Wissenschaft

Zahnforscher: „Zahnseide ist überflüssig“

Zahnmediziner Stefan Fickl gibt überraschende Tipps: Warum man nach dem Zähneputzen nicht ausspülen sollte, wie ausgefallene Zähne wieder anwachsen – und was bei Mundgeruch zu tun ist.

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Sie empfehlen, nach dem Zähneputzen nur auszuspucken, aber nicht mit Wasser nachzuspülen. Wieso das?
Fickl
Wir haben über die vergangenen Jahre erkannt, dass das Wichtige am Zähneputzen das Fluorid in der Zahnpasta ist. Aus vielen Studien wissen wir: Je mehr und je länger Fluorid auf den Zahnoberflächen liegt, desto besser hilft es gegen Karies. Nachts fährt die Speichelproduktion herunter, sodass der Zahnpastafilm seine volle Wirkung entfalten kann. Früher dachte man, man müsse die Bakterien ausspülen, die man beim Putzen gelöst hat. Heute weiß man, dass so viele Millionen von Bakterien im Mund sind, dass es darauf nicht ankommt.
Warum wird das von den meisten Zahnärzten nicht kommuniziert?
Fickl
Die Erkenntnis hat sich in der Wissenschaft über die vergangenen zehn, 15 Jahre etabliert. Leider dauert es oft Dekaden, bis solche Dinge zu den Patienten durchdringen.
Wichtig wäre es, dass die Informationen bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Praxen ankommen.
Fickl
Das ist richtig, und das sollten wir uns als Wissenschafter auch ankreiden. Oft schaffen wir es nicht, den aktuellen Forschungsstand rüberzubringen.

Stefan Fickl, 45

Er hat die Zahnarztpraxis seines Vaters im bayerischen Fürth übernommen und forscht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg zu Implantologie und Parodontologie. 

Die nächste große Überraschung für mich war, dass Zahnseide offenbar überbewertet ist. Kann man sich die lästige Prozedur tatsächlich sparen?
Fickl
Es gibt keine einzige Studie, die zeigt, dass Zahnseide irgendeinen Wert hat. Außerdem ist Zahnseide schwierig anzuwenden. Ich muss vor allem bei älteren Patienten deswegen immer wieder Zahnfleischverletzungen behandeln. Wenn die Zähne korrekt stehen und das Zahnfleisch den Bereich zwischen den Zähnen ausfüllt, dann ist eine Reinigung der Zwischenräume nicht nötig, Zahnseide ist überflüssig. Anders schaut es bei Parodontose aus. Wenn das Zahnfleisch zurückgegangen ist, dann bilden sich Spalten zwischen den Zähnen, die gereinigt werden müssen. Da empfehlen wir Interdental-Bürstchen aus Silikon, die aussehen wie kleine Pfeifenreiniger. Sie sind deutlich schonender und effektiver als Zahnseide.
Was ist besser: eine elektrische oder eine Handzahnbürste?
Fickl
Wissenschaftlich ist diese Frage ganz klar beantwortet: Die elektrische Bürste putzt besser, weil sie zusätzliche Bewegungen ausführt; manche arbeiten zudem mit Ultraschall. Außerdem haben diese Bürsten oft einen Timer. Die meisten Menschen putzen nämlich kürzer als die dringend empfohlenen zwei mal zwei Minuten täglich. Aber: Eine korrekt angewendete Handzahnbürste ist besser als eine schludrig angewandte Elektrozahnbürste. Weiche Bürsten sind übrigens vorzuziehen, weil sie das Zahnfleisch nicht verletzen.
Könnte man sich das Putzen sogar sparen, indem man eine fluoridhaltige Mundspülung verwendet?
Fickl
Das Fluorid muss auf die Zahnoberfläche kommen. Über den Tag hinweg entsteht auf den Zähnen ein Häubchen aus Bakterien. Sie kennen das wahrscheinlich, wenn Sie nach einer Party das Zähneputzen ausfallen haben lassen und sich die Zähne rau anfühlen. Mit der Mundspülung erreichen Sie die Bakterien, nicht aber den Zahnschmelz – es bringt also nichts. Das Putzen muss schon sein.
Welche Zahnpasta würden Sie empfehlen?
Fickl
Die meisten Zahnpasten enthalten die erforderliche Menge Fluorid von 1000 bis 1500 ppm (parts per million). Alle Effekte darüber hinaus, die einem da vorgaukelt werden, wie Anti-Zahnstein, Anti-Mundgeruch oder Anti-Parodontose, sind Marketing. Zahnpasta hilft hauptsächlich gegen Karies, weniger bei Parodontose. Beil Letzterem handelt es sich oft um eine genetische Veranlagung, aber auch Rauchen und Diabetes können die Krankheit auslösen. Gegen deren Fortschreiten hilft vor allem die professionelle Zahnreinigung.
Wie gut ist Zahnpasta mit Weiß-Effekt?
Fickl
Viele dieser Pasten enthalten mehr Sand, wodurch mehr Belag von den Zähnen abgeschmirgelt wird, aber auch Zahnsubstanz verloren geht. Das ist schädlich. Es gibt aber mittlerweile einige Weißmacher-Zahnpasten, die auch mit Aktivkohle oder Oxidantien arbeiten. Da bieten die Tests der Stiftung Warentest eine sehr gute Orientierung. Grundsätzlich würde ich sagen: Wenn jemand weißere Zähne haben möchte, sollte er sich beim Zahnarzt wegen eines Bleachings erkundigen.
Bakterien in weggeworfenen Kaugummis wurden genetisch untersucht

Zuckerfreier Kaugummi

Die günstigste Methode, zu einer besseren Zahngesundheit zu kommen.

