Ist der Mann im Mond in Wirklichkeit ein Hase? In China denken die meisten Menschen tatsächlich an ein Langohr, wenn sie auf die Flecken des Erdtrabanten schauen. Buzz Aldrin suchte sogar nach dem Tier, als er 1969, nur wenige Minuten nach Neil Armstrong, als zweiter Mensch den Mond betrat. Die Bodenstation hatte ihm kurz vor der Landung die Schlagzeilen des Tages ins Ohr gefunkt: „Eine Zeitung schreibt, ihr solltet nach einem Mädchen mit einem Hasen Ausschau halten. Einer alten Legende zufolge lebt die schöne Chinesin namens Chang’e seit 4000 Jahren dort oben. Sie scheint auf den Mond verbannt worden zu sein, weil sie ihrem Ehemann die Pille der Unsterblichkeit gestohlen hat. Außerdem solltet ihr nach ihrem Begleiter suchen, einem großen chinesischen Hasen (…). Der Name des Hasen ist nicht überliefert.“ Buzz Aldrin antwortete: „Okay. Wir werden uns umsehen nach dem bunny girl.“
Gefunden haben Aldrin und Armstrong das „bunny girl“ während der Apollo-11-Mission nicht. Chang’e 1, die nach besagter chinesischer Mondgöttin benannte Raumsonde, landete nämlich erst 2009, 40 Jahre nach den beiden Astronauten, auf dem Mond. 2016 hatte das Raumschiff Chang’e 3 sogar das Kaninchen mit dabei: Der Rover „Yutu“, benannt nach dem „Jadehasen“ aus der Legende, übermittelte detaillierte Bilder und Daten von seinem Landeplatz im Mare Imbrium.
Atlas der Superlative
Wer sich nun fragt, wo Letzteres sich wohl befindet, hat Glück. Chinesische Forscherinnen und Forscher veröffentlichten kürzlich den detailreichsten Mondatlas, den es je gegeben hat. Darin verzeichnet sind mehr als 12.000 Krater, 81 Becken, 17 verschiedene Gesteinstypen sowie die Plattentektonik – und das alles in nie da gewesener Auflösung von 1:2,5 Millionen. Der Atlas ist die erste globale Mondkarte, die alle Erkenntnisse und Daten der Post-Apollo-Ära verwertet. Mehr als 100 Wissenschafterinnen und Wissenschafter arbeiteten zehn Jahre daran, die Erkenntnisse in ein Buch zu fassen. Der Atlas lässt sich physisch ins Regal stellen – und ist demnächst online verfügbar. „Es ist ein Meilenstein für die Mondforschung“, sagt Ruth Grützbauch, Astronomin, Mitglied der Science Busters und Gründerin des Pop-Up Planetariums Public Space.
Nach den legendären Apollo-Missionen wurde es ruhig auf dem Mond. Die bis dato letzten von insgesamt zwölf Menschen, die durch den Mondstaub stapften, waren im Dezember 1972 Eugene Cernan und Harrison Schmitt, Mitglieder der Crew von Apollo-17. Dann herrschte gähnende Leere – bis Ende der 2010er-Jahre die halbe Welt ihr Interesse am Mond wiederentdeckte. Ziel ist nun nicht mehr die Stippvisite, sondern eine Langzeitpräsenz auf dem Erdtrabanten. „Der Mondatlas ist extrem wichtig, um einen Ort für eine künftige Mondstation zu finden“, sagt Ouyang Ziyuan von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, der das Atlasprojekt leitete.
Startschuss zum Mond
Der Erdtrabant bietet allerlei Verlockungen. Da wären allen voran Rohstoffe, die man zu nutzen träumt, wenn diese auf der Erde zuneige gehen. Eine Mondstation könnte Astronautinnen und Astronauten außerdem als Sprungbrett ins All dienen – etwa bei Reisen zum Mars. Auch von einer neuen Raumstation im Mondorbit ist die Rede, als möglicher Außenposten der Erde.
Eröffnet wurde das „Space race“ 2019 mit einer Sensation: China war damals mit dem Raumschiff Chang’e 4 die erste Landung auf der erdabgewandten Seite des Mondes gelungen. Sie zu erreichen, ist heikel, weil es keine direkte Funkverbindung zur Erde gibt. Am 3. Mai 2024 startete Nachfolger Chang’e 6 abermals zur Rückseite – und soll erstmals Gesteinsproben auf die Erde liefern. „Das ist die spannendste Mission des heurigen Jahres“, sagt Ruth Grützbauch.
Warum die Rückseite des Mondes so interessant ist
Einerseits wird dort das wertvolle, auf der Erde extrem seltene Helium-3 vermutet, von dem sich manche eine Kernenergie ohne radioaktive Rückstände erhoffen. Außerdem ist der Mond dort nicht durch die Erde abgeschirmt und würde einen idealen Platz für ein Radioteleskop abgeben. „Das würde uns einen viel, viel tieferen Blick ins All bescheren“, schwärmt Grützbach. Der Mond dreht der Erde übrigens immer dieselbe Seite zu, weil er sich in den
27,3 Tagen, in denen er die Erde einmal umrundet, auch einmal um die eigene Achse dreht. Das ist kein Zufall: Die Gravitationskraft der Erde bremste die Rotation des kleineren Mondes mit der Zeit so ab, dass sich seine Rotation an die Umlaufzeit anpasste.
Ruth Grützbauch schaut durch Teleskop in der Urania Wien
Ruth Grützbauch schaut durch Teleskop in der Urania Wien
"Der neue Atlas ist ein Meilenstein für die Mondforschung."
Ruth Grützbauch, Astronomin, Mitglied der Science Busters und Gründerin des Pop-Up Planetariums Public Space.
Dass China nun dem Rest der Welt einen Mondatlas präsentierte, ist auch eine Machtdemonstration: Einige der wichtigsten Missionen der vergangenen Jahre starteten im Reich der Mitte. Beim Rennen um das erste Raumschiff mit einer Crew an Bord haben aber die USA die Nase vorn. Läuft alles nach Plan, wird Artemis-2 im September 2025 zehn Tage lang im Mondorbit kreisen. Mit an Bord wird Christina Koch sein, als erste Astronautin auf dem Mond – und als zweite Frau – nach der Mondgöttin Chang’e.