Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates
Faktencheck

19 verspätete Versprechen: Was die Regierung längst umsetzen wollte

Mehr als ein Dutzend Projekte von Türkis-Grün haben Verspätung – gemessen an den Deadlines, die sich die Regierung selbst gegeben hat. faktiv recherchierte die fast komplette Liste.

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Update Ende April 2022: Diese Liste ist noch immer aktuell, keines der untenstehenden Versprechen wurde bisher umgesetzt. Nur im Gesundheitsministerium gab es einen Wechsel. Der Minister heißt Johannes Rauch und nicht mehr Wolfgang Mückstein.

Die türkis-grüne Bundesregierung ist in bester Gesellschaft. Schon die Große Koalition aus SPÖ und ÖVP druckte im Jahr 2013 das Vorhaben „Informationsfreiheit statt Amtsgeheimnis“ ins Regierungsprogramm, setzte das Projekt aber nie um. Das Gesetz, das öffentliche Stellen zu mehr Transparenz gegenüber Bürgern verpflichten soll, lässt auch neun Jahre später auf sich warten, obwohl Grünen-Chef Werner Kogler die Umsetzung für 2020 versprochen hatte.

Kein Einzelfall: faktiv, der Faktencheck von profil, fand 19 türkis-grüne Versprechen, die eigentlich längst umgesetzt sein müssten – geht es nach den Deadlines, die sich die Regierung selbst auferlegte. Mit der Impflotterie, die kurz vor dem Scheitern steht, könnte demnächst noch ein zwanzigstes Projekt dazukommen.

Es stimmt schon: Der Koalition waren gerade einmal sieben Eingewöhnungswochen vergönnt, ehe die Corona-Pandemie Budgets belastete und die Terminkalender der Minister füllte. Andere Probleme waren dagegen selbstverschuldet, etwa die Korruptionsvorwürfe gegen den zurückgetretenen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, die Türkis-Grün über Wochen lähmten. Der Vorteil am Verzug ist freilich, dass man der Öffentlichkeit eine Maßnahme immer wieder neu verkaufen kann: Justizministerin Alma Zadic hat das strengere Korruptionsstrafrecht (auch als Lex Strache bekannt) vor einem Monat bereits zum dritten Mal angekündigt.

Versprechen: Neues Klimaschutzgesetz 🌎

  • Zuständig: Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne)
  • Deadline: Sommer 2021, dann: 2022
  • Das Gesetz legt etwa fest, wie viele Treibhausgasemissionen Österreich maximal ausstoßen soll. Ende 2020 ist die alte Regelung ausgelaufen. Wann kommt das neue Gesetz? „Zeitnah“, verspricht das Ministerium.

 

Versprechen: Glücksspielpaket 💰

  • Zuständig: Finanzminister Magnus Brunner* (ÖVP)
  • Deadline: Herbst 2021
  • Glücksspiele können gefährlich sein. Für Politiker, wenn sie zu viel Nähe zu den Betreibern pflegen. Für Spieler, wenn sie in die Sucht abdriften. Geplant war eine unabhängige Glücksspielbehörde, um Konzessionen ohne politischen Einfluss zu vergeben. Dazu strengerer Spielerschutz, eine Sperre von illegalen Online-Casinos und eine Beschränkung der Glücksspielwerbung.

 

Versprechen: Digitaler Führerschein 🚗

  • Zuständig: Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck (ÖVP)
  • Deadline: Frühjahr 2021, dann zweite Jahreshälfte 2021, dann Jahresbeginn 2022, jetzt: Frühjahr 2022
  • Bei einer Fahrzeugkontrolle das Handy zücken und über eine App die Lenkerberechtigung und den Zulassungsschein vorweisen – diese Vision der Digitalisierungsministerin verzögert sich laufend. Es gab Probleme bei der Ausschreibung.