Sie sind ein großer Fan von Kaugummi. Warum?
Fickl
Ich verstehe nicht, warum die Kaugummi-Industrie das nicht viel stärker bewirbt. Zuckerfreier Kaugummi ist die günstigste Methode, zu einer besseren Zahngesundheit zu kommen. Er regt den Speichelfluss extrem an, und Speichel ist der beste Stoff, den wir im Mund haben. Er enthält viel Kalzium und Phosphat, er remineralisiert die Zähne. Zudem ist der Speichel die erste Barriere des Immunsystems. Dazu kommt der Spüleffekt. Die Finnen sind übrigens mit 202 gekauten Kaugummis pro Jahr Europameister. Die Deutschen hinken mit 111 hinterher, aus Österreich gibt es dazu keine Daten. Aber es gibt Hochrechnungen, die besagen, wenn die Deutschen auf das Niveau der Finnen kämen, könnten sie über das Leben hinweg drei Zähne mehr erhalten. Das ist schon beeindruckend.
Wie viel Kaugummi pro Tag würden Sie denn empfehlen?
Fickl
Dazu gibt es keine Untersuchungen. Prinzipiell würde ich sagen, nach einer zuckerhaltigen Mahlzeit wäre ein Kaugummi sehr gut, um die Verkalkung der Zähne wieder anzuleiern. Meine Kinder bekommen nach dem Eis immer einen Kaugummi.
Was ist denn schädlicher für die Zähne: Gummibärli oder Cola?
Fickl
Cola ist wahrscheinlich die größte Sünde, die man seinen Zähnen antun kann. Es enthält extrem viel Zucker, umspült die Zähne, und es wird ohne Kauvorgang hinuntergeschluckt. Durch das Kauen eines Gummibärchens wird der Speichel angeregt, das ist deutlich besser für die Zähne. Ich empfehle Limonaden, Apfelschorle oder Radler zum Essen zu genießen, weil da der Speichelfluss deutlich höher ist. Zwischendurch sollte man nur Wasser trinken.
Ist zuckerfreie Limonade besser?
Fickl
Auf jeden Fall. Aber sie ist sehr sauer, was ätzend auf die Zähne wirken kann, wenn man große Mengen trinkt.
Können bei einem Unfall ausgefallene Zähne wieder anwachsen?
Fickl
Auf der Zahnoberfläche bleiben, auch wenn ein Zahn durch einen Stoß herausfällt, gesunde Zellen. Mit einem Taschentuch abwischen sollte man ihn also auf keinen Fall. Früher hat man ihn dem Patienten oft noch an der Unfallstelle wieder hineingesteckt, der ihn dann nicht selten verschluckt hat. Am besten ist, den Zahn, so wie er ist, in die Plastikverpackung eines Taschentuchpäckchens zu geben und gut zu verschließen.

Nachschlagwerk für Patientinnen und Patienten

Stefan Fickl: Auf den Zahn gefühlt. Wie unsere Zähne stark und gesund bleiben. Kiepenheuer & Witsch. 352 S., EUR 18,50

Kann jeder Zahnarzt einen ausgefallenen Zahn wieder einsetzen?
Fickl
Dazu braucht es schon Spezialwissen. Man setzt eine Schiene über die Nachbarzähne, die den Zahn einige Wochen stabilisiert. Universitätskliniken haben meist auch eine Trauma-Ambulanz, da würde ich hingehen.
Früher galt die Regel, möglichst früh alle Weisheitszähne zu ziehen. Was gilt heute?
Fickl
Man entfernt nur jene, die Probleme machen könnten. Wichtig ist, sie im Alter zwischen 16 und 22 zu entfernen, da sie dann noch nicht so stark mit dem Kiefer verwachsen sind.
Eine Studie aus Greifswald kam zu einem schockierenden Ergebnis: 50 bis 70 Prozent der Zähne, die gezogen werden, hätten auch im Mund bleiben können. Die Zahnmedizin ist heute viel konservativer als früher. Werden trotzdem immer noch zu viele Zähne entfernt?
Fickl
Leider ja. Mir kommen immer wieder unglaubliche Fälle unter. Es ist Ziel meines Buches, Patientinnen und Patienten dazu zu bewegen, Entscheidungen zu hinterfragen und sich im Zweifelsfall eine zweite Meinung einzuholen. Zur Verteidigung meiner Kollegen muss ich aber sagen, dass die Zahl der in Deutschland extrahierten Zähnen enorm abnimmt.
Meine Zahnärztin rät mir zu zwei professionellen Zahnreinigungen pro Jahr. Ist das nicht ein bisschen viel, zumal ich das selbst zahlen muss?
Fickl
Grundsätzlich würde eine professionelle Zahnreinigung pro Jahr reichen, wenn sie gar keine Risikofaktoren für Karies oder Parodontose haben. Eine zweite Reinigung ist aber auch keine Übertherapie, weil man dabei Probleme früher erkennen kann als bei einer jährlichen Kontrolle.

