Wie Wasserdampf einen globalen Teufelskreis aus Unwettern in Gang setzt
Manche Menschen schlugen Löcher in ihre Hausdächer und kletterten hindurch. Es war der letzte Fluchtweg vor den Wassermassen, die in ihren Häusern immer höher stiegen. Mit Booten wurden die Leute von den Dächern gerettet. In einigen Regionen im Osten Australiens waren binnen eines Tages 700 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. Sydney hatte seit 30 Jahren keine derartigen Überschwemmungen mehr erlebt. In den Vororten der Großstadt mussten bis Anfang März rund 40.000 Personen vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden.
Fast zeitgleich traf es Südafrika: Besonders um die Stadt Durban rissen Wasser und Schlamm Straßen, Häuser und Brücken weg. Ein Erdrutsch trug einen Friedhof ab, die Fluten spülten Knochen auf die Straßen. Ähnliche Katastrophen trugen sich in anderen Ländern zu. Ecuador, Februar 2022: zwei Dutzend Tote durch Flutwellen infolge starker Regenfälle. Brasilien, Dezember 2021: 20.000 obdachlose Menschen nach heftigen Regenfällen und Dammbrüchen. Malaysia, ebenfalls Dezember 2021: Evakuierung Zehntausender Menschen aufgrund schwerer Überschwemmungen.
In Europa wüteten die Unwetter im Juli des Vorjahres: In Mittel- und Westdeutschland, Teilen Frankreichs, Belgiens und der Niederlande verursachte der Starkregen Sturzfluten und Überschwemmungen von Jahrhundertausmaß. In den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen prasselten vom 14. auf 15. Juli 150 Liter Wasser pro Quadratmeter herab – mehr als sonst in einem Monat. Beinahe 200 Menschen starben.
In allen Fällen hatten einerseits lokale Wetterphänomene und Bausünden wie extensive Bodenversiegelung eine Rolle gespielt. Andererseits gab es aber auch einen gemeinsamen Grund für die Dimension der Katastrophen: den Klimawandel. Eine seiner Folgen ist allerdings ziemlich unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung: Wasserdampf, der die Frequenz wie auch die Intensität von Extremereignissen wie Überflutungen beeinflusst. „Das übersehene Treibhausgas“ betitelte kürzlich das Wissenschaftsmagazin „Spektrum der Wissenschaft“ einen großen Text zum Thema. Denn Wasserdampf sei im Gegensatz zu Kohlendioxid und Methan kaum im Fokus, obwohl er wesentlich dazu beitrage, dass sich Starkregen und auch Wirbelstürme global häufen.
Wasserdampf ist Wasser in gasförmigem Aggregatszustand. Wir können beim Kochen beobachten, wie er entsteht: durch Erwärmen von Wasser. Genau das gleiche Prinzip gilt in großem Maßstab: Weil sich die Ozeane infolge des Klimawandels erwärmen, verdunstet mehr Wasser und wird zu Gas, das sich in der Atmosphäre sammelt. Dort steigt somit der Wasserdampfgehalt. Höhere Temperaturen führen also zu mehr Wasserdampf auf unserem Planeten. Es kommt aber noch ein zweiter Effekt hinzu, der den ersten verstärkt: Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen – pro Grad Temperaturanstieg um etwa sieben Prozent mehr. Beide Faktoren zusammen bewirken, dass die Welt feuchter wird, und zwar über Land in höherem Ausmaß als über den Ozeanen.
Seit Mitte der 1990er-Jahre habe der durchschnittliche Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre um vier Prozent zugenommen, berichtet die Klimaforscherin Jennifer Francis, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Wissenschaftsjournals „Scientific American“. Das klinge nach wenig, liefere aber zusätzliche Energie und Feuchtigkeit für Starkregen, heftige Tropen- und sogar Schneestürme. Denn die Verdunstung von Wasser aus erhitzten Meeren braucht Energie, und diese Energie geht nicht verloren – sie wird frei, wenn sich der Dampf später wieder in Wasser verwandelt. Und es handle sich um enorm viel Energie, so Francis. Die immer wärmeren Ozeane würden für beständig wachsenden Energienachschub sorgen: „Das warme Wasser wirkt wie eine starke Batterie, aus der Stürme Energie ziehen.“ Wasserdampf ist aus all diesen Gründen ein Motor für Starkregen, Überschwemmungen und Extremwetterereignisse.
Im Gegensatz zu langlebigen Gasen wie CO2 bleibt Wasserdampf nicht lange in der Atmosphäre: üblicherweise nur etwa zehn Tage. Dann fällt er in Form von Niederschlag wieder herab. Ist die Luft bereits komplett mit Wasserdampf gesättigt (was 100 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit entspricht) und kommt noch weiteres Wasser hinzu, bilden sich Wolken. Gleiches geschieht, wenn 100 Prozent relative Luftfeuchte erreicht sind und die Luft abkühlt – eben weil kühlere Luft weniger Wasserdampf speichern kann als warme.
Besonders gravierend fallen Unwetter oft dann aus, wenn noch weitere Faktoren im Spiel sind: In Australien beispielsweise hatte das Wetterphänomen La Niña schon in der Zeit vor den Überflutungen dafür gesorgt, dass die Böden vollgesogen waren und kaum mehr Wasser aufnehmen konnten. La Niña trägt durch Erwärmung des Pazifiks ebenfalls dazu bei, dass viel Wasser verdunstet und sich die Luft mit Wasserdampf anreichert. Zugleich traf ein sogenannter atmosphärischer Fluss auf den Kontinent: ein Tausende Kilometer langes Band feuchter Luft in zwei bis drei Kilometer Höhe – laut „Spektrum“ eine wahre „Wasserdampfautobahn“, die ein bekannter Auslöser für sintflutartige Regenfälle ist.