 

Versprechen: Elektronischer Identitätsnachweis 📱

  • Zuständig: Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck (ÖVP)
  • Deadline: Sommer 2021, dann Beginn 2022
  • Die ID Austria soll die Handysignatur ablösen und nicht nur digitale Amtsservices wie einen Wahlkartenantrag ermöglichen, sondern auch als Identifikation gegenüber privaten Unternehmen – etwa Banken – dienen. Der Vollbetrieb ab Mitte 2021 wird sich nicht mehr ausgehen.

 

Versprechen: Unabhängige Stelle zur Untersuchung von Polizeigewalt 👨🏻‍✈️

  • Zuständig: Innenminister Gerhard Karner* (ÖVP)
  • Deadline: Erste Jahreshälfte 2021
  • Was können Menschen tun, die von Polizisten misshandelt wurden? Für sie soll eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt eingerichtet werden. Bisher sind Beamte, die sich im Dienst etwas zuschulden kommen ließen, oft glimpflich davongekommen.

Versprechen: „Erste Schritte“ zur Pflegereform 🏥

  • Zuständig: Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)
  • Deadline: Herbst 2021
  • Die Reform des chronisch überlasteten Pflegesystems ist ein Jahrhundertprojekt. Corona kam dazwischen, der Gesundheitsminister war – verständlicherweise – anderwärtig beschäftigt. Im Sommer 2021 versprachen Mückstein und Kogler allerdings „erste Reformschritte“ für den Herbst, etwa eine attraktivere Pflegeausbildung. Noch wird mit den Ländern verhandelt.

 

Versprechen: Liste klimaschädlicher Förderungen ✈️

  • Zuständig: Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne)
  • Deadline: Juli 2021
  • Eine Mineralölsteuerbefreiung wirkt sich nachhaltig schlecht auf die CO2-Bilanz aus – das ist soweit kein Geheimnis. Ungewiss bleibt weiterhin, wie hoch die Subventionen in Österreich für klimaschädliches Verhalten insgesamt sind. Die Arbeiten seien „sehr umfangreich“, sagt das Ministerium.

 

Versprechen: Digitalnovelle zum ORF-Gesetz 📽️

  • Zuständig: Medienministerin Susanne Raab* (ÖVP)
  • Deadline: Zunächst Herbst 2020, dann Ende 2021, schließlich Herbst 2022
  • Wer eine ORF-Sendung verpasst hat, muss sich beeilen: Nach sieben Tagen werden die Beiträge gelöscht, so will es das Gesetz. Die Novelle soll das unter anderem ändern. Neuer Zeitplan: Herbst 2022.

 

Versprechen: Erweiterung der Berufskrankheitenliste 🤕

  • Zuständig: Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)
  • Deadline: Ankündigung im April 2021, dass die Erweiterung „bald“ vorliegen würde
  • Von Burnout bis Long-Covid – die Opposition forderte die Aufnahme weiterer Krankheiten in die Berufskrankheitenliste. Dadurch könnten Betroffene Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen.

 

Versprechen: Neuer Standort des Umweltbundesamts 🏡

  • Zuständig: Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne)
  • Deadline: Evaluierungsergebnisse 2020
  • Türkis-Blau wollte das Umweltbundesamt von Wien nach Klosterneuburg (NÖ) verlegen. Gewessler stoppte das Vorhaben und ließ es evaluieren. Ergebnis ausständig.

 

Versprechen: Evaluierung des Kinderrechte-Gesetzes 👨‍👨‍👧‍👧

  • Zuständig: Familienministerin Susanne Raab (ÖVP)
  • Deadline: 2021
  • Obwohl die Kinderrechte seit 2011 in der österreichischen Verfassung stehen, würden die Bestimmungen weitgehend ignoriert, kritisiert das Netzwerk Kinderrechte. Raab versprach eine Prüfung.

 

Versprechen: Reform des Maßnahmenvollzugs 🏢

  • Zuständig: Justizministerin Alma Zadic (Grüne)
  • Deadline: Ursprünglich 2020, jetzt: Anfang 2022
  • Therapie statt Strafe lautet der hehre Leitgedanke, der hinter dem Maßnahmenvollzug, der Haft von „geistig abnormen Rechtsbrechern“, steckt. Das Problem: Das österreichische System ist fehleranfällig. Die Reform befinde sich in der „finalen Phase“, heißt es aus dem Ministerium.

