wie dieses schon bei vielen Neubauten Standard. Hierzulande wäre eine Bauordnung nötig, die eine zusätzliche Leitung für Brauchwasser verlangt. Gibt es Pläne dafür? Eher nicht, wie die Antwort des zuständigen Landwirtschaftsministeriums vermuten lässt. Es gebe noch offene Fragen, hieß es kürzlich in einer Stellungnahme gegenüber profil, das Thema sei derzeit Gegenstand der Forschung.

Kochen mit Biogas

In der Steiermark stand für Peter Groß und seine Mitbewohner indes die Planung einer Biogasanlage an. Ursprünglich sollte der alte Öltank im Keller, der 80.000 Liter fasst, umgebaut werden. Er hätte nicht nur Küchenabfälle, sondern auch Fäkalien aus Trenntoiletten in Biogas verwandeln sollen, um damit die Öfen der hauseigenen Großküche zu beliefern. Doch die hohen Auflagen der Behörden schoben diesem Plan einen Riegel vor. Nun befindet sich eine Biogasanlage aus Israel im Garten der Fehringer – die bisher kleinste genehmigte in Österreich. Sie ist für ein Einfamilienhaus ausgelegt und wird ausschließlich mit Küchenabfällen gefüttert. Da der israelische Hersteller keine Erfahrung mit tiefen Temperaturen hat, fungiert die Anlage in der Steiermark als Pilotprojekt für den europäischen Winter. Sie wurde mit einem Heizsystem ausgestattet, um den Gärprozess auch in Eiseskälte am Laufen zu halten. „Wir können damit immerhin eine einzelne Kochstelle betreiben“, sagt Bewohner Peter Groß.

Was auf Anhieb funktionierte, war der Biomeiler. Das Prinzip ist simpel: Groß und seine Mitbewohnerinnen haben Grünschnitt aufgeschichtet und einen Wasserschlauch spiralförmig hineingelegt. Durch die Kompostierung wird Wärme frei, die das Gewächshaus beheizt.

Was hat der ganze Aufwand nun gebracht?

Ziel war es unter anderem, den CO2-Ausstoß des Mehrparteienhauses um 60 Prozent zu reduzieren. Wie weit das geglückt ist, wird gerade evaluiert. Die ersten Daten zeigen: Die Tendenz stimmt. Eines steht bereits jetzt fest: Die zugehörige Landwirtschaft ist weitgehend autark. Sowohl was das Wasser, als auch was den Dünger betrifft. Der stammt nämlich aus der Kläranlage, der Biogasanlage und dem Biomeiler.

Wären die Projekte, die in Fehring verwirklicht wurden, in einem üblichen Mietshaus oder in einem Kleinfamilienhaus denkbar? Auch das ist eine Erkenntnis aus dem EU-Projekt: Sowohl Biogasanlagen als auch die eigene Abwasserreinigung sind im Kleinen vor allem auf dem Land sinnvoll – etwa auf einem Bauernhof, der das gereinigte Wasser für die Bewässerung nutzen kann. Mehrparteienhäuser in der Stadt können von einer Umrüstung ebenfalls profitieren.

Die Stadt Wien interessiert sich aktuell ebenfalls für Kreislaufwirtschaft. Sie hat das Unternehmen alchemia-nova und zwei Universitäten damit beauftragt, die gesamte Stadt nach ihrem Potenzial zu durchforsten. Wo können Lebensmittelabfälle vermieden werden? Wie können die Materialien schon vor dem Einbau digital gespeichert werden, damit man beim Abriss weiß, was in einem Gebäude steckt? Wo stehen Räume leer, die man sinnvoll nutzen könnte? „Wir sind gerade dabei, eine Wiener Stadtkarte für Kreislaufwirtschaft zu erstellen“, sagt Helen Dolinšek von alchemia-nova. Die Erfahrungen aus Fehring werden dabei jedenfalls eine Rolle spielen.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.