Mundgeruch zu bekämpfen ist relativ einfach.

Mundgeruch ist ein sehr heikles Thema. Was raten Sie Ihren Patienten in so einem Fall?
Fickl
Das ist relativ einfach. Oft kommt er von einer Parodontose, denn die unter dem Zahnfleisch sitzenden Parodontose-Bakterien sondern Schwefelgeruch ab. Mit der Behandlung der Parodontose verschwindet auch der Mundgeruch. Der zweite Grund kann die Zunge sein. Sie hat bei vielen Menschen sehr starke Einsenkungen, wo Bakterien überleben können, die Schwefel freigeben. Manche Zahnärzte bieten zur professionellen Zahnreinigung mittlerweile auch eine Zungenreinigung an. Zudem empfehle ich meinen Patienten Zungenreiniger aus der Drogerie. Wenn es dann nicht binnen weniger Wochen besser wird, muss man weiterforschen. Auch der Magen kann die Ursache sein.
Es gibt zwei große Zahnerkrankungen. Welche ist schlimmer: Karies oder Parodontose?
Fickl
Definitiv die Parodontose. Wir haben dagegen kein so effektives Mittel wie Fluorid gegen Karies. Außerdem kommt Parodontose schleichend und ist oft schmerzfrei. Zu mir kommen immer wieder Patienten mit dem Zahn in der Hand und sagen, sie hätten vorher nichts bemerkt. Weil wir durch die gute Kariesbekämpfung mehr Zähne erhalten, haben wir später auch mehr Parodontose. Denn: Karies ist eine Erkrankung der ersten Lebenshälfte, Parodontose eine der zweiten.
Es gibt den Spruch: „Jedes Kind kostet einen Zahn.“ Müssen Schwangere tatsächlich besser aufpassen?
Fickl
Ja. Schwangere neigen zu Entzündungen, auch im Mund, was mit den Hormonen zu tun hat. Das wirkt sich auch auf das Kind aus: Patientinnen mit starken Zahnfleischentzündungen haben häufiger Frühgeburten und Komplikationen. Ich empfehle deshalb während der Schwangerschaft zwei bis vier Kontrollen und professionelle Zahnreinigungen, um die Entzündungen richtig zu behandeln.
Wie schlimm sind Schnuller für die Zähne von Kindern?
Fickl
Schnuller führen nachgewiesenermaßen zu einem falschen Kieferwachstum. Aber ich habe selbst Kinder und habe ihnen den Schnuller nicht verboten, weil sie sonst am Daumen gelutscht hätten – was noch schlechter gewesen wäre. Es gibt heute schonende Schnuller mit möglichst schmalen Lutschern. Das Bedürfnis danach nimmt nach dem ersten Lebensjahr deutlich ab, dann sollte man die Kinder entwöhnen.
In Ihrem Buch erwähnen Sie mehrmals den Spruch: „An apple a day keeps the dentist away.“ Was heißt das konkret?
Fickl
Wir wissen, dass eine mediterrane Diät, also viel Gemüse, Obst, Ballaststoffe und wenig rotes Fleisch, auch sehr gut fürs Zahnfleisch ist. Wir essen zu viel prozessierte Nahrung, anstatt täglich von einem Apfel abzubeißen und ihn ordentlich zu kauen. Das Kauen regt den Speichel an und reibt Belag von den Zähnen.
Können Sie eigentlich Menschen kennenlernen, ohne ihnen sofort auf die Zähne zu schauen?
Fickl
Mein Vater war auch Zahnarzt, und er hat immer als Erstes gesagt: Bei dem ist aber das und das schief und so weiter. Das will ich vermeiden. Ich achte darauf, jemanden, den ich privat kennenlerne, als ganze Person wahrzunehmen.
Dennoch werden Sie auf Partys häufig zurate gezogen. Was war Ihr schrägstes Erlebnis?
Fickl
Es kommt immer wieder vor, dass Menschen am Tisch ihr Gebiss rausziehen und wissen wollen, warum es drückt. Vor einem halben Jahr sah ich in einem Hotel am Nebentisch einen Herrn mit einer richtig dicken Backe und bot ihm meine Hilfe an. Wir sind dann mit Löffel und Taschenlampe auf die Toilette, und ich habe ihm die Entzündung mit einem Antibiotikum behandelt, das ich immer dabeihabe. Am nächsten Tag konnte er wie geplant Golf spielen.
Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.