 

Versprechen: Ausweitung der Fußfessel 🦶

  • Zuständig: Justizministerin Alma Zadic (Grüne)
  • Deadline: Sommer 2021
  • Die Möglichkeit, eine Freiheitsstrafe zuhause und nicht im Gefängnis abzusitzen, soll auf bis zu zwei Jahre ausgeweitet werden. Die Reform des Strafvollzugs bedeute weniger Rückfälle und sei kostengünstiger.

 

Versprechen: Standortstrategie 🏭

  • Zuständig: Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP)
  • Deadline: Ende 2021
  • Die meisten Zukunftspapiere haben etwas gemeinsam: Einen holprigen Titel. „Chancenreich Österreich“ wird die Strategie heißen, die zeigen soll, wie der österreichische Wirtschaftsstandort bis 2040 wettbewerbsfähiger – und digitaler – werden kann. Neuer Zeitplan für die Präsentation: Erstes Halbjahr 2022. Netter Hinweis von faktiv: Deadline auf der Ministeriumsseite ändern.

 

Versprechen: Neue Firmenform für Start-Ups 💡

  • Zuständig: Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP), Justizministerin Alma Zadic (Grüne)
  • Deadline: Herbst 2020
  • Nur 5000 Euro Stammkapital und kein Notar: So soll die Gründung von Unternehmen erleichtert werden. Dafür plant die Regierung eine neue Gesellschaftsform, die sogenannte „Flexkap“. Die Verhandlungen im Justizressort gestalten sich allerdings schwierig.

 

Versprechen: Lex Strache (Antikorruptionspaket) ⚖️

  • Zuständig: Justizministerin Alma Zadic (Grüne)
  • Deadline: Sommer 2020
  • Wer über genügend Geld verfügt, kann in Österreich eine Partei für einen sicheren Listenplatz bezahlen oder einen Kandidaten bestechen, der noch kein Amtsträger ist. Völlig legal. Das sollte mit dem Antikorruptionspaket geändert werden. Der Gesetzestext liegt laut faktiv-Infos seit Monaten fertig ausformuliert bei der ÖVP.

Versprechen: Informationsfreiheitsgesetz ✉️

  • Zuständig: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP)
  • Deadline: Sommer 2020
  • „Democracy dies in darkness“, lautet der Slogan der US-Zeitung „Washington Post“, Demokratie stirbt in der Finsternis. Düstere Orte gibt es auch in Österreich genug: Aufträge an parteinahe Werbeagenturen oder Preise für Schutzmasken – wenn Journalisten diese dunklen Orte ausleuchten wollen, verweigern öffentliche Stellen oft die Auskunft. Ein Recht auf Information sollte das ändern, doch die Bundesländer haben etwas dagegen.

 

Versprechen: Transparente Parteikassen 💶

  • Zuständig: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP)
  • Deadline: Sommer 2020
  • Halten sich die Parteien an die Wahlkampfkostenobergrenze? Nehmen sie illegale Spenden an? Um diese Fragen zu beantworten, müsste der Rechnungshof in die Bücher der Parteien blicken dürfen. Darf er aber derzeit nicht.

 

Versprechen: Nationaler Aktionsplan Behinderung 📝

  • Zuständig: Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein* (Grüne)
  • Deadline: 2021
  • Der vorherige ressortübergreifende Masterplan für eine behindertengerechtere Gesellschaft ist trotz Verlängerung mittlerweile ausgelaufen. Er sah etwa mehr Barrierefreiheit vor. Der neue Plan soll im ersten Quartal 2022 stehen.

 

Haben wir ein Versprechen übersehen, das noch nicht umgesetzt wurde? Schreiben Sie uns: faktencheck(at)profil.at

*Vom Amtsvorgänger versprochen.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.