Kohlegrube Welzow

Zukunft für frühere Kohlegebiete: Es werde grün

Mit dem Ausstieg Deutschlands aus der Kohle sollen aus den Mondlandschaften Naturgebiete entstehen. Ein Besuch im Lausitzer Braunkohlerevier zeigt: das ist schwerer als gedacht.

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Von Markus Wanzeck

„Sei wie die Stechpalme! Sie hat sich immer an veränderte Verhältnisse anpassen können“, sagt Philipp Nellessen an einem sonnigen Brandenburger Morgen, ehe er zur Schaufel greift. Er ist Vorstandsmitglied der Leag, des zweitgrößten deutschen Stromerzeugers nach der RWE. 2019 hatte die Leag einen Marktanteil von 16,2 Prozent, mehr als Vattenfall und Eon zusammen.

Allerdings: Der Leag-Strom stammt im Unterschied zu den anderen Erzeugern fast vollständig aus Braunkohle. Abgebaut wird sie in den vier Lausitzer Tagebauen Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde, verfeuert in den Kraftwerken Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg. Ein Geschäftsmodell, das bald keine Grundlage mehr hat. Spätestens 2038 endet in Deutschland das Zeitalter der Kohle. Nach dem Willen der Ampelregierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP soll schon 2030 Schluss sein.

Das ist Nellessen bewusst, als er am Geisendorfer Berg am Rand des Tagebaus Welzow-Süd eine Stechpalme pflanzt, den Baum des Jahres 2021. Sie soll Wurzeln schlagen in einem Rekultivierungsgebiet: zehn Hektar mit Wanderwegen, Wildblumen, Baumgruppen. Selbst die Hügellandschaft nebenan ist ein Werk der Leag. Aus einer industriellen Gebrauchslandschaft soll eine touristische Idylle werden. 

Doch das ist nicht so einfach, wie es einst in Österreich war. Hierzulande gab es viele Abbaugebiete unter Tage. Im weststeirischen Kohlerevier gab es  zwar Tagebau, man begann allerdings bereits um die Jahrtausendwende mit der Begrünung ausgedienter Flächen. Aufgrund der viel kleineren Gebiete war das einfacher als in Deutschland.

Insgesamt 40 Milliarden Euro will sich unser Nachbarland einen klima- und sozialverträglichen Entzug von der Kohle kosten lassen. Doch die Abhängigkeit ist noch immer groß. Im Jahr 2018, als Deutschland Abschied vom Steinkohle-Untertagebau nahm, wurden in den drei Revieren Rheinland, Lausitz und Mitteldeutschland noch mehr als 166 Millionen Tonnen Braunkohle aus der Erde geholt – mehr als in jedem anderen Land der Welt.

Gut die Hälfte davon stammte aus dem rheinischen Revier, knapp 40 Prozent aus der Lausitz. Im ersten Halbjahr 2021 wurde Kohle wegen des windarmen Frühjahrs und der Flaute beim Ausbau der Erneuerbaren noch einmal zum wichtigsten Energieträger der Stromerzeugung.
Dabei ist die Kohle mit hohen versteckten Kosten verbunden. Laut einer Studie des deutschen Umweltbundesamtes verursacht die Stromerzeugung durch Windkraft und Fotovoltaik Umweltkosten von ein bis zwei Cent je Kilowattstunde, durch Steinkohle 20 Cent und durch Braunkohle 23 Cent. „Insgesamt beliefen sich die Umweltkosten der Kohleverstromung durch den Ausstoß von Treibhausgasen und Luftschadstoffen im Jahr 2019 auf etwa 38 Milliarden Euro“, so die Studie.

In den riesigen Kohlebaugebieten kämpft man seit jeher mit immensen Umweltschäden: Rutschungen, Setzungen und Sackungen machen den Boden unter den Füßen instabil. Notfalls werden solche Areale für ein paar Jahrzehnte zum Sperrgebiet erklärt. Der Wasserhaushalt, einmal gründlich durcheinandergebracht, bereitet noch größere Probleme. Denn: Um Braunkohle per Tagebau fördern zu können, muss das Grundwasser gründlich abgesenkt werden – teils 100 Meter und tiefer.

Die Leag pumpt jährlich 360 Millionen Liter Wasser an die Oberfläche, wodurch der Grundwasserstand weiträumig sinkt. Das unterirdische Wasserdefizit auszugleichen, könne Jahrzehnte dauern, heißt es in der Studie des Umweltbundesamts. Zudem seien die porösen Gesteine, die das Grundwasser leiten, durch den Bergbau „nahezu irreversibel zerstört“. Daran kann auch eine oberflächlich ansehnliche Rekultivierung nicht viel ändern.