Wasserdampf ist aber nicht nur ein Treiber von Wolkenbildung und Starkregen, er fungiert auch selbst als Treibhausgas. Er stellt sogar, was wenig bekannt ist, das mit Abstand wichtigste Treibhausgas der Erdatmosphäre dar. Über das Ausmaß seines Einflusses gibt es je nach Berechnung zwar unterschiedliche Angaben. Man könne aber davon ausgehen, so erläutert das Deutsche Klima-Konsortium, dass der Beitrag von Wasserdampf zum Treibhauseffekt zwei- bis dreimal größer sei als jener von CO2.
Grundsätzlich ist unser Planet auf ein sensibles Gleichgewicht angewiesen: Teile des einfallenden Sonnenlichts werden absorbiert und liefern Energie, zum Beispiel für die Photosynthese von Pflanzen. Würde alles Licht reflektiert, wäre die Erde ein frostiger, unwirtlicher Ort. Überschüssige Energie sollten wir allerdings wieder loswerden. Dies geschieht, indem langwellige Wärmestrahlung zurück ins All geschickt wird. Nun haben diverse Faktoren, vor allem das vom Menschen im Übermaß emittierte Kohlendioxid, die fein austarierte Energiebilanz aus dem Tritt gebracht. Die Erde hat sich über Gebühr erwärmt, und Wasserdampf trägt indirekt dazu bei, dass die Temperatur weiter steigt – man spricht von einer „positiven Rückkoppelung“.
Damit ist gemeint, dass menschliche Aktivitäten zwar nicht unmittelbar dazu führen, dass Wasserdampf gebildet wird – schließlich handelt es sich um natürliche Verdunstungsprozesse. Doch die Emissionen von CO2 und weiteren Schadstoffen aus unserer Zivilisation haben über den Umweg der globalen Erwärmung bewirkt, dass mehr Wasserdampf entsteht als früher. Mehr Wasserdampf wiederum lässt weniger Wärmestrahlung ins All, und zwar deutlich weniger: Wasserdampf absorbiert Strahlung in weiten Bereichen des infraroten Spektrums, lässt also wenig davon hindurch. Dies liegt am typischen Absorptionsverhalten, geht aus Unterlagen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) hervor: Für jedes Gas gibt es spezifische Wellenlängenbereiche, in denen Strahlung aufgenommen und wieder abgegeben werden kann. Das „atmosphärische Fenster“ der Abgabe infraroten Lichts ist bei Wasserdampf recht klein. Mit anderen Worten: Wasserdampf in der Atmosphäre verhindert das Entweichen von Wärme – und verstärkt damit den Effekt von , und zwar in nennenswertem Ausmaß: Wasserdampf erhöht die Erwärmung durch CO2 etwa auf das Doppelte.
Insgesamt setzt sich somit eine Art Teufelskreis in Gang: Die menschgemachte globale Erwärmung führt dazu, dass mehr Wasserdampf entsteht, der seinerseits als Treibhausgas eine weitere Temperaturerhöhung bewirkt. Weil die Temperaturen steigen, verdunstet mehr Wasser, und die wärmere Luft reichert sich mit noch mehr Feuchtigkeit an – was zu den Extremwetterereignissen beiträgt, die sich in jüngster Vergangenheit häufen. Dieser Effekt ist nicht etwa in den Äquatorregionen besonders ausgeprägt. Dort ist die Luft ohnehin schon stark mit Feuchtigkeit angereichert und die Aufnahmekapazität für weiteren Wasserdampf begrenzt – anders als in kühleren, bisher trockeneren Regionen, in denen die Limits für Luftfeuchte noch nicht erreicht sind.
Auch in unseren Breiten macht sich dies bemerkbar: zum Beispiel durch eine steigende Zahl an Tropennächten, in denen die Temperatur nicht mehr unter 20 Grad sinkt. Wurde etwa in Mitteldeutschland in früheren Jahrzehnten ungefähr alle fünf Jahre eine Tropennacht registriert, sind es heute sechs bis acht pro Jahr. Wesentlich schuld ist Wasserdampf, der die Hitze in der Nacht nicht mehr entweichen lässt. Besonders extrem zeigt sich das Problem im Moment allerdings in Indien: in Gestalt von feuchter Hitze von bis zu 50 Grad.
Damit kein Missverständnis entsteht: Sogenannte „Klimaskeptiker“ behaupten gerne, der menschliche Einfluss aufs Klima könne nicht so dramatisch sein, wo doch Wasserdampf natürlichen Ursprungs und zugleich größter Verursacher des Treibhauseffekts sei. Das ist zwar korrekt, unterschlägt aber den Umstand, dass die menschgemachte Erderwärmung erst die Grundlage für den wachsenden Einfluss von Wasserdampf schuf – eben durch CO2-Emissionen, die den wesentlichen Hebel für den kritischen Kreislauf darstellen.
Direkten Einfluss auf die Anreicherung der Atmosphäre mit Wasserdampf haben wir leider nicht. „Wir können ihn jedoch indirekt reduzieren, indem wir die Erwärmung zügeln“, erläutert Jennifer Francis. Wollen wir Extremwetterereignissen und unerträglich schwülen Nächten gegensteuern, greifen somit die klassischen Maßnahmen gegen den Klimawandel – samt allen unerfreulichen, aber notwendigen Einschränkungen.