Dazu kommt, dass die Austrocknung des Erdreichs und die spätere Flutung der Areale zu einer Belastung mit Sulfat und Eisenhydroxid führen. Letzteres zeigt sich in der bräunlichen Färbung, der „Verockerung“ der Spree. Die großen Sulfatmengen machen sich in den Bergbau-Folgeseen bemerkbar. Sie füllen überall in der Lausitz die Löcher des Kohlebaus – und werden als „Lausitzer Seenland“, Europas größte künstliche Wasserlandschaft, touristisch vermarktet. Das Problem: Die Seen sind teils so sauer, dass nur wenige Spezies darin überleben können. Muscheln oder Krebse zählen nicht dazu. Ihre Schalen würden sich hier auflösen.

Seit vielen Jahren – und noch auf Jahrzehnte hinaus – sind deshalb im neu geschaffenen Seenland „Gewässerbehandlungsschiffe“ im Einsatz, die tonnenweise Kalk ins Wasser streuen. Mit dieser Maßnahme sowie durch das zusätzliche Einleiten von Flusswasser werden die sauren Seen nach und nach neutralisiert. Einige erreichen mittlerweile Badewasserqualität.

Wer ist verantwortlich für die Mondlandschaften, die der Kohleabbau hinterlassen hat? Nach dem Wende-Crash der DDR-Braunkohleindustrie – 32 der 39 Tagebaue im ehemaligen Osten wurden 1989/90 stillgelegt – wurde für die ausrangierten Tagebaue eine Art bundeseigene Bad Bank gegründet: die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV). Von den 1070 belasteten Quadratkilometern konnte sie nach eigenen Angaben bis Ende 2020 gut 830 Quadratkilometer wieder nutzbar machen. Kosten: rund 11,4 Milliarden Euro.

Bei den noch aktiven Tagebauen ist der jeweilige Eigner gesetzlich zur Rekultivierung verpflichtet. Deshalb ist die Leag nicht nur ein Energieunternehmen, sondern auch eine große Landschaftsgärtnerei.

Nachdem die Stechpalme gepflanzt ist, machen die leitenden Landschaftsgärtner einen Spaziergang auf den Geisendorfer Berg, das Meisterstück ihres „Reku-Landes“, wie sie es nennen. Sie haben mit viel Aufwand dafür gesorgt, dass von den knapp 5900 Hektar des Tagebaus Welzow-Süd rund 2600 Hektar fast wieder so aussehen, als sei nichts passiert. 
Sie „können auch Berge“, sagt Landschaftsplanungsleiter Thomas Neumann. Sogar einen Weinberg, den Wolkenberg, haben sie angelegt: sechs Hektar, 30 Meter hoch, Süd-Südwest-Ausrichtung, mit extra aufgeschüttetem Geschiebemergel, weil Reben den sandigen Grund der Lausitz nicht mögen.

Ein Berg, wo vorher keiner war, das ist die große Ausnahme. Das Rohmaterial ist knapp, der Tagebau hat schließlich Riesenlöcher in den Boden gerissen. „Ein solches Defizit ergibt immer einen Restsee“, erklärt Neumann. Auch aus Welzow-Süd, kündigt er an, würden sie dereinst „einen See basteln“. 

Schwer vorstellbar heute, wenn man ins Tagebau-Tal hineinfährt, in eine graubraune Schluchtenlandschaft. Horst Lehmann schuftete bis zu seinem Vorruhestand selbst in der Grube. Heute führt er Besucherinnen und Besucher durch die Mondlandschaft. „Es dauert 35 bis 40 Jahre, um das Gelände nach dem Bergbau wiederherzustellen“, sagt Lehmann, während die riesige Abraumförderbrücke F60 hinter ihm dröhnt. „Die Natur braucht Zeit.“
Die Frage ist nur, ob es die Leag noch so lange gibt. Rücklagen für die Renaturierung gibt es bislang kaum, wie Recherchen von „Correctiv“ und „Spiegel“ zeigten. Im besten Fall dürften sie für fünf Prozent der Gesamtkosten reichen. Dabei zeichnet sich ab, dass der Kohleausstieg schneller kommt als gedacht. 

Die Kohle rechnet sich einfach nicht mehr. Ein Grund dafür liegt im EU-Emissionsrechtehandel. Der Preis für ein Zertifikat, das zum Ausstoß einer Tonne CO2 berechtigt, lag Ende des Jahres 2018 bei rund 25 Euro. Damals setzte allein das Leag-Kraftwerk Jänschwalde 23 Millionen Tonnen  frei. Im September 2021 überschritt er erstmals die Marke von 60 Euro (weil die Zahl der zur Verfügung stehenden Zertifikate von Jahr zu Jahr sinkt). 

In der Zwischenzeit wächst das Lausitzer Seenland. Der jüngste See ist auf einer Landkarte des Tourismusverbandes bereits in hellem Blau ausgewiesen: der „Cottbuser Ostsee“. Derzeit erblickt man dort vor allem staubiges Braun. Der Ostsee ist erst in Flutung. Aus einem Kanal plätschert Wasser hinein wie in eine gigantische Badewanne – und das schon seit 2019. In ein paar Jahren soll er vollgelaufen sein. Dann ist er mit 19 Quadratkilometern der größte See Brandenburgs und das größte künstliche Gewässer Deutschlands.

In den 1991 stillgelegten Tagebauen bei Schlabendorf geht es hingegen nicht um Urlaubsträume. Hier entstand ein Wildnisgebiet, in dem sich Wiedehopf und Ameisenlöwe Gute Nacht sagen: Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen. Mit 3300 Hektar ist es das größte Naturschutzprojekt auf einem früheren Tagebauareal. Im Jahr 2000 hatte die Stiftung des Tierfilmers Heinz Sielmann erste Flächen dafür erworben. Die umgepflügte Landschaft wurde sich selbst überlassen. Die Natur sollte sich, so Sielmann, „zurückerobern, was ihr vor Jahrzehnten genommen wurde“.

Teilweise wirkt die Landschaft heute wie eine Wüste. Dennoch herrscht hier reges Leben: Ziegenmelker und Zauneidechse, Kreiselwespe, Gottesanbeterin und Sandohrwurm haben hier ebenso ein Zuhause gefunden wie mehr als 400 Schmetterlingsarten. „Durch die große Ruhe haben sich außerdem zumindest zwei Wolfsfamilien angesiedelt“, sagt der Leiter der Naturlandschaft, Ralf Donat. Im Herbst bieten die Seen Zehntausenden Gänsen und mehreren Tausend Kranichen einen Rastplatz auf deren Reise in den Süden. Einige Kranichpaare brüten hier bereits.

Doch auch diese Idylle kämpft mit der Verschmutzung: Eisenverbindungen im Sand. Saures Wasser. Die Seen müssen regelmäßig gekalkt werden, Schätzungen zufolge noch 80 bis 100 Jahre lang. 

Mitten im noch aktiven Tagebau von Jänschwalde entsteht indes seit 2009 das „Grüne Herz“. Der 1200 Hektar große Renaturierungskorridor aus Wald, Wiesen und Offenland ist ein Paradies für botanische Seltenheiten wie Kartäusernelke, Steppen-Sesel, Ähriger Blauweiderich und Acker-Wachtelweizen. Das ist Christina Grätz zu verdanken. Sie besetzte früher jene Häuser, denen der Tagebau-Bagger drohte, und kämpfte mit viel Wut gegen „diese Schweine“, so nannte sie damals die Kohleleute.

Grätz ist als Jugendliche, wie sie sagt, „weggebaggert worden“. Ihre Heimat, das Dorf Radeweise, musste 1986 dem Tagebau Welzow-Süd weichen. „Da bin ich in ein Loch gefallen. Das war eine tiefe Entwurzelung.“ Jetzt sorgt sie dafür, dass neue Wurzeln wachsen. Die Biologin ist Gründerin und Chefin von Nagola Re, einem auf Renaturierung spezialisierten Unternehmen mit 20 Mitarbeitern. Christina Grätz sät nicht nur heimische Samen aus, sie rettet auch den Oberboden vor heranrückenden Schaufelradbaggern und schafft ihn hierher.

Der Lohn: ein Wiesen- und Buschpanorama voller geschützter und gefährdeter Pflanzen.

Einmal, erzählt Grätz, habe ein Botaniker angesichts des Reichtums an seltenen Pflanzen gescherzt: „Christina, du musst endlich aufhören! Wir müssen sämtliche Rote Listen ändern, wenn du so weitermachst.“